TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/19 E10 221172-0/2008

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Veröffentlicht am 19.11.2008
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Spruch

GZ. E10 221.172-0/2008-9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. R. ENGEL als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau S. DUTZLER über die Beschwerde des A.C. (vertreten durch: RA Dr. FUCHSBICHLER), geb. am 00.00.1967, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.01.2001, FZ. 01 00.318-BAL, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8, 44 (1) Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 iVm § 75 Abs. 1 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2008/4 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Bisheriger Verfahrenshergang

 

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 05.01.2001 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Dazu wurde er erstbefragt und zu dem im Akt ersichtlichen Datum von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb an dieser Stelle hierauf verwiesen wird.

 

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte er im Wesentlichen vor, dass die PKK von ihm verlangt hätte, ihn mit Lebensmittel zu versorgen. Hierauf wäre er vom Militär und den Jandarmas mitgenommen, befragt und misshandelt worden. Ebenfalls beklagte der BF die in seiner Herkunftsregion schlechten Lebensbedingungen und die Repressalien der Behörden gegen die Bevölkerung, indem diese nur beschränkt Lebensmittel und Medikamente beziehen dürften, damit diese nicht an die Rebellen weitergegeben würden.

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.01.2001, Zahl: 01 00.318-BAL (in weiterer Folge als "angefochtener Bescheid" bezeichnet) wurde der Asylantrag des Berufungswerbers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat wurde gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF in Bezug auf konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen unglaubwürdig, im Übrigen wurde dieses als Glaubwürdig erachtet. Das Bundesasylamt ging nicht davon aus, dass die Angehörigen der kurdischen Volksgruppe einer Gruppenverfolgung unterliegen. Ebenso ergäben sich die Beeinträchtigungen in der Herkunftsregion des BF nicht wegen der Volksgruppenzugehörigkeit der Bewohner, sondern aus der allgemeinen (Sicherheits-)Lage. Ebenso stünde es dem BF frei, seinen Wohnsitz in einen anderen Teil der Türkei zu verlegen.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 07.02.2001 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Im Wesentlichen wurde nach Darlegung allgemeiner rechtlicher und sonstiger Ausführungen vorgebracht, dass sich das Vorbringen des BF nicht als unglaubwürdig darstellen würde. Weiters ging der BFV unter näherer Ausführung davon aus, dass das Bundesasylamt aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht Asyl gewährte und stellte die im Akt ersichtlichen verfahrensrechtlichen Anträge.

 

4. Da die vom Bundesasylamt -nicht genannten- den impliziten Feststellungen zur Lage in der Türkei herangezogenen Quellen aufgrund des Zeitpunktes der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides nicht mehr als aktuell darstellten, und deren wesentlicher Aussagekern insbesondere hinsichtlich des Umstandes, dass die Angehörigen der kurdischen Volksgruppe in der Türkei keiner systematischen, landesweiten Verfolgung unterliegen und in der Türkei Reise- und Niederlassungsfreiheit herrscht, durch das ho. aufliegende aktuelle Beweismaterial in nach wie vor gültiger und im Wesentlichen unveränderter Form als erwiesen anzunehmen ist, wurde seitens des AsylGH mit Schreiben vom 23.10.2008 gem. § 45 (3) AVG Beweis erhoben und den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung des Schreibens eingeräumt; somit wurde aufgrund der vorliegenden aktuelleren Feststellungen zur Lage in der Türkei (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle vgl. etwa Erk. d. VwGHs. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11. November 1998, 98/01/0284, bzw. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210) bestätigt, dass der Sachverhalt, von dem das Bundesasylamt implizit ausging, nach wie vor gültig sind (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise in diesem speziellen Fall siehe Erkenntnis des VwGH vom 17.10.2006, Zahl: 2005/20/0459-5, ebenso Beschluss des VwGH v. 20.6.2008, Zahl 2008/01/0286-6; wenn in diesen Erkenntnissen von einer sonst schlüssigen und umfassenden [und für den BF im Ergebnis ungünstigen] Beweiswürdigung des Bundesasylamtes ausgegangen wird, ist zu diesem speziellen Fall anzuführen, dass dies hier umso mehr gelten muss, weil das erkennende Gericht von einer für den BF günstigeren Beweiswürdigung als das Bundesasylamt ausgeht) .

 

5. Der BFV brachte mit Schriftsatz vom 10.11.2008 einen Schriftsatz ein, in dem er sich im Wesentlichen unter der Nennung entsprechender Quellen zur allgemeinen Lage in der Türkei, zur Lage der Kurden und zu Übergriffen auf Festgenommene äußerte. In keiner der genannten Quellen wurde auf den BF bzw. den von ihm vorgebrachten konkreten Fall direkt Bezug genommen. Auch zweifelte der BFV die Objektivität des deutschen Auswärtigen Amtes an. In Bezug auf den Inhalt der Stellungnahme im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

6. Das Bundesasylamt brachte keine Stellungnahme ein.

 

7. Hinsichtlich des weiteren Verfahrensherganges bzw. des Vorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Das Bundesasylamt geht von folgendem Sachverhalt aus:

 

1.1. Der BF ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kurden an. Der BF stammt aus einem Gebiet, in welchem es zum Zeitpunkt seiner Ausreise zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Behörden (Armee, Jandarmas) kam.

