TE OGH 2021/5/5 15Os15/21a

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Veröffentlicht am 05.05.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Mai 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz, und Dr. Mann in der Strafsache gegen M***** D***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten M***** D***** und N***** S***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 29. Oktober 2020, GZ 34 Hv 72/20f-17, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden relevant –M***** D***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (I./) sowie N***** S***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) und des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 [US 18 f: Abs 1] StGB (III./) schuldig erkannt.

[2]       Danach haben am 11. Jänner 2020 in H*****

I./ M***** D***** S***** V***** am Körper verletzt, indem er diesem mehrfach gegen dessen linke Körperhälfte schlug und ihm dadurch eine an sich schwere Verletzung, nämlich eine Fraktur der sechsten und siebten Rippe, zufügte;

II./ N***** S***** C***** R***** am Körper verletzt, indem sie diesen im Bereich der rechten Stirn kratzte, zumindest zwei Mal in den Oberschenkel biss und ihm schließlich einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, wodurch er Kratzwunden an der rechten Stirn, zwei Bisswunden am rechten Oberschenkel und eine Prellung des Nasenbeins sowie einer Augenhöhle erlitt;

III./ N***** S***** S***** V***** absichtlich eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zuzufügen versucht, indem sie ihm einen Fußtritt gegen den Kopf versetzte.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richten sich die getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, gestützt von D***** auf § 281 Abs 1 Z 4 und 10 StPO und von S***** auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 [lit] b und 11 StPO.

[4]       Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten D*****:

[5]       Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens über die vom Zeugen V***** erlittenen Verletzungen, insbesondere dazu, dass der Rippenbruch keine an sich schwere Körperverletzung ist“ (ON 16 S 39 ff), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Die Beurteilung, ob die Frakturen zweier Rippen (I./) einen Erfolg iSd § 84 Abs 1 StGB bilden, stellt eine Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0092554), die als solche einer Beweisaufnahme entzogen ist (RIS-Justiz RS0099342).

[6]       Das zur Antragsfundierung in der Beschwerde Nachgetragene ist prozessual verspätet (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).

[7]            Die Subsumtionsrüge (Z 10) weist darauf hin, dass weder eine Dislokation der Bruchenden noch mit den Rippenbrüchen verbundene Funktionseinbußen und Folgeschäden festgestellt wurden, weshalb bloß der Tatbestand des § 83 Abs 1 StGB erfüllt sei. Sie lässt aber offen (vgl aber RIS-Justiz RS0116565), aus welchem Grund der Bruch von gleich zwei Rippen (US 6, 16 iVm ON 2 S 61) nach den Umständen in Bezug auf den Schweregrad der Verletzung (§ 84 Abs 1 StGB) mit dem unverschobenen Bruch von bloß einer Rippe vergleichbar sein sollte (vgl RIS-Justiz RS0092611; Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 84 Rz 23; Leukauf/Steininger/Nimmervoll StGB4 § 84 Rz 15; zum Bruch einer Rippe überdies 15 Os 172/11z; zum Bruch zweier Rippen 11 Os 127/89).

[8]       Schließlich sei darauf hingewiesen, dass bei – wie hier nach den Feststellungen gegebenem – (bedingtem) Vorsatz auf Zufügung einer schweren Verletzung (US 7, 17) das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB selbst im Fall des Eintritts eines bloß leichten Verletzungserfolgs gleichwohl, dann nämlich in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) verwirklicht wäre (RIS-Justiz RS0131591).

[9]       Dass das Erstgericht entgegen § 19 Abs 4 Z 1 JGG (in Kraft seit 1. Jänner 2020) anstatt einer Mindeststrafdrohung von sechs Monaten Freiheitsstrafe (§ 84 Abs 4 StGB) irrig vom Entfall der Strafuntergrenze (§ 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG) ausgegangen ist (US 19 erster Absatz; Schroll in WK2 JGG § 19 Rz 3/1, 3/4 und 6/4), gereicht dem Beschwerdeführer zum Vorteil, sodass amtswegiges Vorgehen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) ausgeschlossen ist.

[10]     Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten S*****:

[11]     Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Abweisung des Antrags auf Vernehmung von G***** H*****, R***** Ho***** und P***** P***** als Zeugen zum Beweis dafür, „dass der Erstangeklagte bewusstlos war, sodass für die Zweitangeklagte eine Nothilfesituation gegeben war“ (ON 16 S 20). Weshalb diese (nach sämtlichen Beweisergebnissen im Tatzeitpunkt nicht anwesenden) Personen Wahrnehmungen zur behaupteten (Putativ-)Nothilfesituation gemacht haben sollen, ließ der Antrag aber nicht erkennen, womit er auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung hinauslief (RIS-Justiz RS0118444, RS0118123).

[12]     Die Richtigkeit der Begründung für eine abweisliche Entscheidung steht nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS-Justiz RS0121628). Erst in der Beschwerde zur Antragsfundierung nachgetragene Gründe sind – wie bereits dargelegt – prozessual verspätet.

[13]           Zur Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) ist anzumerken, dass es keine Unvollständigkeit darstellt, wenn das Gericht, das Beweispersonen (hier: den beiden Angeklagten) die Glaubwürdigkeit versagt (US 15 ff), auf deren Aussagen nicht mehr eingeht (RIS-Justiz RS0098642).

