TE OGH 2021/10/21 2Ob170/20v

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** Versicherungen Österreich AG, *****, vertreten durch Ullmann, Geiler & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. K***** F*****, und 2. Z***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 22.419,09 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse: 21.458,09 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. Juli 2020, GZ 2 R 53/20s-29, womit infolge der Berufungen der klagenden und der erstbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 25. März 2020, GZ 15 Cg 25/19g-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.552,07 EUR (darin 258,68 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Der Erstbeklagte ist Mieter einer Wohnung in einem bei der klagenden Partei feuerversicherten Haus. Er bezahlt im Rahmen der Betriebskosten einen anteiligen Betrag der Versicherungsprämie, ist aber nicht Versicherungsnehmer dieser Feuerversicherung.

[2]            Am 28. 2. 2019 geriet der im Carport des Wohnhauses abgestellte, vom Erstbeklagten gehaltene und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherte PKW in Brand. Dabei wurden das Carport und die Fassade des Wohnhauses beschädigt.

[3]            Der Erstbeklagte hatte in der Früh mit dem PKW wegfahren wollen, der sich jedoch nicht starten ließ. Dies war in der Vergangenheit bereits öfter passiert. In einer KFZ-Werkstätte hatte er in der Vergangenheit einmal den Tipp bekommen, dass er den Motor mit einem Heizlüfter anwärmen könne, um eine kostenintensive Reparatur zu vermeiden. Aus diesem Grund öffnete der Erstbeklagte die Motorhaube und stellte einen Heizlüfter im Bereich eines Querträgers der Fahrzeugfront ab. Danach schloss er die Motorhaube, sodass der Heizlüfter zwischen Motorhaube und Fahrzeugrahmen eingeklemmt war. Er schaltete den Heizlüfter ein und entfernte sich vom Fahrzeug, um in der Wohnung die Post durchzusehen. Der Erstbeklagte hatte das Fahrzeug zumindest für fünf Minuten unbeaufsichtigt gelassen. In diesem Zeitraum war die Motorhaube zugefallen und der Heizlüfter aus seiner ursprünglichen Position in den Motorraum gefallen. Durch die Hitze des Heizlüfters wurden entweder die Kunstschale des Lüfters selbst oder brennbare Teile innerhalb des Motorraums in Brand gesetzt. Der nachfolgende Fahrzeugbrand wurde durch den Einsatz des Heizlüfters initiiert. Der verwendete Heizlüfter war nicht zur Erwärmung des Motors geeignet.

[4]            Die klagende Partei begehrt den Ersatz der im Zusammenhang mit der Brandschadensbehebung geleisteten Zahlungen, gestützt auf den gemäß § 67 VersVG auf sie übergegangenen Ersatzanspruch des Hauseigentümers.

[5]            Die Beklagten bestritten ein Verschulden und das Vorliegen eines Betriebsunfalls iSd § 1 EKHG.

[6]            Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich des Erstbeklagten statt. Betreffend die zweitbeklagte Partei wies es die Klage ab. Der Erstbeklagte habe den Brand verursacht und sei als Mieter nicht Mitversicherter der Feuerversicherung, sondern regresspflichtiger Dritter iSd § 67 VersVG. Die Haftung der zweitbeklagten Partei sei zu verneinen, weil sich der Unfall nicht beim Betrieb des Kraftfahrzeugs ereignet habe.

