TE OGH 2021/12/14 1Ob101/21s

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Veröffentlicht am 14.12.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. H*, 2. J*, 3. G*, alle vertreten durch die FIDI UNGER Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen Festsetzung einer Enteignungsentschädigung, über die Revisionsrekurse der Antragsteller und der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 29. Dezember 2020, GZ 14 R 95/20y-113, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 1. Februar 2021, GZ 14 R 95/20y-116, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Februar 2020, GZ 61 Nc 26/07v-107, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Revisionsrekurs der Antragsteller wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

II. Dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtenen Entscheidungen werden dahin abgeändert, dass Punkt 2. des erstgerichtlichen Beschlusses lautet:

„Die Antragsgegnerin ist schuldig, den Antragstellern zur ungeteilten Hand 144.998,04 EUR, wertgesichert nach dem VPI 2005 mit dem Basismonat Jänner 2010, binnen 14 Tagen zu zahlen.“

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung der Antragsteller bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung:

[1]       Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. 6. 2007 wurden Teilflächen der Grundstücke Nr 271 im Ausmaß von 20.326 m² und Nr 295 im Ausmaß von 1.000 m² sowie Teile von weiteren Grundstücken im Gesamtausmaß von 3.962 m² nach Maßgabe des einen Bestandteil des Bescheids bildenden Grundeinlöseplans zugunsten der Antragsgegnerin enteignet. Bereits mit Kaufvertrag („Übereinkommen“) vom 9. 8. 2001 hatten die Rechtsvorgänger der Antragsteller Teilflächen des Grundstücks Nr 271 und des Grundstücks Nr 295 an die Antragsgegnerin verkauft, was im Bescheid jedoch unberücksichtigt blieb.

[2]       Die Entschädigung für diese Enteignung wurde gemäß den §§ 17 bis 20 Bundesstraßengesetz 1971 (BStG 1971) unter sinngemäßer Anwendung des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes (EisbEG) mit 428.174 EUR festgesetzt.

[3]       Die Antragsteller erhoben gegen diesen Bescheid Berufung, der der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie mit Berufungsbescheid vom 10. 8. 2007 nicht Folge gab. Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Berufungsbescheid mit Erkenntnis vom 17. 12. 2009 insoweit auf, als sich die abweisende Berufungsentscheidung „auf die Grundstücke Nr 271 und Nr 295 [...]“ bezog, weil der Kaufvertrag des Jahres 2001 nicht berücksichtigt worden war; im Übrigen blieb die Berufungsentscheidung unberührt.

[4]       Mit Berufungsersatzbescheid vom 15. 1. 2010 gab der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie der Berufung der Antragsteller in Ansehung der Grundstücke Nr 271 und Nr 295 insoweit teilweise Folge, als er – wegen des Kaufübereinkommens – unter Verweis auf den Grundeinlöseplan die enteignete Fläche des Grundstücks Nr 271 auf drei näher bezeichnete Teilstücke von insgesamt 18.426 m² und die enteignete Fläche des Grundstücks Nr 295 auf ein Teilstück von 582 m² reduzierte. Dieser Berufungsersatzbescheid, dessen Spruch ausschließlich die genannten Teilflächen erfasste, blieb in weiterer Folge unbekämpft.

[5]            Die Antragsgegnerin hatte den festgesetzten Entschädigungsbetrag im Jahr 2007 gerichtlich erlegt. Der Erlagsbetrag, der mit 25. 3. 2010 einen Stand von 449.613,75 EUR aufwies, wurde gemäß Beschluss des Erlagsgerichts vom 25. 10. 2011 nach Abzug angefallener Gebühren an die Antragsteller überwiesen.

[6]       Die enteigneten Flächen liegen in Wien, unmittelbar an der nördlichen Landesgrenze zu Niederösterreich, in einem völlig unaufgeschlossenen landwirtschaftlich genutzten Gebiet, das sich auch in das angrenzende Niederösterreich erstreckt. Es handelt sich um zum Teil sehr langgestreckte Ackerkomplexe. Alle Grundflächen in diesem Bereich wurden stets landwirtschaftlich als Acker genutzt und wiesen bereits 2007 die Flächenwidmung „Grünland“ auf. Seit dem 31. 8. 2006 gilt eine Bausperre; eine Widmungsänderung ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.

