TE OGH 2009/6/3 7Ob248/08h

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Veröffentlicht am 03.06.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Werner S*****, vertreten durch Dr. Gottfried Bischof, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) C***** AG, *****, vertreten durch Dr. Robert Schaar, Rechtsanwalt in Graz, 2.) H***** AG, *****, vertreten durch Mag. Peter Urabl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und 3.) G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Thomas Kralik, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufhebung von Vereinbarungen und weiters (betreffend die erst- und die zweitbeklagte Partei) 3.151.239,40 EUR (sA), über die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 19. August 2008, GZ 5 R 120/08v-101, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. April 2008, GZ 18 Cg 185/03f-91, infolge Berufung des Klägers bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Erstbeklagten die mit 6.608,16 EUR (darin enthalten 1.101,36 EUR USt), der Zweitbeklagten die mit 6.606 EUR (darin enthalten 1.101 EUR USt) und der Drittbeklagten die mit 1.259,64 EUR (darin enthalten 209,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1988/1989 zunächst Prokurist und dann von 1. 7. 1994 bis zu seinem Ausscheiden am 31. 3. 2000 Vorstandsmitglied der R***** AG (im Folgenden R*****). Diese wurde in die Erstbeklagte umbenannt; der Zweitbeklagten wurde aufgrund eines Spaltungs- und Übernahmevertrags vom 6. 3. 2001 der Teilbereich „Universalbankbetrieb" übertragen. Die Drittbeklagte ist Hauptaktionärin der Erstbeklagten und trat deren mit dem Kläger am 14. 9. 2000 getroffenen Vereinbarung bei, die der Kläger mit der Klage anficht.

Mitte der 1990er Jahre war der Kläger auch Geschäftsführer und Gesellschafter der zur kroatischen V***** gehörenden V*****gesellschaft mbH, der die R***** im Jahr 1994 Kredite mit einem Rahmen von 90 Mio ATS und später von 130 Mio ATS einräumte. 1995 wurde die V*****gesellschaft mbH in die V***** AG umgewandelt, deren Vorstandsmitglied der Kläger wurde. Ab 1996 geriet die V***** in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die im Jahr 1999 zum Konkurs führten. Die Erstbeklagte wurde durch den Ausfall von Kreditrückzahlungen in einer Größenordnung zwischen 150 - 170 Mio ATS geschädigt.

Im Herbst 2000 sollte der Kreditbereich der R***** durch die Österreichische Nationalbank überprüft werden. Seitens der Erst- und der Drittbeklagten nahm man an, dass es bei der Kreditvergabe an die V*****gesellschaft mbH zu Unregelmäßigkeiten gekommen und der Kläger als Organ sowohl der Kreditgeberin als auch der Kreditnehmerin für den dadurch entstandenen Schaden verantwortlich sei. Von Vertretern der Erst- und der Drittbeklagten wurde dem Kläger eine Schadensgutmachung vorgeschlagen, um durch tätige Reue strafrechtlichen Konsequenzen zu entgehen. Der Kläger war dazu vorerst nicht bereit. Aufgrund der von ihm eingeholten Rechtsauskunft eines Gesellschaftsrechtsexperten gewann er aber die Überzeugung, dass er für die Schäden der R***** aus den Kreditgeschäften mit der V***** zu haften habe. Nach mehreren Gesprächen unterfertigte er schließlich am 14. 9. 2000 schriftliche Vereinbarungen, mit denen er sich zur Zahlung von 30 Mio ATS verpflichtete und auf sämtliche mit seinem Ausscheiden als Organ der R***** im Zusammenhang stehenden Forderungen verzichtete. In einer ebenfalls zwischen der R***** und dem Kläger unter Hinzutritt der Drittbeklagten als Hauptaktionärin der R***** abgeschlossenen und unterfertigten „Schadensverzichtserklärung" wurde festgehalten, dass mit der Zahlung von 30 Mio ATS durch den Kläger alle allenfalls bestehenden oder künftig entstehenden Ansprüche der R***** gegenüber dem Kläger aus der Gesamtcausa V***** bereinigt und verglichen seien. Einige Wochen danach leistete der Kläger die Zahlung von 30 Mio ATS über eine Stiftung, deren Begünstigter er war.