[7]       Das von der klagenden Partei und dem Erstbeklagten angerufene Berufungsgericht wies einen Teilbetrag von 961 EUR betreffend ein von der klagenden Partei eingeholtes Privatgutachten gegenüber beiden Beklagten ab. Im Übrigen bestätigte es die stattgebende Entscheidung gegen den Erstbeklagten, gab aber dem Klagebegehren auch hinsichtlich der zweitbeklagten Partei statt und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es war der Ansicht, der Erstbeklagte sei unabhängig davon ersatzpflichtig, ob er gegenüber dem klagenden Feuerversicherer als Versicherter oder als Dritter zu betrachten sei, weil er den Schaden grob fahrlässig iSd § 61 VersVG herbeigeführt habe. Es liege auch ein Unfall beim Betrieb des PKW iSd § 1 EKHG vor, weil die Beheizung des Fahrzeugs der Vorbereitung der Inbetriebnahme des Fahrzeugs gedient habe und der Brand daher sowohl mit der Teilnahme des Fahrzeugs am Verkehr als auch mit der „objektiven Gefährlichkeit“ des Fahrzeugs in Zusammenhang stehe.

[8]            Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision über Antrag der beklagten Parteien nachträglich zu, weil die beklagten Parteien in ihrem Antrag argumentiert hätten, dass die festgestellte Vorbereitungshandlung zur Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs keine Betriebsgefahr verwirkliche und dass sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit des Erstbeklagten nicht an den Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientiert habe.

Rechtliche Beurteilung

[9]            Die Revision der beklagten Parteien ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Eine erhebliche, für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel aufgezeigt:

[10]           1. Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn der Versicherte den Versicherungsfall iSd § 61 VersVG grob fahrlässig herbeigeführt hat. Dabei handelt es sich um einen Risikoausschluss (RS0080128). Liegt dem Erstbeklagten grobe Fahrlässigkeit zur Last, kann dahinstehen, ob er als Mieter des Versicherungsnehmers stillschweigend mitversichert oder bei leichter Fahrlässigkeit ein konkludenter Regressverzicht des klagenden Feuerversicherers anzunehmen ist (7 Ob 106/20v).

[11]           1.1 Grobe Fahrlässigkeit ist im Bereich des Versicherungsvertragsrechts dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RS0080371 [T1]). Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalls herbeizuführen oder zu vergrößern (RS0030324). Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe liegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (RS0031127 [T28]; RS0080414 [T3]). Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanspannung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (stRsp; 7 Ob 106/20v; RS0030331).

[12]           1.2 Ob eine Fehlhandlung wegen ihres besonderen Gewichts oder einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Handlungen in ihrer Gesamtheit und Häufung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigen, ist bei Vertretbarkeit der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0044262 [T46, T48 bis T50]). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt auch bei weitester Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (7 Ob 120/18z; RS0087606 [T22]). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

[13]           1.3 Der Oberste Gerichtshof hat leichtsinniges Hantieren mit brandgefährlichen Materialien oder Gegenständen, die in der Folge unbeaufsichtigt gelassen wurden, bereits als offensichtlich schadensgeneigt und grob fahrlässig gebilligt (vgl 7 Ob 106/20v [Schweißarbeiten an einer KFZ-Karosserie]; 7 Ob 301/06z [Entsorgen von Aschenbecherinhalten in einem Plastikmistkübel]; vgl zu § 61 dVVG auch OLG Hamm 20 U 216/96 [auf dem Beifahrersitz abgestellter Heizlüfter zum Vorwärmen des PKW]). Dabei wurde auch ausgesprochen, dass eine wiederholte derartige Vorgangsweise den Schädiger nicht entlastet, weil die Brandgefahr dadurch nicht verringert, sondern vielmehr gefördert wird (vgl 7 Ob 301/06z; vgl auch OLG Hamm 20 U 216/96).

[14]           1.4 Das Berufungsgericht war der Ansicht, weder nach den eigenen Behauptungen des Erstbeklagten noch nach den Feststellungen habe der „Tipp“ der KFZ-Werkstätte dahin gelautet, den Heizlüfter zwischen Motorhaube und Rahmen einzuklemmen, einzuschalten und dann das Fahrzeug unbeaufsichtigt stehen zu lassen. Das erhebliche Gefahrenpotential der Vorgangsweise des Erstbeklagten sei für jedermann einsichtig und bei Anstellung einfachster Überlegungen erkennbar gewesen. Daran würde selbst der Umstand nichts andern, dass er das Fahrzeug in der Vergangenheit auf diese Weise schon mehrfach erfolgreich aufgewärmt habe. Das Verhalten des Erstbeklagten sei daher als grob fahrlässig zu qualifizieren. Damit hat das Berufungsgericht den ihm zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

[15]           2. Ob ein Unfall beim Betrieb des Kraftfahrzeugs iSd § 1 EKHG vorlag, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidend.