[14]           Im Übrigen hat das Schöffengericht sowohl die Schilderung des M***** D*****, er habe aufgrund der Einwirkungen des V***** auf seinen Hals und seinen Brustkorb keine Luft mehr bekommen, ihm sei „immer schwummriger“ geworden, er sei bewusstlos geworden und erst wieder im Krankenhaus zu sich gekommen (US 10), als auch die Verantwortung der Beschwerdeführerin, D***** sei (im Zeitpunkt ihres Fußtritts zu III./) „gerade dabei gewesen, wegzutreten“, habe mit den Augen „gerollt“ und eine Passantin habe später die Rettung gerufen, berücksichtigt (US 7, 12, 14 f), diesen Angaben in Bezug auf eine (Putativ-)Nothilfesituation jedoch mit Verweis auf die als glaubhaft beurteilten Angaben von V***** und R***** und deren mit den Depositionen der Angeklagten nicht vereinbares Verletzungsbild keinen Glauben geschenkt (US 15 f, 18).

[15]           Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) sind solche Schlüsse – der weiteren Beschwerde zuwider – nicht zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0116732).

[16]           Indem die Nichtigkeitswerberin den Urteilsannahmen der bloß zu einer gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) verhaltenen Tatrichter eigene Auffassungen („fadenscheinige Begründung“, „bloß fadenscheinige Argumente“, „der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechend“, „nicht nachvollziehbar“) und Spekulationen gegenüberstellt, bekämpft sie bloß unzulässig nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld die Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0116732, RS0099455).

[17]     Zur subjektiven Tatseite von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen zu schließen, ist im Übrigen ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar und bei – wie hier – leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht anders möglich (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).

[18]     Soweit die zu III./ ausgeführte Rechtsrüge (Z 9 lit b) einen rechtswidrigen Angriff des S***** V***** gegen M***** D***** bzw einen Notwehrexzess des V***** durch (angeblich) „völlig unverhältnismäßiges“ Luft-Wegnehmen und eine deshalb zu Gunsten des Angeklagten D***** geübte Nothilfe (§ 3 StGB) der Angeklagten S***** reklamiert, orientiert sie sich prozessordnungswidrig nicht an den getroffenen Feststellungen in ihrer Gesamtheit (RIS-Justiz RS0099810). Danach kniete V*****, der seinem von D***** angegriffenen Begleiter zu Hilfe gekommen und daraufhin selbst von D***** attackiert worden war, auf D***** und versuchte, ihm etwas die Luft zu nehmen, „um sich gegen dessen Attacken zu erwehren“, wobei er „als Feuerwehrmann genau [wusste], was er macht“ (US 5 f, 16).

[19]     Gleiches gilt für die Beschwerdebehauptung, die Angeklagte S***** habe (zumindest) im Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt (§ 8 StGB) gehandelt (hier: Putativnothilfe). Denn die Tatrichter haben eine Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin subjektive Kenntnis um eine (vermeintlich) bestehende Nothilfesituation (Kienapfel/Höpfel/Kert AT16 Rz 13.23) gehabt hätte, hinreichend deutlich abgelehnt und deren Absicht konstatiert, S***** V***** durch den Fußtritt gegen den Kopf bzw das Gesicht schwer zu verletzen (US 6 ff und 1ff).

[20]       Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verstößt die erschwerende Wertung eines „besonders brutalen Vorgehens“ zu III./ (US 19) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 StGB), weil eine solche Vorgehensweise die Strafdrohung des § 87 Abs 1 StGB keineswegs bestimmt (RIS-Justiz RS0090945 [T3]; 14 Os 105/18z).

[21]           Die Beschwerde (Z 11 zweiter Fall) beanstandet weiters die aggravierende Berücksichtigung der Begehung eines Verbrechens und eines Vergehens sowie der Attackierung von (gleich) zwei Menschen (US 19). Ein aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO beachtlicher Rechtsfehler (vgl RIS-Justiz RS0090946) ist darin aber nicht zu erblicken, weil – auch beim Zusammentreffen gleichartiger oder verschiedenartiger strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) – schon die (mehrfache) Delinquenz gegen (bloß) ein einziges (identes) Opfer die Strafdrohung bestimmt. Die Frage, ob dem Umstand, dass bei dem inkriminierten Vorfall zwei verschiedene Menschen angegriffen wurden, tatsächlich jenes Gewicht zukommt, das ihm das Erstgericht zugemessen hat, ist bloß als Berufungsvorbringen beachtlich (RIS-Justiz RS0099869 [T4, T14], RS0116878 [T2]).

[22]     Soweit das Erstgericht entgegen § 19 Abs 4 Z 1 JGG (in Kraft seit 1. Jänner 2020) in Ansehung der Angeklagten S***** anstatt von einer Mindeststrafdrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe (§ 87 Abs 1 StGB) irrig von einem Entfall der Strafuntergrenze (§ 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG) ausgegangen ist (US 19 erster Absatz), gereicht dies der Genannten nicht zum Nachteil, sodass sich amtswegiges Vorgehen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz, erster Fall StPO) einmal mehr verbietet.

[23]     Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits nach nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[24]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E131712

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00015.21A.0505.000

Im RIS seit

02.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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