TE Vwgh Erkenntnis 1999/9/8 99/01/0126

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Veröffentlicht am 08.09.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 99/01/0171 E 4. Februar 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des GD in L, geboren am 8. Mai 1979, vertreten durch Dr. Johannes Buchmayr, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Altstadt 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. November 1998, Zl. 205.666/0-XI/35/98, betreffend 1. Asylgewährung und

2. Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 6. September 1998 nach Österreich ein. Er ist jugoslawischer Staatsbürger, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.

Am 8. September 1998 beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl. Er begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass sein Heimatort (Istinici im Bezirk Decani) im Juni 1998 mit schwerer Artillerie beschossen worden sei; am 1. September 1998 sei sein Elternhaus beschossen worden, sodass er über Rat seines Vaters geflohen wäre.

Mit Bescheid vom 25. September 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, ab (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Hierauf wurde ihm vom unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) mit Schreiben vom 27. Oktober 1998 mitgeteilt, dass er - u.a. - von folgenden Tatsachen auszugehen beabsichtige: Es sei amtsbekannt, dass es im Kosovo in den vergangenen Jahren zu vermehrten (auch gewaltsamen) Übergriffen auf Angehörige der albanisch-stämmigen Bevölkerung durch serbische Behörden gekommen sei; es lägen vielfach Berichte über Verhöre, Hausdurchsuchungen und Festnahmen vor; ferner sei die albanisch-stämmige Bevölkerungsgruppe in sozialer Hinsicht vielfach benachteiligt, seit 1990 hätten über 14.000 Kosovo-Albaner ihren Arbeitsplatz verloren; auch das parallele albanische Erziehungswesen sei schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.

Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich ferner, dass sich Übergriffe auf albanisch-stämmige Staatsangehörige im Wesentlichen auf den Kosovo beschränkten. So seien insbesondere aus Zentralserbien (hier wiederum primär aus Belgrad) keine Diskriminierungen oder Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen von Minderheiten bekannt. Auch in Montenegro, wo ca. 7 % der Bevölkerung der albanischen Minderheit angehörten, hätten bislang keine Übergriffe auf Albaner stattgefunden. Vielmehr hielten sich dort derzeit zwischen 41.800 und 46.425 vielfach albanisch-stämmige Kosovo-Flüchtlinge unbehelligt auf. Dank der großzügigen Hilfsbereitschaft der örtlichen Bevölkerung in Grenzorten hätten die meisten Flüchtlinge privat bei Verwandten oder Freunden untergebracht werden können. Im Hinblick auf das Memorandum der Regierung der Republik Montenegro vom 11. September 1998 erscheine jedoch eine Überschreitung der Binnengrenze zwischen dem Kosovo und der Republik Montenegro derzeit schwierig bzw. nicht möglich. Anhaltspunkte dafür, dass Montenegro von außerhalb des Staatsgebietes nicht "zugängig" wäre, lägen hingegen nicht vor. In der Bundesrepublik Jugoslawien hielten sich außerhalb des Kosovo und Mazedonien rund

20.000 Kosovo-Flüchtlinge auf.

...

Der Beschwerdeführer werde daher - so die belangte Behörde in ihrer Mitteilung vom 27. Oktober 1998 weiter - gemäß § 45 Abs. 3 AVG eingeladen, hiezu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen; sofern er der Ansicht sei, dass die genannten Ausführungen den tatsächlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik Jugoslawien nicht entsprechen, mögen die Gründe hiefür dargelegt und durch geeignete Unterlagen belegt werden.

Der Beschwerdeführer gab mit 6. November 1998 zu diesem Vorhalt eine Stellungnahme ab. Hierin führte er u.a. aus, dass - einem angeschlossenen "UNHCR-Positionspapier über die Behandlung von Asylsuchenden aus dem Kosovo in Asylländern: Maßgebliche Überlegungen" vom 25. August 1998 zufolge - die montenegrinischen Behörden keinerlei Reserven für die Aufnahme weiterer Vertriebener hätten. Soweit die Behörde auf 20.000 Kosovo-Flüchtlinge in der Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb des Kosovo und Mazedoniens Bezug nehme, handle es sich in erster Linie um Frauen, Kinder und ältere Personen, nicht aber um wehrfähige junge Männer, die wegen der ihnen unterstellten Nähe zur UCK einer besonderen Gefährdung ausgesetzt seien.