[7]       Die Antragsteller beantragten am 13. 11. 2007 die gerichtliche Festsetzung der Enteignungsentschädigung auf Basis eines Quadratmeterpreises von (letztlich) 55 EUR. Das Grundstück Nr 271 sei zudem im Ersatzbescheid mit einer (um 1.496 m²) zu geringen Fläche berücksichtigt worden. Sie hätten seit 2007 nicht mehr über die enteigneten Grundstücksteile verfügen können, weil die bescheidmäßig angeordnete Enteignung bereits vollzogen worden sei. Seit 2007 sei eine erhebliche Geldentwertung erfolgt, weshalb ab diesem Jahr eine Aufwertung (auf Basis des Wohnimmobilienpreisindex) zu erfolgen habe.

[8]       Die Antragsgegnerin wendete ein, der Grundeinlöseplan bilde einen Bestandteil des Enteignungsbescheids, weshalb die Flächen aufgrund dieses Plans feststünden. Es handle sich um rein landwirtschaftliche Flächen, weswegen der gewünschte Quadratmeterpreis nicht gerechtfertigt sei. Es gebe auch keine Anhaltspunkte für eine zukünftige Widmungsänderung. Als Stichtag für die Enteignungsentschädigung sei ausschließlich das Jahr 2007 maßgeblich, weil der Verfahrensteil über die Entschädigung bereits durch die Anrufung des Gerichts im Jahr 2007 gerichtsanhängig geworden sei.

[9]       Mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Beschluss setzte das Erstgericht die Enteignungsentschädigung mit insgesamt 573.172,04 EUR fest (Punkt 1. des Spruchs) und verpflichtete die Antragsgegnerin zur Zahlung eines Differenzbetrags von 144.998,04 EUR „zuzüglich Wertsicherung nach VPI 2005 mit dem Basismonat August 2007“ (Punkt 2. des Spruchs). In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass für den Teil der enteigneten Grundstücke, die insgesamt eine Fläche von 3.962 m² aufwiesen, jeweils der Bewertungsstichtag 2007 heranzuziehen sei; für die Teilflächen der Grundstücke Nr 271 in der Größe von 18.426 m² und Nr 295 in der Größe von 582 m² sei hingegen auf die Rechtskraft des Berufungsersatzbescheids abzustellen und der Bewertungsstichtag mit Jänner 2010 festzulegen. Die Beurteilung des Umfangs der vollzogenen Enteignung richte sich nach dem Grundeinlöseplan. Da in absehbarer Zukunft keine realistische Möglichkeit für eine Umwidmung der enteigneten Grundstücke in Bauland bestehe, sei nicht von „Bauerwartungsland“, sondern von „Grünland“ auszugehen. Anhand der vom Sachverständigen ermittelten Grundstückspreise für Grünland in Wien im Umkreis der gegenständlichen Liegenschaften errechne sich für das Jahr 2007 ein Durchschnittspreis von 10,87 EUR pro Quadratmeter und für das Jahr 2010 ein solcher von 24,63 EUR pro m². Zuzüglich 9 % Wiederbeschaffungskosten sowie eines Betrags von 15.927 EUR als Ersatz für Nebenschäden ergebe sich der Entschädigungsbetrag von 573.172,04 EUR, auf den der von der Antragsgegnerin bereits bezahlte Teil in Höhe des ursprünglichen Erlagsbetrags anzurechnen sei.

