TE OGH 2020/4/14 14Os141/19w

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Veröffentlicht am 14.04.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat am 14. April 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in der Strafsache gegen ***** V***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft sowie der Angeklagten ***** V*****, ***** W***** und ***** T***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. Mai 2019, GZ 13 Hv 11/19h-60, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden ***** V***** (II/A) und ***** W***** (II/A) je eines Verbrechens sowie ***** T***** (II/B/1 und 2) mehrerer Verbrechen (vgl aber RIS-Justiz RS0121981) des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB, die beiden Erstgenannten überdies je eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I) schuldig erkannt.

Danach haben in Wien

I/ V***** und W***** am 22. Oktober 2017 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) „unter Ausnützung der ihnen durch ihre Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit“ (vgl aber RIS-Justiz RS0112621) ***** A***** am Körper verletzt, indem sie ihn beide gewaltsam zu Boden stießen und ihm W***** drei Faustschläge ins Gesicht versetzte, wodurch A***** eine Prellung mit Abschürfungen im Bereich des linken Auges und im Jochbeinbereich, eine Abschürfung am Kinn und eine Rötung am Rücken erlitt;

II/ als Polizeibeamte mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, und zwar

A/ V***** und W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) am 22. und am 23. Oktober 2017 mit dem Vorsatz, dadurch A***** an dessen Recht auf Freiheit „und den Staat an seinem konkreten Recht auf Vollziehung der Strafrechtspflege im Rahmen der Gesetze“ zu schädigen, indem sie A***** ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen festnahmen, ihm Handschellen anlegten und ihn in den Arrestbereich der Polizeiinspektion V***** Gasse bringen ließen sowie V***** einen wahrheitswidrigen Amtsvermerk über diese Amtshandlung (in welchem ein als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt subsumierbares Verhalten des A***** geschildert wurde) verfasste und W***** diesen gegenzeichnete;

B/ T*****

1/ am 22. Oktober 2017 mit dem Vorsatz, dadurch A***** an dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit „sowie den Staat an seinem Recht an der Ausübung der Pflicht zur Abwehr und unverzüglichen Beendigung gefährlicher Angriffe nach § 21 SPG“ (vgl 14 Os 78/19f [zu § 19 SPG]) zu schädigen, indem er entgegen der ihn nach § 21 Abs 2 SPG treffenden Pflicht dem zu I/ beschriebenen gefährlichen Angriff seiner Kollegen V***** und W***** nicht unverzüglich ein Ende setzte, sondern den Vorfall beobachtete, ohne einzuschreiten;

2/ am 23. Oktober 2017 mit dem Vorsatz, dadurch A***** an dessen Recht auf Freiheit „und den Staat an seinem konkreten Recht auf Vollziehung der Strafrechtspflege im Rahmen der Gesetze“ zu schädigen, indem er den zu A/ von V***** verfassten Amtsvermerk gegenzeichnete.

Darüber hinaus sprach das Erstgericht T***** vom Vorwurf frei, er habe am 18. Dezember 2017

I/ als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache in einem gegen A***** geführten Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei falsch ausgesagt, indem er gegenüber Beamten des Büros für Qualitätssicherung wahrheitswidrig behauptete, einen gegen V***** und W***** gerichteten Faustschlag des A***** wahrgenommen zu haben;

II/ durch die zu I/ beschriebene falsche Aussage A***** der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, indem er ihn eines den Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB subsumierbaren Verhaltens wissentlich falsch verdächtigte;

III/ durch die zu I/ beschriebene falsche Aussage V***** und W***** der strafrechtlichen Verfolgung zumindest teilweise zu entziehen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Die Schuldsprüche werden von den Angeklagten V***** aus Z 5, 9 lit b und 10a, W***** aus Z 4, 5, 5a, 9 lit b und 10 sowie T***** aus Z 5, 5a, 9 lit b und 10, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, bekämpft. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft richtet sich aus den Gründen der Z 9 (lit) a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gegen den Freispruch und (der Sache nach) gegen das Unterbleiben einer Subsumtion der von den Schuldsprüchen II/A und II/B/2 erfassten Taten auch nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten V*****:

