TE OGH 2021/3/24 3Ob31/21m

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Veröffentlicht am 24.03.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Vorarlberg, Dornbirn, Zollgasse 6, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen den Beklagten G***** C*****, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen zuletzt 94.368,71 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2021, GZ 2 R 145/20w-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

[1]            Der Beklagte wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 3. 3. 2011, AZ *****, wegen des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB und wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt.

[2]            Laut diesem Urteil hat der Beklagte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit seinem Vater als Mittäter am 17. 5. 2010 B***** C***** widerrechtlich gefangen gehalten. Anschließend hat es der Beklagte mit dem Vorsatz, dass vorsätzlich eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen werde, nämlich der Mord an B***** C***** durch den Vater des Beklagten, unterlassen, ihre unmittelbar bevorstehende und/oder schon begonnene Ausführung zu verhindern.

[3]            Mit ihrer am 1. 4. 2020 eingebrachten (und mit Schriftsatz vom 19. 5. 2020 ausgedehnten) Klage begehrt die klagende Pensionsversicherungsanstalt zuletzt 94.368,71 EUR und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Folge- und Dauerschäden, insbesondere die Witwen- und Waisenpensionen aus dem Mord an B***** C*****, soweit die Ansprüche auf die klagende Partei übergegangen sind. Aufgrund der durch den Beklagten vorsätzlich begangenen Straftat habe die Klägerin an die Witwe sowie an die zwei Kinder des bei ihr versicherten Mordopfers Versicherungsleistungen (Witwenpension, Waisenpension) im geltend gemachten Ausmaß erbracht. Die Haftung des Beklagten ergebe sich aus einer Verletzung des § 286 StGB. Es handle sich um ein Schutzgesetz, das eine besondere gesetzliche Pflicht festsetze, die drohende Beschädigung eines Dritten abzuwehren. Zudem begründe § 286 StGB auch eine Handlungspflicht iSd § 1301 ABGB.

[4]            Der Beklagte wandte ein, dass die Forderung verjährt sei, weil er nur wegen eines Vergehens nach § 286 Abs 1 StGB und § 99 Abs 1 StGB verurteilt worden sei. Zudem fehle es an der Kausalität bzw am Kausal- und Rechtswidrigkeitszusammenhang. Er hätte den Mord seines Vaters nie verhindern können.

[5]            Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein und gab dem Zahlungs- und dem Feststellungsbegehren dem Grunde nach mit Zwischenurteil statt. Es sei an die strafrechtliche Verurteilung des Beklagten gebunden. Die Frage, ob dieser den Mord verhindern hätte können, sei im Zivilprozess daher nicht zu überprüfen. Der Beklagte sei wegen § 286 StGB verurteilt worden, weshalb er nach § 1295 iVm § 1311 ABGB sowie gemäß § 1301 ABGB für sämtliche Schadenersatzansprüche hafte. Der dem Beklagten zur Last fallende Vorsatz führe zu einer solidarischen Haftung nach § 1302 Satz 2 ABGB, sodass der Beklagte für den gesamten Schaden einzustehen habe. Die dem Versicherten zustehenden Schadenersatzansprüche würden in dem Umfang ex lege auf den klagenden Sozialversicherungsträger übergehen, als dieser Leistungen zu erbringen habe. Auch das Feststellungsinteresse sei zweifelsohne gegeben, zumal die klagende Partei auch in Zukunft Witwen- und Waisenpension zahlen müsse und werde. Die Ansprüche seien nicht verjährt, weil sie aus einer Vorsatztat resultieren würden.