[10]           Das Rekursgericht gab den Rechtsmitteln beider Parteien nicht Folge. Den (richtig:) Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig, weil „keine Rechtsprechung zu den Rechtsfragen besteht, ob auch dann, wenn wegen der Nichtbeachtung eines vor der Enteignung zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrags über Liegenschaftsteile die im erstinstanzlichen Enteignungsbescheid und im ersten Berufungsbescheid von der Enteignung erfassten Flächen nach einer Aufhebung des ersten Berufungsbescheids durch den Verwaltungsgerichtshof sodann im erneuerten (= zweiten) Berufungsbescheid lediglich reduziert werden, der Enteignungszeitpunkt für die nicht vom Kaufvertrag umfassten Liegenschaftsteile der vom Kaufvertrag betroffenen Liegenschaft erst mit der Rechtskraft des erneuerten (= zweiten) Berufungsbescheids anzusetzen ist, und ob das Gericht an die im Enteignungsbescheid (Grundeinlöseplan) genannten Flächenausmaße von Liegenschaften gebunden ist oder nicht“.

Rechtliche Beurteilung

[11]           Der Revisionsrekurs der Antragsteller ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Hingegen ist der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Wertanpassung einer Korrektur bedürfen; er ist damit insoweit auch berechtigt.

[12]     I. Zu den vom Rekursgericht als erheblich erachteten Rechtsfragen:

[13]           1.1 Bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung ist auf den Zeitpunkt der Aufhebung des Rechts abzustellen (RIS-Justiz RS0085888). Nach nunmehr einhelliger Rechtsprechung ist der maßgebende Zeitpunkt für die Festsetzung der Entschädigung grundsätzlich die Rechtskraft des Enteignungsbescheids (RS0085888 [T10; T12; T13; T15]); ältere Rechtsprechung, die auf den Enteignungsbescheid erster Instanz abstellte (dazu RS0053526), ist überholt. Ein Bescheid ist (formell) rechtskräftig, wenn er durch ordentliche Rechtsmittel nicht oder nicht mehr anfechtbar ist (VwGH 2010/17/027 mwN). Für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch geklärt, dass dabei auf die Zustellung des letztinstanzlichen Bescheids abzustellen ist (RS0085888 [T13]).

[14]     1.2 Der Berufungsbescheid vom 10. 8. 2007 wurde durch den Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich nur insoweit aufgehoben als er die Grundstücke Nr 271 und Nr 295 betraf, insoweit jedoch zur Gänze. Die ex-tunc-Wirkung des diesbezüglichen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs hatte zur Folge, dass der Rechtszustand zwischen der Erlassung des Bescheids und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der angefochtene Bescheid (im Umfang seiner Aufhebung) von Anfang an nicht erlassen worden wäre (RS0102896). Da aber allein die Erhebung einer Bescheidbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof die Rechtskraft des Enteignungsbescheids nicht hinderte (RS0085888 [T14]), blieben die von der Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht betroffenen Teile des Berufungsbescheids – auch hinsichtlich ihrer Rechtskraft – unberührt.

1.3 Soweit der Berufungsbescheid vom 10. 8. 2007 mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs behoben wurde, lag also vor der neuerlichen Entscheidung durch die Berufungsbehörde eine (rechtskräftige) Aufhebung von Rechten der Antragsteller bzw ihrer Rechtsvorgänger an den davon betroffenen Grundstücksteilen nicht vor. Diese erfolgte erst mit Zustellung des späteren Bescheids („Ersatzbescheid“) der Berufungsbehörde vom 15. 1. 2010 mit dem die Enteignung von Teilflächen der Grundstücke Nr 271 (im Ausmaß von 18.426 m²) und Nr 295 (im Ausmaß von 582 m²) – letztlich rechtskräftig – ausgesprochen wurde. Die Enteignung aller anderen Flächen beruhte demgegenüber auf dem Bescheid vom 10. 8. 2007, sodass für die Frage der Bewertung der davon betroffenen Grundstücksflächen (im Ausmaß von 3.962 m²) auf dessen Zustellung (Rechtskraft), hinsichtlich der Grundstücke Nr 271 und Nr 295 jedoch auf den Ersatzbescheid vom 15. 1. 2010 abzustellen ist. Damit ergibt sich die Lösung der vom Rekursgericht als erheblich erachteten Frage aus den in höchstgerichtlicher Rechtsprechung bereits vertretenen Grundsätzen, sodass weder die Antragsteller, die eine Bewertung aller Flächen auf Basis Jänner 2010 anstreben, noch die Antragsgegnerin, die eine solche auf Grundlage der Werte des Jahres 2007 vorgenommen wissen will, eine erhebliche Rechtsfrage ansprechen (vgl nur RS0042656 [T48]).