 

Einerseits übten die Angehörigen der PKK Druck auf die ansässige Bevölkerung aus, diese zu unterstützten, andererseits stand die Bevölkerung unter dem Druck der Behörden, jegliche Unterstützungshandlung zu unterlassen. Im Zuge dieser Handlungen konnte von keiner der beiden Seiten ausgeschlossen werden, dass es zu Übergriffen kam.

 

Von der oben beschriebenen Situation war der BF ebenso betroffen.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vorbestraft ist, gegen ihn ein Strafverfahren anhängig ist oder nach ihm gefahndet wird.

 

Beim BF handelt es sich jedoch um einen jüngeren, gesunden, arbeitsfähigen, mobilen Mann, der die türkische und kurdische Sprache beherrscht und es daher möglich und zumutbar ist, seinen Wohnsitz in einen anderen Teil der Türkei zu verlegen.

 

1.2. In Bezug auf die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei geht das erkennende Gericht von folgendem Sachverhalt aus:

 

1.2.1. Überblick

 

Die Türkei betrachtet sich als Modell eines laizistischen Staates mit überwiegend islamischer Bevölkerung. Ein herausragendes politisches und für die gesamte Türkei wegweisendes Ereignis der letzten Jahrzehnte ist der Beginn von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei zum 03.10.2005. In ihrem Fortschrittsbericht vom 08.11.2006 greift die EU-Kommission vor allem drei Kritikpunkte auf:

mangelnde Flexibilität in der Zypernfrage und Defizite bei der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie bei den Minderheitenrechten. Nach dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU vom Dezember 2006 wurden die Verhandlungen von acht der 35 Verhandlungskapitel eingefroren. Auf ein Ultimatum im Zypernstreit wurde verzichtet; die Türkei wird aber weiter dazu gedrängt, ihre Häfen und Flughäfen für die Republik Zypern zu öffnen, die seit Mai 2004 EU-Mitglied ist. Unter deutscher EU-Präsidentschaft wurden im ersten Halbjahr 2007 insgesamt drei weitere Verhandlungskapitel eröffnet. Bei den Parlamentswahlen vom 22.07.2007 hat die regierende AKP von MP Erdogan mit knapp 46,62 % der abgegebenen Stimmen (340 Sitze) einen historischen Sieg errungen, Wahlverlierer ist die CHP von Oppositionsführer Baykal mit 20,88 % (112 Sitze). Als weitere Partei zog die MHP (14,27%, 71 Sitze) sowie 26 unabhängige Kandidaten (davon 22 von der kurdennahen DTP) ins Parlament ein. Die Regierung Erdogan kann sich weiterhin auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützen. Es wird erwartet, dass sie den Reformkurs fortführt. Am 28.08.2007 wurde der bisherige Außenminister Abdullah Gül im dritten Wahlgang mit 339 (von 267 erforderlichen) Stimmen zum elften Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen, die anschließende Wahl des Präsidenten und die zügige Regierungsbildung haben zu einer Beruhigung und Konsolidierung der innenpolitischen Lage geführt. Sowohl Staatspräsident Gül als auch Ministerpräsident Erdogan kündigten eine Fortsetzung der Reformpolitik an.

 

Nach Jahren relativer Stabilität erlebte die Türkei im Zusammenhang mit den gescheiterten Präsidentschaftswahlen im Mai 2007 eine Phase innenpolitischer Polarisierung. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 22.07.2007 trat eine Beruhigung der Lage ein. Die anschließende erfolgreiche Wahl eines Präsidenten und die Regierungsbildung trugen zu einer weiteren Konsolidierung bei. Im Osten und Südosten der Türkei kommt es weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der terroristischen PKK und türkischen Sicherheitskräften; der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung wurde mit Wiedererstarken des PKKTerrorismus lauter.

 

1.2.2.Politische Opposition

 

Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend-Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Mit dem Reformpaketvom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Partei- und Politikverbote erschwert. Trotzdem wurde 2003 ein Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, eingeleitet. Sie hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Die DEHAP stand aufgrund einer mit der PKK und Abdullah Öcalan sympathisierenden Haltung vieler ihrer Mitglieder in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK symphatisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten. Im Februar 2007 wurden alle angeklagten Parteimitglieder der kurdisch-orientierten "Partei der Rechte und Freiheiten" (HAK-PAR) wegen Gebrauchs der kurdischen Sprache verurteilt, fünf Personen zu jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe, acht Personen zu jeweils sechs Monaten Freiheitsstrafe, wobei diese Strafe in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. Im Falle der Bestätigung des Urteils durch den Kassationsgerichtshof kündigte das Gericht die Einleitung eines weiteren Verbotsverfahrens gegen die Partei bei der dafür zuständigen Generalstaatsanwaltschaft an.

