TE OGH 2021/9/14 14Os81/21z

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mock in der Strafsache gegen ***** P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 12. Mai 2021, GZ 38 Hv 104/20s-32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Punkten II und III des Schuldspruchs, demgemäß auch im Strafausspruch und im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]            Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** P***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (I) sowie der Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (II) und der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (III) schuldig erkannt.

[2]            Danach hat er am 23. April 2020 in I*****

I/ ***** F***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich eines Oralverkehrs, zu nötigen versucht, indem er sie an den Haaren nach hinten riss, ihr mehrfach Ohrfeigen versetzte, seinen Penis zu ihrem Mund führte und sie wiederholt aufforderte, ihn in ihren Mund zu nehmen;

II/ unmittelbar vor der zu Punkt I beschriebenen Handlung mit F***** gegen ihren Willen eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er trotz ihrer wiederholten Aufforderung, von ihr abzulassen, ihre Hose und Unterhose nach unten zog und ihre Scheide mehrfach mit mehreren Fingern wuchtig penetrierte;

III/ F***** durch geschlechtliche Handlungen an ihr belästigt, indem er

1/ unmittelbar vor der zu Punkt II genannten Handlung mit seinen Händen unter ihre Oberbekleidung und ihren BH fuhr und ihre Brüste intensiv und grob betastete;

2/ unmittelbar nach der (gemeint [US 7]) zu Punkt I beschriebenen Handlung seinen nackten Penis mehrfach gegen ihre nackte Scheide schlug.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a und (nominell) 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[4]            Die Verfahrensrüge (Z 4) rügt die Abweisung eines in der Hauptverhandlung vom 18. Dezember 2020 gestellten Beweisantrags (ON 23 S 34). Sie bleibt schon deshalb erfolglos, weil diese Beweisaufnahme in der am 12. Mai 2021 nach § 276a zweiter Satz StPO wiederholten Hauptverhandlung (ON 31 S 2) nicht neuerlich beantragt wurde (RIS-Justiz RS0099049).

[5]       Entgegen der Mängelrüge (Z 5) setzten sich die Tatrichter ausführlich mit der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers auseinander und legten mängelfrei dar, weshalb sie diese für nicht glaubhaft hielten (US 8 ff). Dass sie seine detaillierte Schilderung der Geschehnisse am Abend der inkriminierten Handlungen vor der Polizei einerseits als Indiz gegen seine Zurechnungsunfähigkeit infolge Alkoholisierung werteten, seiner Darstellung andererseits jedoch insoweit nicht folgten, als er jegliche geschlechtliche Handlung zum Nachteil des Opfers in Abrede stellte (US 10 ff), ist mit den Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungswerten durchaus vereinbar und begründet demnach keinen Widerspruch (RIS-Justiz RS0117402).

[6]            Die im Rahmen der Tatsachenrüge (nominell Z 5a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) ins Treffen geführte Aussage des Zeugen ***** K***** zum Alkoholkonsum des Beschwerdeführers vor der Tat (vgl ON 4 S 33) steht den Feststellungen nicht entgegen und war daher unter dem Aspekt der Unvollständigkeit nicht gesondert erörterungsbedürftig (RIS-Justiz RS0098646 [insbesondere T8]; vgl im Übrigen US 10 [wo pauschal die Aussagen mehrerer Zeugen dahin gewürdigt wurden, dass sie zur Alkoholisierung des Beschwerdeführers „mangels Wahrnehmung nur vage Angaben“ hätten machen können]).

[7]       Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) wird ein Mangel im Sinn der Z 5 nicht behauptet (RIS-Justiz RS0117445).

[8]            Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt – soweit sie infolge bloßen Verweises auf das Vorbringen der Mängelrüge nicht von vornherein prozessordnungswidrig ist (RIS-Justiz RS0115902) – keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen. Sie erschöpft sich darin, aus den vom Erstgericht angeführten Prämissen (der Verantwortung des Beschwerdeführers und der Aussage des Opfers) für den Standpunkt der Verteidigung günstige Schlüsse zu ziehen (RIS-Justiz RS0114524) und bekämpft solcherart – wie übrigens auch der Großteil der Mängelrüge – bloß unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen (vgl § 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.