Mit Bescheid vom 10. November 1998 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte wie die erstinstanzliche Behörde gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien zulässig sei. Begründend gab sie zunächst - als "teilweise objektivierbaren Sachverhalt" - die eingangs dargestellten Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt und sein Berufungsvorbringen wieder. Letzteres - die Originalberufung ist beim Bundesasylamt in Verstoß geraten - wird dergestalt zusammengefasst, dass der Beschwerdeführer vorgebracht habe, er sei als Kosovo-Albaner Opfer einer ethnischen Säuberung; diese wäre nicht Folge oder Begleiterscheinung des Vorgehens der Serben, sondern vielmehr deren Ziel. Er hätte auf der Straße Leichen von massakrierten Dorfbewohnern gesehen, die nicht nur Opfer eines Granatenbeschusses gewesen wären, sondern die nicht mehr rechtzeitig vor dem Einmarsch der Serben hätten flüchten können und von diesen massakriert worden wären; es liege daher nicht bloß eine militärische Auseinandersetzung zwischen den Serben und der UCK vor.

Daran schließt eine Beschreibung der "derzeitigen Situation der Bundesrepublik Jugoslawien", die textlich weitgehend dem Vorhalt im Zuge des Berufungsverfahrens (siehe oben) entspricht. Sie wird allerdings durch die folgende Darstellung der "jüngsten Entwicklung im Kosovo" ergänzt. Demnach sei es in der Nacht zum 13. Oktober 1998 zu einer Einigung zwischen Jugoslawiens Staatspräsident Slobodan Milosevic und dem US Sondervermittler Richard Holbrooke gekommen, worin als wesentliche Punkte der Truppenabzug aus dem Kosovo, die Stationierung von 2.000 OSZE-Beobachtern im Kosovo und die Luftraumüberwachung durch die NATO vereinbart worden seien; die serbische Regierung habe in der Folge einen 11-Punkte-Plan betreffend eine politische Lösung, Wahlen, Stationierung internationaler Beobachter, Gleichberechtigung der Bevölkerungsgruppen, Schaffung von lokalen Polizeieinheiten und Straffreiheit beschlossen; den täglichen Medienberichten zufolge seien bereits zumindest 70-OSZE-Beobachter entsendet und NATO-Überwachungsflüge durchgeführt worden; die jugoslawische Bundesarmee halte sich "vorbildlich" an die Vereinbarung zum Truppenrückzug; allein am 27./28. Oktober 1998 seien 4.000 Polizisten abgezogen worden, die Polizeieinheiten räumten ihre festen Straßensperren, richteten dafür aber mobile Patrouillen ein; auf Grund des aufrechten Einsatzbefehles der NATO für den Fall der Nichteinhaltung der Vereinbarung und der genauen Beobachtung des Fortschreitens deren Umsetzung sei davon auszugehen, dass den Kampfhandlungen nunmehr ein tatsächliches Ende gesetzt sei; vereinzelte Übergriffe seien auf UCK-Aktivisten zurückzuführen; die UCK versuche, sich als 'albanische Polizei' zu etablieren; von den ursprünglich fast 300.000 aus den Dörfern geflohenen Menschen lebten nur noch zwischen wenigen 100 und ca. 5.000 im Freien.

Nach Wiedergabe der Stellungnahme des Beschwerdeführers und allgemeinen rechtlichen Erwägungen führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer seinen Asylantrag zunächst auf die "bürgerkriegsartige Situation" im Kosovo stütze. Eine Bürgerkriegssituation schließe eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung nicht generell aus; allein in dem Umstand, dass im Heimatland des Asylwerbers Bürgerkrieg herrsche, sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch noch keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gelegen; der Asylwerber müsse vielmehr behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt hätten, als eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu werten seien und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen. Lasse man in diesem Zusammenhang den Hinweis des Beschwerdeführers genügen (was allerdings zweifelhaft erscheine), auf Grund seiner ethnischen Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe Verfolgung befürchten zu müssen, so sei anzumerken, dass die vom Beschwerdeführer geschilderten Befragungen bzw. Verhöre in der Regel keine asylrelevante Verfolgung darstellten; dass der Beschwerdeführer sonstigen Übergriffen seitens serbischer Behörden ausgesetzt gewesen sei, werde von ihm nicht einmal behauptet. Das Positionspapier des UNHCR vom August 1998 sei zu einer Untermauerung des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht geeignet; nicht zuletzt sei auf die dargelegte jüngste Entwicklung im Kosovo zu verweisen, die weitere massive Verfolgungen ethnischer Albaner nicht glaubwürdig erscheinen lassen, sodass sich die Ausführungen des UNHCR insoweit als überholt betrachten ließen.