 

1.2.3. Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die in der Vergangenheit von Schwerfälligkeit, Ineffizienz, Unberechenbarkeit und Strenge geprägte türkische Strafjustiz hat sich verbessert. Im Strafrecht- und Strafprozessrecht kam es in den vergangenen Jahren zu umfassenden gesetzgeberischen Änderungen und Novellierungen. In der Rechtspraxis wurden ebenfalls wesentliche Verbesserungen festgestellt, ohne dass dabei aber das Tempo der anderen gesetzgeberischen Reformen erreicht werden konnte. Bei allen Mängeln, die der türkischen Justiz noch anhaften (z.B. lange Verfahrensdauer), sind Bestrebungen unverkennbar, rechtstaatliches Handeln durchzusetzen. Einzelne Vorkommnisse und Entscheidungen von Justizorganen lassen bisweilen an dieser Einschätzung zweifeln. Es zeigt sich jedoch, dass sich im Gegensatz zu früher staatsanwaltliches Unrecht nicht halten lässt, sondern revidiert wird. Dies erfordert bisweilen jedoch beträchtliche Gegenwehr der Betroffenen.

 

Die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Menschengerichtshofs durch die Türkei hat sich deutlich verbessert. Der Europäische Menschengerichtshof spielt in der Türkei eine wichtige Rolle, da er wegen Fehlens einer Individual-Verfassungsbeschwerde in vielen Fällen angerufen wird. Auch deshalb ist die Zahl der die Türkei betreffenden Verfahren sehr hoch; auch 2006/2007 wurde die Türkei wieder in einer Reihe von Verfahren wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Leben und wegen Verstoßes gegen das Folterverbot verurteilt. Die Verurteilungen der Türkei betreffen in der Regel Fälle, deren Sachverhalte mehrere Jahre zurückliegen, so dass aus den Verurteilungen nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts nur bedingt Schlüsse auf die aktuelle Praxis der Verwaltung und Justiz gezogen werden können.

 

Markante Fortschritte in der Menschenrechtslage konnten durch die Gesetzes- und Verfassungsänderungen der letzten Jahre sowie weitere Reformmaßnahmen (z.B. Justizreformen) erzielt werden; dadurch wurde ein Mentalitätswandel bei großen Teilen der Bevölkerung eingeleitet. Es wird von den Menschenrechtsorganisationen mitgeteilt, dass Fälle schwerer Folter (z.B. mit sichtbaren körperlichen Verletzungen) nur noch vereinzelt vorkommen. Ihre Zahl lag in den letzten Jahren nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen im unteren einstelligen Bereich, wird aber neuerdings nicht mehr gesondert erfasst. Hinweise auf einen Anstieg gibt es auch nach inoffiziellen Angaben nicht. Die überwiegende Zahl der angezeigten Fälle betreffen z.B. Beleidigungen, Drohungen und Einschüchterungen, zu langes Festhalten, Vorenthalten eines Toilettenbesuchs bis hin zu Drohungen mit Tötung.

 

1.2.4. Sippenhaft

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

1.2.5. Kurden

 

Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig. Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

 

Der Gebrauch des Kurdischen, d.h. der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, allerdings im "öffentlichen Raum" noch eingeschränkt und im Schriftverkehr mit Behörden nicht erlaubt. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen sind nach wie vor verboten. Kurdischkurse für Erwachsene an privaten Lehrinstituten sind seit 2004 zulässig, scheitern jedoch häufig an mangelnder Nachfrage/Fehlen finanzieller Mittel. Seit 2002 sind Rundfunk- und Fernsehsendungen auf Kurdisch unter dem Vorbehalt, dass sie nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Verfassung stehen und nicht gegen "die unteilbare Einheit des Staates mit seinem Land und seiner Nation" gerichtet sein dürfen, erlaubt.

 

1.2.6. Kurdische Arbeiterpartei (PKK)

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckt sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL). Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten. Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara Meer. Kurdischen Quellen zufolge soll sich die PKK wieder verstärkt der Anwerbung "junger Kämpfer" widmen. Nach Berichten PKK nahe stehender Medien sind zahlreiche neue Guerillakämpfer in die Reihen der "Volksverteidigungskräfte" HPG aufgenommen und danach in ihre Einsatzgebiete entsandt worden.