Der Kläger begehrte mit der am 5. 9. 2003 eingebrachten Klage die Aufhebung der zwischen ihm und der Erst- und der Drittbeklagten am 14. 9. 2000 geschlossenen Vereinbarung, wobei er seine Ansprüche aus der Beendigung des Dienstverhältnisses und Vorstandsmandats mit 971.054,40 EUR bezifferte. Ferner begehrte er die Aufhebung der zwischen ihm und der Erstbeklagten am selben Tag getroffenen Vereinbarung über eine Zahlung von 15 Mio ATS an die O***** GmbH sowie von der Erst- und der Zweitbeklagten die Zahlung von 3.151.239,40 EUR. Er brachte im Wesentlichen vor, die Vereinbarungen vom 14. 9. 2000 seien rechtsunwirksam, weil er wegen einer psychischen Krankheit nicht geschäftsfähig gewesen sei und die Vereinbarungen nur unter massivem Druck der Beklagten unterfertigt habe, weshalb er die Vereinbarungen wegen List, Zwang, Drohung, Irrtum und Sittenwidrigkeit anfechte. Im Übrigen seien die Vereinbarungen nach § 84 Abs 4 Satz 3 AktG nichtig.

Die Beklagten wendeten ein, der Kläger habe die Vereinbarungen im Bewusstsein, sogar noch einen weit höheren Betrag aus dem Titel des Schadenersatzes zu schulden, geschlossen und sei dazu weder durch List, Zwang oder Drohung noch durch Irrtum verhalten worden.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Es stellte noch fest, dass der Kläger unter einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, die bereits vor der Haftungsproblematik „V*****" und der Zahlungsvereinbarung vorhanden war, durch diese Probleme aber verstärkt wurde. Dies konnte allerdings nicht zu einer Einschränkung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Klägers führen. Zwischen 29. 8. 2000 und 14. 10. 2000 waren jedenfalls Zeitspannen vorhanden, in denen der Kläger in der Lage war, ausreichend überlegt zu reagieren und Entscheidungen zu treffen. Eine Beeinträchtigung seiner Willensentschließung über eine Zeitspanne von mehreren Wochen bzw jeweils zu den Zeitpunkten, in denen die Gespräche über die Zahlungsvereinbarung stattfanden, ist ausgeschlossen.

Rechtlich führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers bei Unterfertigung der in Rede stehenden Vereinbarungen könne ausgeschlossen werden. Irrtum und Arglist lägen nicht vor, weil der Kläger selbst von einer möglichen Haftung ausgegangen sei und mehr als zwei Wochen Zeit gehabt habe, die Rechtslage zu eruieren; zu diesem Zweck habe er sogar die anwaltliche Beratung eines Gesellschaftsrechtsexperten in Anspruch genommen. Nur wenn der Verletzte unter Androhung einer Strafanzeige eine Entschädigung in einem offenbar unbegründeten Ausmaß verlange, sei die Leistung der Entschädigung oder ihr Versprechen als durch ungerechte Furcht im Sinn des § 870 ABGB veranlasst anzusehen. Von einem völlig überzogenen Ausmaß der Leistungen des Klägers könne aber bei einer prognostizierten Schadenssumme von etwa 170 Mio ATS nicht ausgegangen werden. Die Abstandnahme von der Erstattung einer Strafanzeige durch die Erstbeklagte gegen die Verpflichtung des Klägers zu einer Entschädigungsleistung sei nicht als gegen die guten Sitten verstoßend zu qualifizieren.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Es verwarf die Mängel- und Beweisrüge des Klägers und erachtete auch dessen Rechtsrüge als nicht berechtigt. Die Organe der Erstbeklagten und der Drittbeklagten seien im August/September 2000 von einer damals bekannten Schadenshöhe zwischen 150 und 170 Mio ATS ausgegangen. Der Kläger sei mit einer Schadensgutmachung der für ihn zweifelhaften und strittigen Forderung konfrontiert worden. Mit den getroffenen Vereinbarungen sei diese im Sinn des § 1380 ABGB vergleichsweise bereinigt worden. Die tatsächliche Schadenshöhe sei daher hier rechtlich nicht relevant. Für eine arglistige Irreführung des Klägers zum Abschluss der Vereinbarung bestünden keine Anhaltspunkte. Nur wenn der Verletzte unter Androhung einer Strafanzeige eine Entschädigung in einem offenbar unbegründeten Ausmaß verlange, sei die Leistung der Entschädigung oder ihr Versprechen als durch ungerechte Furcht veranlasst anzusehen. Im Hinblick auf die damals bekannte Schadenshöhe könne unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger während des Zeitraums, in dem die Kredite gewährt worden seien, auch Geschäftsführer der V***** AG und zuvor über einige Monate hinweg selbst Gesellschafter der V*****gesellschaft mbH gewesen sei, eine Unverhältnismäßigkeit zwischen der Höhe seines Zahlungsversprechens und dem damals überschaubaren Gesamtschaden nicht erblickt werden. Die Vereinbarungen seien deshalb auch nicht durch ungerechte und gegründete Furcht im Sinn des § 870 ABGB zustande gekommen. Der Kläger sei zwar unter sehr großem psychischen Druck gestanden und aufgrund seiner depressiven Störung gewissen Einschränkungen unterlegen, was aber nicht ausreiche, seine Geschäftsunfähigkeit zu begründen. Er sei in der Lage gewesen, ausreichend überlegt zu reagieren und Entscheidungen zu treffen. Für das Ausnützen einer psychischen Zwangslage und einer Gemütsaufregung durch die Organe der Erst- und Drittbeklagten ergäben sich keine Anhaltspunkte, sodass von einer Sittenwidrigkeit im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nicht gesprochen werden könne.