Der Mängelrüge zuwider haben die Tatrichter die Feststellung, A***** habe keine Tätlichkeiten gegen die Polizeibeamten gesetzt (US 7), keineswegs offenbar unzureichend, sondern – von der Rüge großteils übergangen (RIS-Justiz RS0119370) – mit ausführlicher Erörterung der in der Hauptverhandlung vorgeführten Videoaufzeichnung des Vorfalls (US 9 ff) im Einklang mit den Kriterien logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS-Justiz RS0118317) begründet. Das dazu erstattete Vorbringen erschöpft sich in bloßer Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Ein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) dieser Feststellung zur beweiswürdigenden Erwägung, A***** habe möglicherweise „um sein Gleichgewicht gerungen“, weil er von V***** weggedrückt worden sei (US 11), ist nicht auszumachen (vgl RIS-Justiz RS0117402).

Der weitere Einwand eines Widerspruchs zwischen der Konstatierung, sämtliche Angeklagte hätten beim Verfassen und Unterzeichnen des Amtsvermerks gewusst, dass A***** die ihm angelasteten Faustschläge und sonstige Tätlichkeiten gegen die Beamten nicht gesetzt habe, und Teile der Aussage dieses Zeugen verkennt, dass der von Z 5 erfasste Widerspruch sich nur aus dem Urteilsinhalt selbst, nicht aus dessen Vergleich mit Verfahrensergebnissen ergeben kann (erneut RIS-Justiz RS0117402). Fehlen der Erörterung der Angaben dieses Zeugen (Z 5 zweiter Fall) wird übrigens – zu Recht (vgl US 11) – nicht geltend gemacht.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) moniert, es fehlten Feststellungen dazu, „ob Notwehr bzw. Putativnotwehr auf Seiten des Erstangeklagten vorlag“, übergeht dabei jedoch (vgl RIS-Justiz RS0099810) die einer solchen Annahme entgegenstehenden Konstatierungen (US 6 und 8). Soweit der Beschwerdeführer Verfahrensergebnisse in diese Richtung interpretiert, argumentiert er ein weiters Mal nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Der Einwand, das Erstgericht hätte im Rahmen amtswegiger Wahrheitsforschung erheben müssen, „ob bzw. dass ***** A***** eine Verwaltungsübertretung begangen hat, die seine Festnahme rechtfertigte“ (nominell Z 9 lit b, der Sache nach Z 5a), unterlässt den gebotenen Hinweis, wodurch der Beschwerdeführer an darauf abzielender Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sei (RIS-Justiz RS0115823).

Die Diversionsrüge (Z 10a) vernachlässigt das Fehlen jeglicher Schuldeinsicht des Beschwerdeführers (vgl US 13 iVm ON 51 S 4; RIS-Justiz RS0116299) und damit das Erfordernis kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen. Sie entzieht sich daher mangels gesetzmäßiger Ausführung einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0124801). Im Übrigen erklärt die Rüge nicht, weshalb das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten einen – angesichts der hohen gesetzlichen Strafdrohung erforderlichen (vgl RIS-Justiz RS0116021 [T17 und T24]) – geradezu atypisch geringen Schuldgehalt aufweise. Dass die durch den zu II/B/A inkriminierten Amtsvermerk zu Unrecht herbeigeführte (tatsächliche) strafrechtliche Verfolgung des Opfers (vgl ON 1 S 1 ff) eine bloß geringfügige oder sonst unbedeutende Schädigung an dessen Rechten (§ 198 Abs 3 StPO) darstelle, wird ebenso wenig dargelegt.

Zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten W***** und T*****:

Mit Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft der Angeklagte W***** die Abweisung seines Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung des Polizeibeamten ***** B***** zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer „entsprechend den Einsatz Richtlinien gehandelt habe“, die vom Beschwerdeführer „gesetzten Faustschläge gegen ***** A***** lege artis sind und diese Einsatzmethode gelehrt und trainiert“ worden sei (ON 59 S 9). Das – hier begehrte – Ziehen von (sachverständigen) Schlüssen ist jedoch nicht Gegenstand eines Zeugenbeweises (RIS-Justiz RS0097545), weshalb der Antrag schon deshalb zu Recht abgewiesen wurde. Im Übrigen ließ der – solcherart auf unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtete (RIS-Justiz RS0118444 [T6]) – Antrag offen, wie der genannte Polizeibeamte die Vorschriftsmäßigkeit des Vorgehens des Beschwerdeführers hätte beurteilen können, ohne den Vorfall beobachtet zu haben.

Soweit die Mängelrügen dieser beiden Beschwerdeführer die Feststellung, A***** sei nicht gegen die Polizeibeamten tätlich geworden (US 6), als offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) kritisiert, wird auf die Beantwortung des inhaltsgleichen Vorbringens des Mitangeklagten verwiesen.

Indem die Tatsachenrügen (Z 5a) aus den von den Tatrichtern angeführten (US 11) Prämissen (insbesondere der Aussage des Zeugen A*****) für die Beschwerdeführer günstigere Schlussfolgerungen zieht, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0099674).

Das Argument (der Sache nach Z 5 zweiter Fall), aus einem – übrigens ohne Fundstelle genannten – Amtsvermerk ergebe sich ein Hinweis für aggressives Verhalten des A***** gegenüber den Polizeibeamten, schlägt fehl. Denn der ersichtlich angesprochene Amtsvermerk (ON 4 S 25 f in ON 4a) enthält im Wesentlichen bloß eine Interpretation der in der Hauptverhandlung ohnehin vorgeführten Videoaufzeichnung durch einen im Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer ermittelnden Kriminalbeamten und damit kein erhebliches, solcherart erörterungsbedürftiges Beweisergebnis (RIS-Justiz RS0118316).

Zur im Rahmen der Rechtsrügen (Z 9 lit b, der Sache nach Z 5a) vorgetragenen Kritik am Unterbleiben amtswegiger Klärung, „ob bzw. dass ***** A***** eine Verwaltungsübertretung begangen hat, die seine Festnahme rechtfertigte“, wird auf die Erwiderung des inhaltsgleichen Vorbringens des Mitangeklagten verwiesen.

