TE OGH 2019/4/25 5Ob41/19v

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Veröffentlicht am 25.04.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass, Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 91.399,16 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse 30.000 EUR) sowie der beklagten Partei (Revisionsinteresse 27.353,71 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2019, GZ 10 R 60/18a-231, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt nach einer im Krankenhaus der Beklagten durchgeführten Operation zur Regulierung der Schweißdrüsenfunktion an den Handflächen Schadenersatz wegen ärztlicher Fehlbehandlung. Dem Grunde nach ist die Haftung der Beklagten nicht mehr strittig. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist einerseits der Schmerzengeldanspruch der Klägerin, andererseits die Anrechnung zweier Akontozahlungen der Beklagten.

Das Erstgericht sprach der Klägerin das begehrte Schmerzengeld von 31.500 EUR im Rahmen einer Globalbemessung zu und rechnete die Zahlungen zunächst auf die Zinsen ihrer berechtigten Forderungen an.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die anstelle der Globalbemessung den Zuspruch eines Teilschmerzengeldes in Höhe von 31.500 EUR begehrte, nicht Folge. Der Berufung der Beklagten gab es nur insoweit Folge, als es hinsichtlich der Anrechnung der Akontozahlungen auf die bereits eingeklagten Zinsen einen Fehler des Erstgerichts der Höhe nach korrigierte.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentlichen Revisionen der Klägerin und der Beklagten zeigen keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Zur Revision der Klägerin

1.1. Grundsätzlich soll das Schmerzengeld eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll daher den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen erfassen, auch soweit es für die Zukunft beurteilt werden kann (RIS-Justiz RS0031307). Das Gericht hat daher das Schmerzengeld im Regelfall global zu bemessen, wenn keine besonderen Gründe für eine zeitliche Einschränkung bestehen (RS0031196, RS0031055). Künftige nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen sind einzubeziehen. Ausgenommen davon sind solche künftigen Verletzungsfolgen und Schmerzen, deren Eintritt noch nicht vorhersehbar ist oder deren Ausmaß auch nicht so weit abgeschätzt werden kann, dass eine Globalbemessung möglich ist (RS0031300 [T1]). Eine Globalbemessung ist daher nur dann nicht vorzunehmen, wenn noch gar kein Dauer-(End-)Zustand vorliegt, weshalb die Verletzungsfolgen noch nicht oder nicht in vollem Umfang und mit hinreichender Sicherheit überblickt werden können oder wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder noch nicht endgültig überschaubar erscheinen (RS0031307 [T27] = 2 Ob 83/14s; 2 Ob 240/10y mwN; RS0031082 [T3, T6, T7]). Ein Teilanspruch auf Schmerzengeld ist daher nicht die Regel, sondern die Ausnahme (2 Ob 232/07t), wobei es Sache des Klägers ist, nachzuweisen, dass die Geltendmachung eines Teilbetrags aus besonderen Gründen ausnahmsweise doch zulässig ist (RS0031307 [T15]; RS0031051; RS0031055 [T11]). Die Frage der Voraussehbarkeit künftiger Schäden ist eine solche, die typischerweise nach den Gegebenheiten des Einzelfalls zu lösen ist und der daher – abgesehen vom Fall krasser Fehlbeurteilung – keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RS0111272 [T2]). Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts ist hier nicht zu erkennen:

1.2. Nach den Feststellungen ist von zukünftigen körperlichen Schmerzen der Klägerin im Ausmaß von ca zehn Minuten leichter und zwei Minuten mittelstarker Schmerzen pro Tag als Durchschnittswert auszugehen, außerdem stellte das Erstgericht – dem psychiatrischen Sachverständigengutachten folgend – einen chronischen Verlauf der Anpassungsstörung der Klägerin fest, weshalb sie in der Zukunft auf Dauer täglich eine halbe Stunde unter leichten seelischen Schmerzen leiden werde. Hier liegt somit weder der Ausnahmefall vor, dass noch kein Dauer-(End-)Zustand der Verletzungsfolgen erreicht ist noch dass trotz abgeklärten Verletzungsbildes die Schmerzen zukünftig noch nicht überschaubar sind; dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Teilbemessung des Schmerzengeldes verneinte, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und bedarf daher keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof. Der Umstand, dass allenfalls ein mangelnder muskulärer Trainingszustand der Klägerin in der Zukunft zu noch nicht einmal ansatzweise vorhersehbaren Schmerzen führen könnte, steht nach der nicht korrekturbedürftigen Auffassung der Vorinstanzen der Globalbemessung nicht entgegen (vgl 8 Ob 64/86, wo ebenfalls trotz erwartbarer, aber nicht näher konkretisierter Dauerfolgen mit Globalbemessung vorgegangen wurde). Sollten der Klägerin in Zukunft tatsächlich derartige Schmerzen erwachsen, die sich nicht als Fortsetzung der früheren Schmerzen darstellen, könnte dies – als Folge eines atypischen Geschehensverlaufs – ohnedies einen nachträglichen Zuspruch von Schmerzengeld erlauben, sodass ihr durch eine Globalbemessung insoweit kein Nachteil erwächst (vgl 2 Ob 154/03s). Die Vorinstanzen waren an das Klagebegehren gebunden, sodass ein Zuspruch des in der Revision genannten weiteren Schmerzengeldes von 30.000 EUR (insgesamt somit 61.500 EUR) schon aus prozessualen Gründen nicht in Betracht kam. Dass sich das Gericht im Rahmen einer gebotenen Globalbemessung des Schmerzengeldes innerhalb des ziffernmäßigen Begehrens zu halten hat, auch wenn Teilschmerzengeld für einen bestimmten Zeitraum begehrt wird, eine zeitliche Beschränkung jedoch unbegründet ist, hat das Berufungsgericht im Sinn der Rechtsprechung (RS0031196) zutreffend erkannt.