 

1.2.7. Grundversorgung

 

Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind weiterhin durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt. Der Abwanderungsdruck aus dem Südosten in den Süden und Westen der Türkei und in das Ausland hält an. Angesichts einer Beruhigung der Lage in Teilen des türkischen Südostens in den vergangenen Jahren und wegen der schwierigen Lebensbedingungen und hohen Arbeitslosigkeit in den Armutsgebieten der großen Städte nahm zuletzt jedoch auch die Zahl der Rückkehrer in die Provinzstädte und Dörfer im Osten und Südosten der Türkei wieder zu. Das Wirtschaftswachstum betrug für das Jahr 2006 6% (im Jahr 2005 lag es bei 7,6%). Kumuliert hat der permanente Aufschwung der türkischen Wirtschaft seit der Wirtschaftskrise vor sechs Jahren ein Wachstum von 50% eingebracht. Die Inflation ist im Jahr 2006 auf 9,65% gestiegen, nachdem sie 2005 mit ca. 7,7% (Verbraucherpreise) den niedrigsten Wert seit über 30 Jahren erreicht hatte.

 

1.2.8. Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standard entsprechen. Das türkische Gesundheitssystem verbessert sich laufend. Die Behandlung psychischer Erkrankungen, einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ist in allen Krankenhäusern der Türkei möglich, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) werden in der Türkei die international anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angewandt. Zu Behandlungskonzepten zählen u.a. Psychotherapie mit Entspannungstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. Eine Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist grundsätzlich auch über die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) möglich.

 

1.2.9. Behandlung von Rückkehrern

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus.

 

2. Beweiswürdigung

 

2.1. Der AsylGH hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) fest.

 

2.2. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt, ebenso wie die Feststellungen zu den Ausreisegründen des Beschwerdeführers. Da der BF wiederholt (sowohl mündliche beim BAA, als auch schriftlich im Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren) die Möglichkeit hatte den ausreisekausalen Sachverhalt vollständig zu schildern und der BF in keinem Fall auch nur ansatzweise vorbrachte, dass er über die von ihm vorgebrachten kurzfristigen Festnahmen und Befragungen hinaus mit individuellen, zielgerichteten Verfolgungshandlungen, wie etwa Verurteilung durch die türkischen Gerichte, konkrete Erstattung von Strafanzeigen, Ausschreibungen zur Fahndung konfrontiert gewesen wäre, können auch keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen werden. Viel mehr ist im Umkehrschluss davon auszugehen, dass derartiges nicht vorliegt, da der BF dies ansonsten geschildert hätte.

 

2.3. Die Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelvanten Lage in der Türkei ergeben sich aus dem in der Beweisaufnahme vom 23.10.2008 erörterten Quellenmaterial. Wenn der BFV die Objektivität des Deutschen Auswärtigen Amtes in Frage stellt, ist seinen Ausführungen entgegen zu halten, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen, sowie dem vom BFV vorgelegten Quellenmaterials im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges.

 

Bei Berücksichtigung der soeben angeführten Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen unter Berücksichtigung der Natur der Quelle und der Intention derer Verfasser wird im gegenständlichen Fall jedoch angeführt, dass diese in den wesentlichen Punkten hinsichtlich ihres objektiven Aussagekerns grundsätzlich übereinstimmen. Insbesondere kann keiner Quelle entnommen werden, dass die Angehörigen der kurdischen Volksgruppe in der Türkei einer landesweiten, systematischen Verfolgung unterliegen. Auch kann keiner Quelle entnommen werden, dass Kurden von der Reise- und Niederlassungsfreiheit ausgenommen sind. Der Asylgerichtshof konnte sich daher bei der Feststellung des Ermittlungsergebnisses auf die streckenweise wörtliche Zitierung dieser Quellen beschränken.

 

Wenn in den Quellen Menschenrechtsverletzungen, wie etwa Misshandlungen in der Haft genannt werden, ist hierzu festzustellen, dass das erkennende Gericht nicht verkennt, dass derartige Vorfälle vorkommen, doch kann nicht auf ein systematisches, vom Staat tatenlos geduldetes oder gar gefördertes Handeln geschlossen werden, was etwa der vom BFV vorgelegte Artikel "Türkische Kultur der Folter" zeigt. Aus diesem Berichtsmaterial lässt sich jedoch über weite Strecken kein Bezug auf das individuelle Vorbringen des BF herstellen, bzw. daraus keine unmittelbare, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erwartbare Verletzung der Rechtssphäre des BF erwarten.

 

2.4. Die vom BAA vorgenommene Beweiswürdigung ist im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Rahmen der freien Beweiswürdigung in sich schlüssig und stimmig, vorbehaltlich dessen Ausführungen zur Unglaubwürdigkeit der vom BF gegen ihn gerichteten Übergriffe.

 

Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)".

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes ist unter Heranziehung dieser, von der höchstgerichtlichen Judikatur festgelegten, Prämissen für den Vorgang der freien Beweiswürdigung dem Bundesasylamt vorbehaltlich der noch folgenden Ausführungen nicht entgegenzutreten.

 

Wenn das Bundesasylamt das Vorbringen des BF in Bezug auf die in der Vergangenheit stattgefundenen Mitnahmen als nicht glaubwürdig schildert, da diese Schilderung widersprüchlich wäre, ist anzuführen, dass das erkennende Gericht in dieser Schilderung keinen Widerspruch erkennen kann und in diesem Punkt den Ausführungen des BFV folgt.

 

Das erkennende Gericht erlaubt sich dennoch, darauf hinzuweisen, dass gewisse Restzweifel am Vorbringen bleiben, weil das von ihm geschilderte Verhalten der Behörden nicht besonders nachvollziehbar erscheint: Sollten die Jandarmas nämlich tatsächlich ein Interesse an der Habhaftwerdung der PKK-Kämpfer haben bzw. den BF zu überführen, dass er diese unterstützt, ist es nicht nachvollziehbar, dass diese den BF nicht nachts aufsuchen, wo sich diese Kämpfer angeblich beim BF aufhalten, sondern bis zum Tage warten, wo diese wieder abgezogen sind, und dann erst den BF aufsuchen und diesen unter Druck setzen, wenn die Kämpfer nicht mehr greifbar sind, bzw. deren nächtliche Anwesenheit auch nicht mehr beweisbar ist. Letztlich wird im gegenständlichen Fall jedoch im Zweifel für den BF von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens ausgegangen.

 

Soweit im erstinstanzlichen Verfahren das Parteiengehör verletzt wurde, indem dem BF die allgemeine Lage in dessen Herkunftsstaat, insbesondere in Bezug auf die bestehende Möglichkeit, sich in einem anderen Teil der Türkei niederlassen zu können, welche das Bundesasylamt als erwiesen annimmt, nicht zur Kenntnis gebracht wurde, wird angeführt, dass der BF die Gelegenheit hatte, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und er davon auch Gebrauch gemacht hat. Im gegenständlichen Fall stand es dem BF frei, sich zulässigerweise sich in der Berufung hierzu zu äußern. Aufgrund der hier vorliegenden Sach- und Rechtslage ist daher davon auszugehen, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. für viele: VwGH vom 11.9.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.2.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.2.2002, 98/21/0299), wodurch jedoch nicht gesagt ist, dass das Bundesasylamt generell von der Verpflichtung, Parteiengehör zu gewähren befreit ist und nicht Fälle denkbar sind, in welchen eine solche Verpflichtung zur Behebung des erstinstanzlichen Bescheides gem. § 66 (2) AVG führen kann.

 

Kommt das erkennende Gericht nun aufgrund der vorgenommenen Beweiswürdigung zum Schluss den Antrag abzuweisen, handelt es sich um eine Rechtsfrage, welche nicht dem Parteiengehör unterliegt (VwSgl 16.423 A/1930; VwSlg 6580 A/1961; VwSlg 7509 A/1969; VwGH 16.11.1993, 90/07/0036; 9.11.1994, 92/13/0068). Die Einräumung des Parteiengehörs im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG bezieht sich nämlich ausschließlich auf die materielle Stoffsammlung, d. h. auf die Beweisergebnisse, welche die Sachverhaltsgrundalge für die von der Behörde anzuwendenden Rechtslange bilden sollen. Eine Verletzung des Parteiengehörs durch Unterlassung der Anhörung der Partei zu der von der Behörde vertretenen Rechtsansicht kann daher begrifflich nicht vorliegen (VwGH 28.3.1996, 96/20/0129; auch VwGH 13.5.1986, 83/05/0204/0209). Die Behörde ist nicht verhalten, der Partei mitzuteilen, welche vorgangsweise sie in rechtlicher Hinsicht sie ins Auge fasst (VwGH 9.3.1992, 91/19/0391; 5.7.2000, 2000/03/0019) oder in welcher Richtung sie einen Bescheid zu erlassen gedenkt (VwGH 20.5.1992, 92/01/0306) bzw. wie sie den maßgeblichen Sachverhalt rechtlich zu beurteilen und ihren Bescheid zu begründen beabsichtigt, einschließlich der Frage, auf welche Bestimmungen sie ihren Bescheid stützen wird (vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar Rz 26 zu § 45 mwN).

 

III. Rechtliche Beurteilung

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gem. § 73 (1) Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) tritt dieses Gesetz mit der Maßgabe des § 75 (1) leg. cit in Kraft, wonach alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen sind.

 

Gegenständliches Verfahren war am 31.12.2005 anhängig und der Antrag wurde vor dem 1.5.2004 gestellt, weshalb es nach den Bestimmungen des Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 zu Ende zu führen war, dessen § 44 (1) mit der Maßgabe des Abs. 3 leg. cit. anordnet, dass Verfahren über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetztes BGBl I Nr. 126/2002 zu führen und die in § 44

(3) genannten Bestimmungen anzuwenden sind.

 

Das hier anhängige Verfahren ist daher nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetztes BGBl I Nr. 126/2002 zu führen, wobei die in § 44 (3) Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 genannten Bestimmungen anzuwenden sind.

 

Das erkennende Gericht ist berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom 4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278), weshalb im gegenständlichen Fall im bereits genannten Umfang auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.

 

Ebenso ist das erkennende Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

 

Der erstinstanzliche Bescheid basiert vorbehaltlich der getroffenen Ausführungen zur Aktualität der Ausführungen zur Lage in der Türkei, auf einem, ebenso vorbehaltlich der Ausführungen zur Verletzung des Parteiengehörs ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren und fasst in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammen. Soweit das erkennende Gericht von einer günstigeren Beweiswürdigung wie das Bundesasylamt ausgeht, wird auf die bereits getroffenen Ausführungen verwiesen.

 

Aufgrund der Feststellungen des Bundesasylamtes in Verbindung mit der bereits genannten Beweisaufnahme vom 23.10.2008 durch den Asylgerichtshof ist von auf ausreichend aktuelle Quellen (vgl. Erk. d. VwGHs. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997 das E. vom 11. November 1998, 98/01/0284, bzw. auch das E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210) basierenden Feststellungen auszugehen, welche den weiteren Ausführungen zu Grunde gelegt werden.

 

Der AsylGH schließt sich diesen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenem Bescheid vorbehaltlich der bereits ausgeführten für den BF günstigeren Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung und daraus ableitbaren Schlüsse in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an und erhebt sie zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses (vgl. für viele exemplarisch VwGH 25.3.1999, 98/20/0559; 8.6.2000, 99/20/0366; 30.11.2000, 2000/20/0356; 22.2.2001, 2000/20/0557; 21.6.2001, 99/20/046; 01.3.2007, 2006/20/0005; 21.3.2007, 2007/19/0085-3 [Ablehnung der Behandlung der Beschwerde]; 31.5.2007 2007/20/0488-6 [Ablehnung der Behandlung der Beschwerde]).

 

Dem Bundesasylamt ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass der BF im Falle einer Rückkehr in die Türkei dort einer landesweiten Gefahr im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. § 8 AsylG (nunmehr) iVm § 50 FPG, BGBl I 2005/100 (aufgrund der §§ 126 iVm 124 (2) leg. cit) ausgesetzt wäre.

 

Ein systematisches, flächendeckendes Vorgehen gegen Kurden, welches dieser Personengruppe einen Verbleib in der Türkei unerträglich machen würde, ist nicht feststellbar. Regional begrenzte dort die gesamte ansässige Bevölkerung treffende erschwerte Lebensumstände können nicht per se als Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK gesehen werden. Soweit der türkische Staat repressiv gegen die PKK vorgeht, ist auch darauf hinzuweisen, dass diese nach wie vor von der EU und somit auch von Österreich als terroristische Organisation angesehen wird (vgl. gemeinsamer Standpunktes des Rates vom 17. Juni 2002 betreffend der Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunktes 2001/931/GASP über die Anwendung besondere Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zur Aufhebung des Gemeinsamen Stanpunktes 2002/340/GASP, 2002/462/GASP:

Anhang, Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften nach Art. 1, Punkt 2.13) sodass einem derartigen Vorgehen ebenfalls nicht per se ein GFK-relevantes Motiv unterstellt werden kann.

 

Der Umstand, dass der Herkunftsstaat des BF gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete welche Österreich bietet ist jedenfalls irrelevant (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964, oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99) . Sonstige außerordentliche, ausnahmsweise vorliegende Umstände, welche im Rahmen einer Außerlandeschaffung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (EGMR 02.05.1997 -146/1996/767/964) führen, kamen ebenfalls nicht hervor. Jedenfalls ist aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat (vgl. VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984; ebenso: kein Hinweis auf die Existenz einer allgemein existenzbedrohenden Notlage im Sinne einer allgemeinen Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige Elementarereignisse) in Verbindung mit den individuellen Situation des BFs (relativ junger, gesunder, mobiler Mann, der bisher sein Leben im Herkunftsstaat meistern konnte [vgl. Erk. d. VwGHs vom 22.8.2007, Zahlen 2005/01/0015-6, 2005/01/0017-8]) kein Hinweis hierauf ableitbar, welche zur gegenteiligen Feststellung führen könnte. Ein Zustand landesweiter willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen in Bezug auf das Territorium der Türkei ist nicht feststellbar. Hinweise auf einen Sacherhalt Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe scheiden schon aufgrund der Ausgestaltung des türkischen Strafrechts aus.

 

Sollte der BF aufgrund der Verhältnisse in seiner Herkunftsregion dorthin nicht zurückkehren wollen, ist festzustellen, dass es dem BF frei steht, sich in einem anderen Teil der Türkei niederzulassen, etwa in einer Großstadt wie Istanbul.

 

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte innerstaatliche Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.03.1999, Zl. 98/01/0352). Nach der Rechtsprechung des VwGHs muss sich die Verfolgungsgefahr auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Nach einer in der ältren Rechtssprechung verwendeten Formulierung darf in keinem Teil des Herkunftsstaates Verfolgungssicherheit bestehen (VwGH 10.3.1993, Zl. 03/01/002). Nach der jüngeren Rechtsprechung ist mit dieser Formulierung jedoch nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, die Formulierung sei dahingehend zu verstehen, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen -mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeiten innerhalb des Herkunftsstaates- im gesamten Herkunftsstaat auswirken müsse (VwGH 9.11.2004, Zl 2003/01/0534; VwGH 24.11.2005, 2003/20/0109).

 

Um vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, müssen die Asylbehörden über Ermittlungsergebnisse verfügen, die die Sicherheit der Asylwerber dartun (vgl. etwa VwGH 8.9.1999, Zl. 99/01/0126; VwGH 16.2.2000, Zl 99/01/0149). Es muss konkret ausgeführt werden, wo der Beschwerdeführer tatsächlich Schutz vor der von ihm geltend gemachten Bedrohung finden könnte. Entsprechend dem "Ausschlusscharakter" der innerstaatlichen Fluchtalternative nimmt der Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich eine Beweislast der Asylbehörde an: Es müsse Sache der Behörde sein, die Existenz einer innerstaatlichen Fluchtalternative aufzuzeigen und nicht umgekehrt Sache des Asylwerbers, die Möglichkeit einer theoretisch möglichen derartigen Alternative zu widerlegen (vgl. VwGH 9.9.2003, Zl.2002/01/0497).

 

Aufgrund des sich Versteckthaltens kann noch nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative gesprochen werden (etwa VwGH 18.4.1996, Zl.95/20/0295; VwGH 20.3.1997, Zl 95/20/0606; in diesem Sinne ebenfalls VwGH 29.10.1998, Zl. 96/20/0069). Ebenso darf der Betroffene im sicheren Landesteil nicht in eine aussichtslos Lage gelangen und jeglicher Existenzgrundlage beraubt werden. Solcherart wird dem Kriterium der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative Beachtung geschenkt (VwGH 8.9.1999, Zl. 98/01/0614, VwGH 6.10.1999, Zl. 98/01/0535, VwGH 8.6.2000, 99/20/0597, VwGH 19.10.200, 98/20/0430; VwGH 19.10.2006, Zl. 2006/0297-6; VwGH 24.1.2008, Zl. 2006/19/0985-10). Maßgebliche Faktoren zur persönlichen Zumutbarkeit können das Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale und andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten, sowie gegebenenfalls bereits erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen sein. Es wird jedoch die Ansicht vertreten, dass schlechte soziale und wirtschaftliche Bedingungen in dem betreffenden Landesteil die innerstaatliche Fluchtalternative nicht grundsätzliche ausschließen (siehe VwGH 8.9.1999, 98/01/0620; VwGH 26.6.1996, 95/20/0427) Ein bloßes Absinken des Lebensstandards durch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative, welches jedoch noch über dem Niveau der aussichtslosen Lage ist daher bei Bestehen einer Existenzgrundlage hinzunehmen.

 

Zu den bereits getroffenen Ausführungen kommt noch hinzu, dass das verfolgungssichere Gebiet eine gewisse Beständigkeit in dem Sinne aufweisen muss, dass der Betroffene nicht damit rechnen muss, jederzeit auch in diesem Gebiet wieder die Verfolgung, vor der er flüchtete, erwarten zu müssen (VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401, in diesem Sinne auch VwGH 19.2.2004, Zl. 2002/20/0075; VwGH 24.6.2004, Zl. 2001/20/0420).

 

Ebenso muss das sichere Gebiet für den Betroffenen erreichbar sein, ohne jenes Gebiet betreten zu müssen, in welchem er Verfolgung befürchtet bzw. muss im Rahmen der Refoulementprüfung feststehen, dass eine Abschiebung in dieses sichere Gebiet möglich ist (VwGH 26.6.1997, Zl.95/21/0294; in diesem Sinne auch VwGH 11.6.1997, Zl. 95/21/0908, 6.11.1998, Zl. 95/21/1121; VwGH 10.6.1999, 95/21/0945, ähnlich VwGH 17.2.2000, 9718/0562).

 

Zum Wesen und den Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative vgl. weiter: Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1979), Rz 91; Art. 8 der Richtlinie 2004/83 EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Person, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des gewährten Schutzes ("Statusrichtline); Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, S. 357 ff.

 

Speziell zur Türkei führte der VwGH aus, dass für Kurden aus dem Osten der Türkei z. B. in Istanbul eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen kann (vgl. z. B. VwGH 5.6.1996, Z. 95/20/0394, 24.10.1996, 95/20/0560, 19.6.1997, 95/20/0782, siehe aber auch VwGH 21.11.1996, 95/20/0577).

 

Aus den oa. Ausführungen ergibt sich im gegenständlichen Fall Folgendes: Aufgrund der Feststellungen zur Person des BFs und der regional bzw. räumlichen Begrenztheit der von ihm vorgebrachten erschwerten Lebensumstände ist es dem BF möglich und zumutbar, sich durch die Wahl des Wohnsitzes außerhalb seines bisherigen Lebensbereiches diesen erschwerten Lebensumständen auszuweichen. Gerade aufgrund der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung in der Westtürkei ist davon auszugehen, dass der BF dort wirtschaftlich Fuß fassen und seine dringendsten Lebensbedürfnisse befriedigen kann. Keinesfalls ist davon auszugehen, dass der BF dort in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Im gegenständlichen Fall ist auch darauf hinzuweisen, dass der BF durch seine Reise nach Österreich und den hier langjährigen Aufenthalt bewies, dass er in der Lage ist, sein Leben auch außerhalb seines bisherigen Lebensbereiches zu meistern.

 

Aus dem Vorbringen des BF kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatschen kein Hinweis abgeleitet werden, dass dieser vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) in dessen Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr ausgesetzt wäre.

 

Soweit der Beschwerdeführer in der Beschwerde die (nochmalige) persönliche Einvernahme beantragt, wird festgestellt, dass in der Beschwerde nicht angeführt wird, was bei einer solchen persönlichen Einvernahmen konkret an entscheidungsrelevantem und zu berücksichtigendem Sachverhalt noch hervorkommen hätte können. So argumentiert auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass schon in der Beschwerde darzulegen ist, was seine ergänzende Einvernahme an diesen Widersprüchen hätte ändern können bzw. welche wesentlichen Umstände (Relevanzdarstellung) dadurch hervorgekommen wären. (zB. VwGH 4.7.1994, 94/19/0337). Wird dies unterlassen, so besteht keine Verpflichtung zur neuerlichen Einvernahme, da damit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung, der sich der Asylgerichtshof anschließt, nicht substantiiert entgegen getreten wird.

 

Gemäß § 41 Abs 7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67 d AVG. Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG, dass die dort als Rechtsfolge vorgesehene sinngemäße Anwendung des AVG 1991 unter dem Vorbehalt anderer Regelungsinhalte des B-VG, des AsylG 2005 und des VwGG steht. Derartige ausdrückliche andere Regelungen für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof sind, in den in der Erläuterung laut AB 371 XXIII.GP genannten §§ 20, 22 und 41 AsylG 2005 enthalten, wohl aber auch in den §§ 42, 61 und 62 AsylG 2005. Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG somit die Anwendung von Verfahrensbestimmungen für den Asylgerichtshof in allen anhängigen Verfahren einschließlich der gemäß den Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führenden Verfahren, ohne dass es dafür einer Nennung dieser Bestimmungen (auch) im § 75 Abs. 1 AsylG 2005 bedürfte. § 41 Abs. 7 ist daher im gegenständlichen Verfahren anwendbar.

 

Im gegenständlichen Fall konnte der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt erachtet werden, da dieser nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde, nach schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt und dieser in der Beschwerde auch nicht substantiiert entgegen getreten wurde, bzw. hier im Rahmen eines Größenschlusses der für den BF günstigeren Beweiswürdigung gefolgt wurde. Weder war der den BF individuelle betreffende Sachverhalt weiter ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden nicht vorgetragen. Eine Verhandlung konnte unterbleiben.

 

Der BF wurde vom Bundesasylamt nicht ausgewiesen, was auf den Umstand zurückzuführen ist, dass der erstinstanzliche Bescheid zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, als das Bundesasylamt zur Verfügung der Ausweisung nicht zuständig war.

 

Soweit sich im Verfahren Hinweise auf in Österreich bestehende Anknüpfungspunkte gem. Art. 8 EMRK ergeben, wird darauf hingewiesen, dass im gegenständlichen Fall der AsylGH als Beschwerdeinstanz zur Verfügung der Ausweisung sachlich nicht zuständig ist. Auch eine verfassungskonforme Interpretation des § 44 (3) AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004kann zu keinem anderen Ergebnis führen.

 

Im Gegensatz zu Art. 3 EMRK ist deren Artikel 8 nicht vom Prüfungsumfang des § 8 AsylG 1997 in der hier anzuwendenden Fassung umfasst. Erwägungen zu Art. 8 EMRK sind sohin nicht Gegenstand einer Prüfung von Art. 8 AsylG 1997 in der hier anzuwendenden Fassung; sedes materiae ist erst die Setzung konkreter Maßnahmen zu Außerlandesschaffung (vgl. Erk. des VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0225-6).

 

Ebenso können weitere humanitäre Aspekte, etwa im Sinne des 7. Hauptstückes des NAG, BGBl I 2005/100 im gegenständlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Hier wird der BF an die zuständigen, im NAG genannten Behörden zu verweisen sein.

 

Aufgrund der getroffenen Ausführungen war die Beschwerde in allen Punkten als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, innerstaatliche Fluchtalternative, non refoulement, Volksgruppenzugehörigkeit, Zumutbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
29.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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