"Zur inländischen Fluchtalternative" führte die belangte Behörde aus, dass ihre Ermittlungen ergeben hätten, dass außerhalb des Kosovo, insbesondere im Bundesstaat Montenegro sowie in Zentralserbien (insbesondere Belgrad), dem Staat zurechenbare asylrelevante Verfolgungshandlungen an (unter anderem aus dem Kosovo stammenden) ethnischen Albanern nicht bekannt geworden seien; es hielten sich sogar rund 40.000 Flüchtlinge unbehelligt in Montenegro auf. Daraus ergebe sich, dass es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar gewesen wäre, Verfolgungen im Kosovo durch eine Übersiedlung etwa nach Montenegro oder nach Zentralserbien zu entgehen, sodass ihm eine inländische Fluchtalternative offengestanden habe und es sohin an der für die Gewährung von Asyl erforderlichen Verfolgungsgefahr fehle.

Was den Ausspruch nach § 8 AsylG anlange, so sei der Verweis des Beschwerdeführers auf die allgemein gespannte Situation in seinem Heimatgebiet nicht geeignet, drohende Folgen im Sinne des § 57 FrG glaubhaft zu machen; mangels Darlegung konkreter, die Person des Beschwerdeführers betreffender einschlägiger Fakten lasse sein Vorbringen keinen Schluss auf die Annahme zu, er hätte im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat dort mit der Gefahr unmenschlicher Behandlung oder Todesstrafe (§ 57 Abs. 1 FrG) oder/und mit der Bedrohung seines Lebens oder seiner Freiheit aus den in § 57 Abs. 2 leg.cit. genannten Gründen zu rechnen. Der bloße Hinweis auf seine Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe im Kosovo reiche nicht aus, eine ihn individuell betreffende aktuelle Verfolgungssituation darzutun. Soweit der Beschwerdeführer seine Gefährdung im Sinne des § 57 FrG mit der Situation im Kosovo begründe und er im Fall einer Abschiebung mit behördlichen Sanktionen rechne, sei ihm entgegenzuhalten, dass sich Übergriffe auf albanisch-stämmige Bürger Jugoslawiens ausschließlich auf den Kosovo "bzw. erstgenannte punktuell auf den Flughafen Belgrad", damit nicht auf das gesamte Staatsgebiet, "beziehen". Vermehrte Übergriffe gegen abgelehnte Asylantragsteller seien lediglich bei einer Rückkehr in den Kosovo zu verzeichnen, wobei hauptsächlich der Verdacht ausschlaggebend sei, dass derartige Personen im Ausland für die UCK oder ähnliche Organisationen tätig gewesen wären.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Fasst man die Überlegungen der belangten Behörde zusammen, so hat sie dem Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl aus drei kumulativ herangezogenen Gründen versagt:

1. Die vom Beschwerdeführer behauptete - "teilweise objektivierbare" - Verfolgungssituation sei nicht asylrelevant;

2. die jüngste Entwicklung im Kosovo lasse weitere massive Verfolgungen ethnischer Albaner nicht glaubwürdig erscheinen;

3. dem Beschwerdeführer stehe eine "inländische Fluchtalternative" offen.

Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, entbehren alle drei Abweisungsgründe einer tragfähigen Grundlage.

Ad. 1.) Mangelnde Asylrelevanz seines Vorbringens wurde dem Beschwerdeführer zunächst deshalb beschieden, weil er sich auf die "bürgerkriegsartige Situation" im Kosovo gestützt habe; allein in dem Umstand, dass im Heimatland des Aslywerbers Bürgerkrieg herrsche, sei jedoch noch keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK gelegen. Der Asylwerber müsse vielmehr behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt hätten, als eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu werten seien und nicht "als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen".