Letztlich sei für den Kläger auch aus § 84 Abs 4 AktG nichts zu gewinnen. Verbotswidrige Rechtsgeschäfte gerichtlicher oder außergerichtlicher Art im Sinn des § 84 Abs 4 Satz 3 AktG seien nichtig, sie beeinträchtigten jedoch den Ersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach in keiner Weise. Innerhalb der fünfjährigen Verbotsfrist sei jede Art von Haftungsbefreiung auch mit Zustimmung der Hauptversammlung verboten und unwirksam. Diese Bestimmung könne nach ihrem Regelungszweck wohl nur dahin ausgelegt werden, dass die Haftungsbefreiung an sich unzulässig und nichtig sei und es dem Kläger als dem aus dem Vergleich Verpflichteten verwehrt sei, sich auf die Nichtigkeit zu berufen, weil die genannte Bestimmung dem Gläubigerschutz und dem Schutz der Gesellschaft diene.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands in Ansehung der Drittbeklagten (ihr gegenüber habe der Kläger lediglich ein Rechtsgestaltungsbegehren geltend gemacht) 20.000 EUR übersteige. Weiters sprach es aus, dass die ordentliche Revision in Ansehung aller Beklagten nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zu beantworten gewesen seien.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil wegen Nichtigkeit aufzuheben oder dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Von den Beklagten wird in den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen jeweils beantragt, das Rechtsmittel ihres Prozessgegners entweder mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), mangels einschlägiger oberstgerichtlicher Judikatur zu § 84 Abs 4 Satz 3 AktG zwar zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Die Ausführungen des Revisionswerbers können nicht überzeugen, während die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils in allen, hier etwas zusammengefasst wiedergegebenen, entscheidungsrelevanten Punkten zutreffend sind. Gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO reicht es daher aus, grundsätzlich auf die Richtigkeit der Entscheidungsbegründung der zweiten Instanz zu verweisen. Zu den Revisionsausführungen wird wie folgt Stellung genommen:

Im Mittelpunkt der Zulassungsbeschwerde und der Rechtsrüge des Revisionswerbers steht die Behauptung, dass die gegen § 84 Abs 4 dritter Satz AktG verstoßenden Vereinbarungen vom 14. 9. 2000 absolut nichtig seien. Darauf wäre auch von Amts wegen Bedacht zu nehmen gewesen. Es liege ein Fall der anfänglichen rechtlichen Unmöglichkeit im Sinn des § 878 ABGB vor; entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts könne sich darauf jeder - demnach auch ein Organ der Aktiengesellschaft - berufen. Die Beklagten vertreten dagegen in den Revisionsbeantwortungen die Ansicht, das Berufungsgericht habe zutreffend erkannt, dass es sich um eine relative Nichtigkeit handle, die nur von jemandem, der - im Gegensatz zum Kläger - vom Schutzzweck der Norm erfasst sei, geltend gemacht werden könne.