[15]     2. Nach dem Spruch des Bescheids der Berufungsbehörde vom 15. 1. 2010 erfolgte die Enteignung bestimmt bezeichneter Teilflächen der Grundstücke Nr 271 (im Gesamtausmaß von 18.426 m²) und Nr 295 (im Ausmaß von 582 m²) ausdrücklich nach Maßgabe des Grundeinlöseplans und in dem darin farblich hervorgehobenen Umfang. Den einzelnen Teilflächen waren in diesem Plan konkrete Flächenangaben zugeordnet. Die Antragsteller haben im gesamten Verfahren niemals dargestellt, welche Teilfläche(n) insoweit unrichtig berechnet worden sein soll(en). Mit ihrer Pauschalbehauptung, das Flächenausmaß sei insgesamt zu niedrig angenommen worden, gehen sie weder auf die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Frage inhaltlich konkret ein, noch können sie damit einen Fehler bei der Ermittlung der ihnen für die enteigneten Flächen zustehenden Entschädigung aufzeigen, weil sich das Ausmaß der nicht enteigneten Flächen dieses Grundstücks aus dem Spruch des Ersatzbescheids nicht ergibt.

[16]     Die vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht entspricht damit den in ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs vertretenen Grundsätzen, sodass sich auch insoweit keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG stellen.

II. Zu den weiteren Argumenten der Antragsteller:

[17]     1. Gemäß § 18 Abs 1 erster Satz BStG 1971 gebührt dem Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung (§ 1323 ABGB). Die Entschädigung muss alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile erfassen, wobei der Verkehrswert der entzogenen Liegenschaft den wichtigsten Faktor für dessen Bemessung darstellt (6 Ob 161/10k mwN).

[18]           2. Es trifft zwar zu, dass auch eine nachträgliche Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden konnte, die Höhe des zu ersetzenden Verkehrswerts (hier: nach § 18 BStG) beeinflussen kann (RS0053483). Damit solche Umstände neben der bestehenden Widmung in die Bewertung einfließen können, bedarf es aber bereits im Zeitpunkt der Enteignung der realen Möglichkeit einer absehbaren Verwendungsänderung und nicht bloß einer unbestimmten Zukunftshoffnung (vgl RS0057977). Entscheidend ist, ob sich das Entwicklungspotential zum Bewertungszeitpunkt schon auf den Marktpreis auswirkt (RS0057977 [T5] = RS0057981 [T7]; vgl auch RS0110846 [T1]).

[19]           3. Ob eine Liegenschaft als landwirtschaftlich genutztes Grünland oder, wie von den Antragstellern angestrebt, als „Bauerwartungsland“ anzusehen und dementsprechend zu bewerten ist, hat das Gericht anhand der gesamten Verfahrensergebnisse zu beurteilen (vgl RS0007824). Im vorliegenden Fall fehlt es an Anhaltspunkten, die nicht nur bezogen auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Enteignung (2007 bzw 2010), sondern auch der Erstattung des Sachverständigengutachtens im Verfahren in absehbarer Zukunft eine andere Nutzung der enteigneten Flächen als zu landwirtschaftlichen Zwecken als realistisch erscheinen lassen, sodass die Antragsteller mit ihren Ausführungen auch keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzuzeigen vermögen. Dass die Vorinstanzen dabei die Ausführungen des Sachverständigen zugrunde legten, kann schon deshalb keine rechtliche Fehlbeurteilung bilden, weil sie damit lediglich die zur Beurteilung erforderlichen Tatsachengrundlagen geschaffen haben (vgl 1 Ob 201/13k). Die auf dem Sachverständigengutachten beruhenden Feststellungen sind (im Rahmen der rechtlichen Beurteilung) einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof aber (ausnahmsweise) nur dann zugänglich, wenn diese auf mit den Gesetzen der Logik oder der Erfahrung unvereinbaren Schlussfolgerungen beruhen (RS0118604 [T10]). Das ist hier nicht zu erkennen.