Dem ist einleitend zu entgegnen, dass eine Verfolgungsgefahr nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden kann. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370). Vor allem lassen sich die vom Beschwerdeführer geschilderten Umstände aber nicht als "mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen" abqualifizieren. Der Beschwerdeführer hat von Leichen von Dorfbewohnern gesprochen, die nicht nur Opfer eines Granatenbeschusses gewesen wären, sondern die nicht mehr rechtzeitig vor dem Einmarsch der Serben hätten flüchten können und von diesen massakriert worden wären. Damit werden Exzesse aufgezeigt, die auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr zugerechneten Personen gerichtet sind, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können oder an dem militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt sind, und denen daher grundsätzlich Asylrelevanz zukommt (vgl. abermals das zuvor genannte Erkenntnis vom 9. März 1999). Ohne Bezugnahme auf dieses Vorbringen des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde die "derzeitige Situation" im Kosovo - u.a. unter Berufung auf Berichte aus 1996 - dergestalt dargestellt, dass es in den vergangenen Jahren zu vermehrten (auch gewaltsamen) Übergriffen auf Angehörige der albanisch-stämmigen Bevölkerung durch serbische Behörden gekommen sei; es lägen vielfach Berichte über Verhöre, Hausdurchsuchungen und Festnahmen vor; ferner sei die albanisch-stämmige Bevölkerungsgruppe in sozialer Hinsicht vielfach benachteiligt, seit 1990 hätten über 14.000 Kosovo-Albaner ihren Arbeitsplatz verloren; auch das parallele albanische Erziehungswesen sei schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.

Diese Lagebeschreibung wird der auch vom Beschwerdeführer aufgezeigten Eskalation der Situation im Kosovo seit Ende Februar 1998 nicht annähernd gerecht. Damit hat sich die belangte Behörde tatsächlich, wie der Beschwerdeführer zutreffend rügt, in keiner Weise auseinandergesetzt, obwohl der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge aus Istinici, einem Ort in unmittelbarer Nähe von Decani, und damit aus einem Gebiet stammt, in dem es wie allgemein bekannt - dem entsprechen auch die Behauptungen des Beschwerdeführers - im Gefolge von Kampfhandlungen zwischen serbischen Sicherheitskräften und der UCK zu Übergriffen der serbischen Sicherheitskräfte gegen die albanische Zivilbevölkerung gekommen ist. (Vgl. zum Ganzen das auf den Bezirk Decani Bezug nehmende hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 99/01/0072).

Die fehlende Auseinandersetzung mit den Ereignissen ab Februar 1998 "kompensiert" die belangte Behörde mit dem Argument, dass die vom Beschwerdeführer geschilderten Befragungen bzw. Verhöre in der Regel keine asylrelevante Verfolgung darstellten. Dass der Beschwerdeführer sonstigen Übergriffen seitens serbischer Behörden ausgesetzt gewesen wäre, werde von ihm nicht einmal behauptet.

Diese Ausführungen gehen indes - soweit erkennbar - völlig ins Leere und stellen somit eine Scheinbegründung dar. Der Beschwerdeführer hat nämlich weder bei seiner Ersteinvernahme durch das Bundesasylamt noch im Berufungsverfahren (legt man infolge des nur teilweise vorgelegten Aktes die Wiedergabe seines Berufungsvorbringens im angefochtenen Bescheid zugrunde) je davon gesprochen, Verhören oder Befragungen unterzogen worden zu sein. Den Asylantrag hat er vielmehr mit dem Beschuss seines Wohnhauses und mit der Massakrierung der nicht rechtzeitig fliehenden Dorfbewohner durch die serbischen Sicherheitskräfte (als Ausfluss einer stattgefundenen "ethnischen Säuberung") begründet. In der Folge hat er darauf hingewiesen, dass er als wehrfähiger junger Mann wegen des Verdachtes von UCK-Aktivitäten besonders gefährdet sei und im Fall einer Rückkehr mit massiven Repressionshandlungen rechnen müsse. Lediglich in diesem Zusammenhang war von Verhören und Verhaftungen (die - so das korrekte Vorbringen - meist mit Gewaltanwendung und Misshandlung einhergingen) die Rede.

Auch die unter Bezugnahme auf das zuletzt erwähnte Vorbringen und gestützt auf Amtskenntnis getroffenen Feststellungen, wonach die Wahrscheinlichkeit als gering einzustufen sei, dass albanisch-stämmige Staatsangehörige im Fall ihrer Rückkehr in den Heimatstaat massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt wären, substituieren die gebotene Auseinandersetzung mit den Ereignissen ab Februar 1998 nicht, weil sie sich gezielt auf allein aus der Rückkehr eines Kosovo-Albaners in seinen Heimatstaat resultierende Gefahren beziehen, zu der schon allgemein gegebenen Verfolgungsgefahr jedoch keine Aussage treffe.

Lediglich die von der belangten Behörde in anderem Zusammenhang erwähnten Flüchtlingszahlen lassen erkennen, dass ihr die Entwicklung bis Oktober 1998 - damit beginnt ihre im Folgenden zu behandelnde Darstellung der jüngsten Entwicklung im Kosovo - nicht verborgen geblieben ist. Eine Auseinandersetzung damit ist sie aber, wie schon erwähnt, schuldig geblieben.