Dazu wurde erwogen:

Verbietet die Rechtsordnung bestimmte Rechtsgeschäfte, um die Rechtsfolge derselben zu verhindern, dann ist die Nichtigkeit des Geschäfts die Folge der Verbotswidrigkeit (RIS-Justiz RS0016454). Ein verbotenes Rechtsgeschäft ist allerdings mangels ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion im Verbotsgesetz nur dann nichtig, wenn dies der Zweck der Verbotsnorm verlangt (RIS-Justiz RS0016837). Der Zweck einer Verbotsnorm, die im Interesse der Allgemeinheit erlassen wurde, erfordert die absolute Nichtigkeit eines gegen das Verbot geschlossenen Geschäfts (RIS-Justiz RS0016843). In solchen Fällen gebietet es der Verbotszweck der verletzten Norm, dass sich jeder auf die Rechtsunwirksamkeit des Vertrags berufen kann; die Nichtigkeit ist von Amts wegen wahrzunehmen (Krejci in Rummel ABGB3, § 879 Rz 248 mwN). Sonst tritt die Nichtigkeit eines Vertrags nur in jenem Umfang ein, den der Zweck der Verbotsnorm gebietet (RIS-Justiz RS0016417). (Nur) der durch das Verbot Geschützte kann sich auf die aus dem Verbot resultierende Ungültigkeit des Geschäfts berufen; es steht aber auch in seiner Macht, das Geschäft gelten zu lassen, es ausdrücklich zu bestätigen und dadurch zu heilen (RIS-Justiz RS0024945; Krejci aaO § 879 Rz 249 mwN).

Diesen in oberstgerichtlicher Judikatur entwickelten Grundsätzen folgend ist für die Frage, ob ein nicht den in § 84 Abs 4 dritter Satz AktG normierten Voraussetzungen entsprechender Verzicht oder Vergleich der Gesellschaft absolut oder nur relativ nichtig ist, der Schutzzweck dieser Bestimmung entscheidend. Als dieser wurde in der (auch in der Revision zitierten) Entscheidung 2 Ob 356/74, SZ 48/79 der Schutz der Minderheitsaktionäre bezeichnet. Diese Ansicht hat auch schon der BGH zu § 84 Abs 4 dritter Satz dAktG 1937 vertreten, dem der nun in Deutschland geltende § 93 Abs 4 dritter Satz dAktG 1965 mit der Abweichung entspricht, dass ein Verzicht schon nach drei (statt fünf) Jahren durch qualifizierte Mehrheit (statt 20 % des Grundkapitals genügen in Deutschland 10 %) zulässig ist. Im Schrifttum wird in Deutschland neben dem Schutz der Minderheitsaktionäre vor allem auch der Schutz des Gesellschaftsvermögens als Regelungsziel genannt (Spindler/Stilz Komm AktG [2007], § 93 Rn 221; Fleischer, Haftungsfreistellung, Prozesskostenersatz und Versicherung für Vorstandsmitglieder - eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme zur Enthaftung des Managements, WM, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2005, 907 [918]; Bürgers/Israel in Heidelberger Komm AktG [2008] § 93 Rn 1). Weiters wird die Meinung vertreten, die Dreijahresfrist solle verhindern, dass ein Verzicht oder Vergleich vereinbart werde, bevor das Schadensausmaß hinreichend überschaubar sei (Krieger/Sailer in Schmidt/Lutter, AktG Komm [2008], § 93 Rn 54; Landwehrmann in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht2, § 93 AktG Rn 139).