2. Zur Revision der Beklagten:

2.1. Sind verschiedene Schuldposten zu zahlen, führt die Zahlungswidmung des Schuldners zugleich und zwar von selbst, die Tilgung herbei, dieses Ergebnis ist aber durch das Gesetz auflösend bedingt. Die Widmung wird sogleich unwirksam, wenn der Gläubiger widerspricht. Einigen sich Schuldner und Gläubiger nicht, tritt nach § 1416 ABGB die gesetzliche Reihenfolge ein (RS0033251). Zinsen sind dabei selbständige Schuldposten mit eigenen Fälligkeiten. Widerspricht der Gläubiger der Zahlungswidmung des Schuldners, ist dessen Leistung auf die für das zuerst fällig gewordene selbständige Kapital verfallenen Zinsen, dann auf dieses Kapital, schließlich auf die für das nächste fällig gewordene Kapital verfallenen Zinsen, dann auf dieses Kapital und so fort anzurechnen (RS0105482). Auf die Beschwerlichkeit der einzelnen Schulden für den Schuldner ist erst in letzter Linie, nämlich dann, wenn eine Reihung unter den Gesichtspunkten der bereits eingeforderten und dann der schon fälligen Schulden nicht möglich ist, Bedacht zu nehmen (RS0033505). Eine von den gesetzlichen Anrechnungsregeln abweichende Vereinbarung bzw Widmung hat derjenige zu beweisen, der sich auf die Abweichung von der gesetzlichen Tilgungsreihenfolge beruft (RS0118659).

2.2. Zur Frage, ob auch prozessverfangene strittige Forderungen der Tilgungsregelung des § 1416 ABGB unterliegen, ist die Lehre geteilt; in der jüngst ergangenen Entscheidung 6 Ob 193/18b konnte eine abschließende Beurteilung dieser Rechtsfrage unterbleiben. Auch hier bedarf es keiner abschließenden Stellungnahme:

2.3. Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung nämlich nicht mit der gesetzlichen Tilgungsregel des § 1416 ABGB, sondern mit der Widmungserklärung der Beklagten auf „sämtliche berechtigte Schadenersatzforderungen“ der Klägerin, zu denen es auch die eine selbständige Schuldpost bildende Verzugszinsenforderung zählte. Auf diesen Aspekt der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts geht die Beklagte in ihrer Revision nicht ein. Dass überhaupt und aus welchen Gründen das Berufungsgericht die Widmungserklärung der Beklagten nicht für die Frage der Tilgung der Forderungen der Klägerin heranziehen hätte dürfen, behauptet sie in ihrer Revision ebenso wenig wie dass die Auslegung der Erklärung im Einzelfall – die im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (RS0042555) – als krasse Fehlbeurteilung anzusehen wäre (vgl RS0042555 [T11]). Auch dass die Widmungserklärung unklar wäre (RS0033509 [T1]), was allenfalls die Anwendung des § 1416 ABGB zur Folge haben könnte (RS0109835 [T2]; RS0034703 [T4, T5]), führt die Revision der Beklagten nicht ins Treffen. Eine Unklarheit für die Klägerin bestand im Übrigen nicht; sie rechnete nach ihrem Vorbringen die beiden Teilzahlungen vielmehr zunächst auf Verzugszinsen ihrer berechtigten Forderungen an.

3. Da die von den Parteien als erheblich angesehenen Rechtsfragen hier somit nicht zu klären sind, waren ihre Revisionen als unzulässig zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E124943

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00041.19V.0425.000

Im RIS seit

14.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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