Ad. 2.) Unter Missachtung der Verhandlungspflicht und ohne dem Beschwerdeführer hiezu Gehör einzuräumen (die Bescheidausführungen, wonach "dies" dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden sei, ist aktenwidrig), traf die belangte Behörde Feststellungen zur jüngsten Entwicklung im Kosovo seit dem 13. Oktober 1998 ("Holbrooke/Milosevic-Abkommen"). Kernpunkt dieser Feststellungen ist, dass man in dem genannten Abkommen einen Truppenabzug aus dem Kosovo, die Stationierung von 2.000 OSZE-Beobachtern und die Luftraumüberwachung durch die NATO vereinbart habe, dass die Umsetzung dieser Maßnahmen im Gange sei und dass auf Grund des aufrechten Einsatzbefehls der NATO tatsächlich mit einem Ende der Kampfhandlungen gerechnet werden könne.

Der Beschwerdeführer macht das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung und die Verletzung des Parteiengehörs - zutreffend - als Verfahrensfehler geltend. Er bestätigt aber insoweit die Darstellung der belangten Behörde, als er in der Beschwerde seinerseits u.a. die Feststellungen begehrt, dass es nach neuerlichen Offensiven von Regierungstruppen bis Ende September 1998 Anfang Oktober zu einem Abflauen der Kampfhandlungen und im Gefolge des "Holbrooke/Milosevic-Abkommens" zu einem Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte gekommen sei, dass die Flüchtlinge - teilweise unter Umgehung der von der serbischen Polizei an den Hauptstraßen errichteten Kontrollen - in ihre großteils zerstörten Dörfer zurückgekehrt seien und dass die Zerstörung von Häusern und Eigentum durch Regierungstruppen und Spezialeinheiten mit 13. Oktober 1998 weitgehend aufgehört habe.

Wenn der Beschwerdeführer dessen ungeachtet die Ansicht vertritt, dass die von der belangten Behörde gezeichnete positive Prognose über die künftige Entwicklung im Kosovo nicht den Tatsachen entspreche, so ist er im Ergebnis dennoch - unter dem Blickwinkel einer auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung abstellenden Beurteilung der Rechtfertigung der behördlichen Annahme, die Verhältnisse hätten sich geändert, sodass weitere massive Verfolgungen ethnischer Albaner nicht glaubwürdig erschienen - im Recht. Kern- und Ausgangspunkt der entsprechenden Prognose der belangten Behörde ist das erwähnte Abkommen vom 13. Oktober 1998. Diesem Abkommen vorangegangen sind in der Beschwerde im Einzelnen dargestellte monatelange Kampfhandlungen zwischen serbischen Sicherheitskräften und der UCK, die mit Übergriffen auf die albanisch-stämmige Zivilbevölkerung verbunden waren (siehe ad. 1.). Im bekämpften Bescheid wird festgestellt, dass Repressionshandlungen gegen die albanisch-stämmige Bevölkerung jedenfalls seit 1990 stattgefunden haben. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der von der Behörde ergänzend festgestellten weiteren UCK-Aktivitäten erweist sich aber - Asylrelevanz der Situation für den Beschwerdeführer vor dem 13. Oktober 1998 unterstellt - der für eine Beurteilung eines allfälligen Wegfalles der Verfolgungsgefahr in concreto zur Verfügung stehende Zeitrahmen von knapp einem Monat (Bescheiderlassung am 11. November 1998) als zu kurz, um eine Prognose dergestalt vorzunehmen, wie sie von der belangten Behörde angestellt wurde. Es trifft zwar zu, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Eine derartige grundlegende Änderung liegt nach dem Vorgesagten aber nicht vor. Soweit die belangte Behörde mit einer Änderung der Verhältnisse argumentiert, hat sie daher die Rechtslage verkannt.

Ad. 3.) Ungeachtet des Vorgesagten käme dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zu, wenn ihm - wie von der belangten Behörde zugrunde gelegt - eine "inländische Fluchtalternative" offen stünde. Dieser Begriff trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (so schon das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1980, Slg. Nr. 10.255/A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht.

Die Annahme des Bestehens einer "inländischen Fluchtalternative" gründete die belangte Behörde auf die Feststellungen, dass sich Übergriffe auf albanisch-stämmige Staatsangehörige "im wesentlichen" auf den Kosovo beschränkten; insbesondere aus Zentralserbien (primär aus Belgrad) seien keine Diskriminierungen oder Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen von Minderheiten bekannt; auch in Montenegro mit ca. 7 %-igem albanischen Bevölkerungsanteil hätten bislang keine Übergriffe auf Albaner stattgefunden, es hielten sich dort zwischen 30.000 und 46.425 albanisch-stämmige Kosovo-Flüchtlinge unbehelligt auf.