In Österreich führt etwa Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, Komm AktG, § 84 Rz 33 aus, der Zweck des Verbots des § 84 Abs 4 dritter Satz AktG bestehe im Schutz der Aktionäre, sodass mit Zustimmung aller Aktionäre jederzeit eine Vereinbarung über einen Verzicht oder Vergleich abgeschlossen werden könne. Schima, der sich in GesRZ 1991, 185 eingehend mit der Frage des Schutzzwecks dieser Norm auseinandergesetzt hat, kommt zum Ergebnis, dass § 84 Abs 4 dritter Satz AktG allein mit dem Schutz der im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorhandenen Minderheit nicht überzeugend erklärt werden könne. Die fünfjährige Sperrfrist sei in vielen Fällen zwar geeignet, der Gesellschaft oder den Aktionären eine Nachdenkpause zu verschaffen und sie vor einer übereilten Vorgangsweise zu bewahren. Die gesetzliche Normierung der fünfjährigen Sperrfrist habe sich aber an spezifisch aktienrechtlichen Aspekten zu orientieren, weil allein auf diese Weise erklärbar werde, warum nur das Aktienrecht (sowie das Recht der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit), nicht jedoch das Recht der anderen Kapitalgesellschaften eine „Verzichtssperre" kenne. Diese Überlegung führe zu der Konsequenz, dass durch die Sperrfrist vor allem auch die innerhalb dieser Frist neu hinzutretenden (Minderheits-)Aktionäre geschützt werden sollten. In keinem Kommentar wird hingegen die Meinung vertreten, dass die Verbotsnorm im Interesse der Allgemeinheit erlassen worden sei und insbesondere auch dem Schutz eines gegenüber der Gesellschaft schadenersatzpflichtigen Vorstandsmitglieds dienen solle.

Der Ansicht des Revisionswerbers, Schutzzweck der Norm sei auch, das betreffende Vorstandsmitglied vor Übereilung zu schützen, kann nicht beigepflichtet werden. Im Hinblick auf den sich allein auf den Schutz der Aktionäre und des Gesellschaftsvermögens (und damit den Gläubigerschutz) beziehenden Normzweck ist die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Verstoß gegen das Verbot des § 84 Abs 4 dritter Satz AktG bewirke nur relative Nichtigkeit, auf die sich der vom Schutzzweck nicht erfasste Kläger nicht berufen könne, zu billigen. Der Gegenmeinung Strassers (in Jabornegg/Strasser Komm AktG4, §§ 74 bis 84 Rz 112), da § 84 Abs 4 dritter Satz AktG als Beschränkung der Vertretungsmacht der zur Geltendmachung solcher Ersatzansprüche zuständigen Organe aufzufassen sei, habe das Gericht im Anlassfall auf diesen Mangel der Vertretungsmacht von Amts wegen Bedacht zu nehmen, kann nicht beigetreten werden. Dass durch diese Bestimmung nicht Allgemeininteressen, sondern allein die spezifischen Interessen von Aktionären und Gesellschaftsgläubigern geschützt werden sollen, legt eine objektiv-teleologische Auslegung dahin nahe, § 84 Abs 4 dritter Satz AktG trotz der die Unmöglichkeit eines früheren Verzichts oder Vergleichs suggerierenden Formulierung („Die Gesellschaft kann erst nach fünf Jahren .... verzichten oder sich darüber vergleichen ...") als Verbotsnorm anzusehen, auf die sich nur die genannten, von ihrem Regelungszweck erfassten Personen berufen können.

Mit diesem Ergebnis steht auch die Entscheidung 1 Ob 24/07x im Einklang, die einen vergleichbaren Fall betraf. Auch dort hatte ein Vorstand mit der Aktiengesellschaft (ebenfalls eine Bank) - nach den getroffenen Feststellungen innerhalb der Fünfjahresfrist des § 84 Abs 4 Satz 3 AktG - vergleichsweise eine Schadenersatzzahlung vereinbart, um so durch tätige Reue einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Die Vorinstanzen gaben dem auf diese Vereinbarung gestützten Zahlungsbegehren der Bank statt. Vom Obersten Gerichtshof wurde die ordentliche Revision des beklagten Vorstands mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen, ohne dass das Verbot des § 84 Abs 4 dritter Satz AktG als hinderlich angesehen worden wäre.

Kann sich der Kläger demnach auf einen Verstoß gegen § 84 Abs 4 dritter Satz AktG nicht berufen, muss auch sein in der Revision erhobener Einwand, es fehlten Feststellungen dazu, ob die Hauptversammlung den Vereinbarungen vom 14. 9. 2000 zugestimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile den fünften Teil des Grundkapitals erreichten, widersprochen habe, ins Leere gehen.

