TE OGH 2018/11/27 4Ob134/18m

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Veröffentlicht am 27.11.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch die Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. J***** R*****, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung und 129.600 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Mai 2018, GZ 16 R 62/18g-26, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Februar 2018, GZ 6 Cg 40/17x-19, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Schriftsatz der beklagten Partei vom 6. September 2018 („Antrag nach § 78 StPO samt Urkundenvorlage“) wird zurückgewiesen.

II. Die Revision der beklagten Partei wird, soweit in ihr Nichtigkeit geltend gemacht wird, verworfen; im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

I. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittel-(gegen-)schrift zu; weitere (Gegen-)Schriften, Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig und zurückzuweisen (vgl RIS-Justiz RS0041666).

II. Die Klägerin begehrte die Räumung einer ihr gehörenden Liegenschaft sowie die Zahlung von Benutzungsentgelt, weil die Beklagte die Liegenschaft titellos benütze. Das Bestreitungsvorbringen der Beklagten, wonach ein Mietvertrag bestehen solle, sei unschlüssig. Darlehensvaluta seien ihr nicht zugeflossen. Eine Einigung über Bestandobjekt und Bestandzins liege nicht vor.

Die Beklagte erhob die Einrede der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit des Erstgerichts wegen Vorliegens einer Mietrechtsangelegenheit. Sie bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und brachte vor, sie habe im Herbst 2006 mit dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin mündlich einen Mietvertrag abgeschlossen. Sie bezahle den „vereinbarten Mietzins in Höhe der Darlehensraten“ für einen Kredit, den sie für die Klägerin aufgenommen habe und dessen Valuta der Klägerin zugeflossen seien; dieses Darlehen sei im Februar 2007 aufgenommen worden, als die Beklagte bereits Mieterin gewesen sei. Zur Sicherung dieses Kredits sei auch ein Pfandrecht auf der gegenständlichen Liegenschaft eingetragen worden. Der Mietvertrag sei zu einem Mietzins einschließlich Betriebskosten in Höhe der – von der Beklagten auch gezahlten, bestimmbaren – Darlehensraten abgeschlossen worden. Im Zeitpunkt der Aufnahme des Kredits sei vereinbart gewesen, dass mit diesem Zeitpunkt der „Mietbeginn“ für das gesamte Gebäude starte, davor seien nur einzelne Räume bzw Bestandeinheiten vermietet gewesen. Der gegenwärtigen Geschäftsführerin sei dies bekannt, sie habe seit 2013 den Mietvertrag „durch Duldung bestätigt“; die Klägerin habe das Mietverhältnis „durch Verschweigung anerkannt“.

Das Erstgericht verwarf die von der Beklagten erhobene Unzuständigkeitseinrede und gab der Klage ohne Beweisaufnahmen statt. Es liege keine Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichts nach § 49 Abs 2 Z 5 JN vor. Das Bestreitungsvorbringen der Beklagten, sie sei Mieterin des Objekts, sei unschlüssig geblieben. Die Höhe des Benützungsentgelts habe die Beklagte nicht substanziiert bestritten.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit und gab im Übrigen ihrer Berufung nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass die Beklagte weder hinreichend schlüssiges Vorbringen zum Bestehen eines Mietvertrags erstattet noch die Höhe des Benützungsentgelts bestritten habe. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen

In ihrer Revision beantragt die Beklagte die Abänderung in klagsabweisendem Sinne, hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung.

Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision wegen Nichtigkeit:

Der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem
– wie hier – eine Berufung wegen Nichtigkeit verworfen wird, ist zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbar (RIS-Justiz RS0043405; vgl auch RS0042981; RS0042925), auch wenn die Entscheidung über die Prozesseinrede in das Urteil aufgenommen wurde (RIS-Justiz RS0043405 [T9]). Daran vermag auch die Anfechtung unter dem Gesichtspunkt eines anderen Rechtsmittelgrundes nichts zu ändern (7 Ob 138/17w mwN; RIS-Justiz RS0043405 [T1, T3, T6]).

Ein allfälliger Verstoß des Klagevertreters gegen das Gebot der Direktzustellung der Berufungsbeantwortung nach § 468 Abs 4 iVm § 112 ZPO hatte hier auf die Berücksichtigung des Inhalts dieses Rechtsmittelschriftsatzes und dessen geschäftsordnungsgemäße Behandlung durch das Berufungsgericht keinen Einfluss (vgl 2 Ob 197/10z). Eine Beantwortung der Berufungsbeantwortung ist weder gesetzlich vorgesehen noch verfassungsrechtlich geboten.