[20]     Soweit sich die Antragsteller in ihrem Rechtsmittel abstrakt mit der Frage einer Berücksichtigung „allgemeiner Planungsgewinne“ aus dem beabsichtigten Straßenbauprojekt befassen, legen sie nicht dar, welche konkreten (für sie günstigeren) Folgerungen sie daraus ableiten wollen.

[21]           4. Die gerichtliche Hinterlegung nach § 1425 ABGB befreit, wenn sie rechtmäßig geschehen und dem Gläubiger bekannt gemacht worden ist, den Schuldner von seiner Verbindlichkeit. Sie ist damit auf die Schuldbefreiung des Erlegers gerichtet (RS0033640 [T3]) und soll dem leistungsbereiten Schuldner, der sich aus wichtigen Gründen nicht von seiner Schuld befreien kann, als Erfüllungssurrogat dienen (RS0033636 [T6]). Auch im Enteignungs-entschädigungsverfahren führt die Hinterlegung des Entschädigungsbetrags bei Gericht nach § 1425 ABGB grundsätzlich zur Tilgung der Schuld. Soweit die Antragsteller geltend machen, bis zur Ausfolgung des Erlagsbetrags von (ursprünglich) 428.174 EUR wäre die gesamte Entschädigungssumme nach dem VPI 2005 mit dem Basismonat August 2007 zu indexieren und erst ab dann der gerichtlich zuerkannte Mehrbetrag, verkennen sie die Wirkung der Hinterlegung (vgl dazu auch Punkt III. 2.4). Gründe, warum die Ausfolgung des Erlagsbetrags erst mit Beschluss vom 25. 10. 2011 angeordnet wurde, nennen sie nicht. Die Früchte des Erlags von mehr als 20.000 EUR sind ihnen (abzüglich der angefallenen Gebühren) ohnedies zugute gekommen; zudem übersteigt der hinterlegte Betrag den Wert der schon 2007 rechtskräftig enteigneten Flächen um ein Vielfaches.

[22]     Da die Antragsteller mit ihren Ausführungen insgesamt keine Rechtsfragen von der Bedeutung des § 62 Abs 1 AußStrG ansprechen, ist ihr Rechtsmittel zurückzuweisen.

III. Zu den weiteren Argumenten der Antragsgegnerin:

[23]     1. Mit seinem vom Rekursgericht bestätigten Zwischenbeschluss vom 21. 9. 2012 hat das Erstgericht ausgesprochen, dass der Anspruch der Antragsteller auf eine – über den hinterlegten Betrag hinausgehende – Enteignungsentschädigung dem Grunde nach zu Recht besteht. Ein solcher Zwischenbeschluss über den Grund des Anspruchs (§ 36 AußStrG) ist innerhalb des Rechtsstreits bindend, sodass das Gericht und die Parteien Fragen zum Anspruchsgrund nicht neuerlich aufrollen können (Thunhart in Schneider/Verweijen, AußStrG § 36 [Stand 1. 10. 2018, rdb.at] Rz 15; vgl auch Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 36 Rz 10). Demgegenüber gehört die (im Zwischenbeschluss gar nicht behandelte) Frage, welcher Bewertungsstichtag heranzuziehen ist, zur Höhe des Anspruchs. Ein Verstoß gegen die Bindungswirkung des Zwischenbeschlusses, weil die Vorinstanzen für die Bewertung der Grundstücke Nr 271 und Nr 295 einen Stichtag aus Jänner 2010 zugrunde legten, liegt damit entgegen der Annahme der Antragsgegnerin nicht vor.

[24]     2.1 Dem Enteigneten gebührt für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung (§ 18 Abs 1 BStG). Das Wesen der Enteignungsentschädigung besteht dabei in der Ersatzleistung für das dem Enteigneten durch den besonderen Hoheitsakt abgenötigte Sonderopfer an seinem Vermögen.

