TE OGH 2019/12/3 14Os114/19z

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Veröffentlicht am 03.12.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Dezember 2019 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Jäger in der Strafsache gegen Günther D***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 25. Juni 2019, GZ 631 Hv 4/19p-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung einer der dem Schuldspruch I./ zugrunde liegenden Taten nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB, demgemäß auch im Strafausspruch sowie im Ausspruch über die

privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich auf den von der Aufhebung erfassten Teil des Schuldspruchs sowie den Sanktionsausspruch bezieht, und seiner Berufung wird der Angeklagte ebenso auf diese Entscheidung verwiesen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Günther D***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, in einem Fall nach § 

206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** und andernorts in „unzähligen“ Angriffen

I./ im Zeitraum von 2. September 1991 bis 31. Jänner 1995 mit einer unmündigen Person den Beischlaf und „dem Beischlaf gleichzusetzende“ geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er vaginalen Geschlechts- und Analverkehr an seiner am 31. Jänner 1981 geborenen Stieftochter C***** J***** vornahm und sie mit seinen Fingern und mit Vibratoren penetrierte, wobei in einem Fall die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatte;

II./ im Zeitraum von 2. September 1991 bis 31. Jänner 1995 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen und von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, indem er die nackte Scheide seiner zu I./ genannten Stieftochter massierte und von ihr Handonanie an sich vornehmen ließ;

III./ mit seiner zu I./ genannten Stieftochter geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, und zwar

A./ im Zeitraum von 2. September 1991 bis 31. Jänner 1995 durch die unter I./ und II./ angeführten Handlungen;

B./ im Zeitraum von 1. Februar 1995 bis 31. Jänner 1999, indem er vaginalen Geschlechts- und Analverkehr an ihr vornahm und sie mit seinen Fingern und Vibratoren penetrierte sowie von ihr Handonanie an sich vornehmen ließ.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Zur amtswegigen Maßnahme:

         Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von Amts wegen von dem Urteil anhaftender materieller Nichtigkeit (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO): Die Urteilsfeststellungen tragen die rechtliche Unterstellung einer der dem Schuldspruch I./ zugrunde liegenden Taten nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB nicht.

Nach den insoweit wesentlichen Konstatierungen (US 6 f) erlitt das Tatopfer als Folge „eines dieser“ – zuvor mit Vaginalverkehr, Analverkehr sowie Penetrationen der Scheide mit Fingern und Vibratoren beschriebenen – „schweren sexuellen Übergriffe in Form eines Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen“ im Zeitraum vom 2. September 1991 bis 31. Jänner 1995 eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer länger als 24 Tage andauernden Gesundheitsschädigung.

Beischlafsähnliche geschlechtliche Handlungen (wie Analverkehr und Penetrationen mit Fingern oder Gegenständen) an Unmündigen vor dem Inkrafttreten des StRÄG 1998 mit 1. Oktober 1998 sind jedoch mangels einer im Tatzeitpunkt bestehenden Gleichstellung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung mit dem Beischlaf – mit Blick auf § 61 StGB – unter § 207 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 1998/153 zu subsumieren (RIS-Justiz RS0116505).

Wahldeutige Feststellungen sind nur dann unbedenklich, wenn jede der wahlweise getroffenen Annahmen zum gleichen rechtlichen Schluss (auf das Vorliegen derselben strafbaren Handlung) führt (vgl RIS-Justiz RS0098710; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 573 f; Danek, WK-StPO § 270 Rz 33). Die im vorliegenden Fall vom Schöffengericht zum Ausdruck gebrachte alternative Kausalität der bezeichneten Tathandlungen für den Erfolgseintritt lässt jedoch unterschiedliche rechtliche Schlüsse zu: Die angeführte Feststellung schließt nämlich nicht aus, dass die schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) ausschließliche Folge einer im Tatzeitpunkt nicht § 206 Abs 1 StGB in der damaligen Fassung zu unterstellenden geschlechtlichen Handlung war, in welchem Fall eine Subsumtion nach dem für den Angeklagten günstigeren Verbrechenstatbestand der Unzucht mit Unmündigen gemäß § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 vorzunehmen wäre.

Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 10) zwingt zur Aufhebung der davon betroffenen Subsumtion, demgemäß auch des Strafausspruchs und des Adhäsionserkenntnisses (14 Os 49/15k; 14 Os 22/15i; 13 Os 62/14p; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 7) – einschließlich der Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg (RIS-Justiz RS0101303 [T3]) – samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht (§ 285e StPO).

Mit dem auf den aufgehobenen Schuldspruch bezogenen Vorbringen der Mängelrüge war der Angeklagte ebenso auf die Kassation zu verweisen wie mit seiner Sanktionsrüge und seiner Berufung. Gleiches gilt für die Berufung der Staatsanwaltschaft.

         Mit Blick auf die im Rahmen der Feststellungen verwendete Formulierung (US 6 f: „als Folge eines dieser schweren sexuellen Übergriffe“) wird im weiteren Rechtsgang zu beachten sein, dass Konstatierungen, wonach jede der – im Rahmen einer gleichartigen Verbrechensmenge – begangenen Taten (mit-)kausal für die schwere Verletzungsfolge ist (vgl US 18), zulässig sind (zum Genügen kumulativer Kausalität RIS-Justiz RS0092036 [T1]), ist doch erst in rechtlicher Hinsicht (infolge materieller Subsidiarität) die Erfolgsqualifikation nur bei einer dieser Taten anzulasten (RIS-Justiz RS0120828).

Hinsichtlich der weiteren solcherart zu Unrecht dem Grundtatbestand des § 206 Abs 1 StGB idgF anstelle § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 – sowie aufgrund des Verbots der Kombination unterschiedlicher Rechtsschichten im Fall von Idealkonkurrenz (RIS-Justiz RS0119085 [T4, T5], RS0112939 [T9]; Höpfel in WK2 StGB § 61 Rz 6) auch unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (III./A./) anstatt unter Tatzeitrecht (ebenfalls idF BGBl 1974/60) – unterstellten Taten war hingegen eine amtswegige Wahrnehmung des Subsumtionsfehlers (Z 10) nicht erforderlich (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 f). Denn die Schuldsprüche wegen einer unbestimmten Mehrzahl an Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idgF und (idealkonkurrierend verwirklichter) Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (zum Begriff der gleichartigen Verbrechensmenge vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33, 291 f, 576 ff; RIS-Justiz RS0119552, RS0116736) wurden durch die verfehlte rechtliche Beurteilung nicht in Frage gestellt und es resultieren daraus auch keine unrichtigen (dem Angeklagten nachteiligen) Strafzumessungstatsachen (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO). Insoweit besteht bei der neuerlichen Strafbemessung im zweiten Rechtsgang aber keine Bindung an die verfehlten Schuldsprüche (vgl RIS-Justiz RS0118870).

         Zur Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen:

Der (zu allen Schuldspruchpunkten) ausgeführten Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachbereich der Psychiatrie zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers (ON 21 S 75), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Denn der Antrag ließ nicht erkennen, weshalb das Tatopfer die Zustimmung zu seiner Begutachtung erteilen werde (RIS-Justiz RS0108614, RS0118956), und machte mit dem bloßen Verweis auf eine „psychische Erkrankung der Zeugin“ nicht klar, warum im konkreten Fall jene besonderen Voraussetzungen vorliegen sollen, die (ausnahmsweise) die Hilfestellung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen erfordern (vgl RIS-Justiz RS0120634, RS0097733). Die in der Beschwerdeschrift nachgetragenen Ausführungen zu einer aktuellen psychotherapeutischen Behandlung des Tatopfers und dessen „länger andauernde[m] Suchtmittelkonsum“ mit „persönlichkeitsverändernde[r] Wirkung“, sind aufgrund des

insoweit geltenden Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618, RS0098978).