Die Revision wegen Nichtigkeit war somit zu verwerfen.

Im Übrigen ist die Revision zulässig und berechtigt:

Die Beklagte führt zusammengefasst ins Treffen, ihr Bestreitungsvorbringen sei sehr wohl schlüssig.

Dazu wurde erwogen:

1.1. Bei einer auf titellose Benützung gegründeten Räumungsklage nach § 366 ABGB (RIS-Justiz RS0062419) wie hier hat die Beklagte ein eigenes dingliches oder obligatorisches Recht auf Innehabung zu behaupten und beweisen (vgl RIS-Justiz RS0125784; RS0010849; RS0062419 [T1]; 4 Ob 180/15x). Das Eigentum der Klägerin ist – im Zusammenhalt mit der Inanspruchnahme der Sache durch die Beklagte – an sich ein ausreichender Rechtsgrund für das auf Vergütung der dadurch erlangten Bereicherung sowie auf Räumung gerichtete Begehren; es liegt an der Beklagten, unter Angabe entsprechender Tatsachen ein Rechtsverhältnis zur Klägerin zu behaupten, das die Nutzung der Sache rechtfertigt (1 Ob 132/08f).

1.2. Ist dies nicht erweislich, hat im Übrigen der Bereicherungskläger alle Voraussetzungen seiner Bereicherungsklage zu beweisen (RIS-Justiz RS0033564).

2. Die Beklagte beruft sich hier auf ein Mietverhältnis mit der Klägerin.

Ein Mietvertrag kommt als Konsensualvertrag mit der Willenseinigung darüber zustande, dass ein bestimmter (bestimmbarer) Mietgegenstand gegen einen bestimmten (bestimmbaren) Mietzins auf eine bestimmte (bestimmbare) Zeit oder mit unbestimmtem Endtermin zum Gebrauch überlassen werden soll (vgl RIS-Justiz RS0020342; RS0020394). Das Entgelt muss nicht ziffernmäßig festgelegt sein; es genügt, dass der Vertrag alle jene Elemente enthält, die die Bestimmung des Zinses ermöglichen (RIS-Justiz RS0020697; RS0020426).

3. Das Gesetz verlangt zwar nicht, dass der Beweispflichtige den gesamten Tatbestand vortrage; es trägt ihm jedoch auf, die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp vorzubringen (vgl § 226 Abs 1 ZPO; RIS-Justiz RS0036973 [insbes T2, T15]).

Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht bzw wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042828). Der Beurteilung, ob Prozessbehauptungen schlüssig sind, kommt daher grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 ZPO zu, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen (vgl RIS-Justiz RS0042828 [T15]; RS0037780 [T5, T10]; RS0116144 [T2]).

4. Eine solche aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt hier vor, ist doch dem Bestreitungsvorbringen der Beklagten noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass sie sich auf einen zwischen ihr und dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin mündlich geschlossenen Mietvertrag stützt. Als Gegenleistung habe die Beklagte ein – zudem mit der Liegenschaft der Klägerin grundbücherlich besichertes – Darlehen aufgenommen, dessen Valuta der Klägerin zugekommen sei und dessen Raten die Beklagte zurückzahle, wobei der Mietzins den Raten entspreche. Damit hat die Beklagte ausreichend schlüssig einen mündlich abgeschlossenen Mietvertrag und einen (zumindest) bestimmbaren Mietzins für die Dauer der Laufzeit des Kredits (vgl RIS-Justiz RS0070211; RS0070187) behauptet. Auch in Bezug auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags liegt keine Unschlüssigkeit vor. Die Beklagte hat (zuletzt) ausdrücklich behauptet, diesen im Herbst 2006 mündlich abgeschlossen zu haben. Dass bei Aufnahme des Darlehens im Jahr 2007 bereits vereinbart gewesen sei, dass der Mietbeginn für die gesamte Liegenschaft mit diesem Zeitpunkt zusammenfalle, steht dem nicht entgegen. Im Übrigen ist für die rechtliche Beurteilung eines Räumungsbegehrens der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgebend (RIS-Justiz RS0041085).

5. Die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen war somit unvermeidlich. Das Erstgericht wird zum von der Beklagten hinreichend schlüssig behaupteten, den Klagsansprüchen entgegengesetzten Sachverhalt ebenso wie gegebenenfalls zu den bestrittenen Klagsbehauptungen Beweise aufzunehmen und sodann (im Lichte der aufgrund der erzielten Beweisergebnisse zu treffenden Sachverhaltsfeststellungen) die Berechtigung des Klagebegehrens zu beurteilen haben.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E123571

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00134.18M.1127.000

Im RIS seit

21.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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