[25]     2.2 Vor diesem Hintergrund liegt der Zweck der dem § 4 Abs 1 und 6 EisbEG nachgebildeten Regelung des § 18 BStG darin, den Enteigneten für das Sonderopfer des (gänzlichen oder teilweisen) Entzugs von Eigentum zu entschädigen. In der Rechtsprechung ist dabei auch die Möglichkeit einer Aufwertung des Entschädigungsbetrags anerkannt (siehe nur 1 Ob 138/13w mwN). Die Enteignungsentschädigung soll den Vermögensnachteil des Enteigneten ausgleichen, nicht aber dessen Bereicherung herbeiführen (RS0010844 [T2]).

[26]     2.3 Die Antragsgegnerin stellt nicht grundsätzlich in Frage, dass der den Antragstellern zuerkannte (restliche) Entschädigungsbetrag von 144.998,04 EUR aufzuwerten ist, macht aber geltend, dass bei einer Aufwertung nach dem VPI 2005 mit einem Basismonat August 2007 eine ungerechtfertigte Doppelberücksichtigung des Zeitraums 2007 bis 2010 vorliege, weil für die Ermittlung der Entschädigung für die Teilflächen der Grundstücke Nr 271 und Nr 295 ohnedies ein Bewertungsstichtag aus Jänner 2010 zugrunde gelegt worden sei. Dieser Einwand ist berechtigt.

[27]     2.4 Die Entschädigung für eine enteignete Fläche von 19.008 m² (von gesamt 22.970 m², somit für rund 83 % der enteigneten Flächen) wurde entsprechend dem Bewertungszeitpunkt Jänner 2010 mit einem Quadratmeterpreis von 24,63 EUR ermittelt. Demgegenüber betrug der für das Jahr 2007 ermittelte Preis 10,87 EUR/m² (für eine Fläche von 3.962 m²). Der höhere Preis für das Jahr 2010 berücksichtigt bereits all jene Nachteile, deren Ausgleich eine Wertsicherung bezweckt. Eine Aufwertung des anhand des Preisniveaus für das Jahr 2010 ermittelten Entschädigungsbetrags, berechnet ab einem Basismonat August 2007 kommt damit nicht in Betracht, auch wenn die Antragsteller, wie sie geltend machen, über die enteigneten Flächen bereits vor dem Jahr 2010 nicht mehr verfügen konnten. Obwohl nur die übrigen rund 17 % der Flächen bereits im Jahr 2007 wirksam enteignet waren, stand den Antragstellern der gesamte Erlagsbetrag, der den Wert der betroffenen Flächen ganz erheblich überstieg, schon lange vor dessen tatsächlicher Inanspruchnahme im Jahr 2011 zur Verfügung, sodass auch insoweit kein weiterer Aufwertungsbedarf des mit dem angefochtenen Beschluss zuerkannten restlichen Entschädigungsbetrags zu erkennen ist.

[28]     3. Zusammengefasst ist dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin teilweise Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind dahin abzuändern, dass eine Wertsicherung des für die Enteignung zuerkannten restlichen Entschädigungsbetrags von 144.998,04 EUR mit dem Basismonat Jänner 2010 zu erfolgen hat.

IV. Kostenentscheidung:

[29]           Das Erstgericht hat die Entscheidung über die Kosten gemäß § 78 Abs 1 letzter Satz AußStrG bis nach rechtskräftiger Erledigung der Sache vorbehalten. Dieser Vorbehalt steht einer Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtsmittels aber nicht entgegen (RS0129365 [T3]); die Antragsteller haben die Kosten ihres zurückgewiesenen Rechtsmittels selbst zu tragen. Dem Enteigner gebührt nach der – nach wie vor aufrechten (RS0058085 [T4]) – Bestimmung des § 44 EisbEG (iVm § 20 Abs 5 BStG) kein Kostenersatz, sodass der Vorbehalt des Erstgerichts lediglich die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung der Antragsteller erfasst.

Textnummer

E133573

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00101.21S.1214.000

Im RIS seit

20.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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