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) moniert, dass sich das Erstgericht mit der Einlassung des Angeklagten, wonach „es ihm gar nicht möglich gewesen wäre, die ihm vorgeworfene Vielzahl von Missbrauchshandlungen … zu setzen“, weil er mit dem Tatopfer „kaum ungestört alleine“ gewesen sei, nicht auseinandergesetzt habe. Sie übersieht dabei, dass Einzelheiten der Verantwortung des Angeklagten schon deshalb keiner gesonderten Erörterung bedurften, weil ihr die Tatrichter – insgesamt – nicht folgten (US 16 f; RIS-Justiz RS0098642 [T1]).

Die relevierte Aussagedivergenz zwischen der Einlassung des Zeugen Karl S***** und jener des Tatopfers (zur Frage, ob der genannte Zeuge dem Tatopfer gegenüber mehrmals erwähnt habe, von den Tathandlungen des Angeklagten zu wissen) bezieht sich – dem Beschwerdestandpunkt zuwider – nicht auf entscheidende Tatsachen und ist damit auch unter dem Aspekt von Unvollständigkeit in Ansehung der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers ohne Relevanz (RIS-Justiz RS0119422 [T4]). Selbiges gilt auch für die weiteren Ausführungen der Mängelrüge, soweit diese einen erörterungsbedürftigen Widerspruch darin erblickt, dass die Angaben des Zeugen S*****, wonach er der Zeugin Erika D***** „von der Beobachtung mit dem Bademantel“ erzählt, sie vor dem Angeklagten gewarnt und ihr mitgeteilt habe, dass Letztgenannter „mehr auf Jüngere“ stehe, weder in der Aussage des Tatopfers noch in jener der Zeugin Erika D***** „Deckung“ finde.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) reklamiert das Fehlen von Konstatierungen (sowohl zur objektiven als auch zur subjektiven Tatseite) zu „jeder einzelnen“ der dem Beschwerdeführer „vorgeworfenen Missbrauchshandlungen“. Sie hält damit nicht am gesamten Urteilssachverhalt fest (RIS-Justiz RS0099810), der sich auf sämtliche vom Schuldspruch erfassten (jeweils zu einer gleichartigen Verbrechensmenge zusammengefassten) Straftaten bezieht, in objektiver Hinsicht die Tathandlungen konkret beschreibt (US 5–7) und in subjektiver Hinsicht vom Wissen und Wollen des Angeklagten hinsichtlich aller Tatbestandselemente ausgeht (US 8 f).

Weshalb die mit Hilfe von

verba legalia getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 8 f) trotz gegebenen Sachverhaltsbezugs (RIS-Justiz RS0119090 [T1, T2], RS0099620)

substanzlos und daher ungenügend sein sollen, lassen die weiteren Beschwerdeausführungen offen. Dadurch entzieht sich auch dieses Vorbringen einer meritorischen Erwiderung.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten (RIS-Justiz RS0101558).

Bleibt anzumerken, dass die gemäß § 32 Abs 3 StGB aggravierende Wertung der erheblichen Unterschreitung des Schutzalters beim hier zu Beginn des Tatzeitraums zehnjährigen Opfer (US 4) – entgegen dem Beschwerdevorbringen – nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) verstößt, weil bei § 206 Abs 1 und § 207 Abs 1 StGB die Unmündigkeit, also die Nichtvollendung des vierzehnten Lebensjahrs (§ 74 Abs 1 Z 1 StGB), und bei § 212 Abs 1 StGB die Minderjährigkeit (§ 74 Abs 1 Z 3 StGB) den Strafsatz bestimmen (vgl 11 Os 34/18m, 11 Os 4/17y).

Textnummer

E127058

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00114.19Z.1203.000

Im RIS seit

17.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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