Der Einwand der Subsumtionsrügen (Z 10, der Sache nach Z 9 lit a), das zu den Schuldsprüchen II/A und II/B/2 als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes formulierte Recht des Staates „auf Vollziehung der Strafrechtspflege im Rahmen der Gesetze“ sei „überschießend“, ist zwar im Ergebnis insoweit zutreffend, als ein solches „Recht“ sich im (für die Tatbestandserfüllung nicht ausreichenden) Anspruch des Staates gegen die Beamten, keinen Befugnisfehlgebrauch zu begehen, erschöpft (RIS-Justiz RS0096270 [T10, T12 uva]). Die Rüge übergeht aber prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) die weitere Feststellung, der Vorsatz der Beschwerdeführer habe sich jeweils auch auf Schädigung des A***** an dessen Recht auf Freiheit bezogen (US 9).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die mit dem Ziel eines Schuldspruchs nach § 288 Abs 1 und 4 StGB gegen den Freispruch gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt an sich zutreffend auf, dass – entgegen der Ansicht des Erstgerichts (vgl US 9 und 14) – der in § 290 Abs 1 StGB geregelte Entschuldigungsgrund in aller Regel demjenigen nicht zustatten kommt, dem ein Aussageverweigerungsrecht (hier § 157 Abs 1 Z 1 StPO [US 9]) ausdrücklich eingeräumt wird, der aber auf die Inanspruchnahme (nach entsprechender Belehrung) verzichtet. Die Befürchtung aus der Inanspruchnahme des Verweigerungsrechts resultierender Nachteile begründet keinen Aussagenotstand (RIS-Justiz RS0096333). Die Rolle des T***** als Leiter des verfahrensgegenständlichen Polizeieinsatzes war anlässlich seiner Vernehmung als Zeuge bereits bekannt (vgl ON 2 in ON 4a und ON 4 S 19 ff in ON 4a), sodass unklar bleibt, welche – ein Zeugnisverweigerungsrecht begründende – Umstände er im Sinn des § 290 Abs 1 Z 2 StGB nach Meinung des Erstgerichts (vgl US 14) noch hätte offenbaren müssen. Sagt aber ein Zeuge nach Verzicht auf ein ihm eingeräumtes Verweigerungsrecht falsch aus, kommt eine Interessenabwägung nach § 290 Abs 3 StGB nach dessen Wortlaut von vornherein nicht zum Tragen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde dringt dennoch nicht durch, weil es die Beschwerdeführerin verabsäumt, einen Feststellungsmangel – durch Verweis auf in der Hauptverhandlung vorgekommene, die begehrten Konstatierungen indizierende Beweisergebnisse (RIS-Justiz RS0118580) – methodengerecht geltend zu machen. Dies wäre vorliegend mit Blick auf die subjektive Tatseite erforderlich gewesen (vgl RIS-Justiz RS0127315), weil die Tatrichter zwar Wissentlichkeit des T***** in Bezug auf die Unrichtigkeit seiner Zeugenaussage bejahten, zu einem auf seine förmliche Vernehmung zur Sache in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung (§ 288 Abs 1 und 4 StGB) gerichteten Vorsatz (vgl Plöchl/Seidl in WK2 StGB § 288 Rz 40) jedoch keine Aussage trafen (vgl US 9 und 13).

Soweit die Beschwerdeführerin aus Z 10 die Subsumtion der von II/A und II/B/2 des Schuldspruchs erfassten Taten auch nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB begehrt, scheitert sie ein weiteres Mal am Unterbleiben der (prozessförmigen) Geltendmachung eines Feststellungs-mangels nach den vorgenannten Kriterien in Bezug auf einen Vorsatz der Angeklagten, A***** durch die angelasteten Taten der Gefahr einer behördlichen Verfolgung auszusetzen (RIS-Justiz RS0096574).

Im Übrigen setzt die Anwendung des Rechtssatzes, demzufolge die bloße Wiederholung einer früheren Anschuldigung keine neuerliche Verleumdung darstelle (RIS-Justiz RS0096496) – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – keineswegs eine Subsumtion der früheren Anschuldigung (auch) nach § 297 Abs 1 (hier: zweiter Fall) StGB voraus. Nach von der überwiegenden Lehre geteilter ständiger Rechtsprechung wird eine (nicht strenger strafbedrohte) allgemein strafbare Handlung von einem (eintätig zusammentreffenden) Missbrauch der Amtsgewalt (als subsidiär) verdrängt (10 Os 117/77 [verst Senat]; 17 Os 34/15a; RIS-Justiz RS0090968; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 54 ff; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 214; Zagler, SbgK § 302 Rz 173 f; vgl [im Ergebnis ebenso, wenngleich mit der Annahme von Konsumtion] Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch12 § 302 Rz 62; Leukauf/Steininger/Aichinger, StGB4 § 302 Rz 50; aA [für echte Konkurrenz] Kienapfel/Schmoller, BT III2 § 302 Rz 85; Hinterhofer/Rosbaud, BT II6 § 302 Rz 66). Hierfür genügt es, dass die Begehung der allgemein strafbaren Handlung wenigstens phasenweise Befugnisfehlgebrauch iSd § 302 StGB darstellt, während es nicht erforderlich ist, dass alle Merkmale der allgemein strafbaren Handlung im Tatbestand des § 302 StGB enthalten sind. Beim Vergleich der Strafdrohungen bleibt eine gemäß § 313 StGB mögliche Strafschärfung außer Betracht (vgl Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 214 ff). Verdächtigt also – wie hier – ein Polizeibeamter eine andere Person in einem Amtsvermerk (§ 95 StPO) oder in einem Bericht an die Staatsanwaltschaft (§ 100 StPO) wissentlich falsch einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung und erfüllt er dabei sämtliche (auch subjektive) Tatbestandsvoraussetzungen des § 302 Abs 1 StGB (wobei als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes primär das Recht des Betroffenen, nicht zu Unrecht strafrechtlich verfolgt zu werden [vgl 17 Os 53/14v, 54/14s] in Betracht kommt), ist er nicht auch wegen des Vergehens (oder Verbrechens) der Verleumdung zu bestrafen (aM Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch12 § 302 Rz 64).

