TE OGH 2020/12/11 15Os106/20g

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Dr. Koller in der Strafsache gegen M***** S***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 erster und zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 30. Juni 2020, GZ 40 Hv 93/19d-159, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen zu den Zusatzfragen I./ und II./ sowie das darauf beruhende Urteil in der rechtlichen Unterstellung der Tat (auch) nach § 143 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB, demgemäß auch der Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der gemeinsam mit dem Urteil verkündete Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 37 Hv 27/16x des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Nachsicht aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg als Geschworenengericht verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde M***** S***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 erster und zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 23. April 2018 in S***** als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung zweier unbekannter Mitglieder dieser Vereinigung als Mittäter dem Angestellten einer B*****-Filiale A***** V***** dadurch, dass sie ihn auf den Boden drückten, ihm seine Jacke über den Kopf zogen und die Hände nach hinten rissen, ihm mit einem Kabelbinder die Beine fesselten, ihm eine Faustfeuerwaffe vorhielten und am Kopf ansetzten, mit gegen ihn gerichteter Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe 43.480 Euro Bargeld und 40 Goldmünzen im Wert von 4.948 Euro mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Gewaltanwendung eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit V*****s in Form einer akuten Belastungsreaktion, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Traumafolgestörung (Angst und depressive Störung) sowie eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs 1 Z 3 StGB), nämlich eine bis zu seiner Pensionierung währende partielle Berufsunfähigkeit in Form einer 20%igen Minderung seiner Erwerbsfähigkeit, zur Folge hatte.

Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach dem Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB sowie die (uneigentlichen) Zusatzfragen nach den Qualifikationen gemäß § 143 Abs 2 erster Fall StGB (I./) und gemäß § 143 Abs 2 zweiter Fall StGB (II./) bejaht und die in Richtung entschuldigenden Notstands nach § 10 Abs 1 StGB gestellte Zusatzfrage III./ verneint.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 10a und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der teilweise Berechtigung zukommt.

Zutreffend vermisst die Subsumtionsrüge (Z 12) im Wahrspruch zur (uneigentlichen) Zusatzfrage II./ konkrete, die Beurteilung der Verletzungen des Opfers als solche mit schweren Dauerfolgen iSd § 85 Abs 1 StGB tragende Konstatierungen (RIS-Justiz RS0101469). Der Wahrspruch lässt zwar – mit Blick auf die zur Zusatzfrage I./ erfolgte gleichzeitige Annahme einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung „oder“ Berufsunfähigkeit „in Form einer akuten Belastungsreaktion, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Traumafolgestörung (Angst und depressive Störung)“ bei V***** (RIS-Justiz RS0101469 [T3, T4]) – die Art der in Rede stehenden Körperverletzung und (der Beschwerde zuwider) das davon betroffene Opfer erkennen. Die in der Zusatzfrage II./ geschaffene Tatsachenbasis genügt aber nicht zur Beantwortung der Frage, ob das Opfer durch die (als Folge der im Wahrspruch zur Hauptfrage umschriebenen Gewaltanwendung eingetretene [RIS-Justiz RS0111354]) „bis zu seiner Pensionierung währende partielle Berufsunfähigkeit in Form einer 20%igen Minderung seiner Erwerbsfähigkeit“ für immer oder doch für lange Zeit überhaupt nicht oder nicht ohne unzumutbare Erschwernisse in der Lage ist, die mit der Ausübung seines Berufs verbundenen wesentlichen Tätigkeiten zu verrichten (RIS-Justiz RS0092685, RS0092616, RS0092688, RS0092693, RS0092677; Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 85 Rz 16 ff, § 84 Rz 13; Messner, SbgK § 84 Rz 40; Leukauf/Steininger/Nimmervoll, StGB4 § 84 Rz 11).

Dieser Rechtsfehler infolge fehlender Feststellungen im Wahrspruch der Geschworenen zur Zusatzfrage II./ erfordert in diesem Umfang dessen Aufhebung (§ 351 StPO). Ein Eingehen auf das darauf bezogene Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 10a) erübrigt sich daher.

Zufolge materieller Subsidiarität gestufter Erfolgsqualifikationen (hier: § 143 Abs 2 erster Fall gegenüber § 143 Abs 2 zweiter Fall StGB; vgl RIS-Justiz RS0092697; 15 Os 61/08x; Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 84 Rz 106 und § 85 Rz 37; Messner, SbgK § 84 Rz 116; Kienapfel/Schroll, StudB BT I4 § 85 Rz 26; siehe auch RIS-Justiz RS0126577; Eder-Rieder in WK2 StGB § 143 Rz 1) waren aber auch der Wahrspruch zur (uneigentlichen) Zusatzfrage I./ und der darauf bezogene Schuldspruch in Richtung der Qualifikation nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB aufzuheben (§ 349 Abs 2 StPO).

Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde aber keine Berechtigung zu.