Unberechtigt sind auch die Ausführungen des Revisionswerbers, das Berufungsgericht habe sich mit dem Einwand der Sittenwidrigkeit nicht auseinandergesetzt und arglistige Irreführung sowie Unverhältnismäßigkeit des Zahlungsversprechens zu Unrecht verneint. Da die betreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts mit oberstgerichtlicher Judikatur, namentlich zu den §§ 1380 und 1385 ABGB (RIS-Justiz RS0032661; RS0032674; RS0032529; RS0032543 ua), im Einklang stehen, begegnen sie keinen Bedenken. Dasselbe gilt hinsichtlich des vom Kläger auch in der Revision wiederholten Einwands, er sei durch „ungerechte Furcht" im Sinn des § 870 ABGB zu den Vereinbarungen vom 14. 9. 2000 veranlasst worden. Wie schon die Vorinstanzen richtig ausgeführt haben, veranlasst jemand, der durch Drohung mit einer Strafanzeige den Täter zur Leistung der wirklich oder vermeintlich gebührenden Entschädigung oder zur Abgabe eines Leistungsversprechens für eine Verletzung bestimmt hat, diese Rechtshandlungen nicht durch ungerechte Furcht, es sei denn, der Verletzte würde eine Entschädigung in einem offenbar unbegründeten Ausmaß verlangen (RIS-Justiz RS0014879). Davon kann hier keine Rede sein. Der Verweis des Revisionswerbers auf seine alle diese Einwände betreffenden Ausführungen im Berufungsschriftsatz ist unbeachtlich (RIS-Justiz RS0043579 und RS0043616).

Da nach den vom Berufungsgericht gebilligten Feststellungen des Erstgerichts davon auszugehen ist, dass der Kläger trotz seiner depressiven Störungen in der Lage war, die Tragweite und Auswirkungen seines Handelns abzuschätzen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren (RIS-Justiz RS0009075), kann auch in der Bejahung der Geschäftsfähigkeit des Klägers im vorliegenden Einzelfall (vgl RIS-Justiz RS0117658) kein Rechtsirrtum erkannt werden. Alle in der Rechtsrüge vorgebrachten Einwände sind demnach nicht stichhältig.

Als Nichtigkeit macht der Revisionswerber geltend, dass das Erstgericht Fragen zum Themenkomplex „V*****" nicht zugelassen habe und ihm dadurch „das Recht auf Gehör" genommen worden sei. Er hat diesen Einwand auch schon in der Berufung vorgebracht und als groben Verfahrensmangel, der aufgrund seiner Schwere in die „Nichtigkeitssphäre" reiche, gerügt. Da das Berufungsgericht entgegen der Behauptung des Revisionswerbers darauf sehr wohl eingegangen ist und den behaupteten Verfahrensmangel (und damit auch die behauptete Nichtigkeit) verneint hat, ist die Wahrnehmung dieser angeblichen Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht mehr möglich (RIS-Justiz RS0042981 und RS0042963). Dieser Grundsatz wäre nur dann unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Rüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (Kodek in Rechberger3 § 503 Rz 9 mwN). Beides ist hier nicht der Fall.

Der unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens schließlich noch gerügte Umstand, dass die Vorinstanzen dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen gefolgt sind, obwohl die Richtigkeit dieses Gutachtens durch mehrere Privatgutachten in Frage gestellt worden sei, betrifft die unanfechtbare Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Mit diesen Ausführungen kann ein Verfahrensmangel nicht aufgezeigt werden.

Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Alle Beklagten haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen auf Basis des - nur hinsichtlich der Zweitbeklagten zutreffenden - Streitwerts von 3.151.239,40 EUR verzeichnet, obwohl das Revisionsinteresse der Erstbeklagten 3.193.239,40 EUR und jenes der Drittbeklagten nur 21.000 EUR beträgt. Die der Drittbeklagten zu ersetzenden Kosten waren daher entsprechend niedriger zu bestimmen.

Textnummer

E91203

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00248.08H.0603.000

Im RIS seit

03.07.2009

Zuletzt aktualisiert am

17.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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