Unterzieht man diese Feststellungen ungeachtet ihrer Unschärfe (Übergriffe auf albanisch-stämmige Staatsangehörige beschränken sich "im wesentlichen" auf den Kosovo ...) einer rechtlichen Beurteilung, so ergibt sich Folgendes: Was zunächst das nicht näher umschriebene, jedenfalls aber Belgrad umfassende Gebiet "Zentralserbien" anlangt, so ist diesbezüglich - so der Bescheid - nur bekannt, dass dort keine Verfolgungshandlungen gegenüber Kosovo-Albanern stattfinden. Dieser Umstand allein vermag jedoch schon deshalb die Annahme einer "inländischen Fluchtalternative" nicht zu rechtfertigen, weil offen bleibt, ob überhaupt Fluchtbewegungen von Kosovo-Albanern nach "Zentralserbien" stattgefunden haben. Dass dort keine Verfolgungshandlungen an aus dem Kosovo stammenden ethnischen Albanern "bekannt geworden" sind, könnte mithin auch darauf zurückzuführen sein, dass sich keine Kosovo-Albaner in "Zentralserbien" in nennenswerter Zahl befinden.

Auch die ergänzende Feststellung, dass sich in der Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb des Kosovo und Mazedonien (?) rund 20.000 Kosovo-Flüchtlinge aufhielten, schafft insoweit keine Klarheit, weil keine Aussage zur Volksgruppenzugehörigkeit dieser Flüchtlinge getroffen wird.

Bezüglich Montenegro hat die belangte Behörde zwar demgegenüber festgestellt, dass sich dort zwischen 30.000 und

46.425 albanisch-stämmige Kosovo-Flüchtlinge unbehelligt aufhalten. Richtig weist die Beschwerde jedoch auf die gleichfalls getroffene behördliche Feststellung hin, wonach im Hinblick auf das Memorandum der Regierung der Republik Montenegro vom 11. September 1998 eine Überschreitung der Binnengrenze zwischen dem Kosovo und der Republik Montenegro derzeit schwierig bzw. nicht möglich erscheine. Daran knüpft zwar die Aussage, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Montenegro von außerhalb des Staatsgebietes nicht "zugängig" wäre, doch kann das bloße Fehlen von Anhaltspunkten jedenfalls dann nicht als Beurteilungsgrundlage ausreichen, wenn die von der Behörde angenommene Sperre der Binnengrenze massiv auf einen Stopp der Aufnahme weiterer Flüchtlinge hinweist. Genau genommen stellt dieser Umstand an sich schon ein Indiz dafür dar, dass Kosovo-Flüchtlingen generell die Einreise verweigert werde. Auch die Ausführungen in dem der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 6. November 1998 angeschlossenen "UNHCR-Positionspapier über die Behandlung von Asylsuchenden aus dem Kosovo in Asylländern: Maßgebliche Überlegungen" vom 25. August 1998, die u.a. dahingehend lauten, dass in Montenegro die Aufnahmeeinrichtungen und Kapazitäten mehr als ausgelastet seien, dass die montenegrinischen Behörden in den letzten Wochen die Staatengemeinschaft auf ihre Probleme bei der Beschaffung von Unterkünften und Verpflegung für die Vertriebenen aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen hätten, dass keinerlei Reserven für die Aufnahme weiterer Vertriebener vorhanden seien - darüber ist die belangte Behörde kommentarlos hinweggegangen -, deuten gewichtig in diese Richtung und wären daher als entsprechender "Anhaltspunkt" zu werten gewesen.

Zumindest für den Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides lässt sich daher ohne weitere Ermittlungen nicht sagen, dem Beschwerdeführer stehe eine "Übersiedlung" nach Montenegro offen. Das allein schon hindert die Annahme, Montenegro komme als "inländische Fluchtalternative" in Frage, weil ein Asylwerber nur dann hierauf verwiesen werden kann, wenn er sie auch gegenwärtig noch anzusprechen in der Lage ist (Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, Rz 422).

Zusammenfassend ergibt sich nach dem Gesagten, dass der bekämpfte Bescheid rechtswidrig ist; er ist wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes - und zwar zur Gänze (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566) - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 8. September 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999010126.X00

Im RIS seit

26.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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