[9]            Der nominell im Rahmen der Subsumtionsrüge zu Punkt I/1 erhobene, nur auf das konstatierte Fehlen einer Erektion im Tatzeitpunkt gestützte Einwand (der Sache nach Z 9 lit a), es liege „nach Auffassung des Angeklagten ein absolut untauglicher Versuch“ vor, verfehlt die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit des Urteilssachverhalts (vgl RIS-Justiz RS0099810). Nach diesem erfasste der Beschwerdeführer F***** „an den Haaren und riss sie nach hinten. Er führte ihr Gesicht an seinen zuvor von ihm selbst entblößten schlaffen Penis, sodass er mit seinem Penis“ ihren „Mund berührte“ und sie wiederholt aufforderte, diesen in ihren Mund zu nehmen (US 6). Angesichts der nach gefestigter jüngerer Rechtsprechung auf dieser Basis (entgegen dem Erstgericht rechtsrichtig) anzunehmenden Tatvollendung (RIS-Justiz RS0115581 [vgl insbesondere die zu ähnlichen Sachverhalten ergangenen Entscheidungen 15 Os 88/01 und 11 Os 130/08i]; in diesem Sinn auch Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 43) stellt sich die Frage nach Versuchsuntauglichkeit im Sinn des § 15 Abs 3 StGB nicht. Im Übrigen argumentiert die Rüge nicht methodengerecht, weshalb – selbst unter Zugrundelegung der in der Literatur vertretenen (vom Beschwerdeführer nicht zitierten) Gegenmeinung (vgl etwa Hinterhofer, SbgK § 201 Rz 52; Kienapfel/Schmoller, BT III2 Vorbem §§ 201 ff Rz 44) – ein Versuch straflos wäre (zum [strengen] Maßstab vgl RIS-Justiz RS0115363 [nach welchem es ex ante bei generalisierender Betrachtung, somit losgelöst von den Umständen des Einzelfalls, geradezu denkunmöglich und daher auszuschließen sein müsste, dass das Opfer unter dem Eindruck der eingesetzten Nötigungsmittel den „entblößten schlaffen Penis“ des Beschwerdeführers in den Mund nehmen werde]).

[10]           Die (der Sache nach) von der Subsumtionsrüge (Z 10) gestellte Forderung nach einem Schuldspruch wegen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB geht abermals nicht von den getroffenen Feststellungen aus, denen zufolge ein von diesem Tatbestand vorausgesetzter Zustand des Beschwerdeführers nicht vorgelegen sei (vgl US 5 und 10).

[11]     Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[12]           Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten, die von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[13]           In einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit einer Vergewaltigung (vor oder nach dieser) vorgenommene geschlechtliche Handlungen, die nicht im Beischlaf bestehen oder diesem gleichzusetzen sind, die aber einem einheitlichen, auf die Erzwingung eines geschlechtlichen Missbrauchs gerichteten Tätervorsatz entspringen, werden bei Opferidentität in der Regel konsumiert (RIS-Justiz RS0094869, [im Ergebnis ebenso] RS0117038; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 49; Kienapfel/Schmoller, BT III2 §§ 201–202 Rz 49; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 60; vgl auch RIS-Justiz RS0121339 [wonach Konsumtion einer typischen Begleittat nicht auf tateinheitliche Begehung beschränkt ist]). Anderes gilt nur, wenn solche begleitenden geschlechtlichen Handlungen angesichts ihres – insbesondere in ungewöhnlicher Intensität zum Ausdruck kommenden – besonderen Unwertgehalts als nicht typischerweise mit der Haupttat verknüpft erscheinen (vgl RIS-Justiz RS0095057; allgemein Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 58 f) oder auf von der Vergewaltigung getrennten, gesonderten Willensentschlüssen basieren (Hinterhofer, SbgK § 201 Rz 85; L/St/Tipold, StGB4 § 201 Rz 34 [jeweils mit Verweisen auf die Rsp]). Diese Grundsätze sind vorliegend auf das Verhältnis von Vergewaltigung und den hier den Vergehen nach § 205a Abs 1 StGB und § 218 Abs 1 Z 1 StGB subsumierten geschlechtlichen Handlungen anzuwenden.

[14]           Da die Feststellungen keine ausreichende Sachverhaltsbasis für die rechtliche Beurteilung dieser Voraussetzungen gesonderter strafrechtlicher Zurechnung der zu den Punkten II und III angelasteten geschlechtlichen Handlungen enthalten, war die sofortige Aufhebung des Schuldspruchs in diesem Umfang, demgemäß auch des Strafausspruchs, bei der nichtöffentlichen Beratung unumgänglich (§ 285e StPO).

[15]           Gleiches gilt für das Adhäsionserkenntnis, das undifferenziert auf sämtliche Schuldspruchsachverhalte gestützt wurde (11 Os 59/19i; 13 Os 62/14p; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 7).

[16]     Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

[17]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten (RIS-Justiz RS0101558).

Textnummer

E132823

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00081.21Z.0914.000

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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