[16]           2.1 Der Deckungsumfang des KFZ-Haftpflichtversicherers ist in § 2 KHVG gesetzlich zwingend umschrieben. Nach Abs 1 dieser Bestimmung umfasst die Versicherung die Befriedigung begründeter oder die Abwehr unbegründeter Ersatzansprüche, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen gegen den Versicherungsnehmer oder mitversicherte Personen erhoben werden, wenn durch die Verwendung des versicherten Fahrzeugs – soweit hier von Interesse – Sachen beschädigt oder zerstört worden oder abhanden gekommen sind. Mitversichert sind nach § 2 Abs 2 KHVG ua der Halter und Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig sind. Unter „gesetzliche Haftpflichtbestimmungen“ im Sinne dieser Vorschrift sind nach ständiger Rechtsprechung sowohl jene des EKHG als auch die Schadenersatznormen des ABGB zu verstehen (RS0065615; RS0081163 [T1]).

[17]           2.2 Durch die Richtlinien zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung – nunmehr kodifiziert in der RL 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht – ist die Pflicht zur Deckung von Schadenersatzansprüchen durch die Haftpflichtversicherung festgelegt und garantiert. Der Begriff „Verwendung eines Fahrzeugs“ iSd Art 3 Abs 1 der Richtlinie, für den das Unionsrecht vorsieht, dass Versicherungsschutz zu gewähren ist, stellt einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar, dessen Auslegung nicht dem Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten überlassen ist. Er umfasst auch das Parken eines Fahrzeugs in einer Privatgarage (EuGH 20. 6. 2019, C-100/18 [Linea Directa]).

[18]           2.3 Der Begriff des „Verwendens“ eines Fahrzeugs iSd § 2 Abs 1 KHVG ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in weiterem Sinn zu verstehen, als jener des „Betriebs“ iSd § 1 EKHG (RS0116494). Daher hat der erkennende Fachsenat bereits ausgesprochen, dass – in unionsrechtskonformer Auslegung – auch die Selbstentzündung eines in einer Privatgarage eines Hauses geparkten Kraftfahrzeugs (EuGH 20. 6. 2019, C-100/18 [Linea Directa]) infolge dessen Verwendung gemäß § 2 Abs 1 KHVG grundsätzlich in den Deckungsumfang der für das Kraftfahrzeug bestehenden Haftpflichtversicherung fällt und bei schuldhafter Verursachung durch versicherte Personen ein dadurch entstandener Sachschaden von der Haftpflichtversicherung zu ersetzen ist (2 Ob 179/19s). Dies gilt umso mehr im vorliegenden Fall, in dem der als Halter haftpflichtversicherte Erstbeklagte den Brand des geparkten Kraftfahrzeugs durch das sorgfaltswidrige Anwärmen des Motors verschuldete.

[19]     2.4 Auch im vorliegenden Fall wurde daher das Haus durch Verwendung des PKW iSd § 2 Abs 1 KHVG beschädigt. Die zweitbeklagte Partei hat somit schon deshalb für den durch den Fahrzeugbrand entstandenen Schaden am Haus einzustehen. Ob sich der Unfall auch beim „Betrieb“ des Kraftfahrzeugs iSd § 1 EKHG ereignete, muss nicht beantwortet werden.

[20]           3. Da somit Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen sind, ist die Revision zurückzuweisen.

[21]     4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E133018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00170.20V.1021.000

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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