TE OGH 2019/5/29 15Os53/19m

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Veröffentlicht am 29.05.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Mai 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und Dr. Oshidari sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Andreas B***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 22. Jänner 2019, GZ 36 Hv 20/18p-54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas B***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (A./) und der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er in D***** S***** A*****

A./ zwischen 16. und 22. Oktober 2017 zur Duldung des Beischlafes genötigt, indem er ihre überkreuzten Beine mit Gewalt auseinander drückte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung in Form einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, und zwar eine belastungskausale Anpassungsstörung, zur Folge hatte;

B./ zwischen Anfang Oktober und 22. Oktober 2017 außer dem Fall des § 201 StGB zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung, nämlich der Durchführung der Handonanie an ihm, zu nötigen versucht, indem er ihre Hand mit Gewalt zu seinem Penis zog.

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit b und 10 StPO gestützten, die Staatsanwaltschaft den Strafausspruch des Urteils mit einer auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gegründeten Nichtigkeitsbeschwerde. Beiden Rechtsmitteln kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider durfte das Schöffengericht den Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens „zum Beweis dafür, dass die Schilderungen der Privatbeteiligten zu den angeblichen Tathandlungen drittbeeinflusst und suggestiv gesteuert sind“ (ON 53 S 15 f), ohne Nichtigkeitssanktion abweisen, weil nicht einmal behauptet wurde, dass die Zeugin S***** A***** die erforderliche Zustimmung zu einer Exploration erteilt hätte oder erteilen würde (RIS-Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614).

Im Übrigen ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen Aufgabe des erkennenden Gerichts und die Hilfestellung durch einen Sachverständigen dabei kommt nur in jenen – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen in Betracht, in denen objektive Anhaltspunkte gegen die allgemeine Wahrnehmungs- oder Wiedergabefähigkeit oder gegen die Aussageehrlichkeit des Zeugen schlechthin sprechen (RIS-Justiz RS0097576; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 11 f).

Auch durch die Abweisung des Antrags auf Beischaffung der Akten AZ 30 Nc 28/18p, AZ 5 C 2/17b und AZ 36 Ps 86/17i, jeweils des Bezirksgerichts S*****, wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil die damit jeweils unter Beweis zu stellenden Umstände ohnehin als erwiesen angenommen wurden (vgl US 9; RIS-Justiz RS0099135).

Weiters beantragte der Beschwerdeführer die Einholung „eines biomechanischen bzw biophysikalischen, allenfalls auch gerichtsmedizinischen Sachverständigen-gutachtens zum Beweis dafür, dass die von der Privatbeteiligten geschilderten Tathandlungen aufgrund der geschilderten Stellungen und Lagen der Körper und darüber hinaus aufgrund des Umstands, dass nicht über Bekleidungs- oder Kleiderschäden berichtet wurde, nicht stattgefunden haben können“ (ON 53 S 16). Dieser – schon das Beweismittel nicht klar erkennen lassende – Antrag zielte mangels Angabe von konkreten und schlüssigen Gründen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme die Anwendung von iSd § 201 Abs 1 StGB tatbildlicher Gewalt (zum Gewaltbegriff vgl Philipp in WK² StGB § 201 Rz 13) hätte ausschließen können oder mit der geschilderten Tathandlung notwendigerweise eine Beschädigung oder Zerstörung der Bekleidung hätte einhergehen müssen (vgl dazu US 6 f), auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0118123).

Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes und des damit auch für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses verbundenen Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider wurde sowohl die zum Schuldspruch A./ als auch die zum Schuldspruch B./ festgestellte objektive Tatseite mit Bezugnahme auf die für glaubwürdig befundenen Angaben der Zeugin A***** (US 6 ff) logisch und empirisch mängelfrei begründet.

Die Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) reklamierende Beschwerde kritisiert, dass das Urteil in Bezug auf den Ausspruch des Erstgerichts zum Vorliegen einer schweren Körperverletzung in Form einer belastungskausalen Anpassungsstörung von mehr als 24-tägiger Dauer nicht erkennen lasse, „welche Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen werden sollten“.

Undeutlichkeit liegt vor, wenn den Urteilsfeststellungen nicht klar zu entnehmen ist, welche entscheidenden Tatsachen das Gericht sowohl auf der objektiven als auch auf der subjektiven Tatseite als erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschehen ist. Dazu sind stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) in den Blick zu nehmen (RIS-Justiz RS0117995).

Weshalb die Konstatierung, wonach es für den Angeklagten objektiv und subjektiv vorhersehbar war, dass es durch die von ihm gegenüber S***** A***** gesetzte Handlung zu einer Gesundheitsschädigung in Form einer belastungskausalen Anpassungsstörung von mehr als 24-tägiger Dauer kommen kann (US 4), undeutlich sein sollte (Z 5 erster Fall) und mit der weiteren Urteilsannahme, wonach „dieses Störungsbild“ nicht akut entstand, sondern sich entwickelte und als Reaktion auf eine schwere psychosoziale Belastung zu interpretieren ist, wobei die Tathandlungen des Angeklagten dafür zumindest mitkausal waren (US 5), unvereinbar sein sollte (Z 5 dritter Fall), bleibt unerfindlich.