Zum Beweis, dass der Angeklagte seit seiner Enthaftung bis vor der Tat „für diesen Banküberfall nicht in S***** war“, sich an der Planung des Raubüberfalls nicht beteiligen konnte und daher „nicht Mitglied einer kriminellen Vereinigung sein hat können“, eine auf Dauer angelegte Vereinigung nicht bestand und um „insgesamt die Glaubwürdigkeit des Angeklagten“ zu stützen, stellte der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 30. Juni 2020 die Anträge (ON 157 S 9) auf

- Vernehmung seiner Mutter, „mit der er zusammengewohnt hat“, und

- Beischaffung der bei den zwischen Serbien und Bosnien bestehenden Grenzübergängen M*****, K*****, Z*****, Sr*****, R***** und B***** hinterlegten CMR-Scheine.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung dieser Anträge Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil (schon) die Beweisthemen nicht die Klärung erheblicher, also solcher Tatsachen betrafen, die auf die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage Einfluss haben können (vgl RIS-Justiz RS0116503, RS0118444). Ob der Angeklagte vor der Tat in S***** war oder sich an der Planung beteiligt hat, ist für die Frage der Begehung der Tat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung irrelevant (vgl RIS-Justiz RS0130776, RS0125249 [T4]). Im Übrigen war den Anträgen auch nicht zu entnehmen, warum die begehrten Beweisaufnahmen das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lassen (RIS-Justiz RS0099453, RS0099353).

Die weitere Rüge (Z 5) kritisiert die „gemäß § 252 Abs 2 StPO“ trotz „Einwand“ des Verteidigers erfolgte Verlesung (ON 157 S 10) einer an das Justizministerium gerichteten und eine Rechtsfrage zur Auslieferung behandelnden Anfrage des Vorsitzenden per E-Mail (ON 150), in welcher dieser ausführt, dass ein zum Opfer eingeholtes neuropsychiatrisches Gutachten „eine schwere Dauerfolge“ ergeben habe. Aus Sicht der Beschwerde enthalte das Schreiben „Tatsachenfeststellungen“, die den Geschworenen vorbehalten gewesen wären und die Eignung zur Beeinflussung der Laienrichter aufweisen würden, weil der Vorsitzende eine Berufsunfähigkeit des Opfers „bereits als gegeben“ darstelle.

Sie scheitert bereits daran, dass der Angeklagte es nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls unterlassen hat, den Schwurgerichtshof mit der Entscheidung über die Verlesung zu befassen (vgl §§ 238 Abs 2, 302 Abs 1 StPO) und solcherart ein mit Verfahrensrüge bekämpfbares Zwischenerkenntnis zu erwirken (RIS-Justiz RS0113618, RS0099250; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 304).

Unter dem Aspekt des § 345 Abs 1 Z 4 StPO ist anzumerken, dass das gegenständliche Schreiben kein in § 252 Abs 1 StPO genanntes Schriftstück ist, weshalb dem Vorkommen desselben weder ein Verlesungs- noch ein Verwertungsverbot entgegenstand (vgl zum Anfechtungsumfang bei Verstößen gegen § 252 Abs 2 StPO Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 129 ff).

Im Übrigen war der Computerausdruck der gegenständlichen Korrespondenz auch kein Schriftstück anderer Art (als ein in § 252 Abs 2 StPO ausdrücklich aufgezähltes), das für die Sache von Bedeutung gewesen, also geeignet erschienen wäre, Aufschluss über schulderhebliche Umstände zu geben (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 124).

Mit Tatsachenrüge (Z 10a) sind nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) bekämpfbar. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Schuldberufung im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583, RS0118780).

Mit Hinweisen auf die Verantwortung des Angeklagten, er habe erst in der Früh vor dem Überfall vom Vorhaben der Mittäter Kenntnis erlangt, habe weder vor noch nach der Tat mit diesen Kontakt gehabt und bei der Tat sei eine Spielzeugwaffe verwendet worden, gelingt es der Beschwerde nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Soweit sie einerseits eigenständige Überlegungen zur Dauer des Zusammenschlusses der Täter anstellt und andererseits behauptet, der Vorsatz des Angeklagten habe die Verwendung einer Waffe nicht umfasst, verlässt sie den Anfechtungsrahmen des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in diesem Umfang zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

Bleibt abschließend zu bemerken, dass die im Wahrspruch zur Hauptfrage 1./ enthaltenen Sachverhaltsannahmen die Subsumtion nach § 143 Abs 1 erster Fall StGB nicht tragen. Denn die angenommene Tatbegehung „als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung von zwei unbekannten Mitgliedern dieser Vereinigung“ bringt zwar einen Zusammenschluss von (mindestens) drei Personen mit der kriminellen Zielsetzung der Begehung eines Verbrechens (§ 17 Abs 1 StGB) zum Ausdruck, nicht aber, dass dieser auf längere Zeit angelegt war (RIS-Justiz RS0125232; Plöchl in WK² StGB § 278 Rz 8 f). Zu amtswegigem Vorgehen sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil die (ungerügt gebliebene) rechtsirrige Subsumtion mit Blick auf die verwirklichte Qualifikation nach § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB keinen Nachteil iSd § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO darstellt (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 f; RIS-Justiz RS0113957). Angesichts dieser Klarstellung ist das Erstgericht bei Fällung des Urteils im zweiten Rechtsgang insoweit nicht an seinen eigenen Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz gebunden (RIS-Justiz RS0129614 [T1]).

Es waren daher der Wahrspruch der Geschworenen zu den Zusatzfragen I./ und II./ und das darauf beruhende Urteil in der rechtlichen Unterstellung der Tat (auch) nach § 143 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der gemeinsam mit dem Urteil verkündete Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 37 Hv 27/16x des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Nachsicht (vgl RIS-Justiz RS0100194 [T15, T18 und T23] zum im weiteren Verfahren zu beachtenden Verschlechterungsverbot) aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg als Geschworenengericht zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E130144

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00106.20G.1211.000

Im RIS seit

29.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten