TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/20 95/20/0606

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Veröffentlicht am 20.03.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §14 Abs2;
AVG §15;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. März 1995, Zl. 4.308.060/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des gegenständlichen Falles wird auf das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1994, Zl. 94/20/0106, verwiesen. Mit dem damals angefochtenen Bescheid der belangten Behörde war die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien abgewiesen und der Beschwerdeführerin, die angegeben hatte, wegen ihrer Unterstützung der PKK mehrfach mißhandelt worden zu sein, entgegengehalten worden, ihr seien keine ernsthaften Nachteile widerfahren und die Verfolgung der PKK als einer kriminellen Vereinigung sowie ihrer Sympathisanten sei bloß eine Maßnahme der Verbrechensbekämpfung wegen krimineller Handlungen. In dem zitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß ohne ausreichende Ermittlungen und nachvollziehbare Feststellungen über die tatsächlichen Aktivitäten der PKK sowie über die näheren Umstände der geschilderten Mißhandlungen die von der Behörde gezogenen Schlußfolgerungen, wonach insbesondere die vorgebrachten Sanktionen der türkischen Behörden gegen die Beschwerdeführerin wegen deren Betätigung (Unterstützung) für die kurdische Arbeiterpartei PKK bloß als Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung wegen krimineller Handlungen zu qualifizieren seien, nicht nachvollziehbar seien.

Im fortgesetzten Verfahren wurde die Beschwerdeführerin über Auftrag der belangten Behörde am 14. Februar 1995 vom Bundesasylamt einvernommen. Dabei konkretisierte sie zunächst über Aufforderung die ihr widerfahrenen Mißhandlungen.

Auf die Frage, ob sie während ihres Aufenthaltes in Istanbul vor ihrer Flucht im November 1990 irgendwelchen Beeinträchtigungen ausgesetzt gewesen sei, gab die Beschwerdeführerin an, nur einen Tag und eine Nacht (diese am Bahnhof) in Istanbul verbracht zu haben, wovon die türkischen Behörden keine Kenntnis erlangt hätten; aufgrund des kurzen Aufenthaltes sei sie in Istanbul nicht beeinträchtigt worden.

Die Beschwerdeführerin gab weiters an, sie würde bei einer Rückkehr, egal in welches Gebiet in der Türkei, all die Verfolgungen, Unterdrückungen und Folterungen, die sie geschildert habe, wieder durchmachen müssen; sie würde sofort festgenommen und in ein Gefängnis gebracht werden, wo man sie zu Tode foltern würde; sie ersuche "die Herren, die diese Entscheidungen treffen, sich selbst ein Bild von den Umständen in der Türkei zu machen"; die Kurden würden auch außerhalb der Gebiete des Ausnahmezustandes beeinträchtigt und verfolgt; der Vorhalt, daß sich "für die erkennende Behörde keinerlei Gründe ergeben haben, die die Annahme nahelegen würden", es bezögen sich die von der Beschwerdeführerin gemachten Umstände auf das gesamte Gebiet ihres Heimatstaates, weshalb sie in einem Gebiet außerhalb des Ausnahmezustandes bzw. während ihres Aufenthaltes in Istanbul "Schutz vor etwaigen Beeinträchtigungen" gefunden hätte, könne nicht stimmen; würde diese Meinung stimmen, hätte sie nicht die Strapazen auf sich genommen und würde auch nicht von ihrer Familie getrennt leben; nirgends in der Türkei hätten Kurden das "Recht auf ein Leben"; bevor sie in die Türkei zurückginge, verübe sie Selbstmord; sie hätte geschildert, welche Erfahrungen sie in der Türkei mit den türkischen Behörden gemacht habe, welchen Verfolgungen und Folterungen sie ausgesetzt gewesen sei; dasselbe würde ihr überall in der Türkei passieren; verstärkt würden die Folgen für sie jetzt, da sie ohne Reisepaß und illegal die Türkei verlassen habe und sofort bei ihrer Einreise verhaftet werden würde.

Auch den Vorhalt, "daß es die Berufungsbehörde als notorische Tatsache ansieht, daß in der Türkei eine Person aufgrund ihrer ethnischen Herkunft allein keiner Verfolgung ausgesetzt ist", bestritt die Beschwerdeführerin bei dieser Einvernahme.

Schließlich wurde der Beschwerdeführerin noch vorgehalten, daß zum Zeitpunkt ihres Aufenthaltes im "ehemaligen Jugoslawien" dieses ein Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention gewesen sei und es die Berufungsbehörde für erwiesen halte, daß die Beschwerdeführerin im "damaligen Jugoslawien" um Asyl hätte ansuchen können und sie dort Verfolgungssicherheit erlangt hätte. Dazu gab die Beschwerdeführerin an, es sei ihr nicht bekannt, durch welche Länder ihr Fluchtweg geführt habe; sie könne nicht angeben, in Jugoslawien gewesen zu sein; sie habe das auch nie angegeben. Auf Vorhalt, daß sie bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 21. Jänner 1991 angegeben habe, von Jugoslawien nach Österreich eingereist zu sein, gab die Beschwerdeführerin an, diese Aussage nicht gemacht zu haben, da sie schon aufgrund ihrer Schulbildung über keine geographischen Kenntnisse verfüge und über eine Existenz von Jugoslawien keine Ahnung habe; da sie selbst nicht gesagt habe, in Jugoslawien gewesen zu sein, könne sie nur annehmen, daß die Beamten in Traiskirchen angenommen hätten, daß sie durch Jugoslawien gereist sein müsse; außerdem habe sie nicht gewußt, daß man auch in einem anderen Land außer Österreich um Asyl ansuchen könne; sie habe nach Österreich gewollt, weil sie gewußt habe, daß Österreich ein demokratisches Land sei und daß es dort Menschenrechte gebe; für sie sei klar gewesen, daß es vor Österreich kein solches Land gebe; deshalb habe sie auch nicht versucht, in einem anderen Land um Asyl anzusuchen.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid "der Sicherheitsdirektion" gemäß § 66 Abs. 4 AVG (neuerlich) ab und sprach aus, Österreich gewähre ihr kein Asyl. Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin sei "gründlich geprüft" worden, habe aber verneint werden müssen. Für die erkennende Behörde hätten sich nämlich keinerlei Gründe "ergeben", die "die Annahme nahelegen würden", daß sich die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten "Umstände", welche sich "ja AUSSCHLIEßLICH (Hervorhebung im Original) aus der Topographie ihres Heimatortes (bürgerkriegsähnliche Zustände in einem Teil des Staatsgebietes)" ergäben, auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates bezögen, die Beschwerdeführerin also nicht "Schutz vor etwaigen Fährnissen" in einem "anderen befriedeten Teil der Türkei" hätte finden können bzw. nicht bereits während ihres Aufenthaltes in Istanbul gefunden habe. "Dies deshalb, als" die Beschwerdeführerin keinerlei sie betreffende Verfolgungshandlung in Istanbul zu relevieren vermochte und lediglich pauschal die "Verfolgung" (im Original unter Anführungszeichen) von Angehörigen der kurdischen Volksgruppe im gesamten Staatsgebiet der Türkei behauptet habe. Daraus könne jedoch eine individuell, konkret gegen die Person der Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 keinesfalls mit ausreichender Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden. Der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach sie sich ohne Wissen der türkischen Behörden nur kurzfristig in Istanbul aufgehalten habe, gehe insofern ins Leere, als für die belangte Behörde "auch kein schlüssiges Motiv" für den "angeblichen "Verfolgerstaat"" feststellbar sei, weshalb er "GERADE SIE (Hervorhebung im Original) in einer Stadt wie Istanbul, mit über drei Millionen Einwohnern kurdischer Ethnie, nachhaltig zu belangen trachten sollte". Die Beschwerdeführerin sei daher nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991.

Überdies habe "das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere Ihre niederschriftliche Ersteinvernahme" ergeben, daß die Beschwerdeführerin bereits in einem anderen Staat, nämlich dem ehemaligen Jugoslawien, vor Verfolgung sicher gewesen sei. Der niederschriftlichen Einvernahme der Beschwerdeführerin vom 21. Jänner 1991 sei zu entnehmen, daß sie über das damalige Jugoslawien nach Österreich eingereist sei. Sie habe "jedenfalls während Ihres Aufenthaltes im damaligen Jugoslawien" bei "den dortigen Behörden um Asyl ansuchen" können und sei dort auch keinerlei Verfolgung ausgesetzt gewesen. Es habe auch nicht die Gefahr bestanden, daß sie ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in ihr Heimatland abgeschoben werde. Da das ehemalige Jugoslawien zum Zeitpunkt des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention gewesen sei und "auch nichts dafür" spreche, daß es seine aus dieser Mitgliedschaft sich ergebenden Pflichten etwa vernachlässigt hätte, habe die Beschwerdeführerin "daselbst" Verfolgungssicherheit erlangt. Es sei "durchaus legitim", "davon auszugehen, daß in einem Staat, dessen Rechts- und Verfassungsordnung im großen und ganzen effektiv ist, wie das für das damalige Jugoslawien ja galt, auch größere Teilbereiche dieses Rechtsbestandes, wie eben das Nonrefoulementrecht ebenfalls effektiv in Geltung stehen". Daß hiebei eine generalisierende Betrachtung ausreiche, ergebe sich schon aus "systematischer Zusammenschau" mit § 2 Abs. 3 AsylG "1992" "(argum: "Staat, der die Bestimmungen der Flüchtlingskonvention betrachtet...")". Daß die Beschwerdeführerin entgegen der "dargelegten Vermutung" keinen Rückschiebeschutz genossen haben sollte, habe sie nicht "darzutun" vermocht.

Der Bestreitung, einen Aufenthalt in Jugoslawien bei der niederschriftlichen Einvernahme am 21. Jänner 1991 angegeben zu haben, sei entgegenzuhalten, daß diese Einvernahme im Beisein eines türkischen Dolmetsch erfolgt sei, die Niederschrift der Beschwerdeführerin vorgelesen worden sei und sie deren Vollständigkeit und Richtigkeit mit ihrer Unterschrift bestätigt habe. Wären ihre Angaben tatsächlich unrichtig protokolliert worden, hätte sie ihre bestätigende Unterschrift verweigern können und sollen, nun aber müsse sie die Vermutung des § 15 AVG gegen sich gelten lassen.

Da die Beschwerdeführerin trotz Vorhaltes nicht konkret darzutun vermocht habe, daß das damalige Jugoslawien "seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber zuwider gehandelt hätte", könne dies nicht zu einer anders lautenden Feststellung führen, als daß die Beschwerdeführerin bereits dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe, weshalb ihr auch gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 Asyl nicht gewährt werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß §§ 58 Abs. 2 und 60 iVm 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, E 8 zu § 67 AVG und E 1 bis 9 zu § 60 AVG wiedergegebene Rechtsprechung). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zum einen die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin verneint, zum anderen ging sie von deren Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 aus.

Anders als im aufgehobenen (Vor-)Bescheid verneinte die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin ausschließlich deshalb, weil sie annahm, daß für die Beschwerdeführerin in der Türkei "eine inländische Fluchtalternative" - insbesondere in Istanbul aufgrund ihres do. Aufenthaltes - bestand. Der darauf Bezug nehmenden Feststellung der belangten Behörde, die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Umstände hätten sich ausschließlich "aus der Topographie" ihres Heimatortes ergeben, hält die Beschwerde als Aktenwidrigkeit entgegen, die Beschwerdeführerin habe nicht geltend gemacht, daß sie wegen der Art und Weise der "landschaftlichen Gestaltung" der Türkei begründete Furcht vor Verfolgung gehabt habe. Sie habe vielmehr angegeben, daß sie von den staatlichen Behörden der Türkei mißhandelt, verletzt, der Freiheit beraubt und gedemütigt worden sei. Dem ist zu erwidern, daß die zitierten Ausführungen der belangten Behörde über die "Topographie" nicht ohne weiteres verständlich sind, daß jedoch mit dem beigestellten Klammerausdruck "(bürgerkriegsähnliche Zustände in einem Teil des Staatsgebietes)" hinreichend deutlich gemacht wird, worauf sich die belangte Behörde beziehen wollte. Dem Akteninhalt läßt sich aber nicht entnehmen, bei den gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Verfolgungshandlungen handle es sich um eine mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen, zumal die belangte Behörde bereits in ihrem aufgehobenen Bescheid vom 25. Februar 1993 die Ursache der individuellen Verfolgung der Beschwerdeführerin in ihrer Unterstützung der PKK erblickte (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0098).

Auch soweit die belangte Behörde im Sinne einer sogenannten "inländischen Fluchtalternative" davon ausgeht, die Beschwerdeführerin habe "Schutz vor etwaigen Fährnissen in einem anderen befriedeten Teil der Türkei" bzw. "sogar schon während Ihres Aufenthaltes in Istanbul" gefunden, tritt ihr die Beschwerde mit Recht entgegen. Richtig weist sie darauf hin, daß nicht angeführt werde, welcher "andere befriedete Teil" der Türkei das sei und aufgrund welcher Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens die belangte Behörde zu diesem Ergebnis komme. Auch ist nicht zu übersehen, daß die Beschwerdeführerin nach ihren Angaben in Istanbul lediglich übernachtet habe und im Zuge ihrer ergänzenden Einvernahme vor dem Bundesasylamt die Richtigkeit des diesbezüglichen Vorhaltes der belangten Behörde ausdrücklich und argumentativ unterlegt bestritten hat. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 12. Juli 1989, Zlen. 89/01/0143, 0144, vom 27. Juni 1995,

Zlen. 94/20/0859, 0860, vom 18. April 1996, Zl. 95/20/0295, vom 24. Oktober 1996, Zl. 95/20/0535, vom 21. November 1996, Zl. 95/20/0566 und Zl. 95/20/0576, sowie vom 23. Jänner 1997, Zlen. 95/20/0303, 0304), daß im Hinblick auf die Kürze des Aufenthalts eines Asylwerbers in Istanbul (hier: ein Tag und eine Nacht) sowie die ausdrückliche Bestreitung der vorgehaltenen Annahme dort erlangter Verfolgungssicherheit eine von der belangten Behörde dennoch getroffene Feststellung im vorerwähnten Sinn jedenfalls das Vorliegen entsprechender Ermittlungsergebnisse voraussetze. Die Begründung der belangten Behörde beschränkt sich darauf, daß sich für sie "keinerlei Gründe ergeben haben, die die Annahme nahelegen würden", die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Umstände bezögen sich auf das gesamte Gebiet ihres Heimatstaates. Diese Begründung ist mangels eines konkreten argumentativen Substrates nicht nachvollziehbar, zumal die Beschwerdeführerin angab, sie sei wegen ihrer, den Behörden bekannt gewordenen aktiven Unterstützung der PKK von diesen schwer mißhandelt worden. Da die belangte Behörde diesen Angaben im Bescheid nicht entgegentritt, hätte es konkreter Feststellungen aufgrund nachvollziehbarer Ermittlungen bedurft, ob und in welchem Teil ihres Heimatlandes die Beschwerdeführerin mit ausreichender Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungshandlungen (mehr) in asylerheblicher Intensität zu befürchten haben werde.

Nicht erfolgversprechend ist es, wenn die belangte Behörde auf der Grundlage ihr "schlüssig" erscheinender Motive, eine Person zu verfolgen, Annahmen über die Verfolgungspraxis in sogenannten "angeblichen Verfolgerstaaten" trifft; diese Argumentation gleicht der vom Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach (vgl. das Erkenntnis vom 17. Juni 1992, Zlen. 91/01/0207, 0208 für viele danach folgende) verworfenen Auffassung der belangten Behörde, daß eine Verfolgung erfahrungsgemäß einem "rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül" gehorche.

Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin aber auch deswegen die Asylgewährung verweigert, weil sie von deren Verfolgungssicherheit im Gebiet "des damaligen Jugoslawien" ausging. Dem tritt die Beschwerde vorwiegend mit Argumenten entgegen, die vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung nicht geteilt werden; insbesondere ist darauf hinzuweisen, daß der in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage für das AsylG 1991 genannte Zweck des im § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 normierten Ausschließungsgrundes, unerwünschtes Zweitasyl und nomadisierende Flüchtlingsströme, die von einem Land zum anderen reisen und dort jeweils Asyl beantragen, hintangehalten werden sollen, keinen Eingang in das Gesetz gefunden hat (vgl. insbesondere die hg. Erkenntnisse vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, vom 23. März 1994, Zl. 94/01/0163, vom 30. Juni 1994, Zl. 94/01/0256, vom 21. September 1994, Zl. 94/01/0344, und vom 20. Dezember 1995, Zl. 94/01/0730).

Der bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Februar 1995 erfolgten Bestreitung durch die Beschwerdeführerin, sie habe im Zuge ihrer Ersteinvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 21. Jänner 1991 keinesfalls angegeben, durch Jugoslawien gereist zu sein, sie wisse gar nichts von der Existenz eines Staates Jugoslawien, kann grundsätzlich nicht allein durch einen Verweis auf die Vermutung des § 15 AVG begegnet werden, wenn wie im vorliegenden Fall die vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien aufgenommene Niederschrift die Voraussetzungen des § 14 AVG nicht erfüllt (es fehlen bei dieser der Name des bei der Vernehmung anwesenden Sohnes der Beschwerdeführerin, der Name des Leiters der Amtshandlung und der Name des Dolmetsch). Solche Niederschriften verlieren zwar nicht jeglichen Beweischarakter, sie unterliegen jedoch gemäß § 45 Abs. 2 AVG der freien Beweiswürdigung. Es obliegt dann nicht der Partei, den Gegenbeweis für die Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges zu führen, vielmehr hat in solchen Fällen die Behörde durch geeignete Ermittlungen von Amts wegen den vollen Beweis über den Inhalt der Amtshandlung zu erbringen (vgl. die bei Hauer-Leukauf, aaO., 184, zitierte hg. Rechtsprechung). Die belangte Behörde hat jedoch - insoweit mit dem Akteninhalt übereinstimmend - darauf hingewiesen, daß die vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien aufgenommene Niederschrift der Beschwerdeführerin vorgelesen wurde und sie deren Richtigkeit mit ihrer Unterschrift bestätigt habe, womit die belangte Behörde offenbar der späteren Bestreitung die Glaubwürdigkeit versagte. Die Beschwerdeführerin ist dieser Beweiswürdigung nicht entgegengetreten; auch der Verwaltungsgerichtshof hegt dagegen im Rahmen seiner eingeschränkten nachprüfenden Kontrolle keine Bedenken, sodaß sachverhaltsmäßig davon auszugehen ist, daß die Beschwerdeführerin im Zuge ihrer Fluchtbewegung auch im Gebiet des "damaligen Jugoslawien" aufhältig war.

Die Beschwerde macht aber auch geltend, bei der Heranziehung des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 sei auf den dem Flüchtling im Drittstaat tatsächlich gewährten Schutz abzustellen; dieser sei der Beschwerdeführerin nicht gewährt worden. Damit macht die Beschwerdeführerin im Ergebnis zu Recht geltend, daß es darauf ankommt, ob ein Flüchtling im Sinne der Konvention im Falle der Inanspruchnahme der Rechtsschutzeinrichtungen des Durchreisestaates wirksamen Schutz vor Rückschiebung in den Verfolgerstaat hätte finden können. Die belangte Behörde führt dazu in ihrer Bescheidbegründung aus, "das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere Ihre niederschriftliche Ersteinvernahme" habe ergeben, daß die Beschwerdeführerin bereits in einem anderen Staat VOR VERFOLGUNG SICHER WAR. Tatsächlich läßt sich dieses "Ergebnis" aus der Einvernahme der Beschwerdeführerin nicht ableiten; es ergibt sich aus dem "durchgeführten Ermittlungsverfahren, insbesondere der niederschriftlichen Einvernahme der Beschwerdeführerin" nicht, daß die Behörden "im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien" im fraglichen Zeitraum Asylansuchen entgegennahmen und daß es der Praxis dieser Behörden entsprach, Asylwerber nicht ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in ihre Heimat zurückzuschicken. Die belangte Behörde hat zwar der Beschwerdeführerin ihre Annahme über das Vorliegen dieser Umstände anläßlich ihrer ergänzenden Einvernahme im Berufungsverfahren vorgehalten, dazu jedoch keinerlei Ermittlungsverfahren durchgeführt. Demgemäß konnte sie der Beschwerdeführerin diesbezüglich keinerlei Beweisergebnisse vorhalten. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits ausgesprochen (für den Bereich des Asylverfahrens insbesondere in dem Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, in Fortführung der aus dem Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413, entwickelten Judikatur), daß die Mitwirkungspflicht einer Partei nicht soweit gehe, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß §§ 11 und 16 AsylG 1991 iVm 39, 40 und 60 AVG) verpflichtet ist. Die das Verwaltungsverfahren führenden Behörden haben vielmehr von sich aus zum Vorliegen des Asylausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 Ermittlungen anzustellen, die im besonderen auch die Frage des Rückschiebungsschutzes zu umfassen haben, zumal sich "Jugoslawien" im Durchreisezeitraum 1990 bereits in einer politischen Umwälzung befand. Die Frage, welche Vorgangsweise in bestimmten Drittstaaten in bezug auf den Schutz von Flüchtlingen vor einer Abschiebung in ihren Heimatstaat beobachtet wird, zählt dabei nicht zu jenen, bei deren Klärung der Mitwirkungspflicht des Asylwerbers Bedeutung zukäme. Im angefochtenen Bescheid begründet die belangte Behörde ihre Annahme über die die Anwendbarkeit des Asylausschlußgrundes bedingenden Tatsachen nur mit der nicht schlüssigen Folgerung, aus dem Beitritt des ehemaligen Jugoslawien zur Genfer Flüchtlingskonvention sei auf die effektive Geltung des Refoulementverbotes zu schließen, sowie mit einer unzulässigen Verschiebung der Beweislast zum Nachteil der Beschwerdeführerin, wonach diese darzutun gehabt hätte, daß sie im ehemaligen Jugoslawien keinen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Rückschiebungsschutz in den Verfolgerstaat hätte erlangen können. Durch diesen Begründungsmangel entzieht sie den angefochtenen Bescheid der gebotenen nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.

Da die belangte Behörde ihren Bescheid daher mit Ermittlungs- und Begründungsmängeln behaftete, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200606.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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