Da die bloße Wiederholung einer früheren (allenfalls nach § 302 Abs 1 StGB strafbaren) Anschuldigung (mangels Schaffung einer [neuen] konkreten Gefährdungslage [vgl RIS-Justiz RS0096788]) nicht tatbildlich im Sinn des § 297 StGB ist (Pilnacek/?widerski in WK2 StGB § 297 Rz 31), stellt sich übrigens auch die Frage nach scheinbarer Realkonkurrenz nicht (vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 26).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO). Dabei wird es zu beachten haben, dass der Schuldspruch I/ folgenden Subsumtionsfehler (Z 10) aufweist:

Das Erstgericht hat alle erforderlichen Feststellungen (zur objektiven und subjektiven Tatseite) getroffen, um die von diesem Schuldspruch erfasste Tat dem Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB zu subsumieren (US 6 und 12). Dabei stellt der Einsatz physischer Gewalt (unter anderem in Form von Faustschlägen) – wie übrigens von V***** und W***** in ihrem Amtsvermerk selbst festgehalten (ON 3 S 9 ff in ON 4a) – den (hier allerdings rechtswidrigen) Gebrauch einer ihnen als Polizeibeamten zukommenden Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dar, war er doch intentional auf Durchsetzung von strafprozessualen Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen (nämlich der Durchsuchung und der Festnahme einer Person) gerichtet (vgl § 93 Abs 1 iVm § 117 Z 3 und § 170 Abs 1 Z 1 StPO; § 2 Z 3 sowie §§ 4 und 9 WaffengebrauchsG; zum Einsatz von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse vgl VfSlg 8.145; VwGH 2012/01/0015; 2008/09/0075). In einer solchen Konstellation kommt der Rechtsprechung, derzufolge „eine Handlung, die sich nicht einmal äußerlich als Amtshandlung darstellt“ (hier von Bedeutung: vorsätzliche Körperverletzung), nicht Missbrauch der Amtsgewalt sei, mag sie „auch während der Amtsbesorgung oder unter Ausnützung der durch das Amt gebotenen Möglichkeiten verübt worden sein“ (RIS-Justiz RS0093367), keine Bedeutung zu. Vielmehr handelt es sich um im Sinn des § 302 Abs 1 StGB tatbildlichen Befugnisfehlgebrauch, der (auch) den Tatbestand einer allgemein strafbaren Handlung erfüllt (RIS-Justiz RS0096344, RS0082525; eingehend Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 129 ff mwN; ebenso Oberressl in WK2 StGB § 312 Rz 30).

Die durch diesen Subsumtionsfehler bewirkte Aufspaltung der (ansonsten mit Blick auf den Schuldspruch II/A gebotenen) Subsumtionseinheit (vgl 17 Os 28/13s; allgemein RIS-Justiz RS0121981) wirkte sich allerdings – ebenso wie jene zum Schuldspruch II/B – nicht konkret zum Nachteil der Angeklagten aus (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 24) und musste daher nicht von Amts wegen wahrgenommen werden (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO). Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen nicht an die fehlerhafte Subsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E127999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00141.19W.0414.000

Im RIS seit

12.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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