Der Umstand, „dass zwischen dem Zeitpunkt des 'Beine-auseinander-Drückens' und dem Zeitpunkt, als der Angeklagte ihr die leichte Hose und Unterhose hinuntergezogen habe, kein Widerstand der Privatbeteiligten erfolgte und sich diese nicht mehr wehrte, als der Angeklagte auf ihr gelegen sei, und sie alles über sich habe ergehen lassen“, blieb – dem Einwand der Rüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider – nicht „gänzlich unerörtert“ (vgl US 4 und 9), die Tatrichter haben daraus nur nicht die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlüsse in Bezug auf die subjektive Tatseite gezogen.

Im Übrigen wurde die subjektive Tatseite unter konkreter Bezugnahme auf die objektiven Tatumstände (zur Zulässigkeit des Schlusses vom äußeren Tatgeschehen auf ein diesem zu Grunde liegendes Wollen oder Wissen vgl RIS-Justiz RS0098671) mängelfrei begründet (US 9 f).

Soweit der Nichtigkeitswerber ausführt, die Annahme der Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB sei rechtsirrig erfolgt, weil nicht festgestellt worden sei, dass er einen Vorsatz auf eine mehr als 24-tägige Gesundheitsschädigung hatte (der Sache nach Z 10), lässt er eine Argumentation vermissen (vgl aber RIS-Justiz RS0116569), weshalb für die Zurechnung einer Erfolgsqualifikation entgegen dem Wortlaut des § 7 Abs 2 StGB Vorsatz erforderlich sein sollte.

Ebenso wenig legt die gleichfalls gegen den Schuldspruch A./ gerichtete Rechtsrüge (der Sache nach Z 9 lit a) aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb zur rechtsrichtigen Subsumtion des Sachverhalts Feststellungen dazu, „ob es der Privatbeteiligten [nachdem ihr der Angeklagte die Unterhose hinuntergezogen hatte, aber noch bevor er mit dem Penis in ihre Vagina eingedrungen war] möglich gewesen wäre, das Bett und in weiterer Folge das Zimmer zu verlassen“, erforderlich sein sollten.

Entgegen der – nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe orientierten (vgl aber RIS-Justiz RS0099810) – Subsumtionsrüge (Z 10) haben die Tatrichter konstatiert, dass die inkriminierte Vergewaltigung mitursächlich für die länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung war und diese schwere Körperverletzung vom Angeklagten jedenfalls fahrlässig (§ 7 Abs 2 StGB) herbeigeführt wurde (US 4 f und 10 f; vgl dazu Philipp in WK² StGB § 201 Rz 30; RIS-Justiz RS0088955, RS0089151).

Das weitere – auf ein im Schrifttum vertretenes bloßes Postulat gestützte – Vorbringen, dass psychische Gesundheitsschädigungen, mögen sie auch länger als 24 Tage dauern, als „typische Folgen von Vergewaltigungen“ nicht zur Anwendung des § 201 Abs 2 erster Fall StGB führen sollten, lässt den in dieser Gesetzesbestimmung enthaltenen, nicht differenzierenden Verweis auf § 84 Abs 1 StGB außer Acht und erschöpft sich solcherart in einer Gesetzeskritik.

Schließlich legt die Rüge auch nicht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0116569) dar, weshalb die konstatierte Mitkausalität des vorgeworfenen Verhaltens für die eingetretene Gesundheitsschädigung nicht für deren strafrechtliche Zurechnung ausreichen sollte (vgl RIS-Justiz RS0091997 [T2], RS0089343).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Der Kritik der Sanktionsrüge (Z 11), das Erstgericht habe „das beträchtliche Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe“ nicht begründet, ist zu erwidern, dass das Fehlen rechtlicher Erwägungen zur Strafbemessung (hier in Bezug auf § 41 Abs 1 StGB) zu keiner Urteilsnichtigkeit führt (RIS-Justiz RS0117723; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 681, 691). Im Übrigen hat das Erstgericht die Anwendung des § 41 Abs 1 Z 3 StGB sehr wohl begründet (US 12).

Das weitere Vorbringen, wonach ein (im Sinn des § 41 Abs 1 StGB) Überwiegen der Milderungsgründe nicht einmal im Ansatz erkennbar sei, stellt bloß ein Berufungsvorbringen dar (RIS-Justiz RS0091319; Flora in WK² StGB § 41 Rz 29).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E125326

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00053.19M.0529.000

Im RIS seit

24.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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