[6]            Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts mit der Maßgabe als Teil- und Zwischenurteil, wonach dem Feststellungsbegehren stattzugeben sei und das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Bindungswirkung des Strafurteils beziehe sich auf die vom Beklagten unterlassene Verhinderung des Mordes. Der Ehegattin und den Kindern des Verstorbenen stehe ein Schadenersatzanspruch gemäß §§ 1295, 1301 iVm § 1327 ABGB gegen den Beklagten zu, der als Mittäter für den gesamten Schaden einzustehen hat. § 286 StGB sei ein Schutzgesetz im weiteren Sinn, das eine besondere gesetzliche Pflicht festsetze, die drohende Beschädigung eines Dritten abzuwehren. Der Geschädigte könne vom Schädiger den ihm auch von diesem schuldhaft und rechtswidrig zugefügten Schaden schon nach § 1295 Abs 1 ABGB verlangen. Darüber hinaus hafte gemäß § 1301 ABGB derjenige für einen widerrechtlich zugefügten Schaden, der durch Unterlassen der besonderen Verbindlichkeit, das Übel zu verhindern, dazu beigetragen habe. Die dabei vorausgesetzte Handlungspflicht ergebe sich aus den § 286 StGB unmittelbar zu entnehmenden Verhaltenspflichten. Der dem Schädiger zur Last fallende Vorsatz führe zur solidarischen Haftung.

[7]            Der Beklagte hafte daher der Ehegattin und den Kindern des Verstorbenen für die aus § 1327 ABGB abgeleiteten Ansprüche, die infolge der von der klagenden Partei erbrachten kongruenten Leistungen an Witwen- und Waisenpension gemäß § 332 ASVG auf sie übergegangen seien. Die Legalzession des § 332 ASVG ändere nichts an der Rechtsnatur des ihr zugrundeliegenden Anspruchs.

[8]            Das gelte auch für die Verjährungsfrist. Der Beklagte sei nach § 286 Abs 1 StGB (also einem Vorsatzdelikt, das mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sei) verurteilt worden, sodass der Schaden nach § 1489 Satz 2 ABGB erst nach dreißig Jahren verjähre.

Rechtliche Beurteilung

[9]            Der Beklagte zeigt in seiner außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf, weshalb diese als nicht zulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

[10]           1. Das Berufungsgericht ist im Sinne der gesicherten Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die aus § 1327 ABGB abgeleiteten Schadenersatzansprüche der Witwe und der Waisen nach § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergehen, der kongruente Leistungen an Witwen- und Waisenpension erbringt (2 Ob 239/18p, 2 Ob 197/17k, RIS-Justiz RS0031633), wobei die Legalzession nichts an der Rechtsnatur des ihr zugrundeliegenden Anspruchs ändert (RS0034514 [T6]). Dem tritt das Rechtsmittel nicht entgegen.

[11]           2. Der Beklagte stützt die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf den Umstand, dass zum Ausmaß der Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen § 286 StGB keine Rechtsprechung vorhanden sei.

[12]           2.1 Zum Ausmaß der Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Verurteilung existiert eine gesicherte und umfassende Rechtsprechung. Demnach kann sich ein strafgerichtlich rechtskräftig Verurteilter im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber nicht darauf berufen, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe (1 Ob 612/95 [verstärkter Senat]; RS0074219). Dabei erstreckt sich die Bindung auf die den Schuldspruch notwendigerweise begründenden Tatsachen (RS0074219 [T5]). Von der Bindungswirkung ist die Feststellung umfasst, dass der Verurteilte eine bestimmte strafbare Handlung begangen hat (RS0074219 [T6]). Der Zivilrichter darf daher keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen treffen (RS0074219 [T13, T27]). Es besteht jedenfalls insoweit Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis, als davon auszugehen ist, dass die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich vom Verurteilten begangen wurde und dass dessen tatsächliche Handlungen für den Schadenserfolg kausal waren (RS0074219 [T13]).

[13]           2.2 Die Entscheidung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen der Rechtsprechung, deren Grundsätze für das Delikt des § 286 StGB angewandt wurden.

[14]           2.2.1 Dass die referierte Rechtsprechung zur Bindung an ein strafgerichtliches Urteil noch nicht im Zusammenhang mit § 286 StGB angewandt wurde, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (vgl RS0102181 allgemein für die Konstellation, dass eine Judikatur zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt).

[15]           2.2.2 Nach dem klaren Wortlaut des § 286 StGB ist der Täter nicht zu bestrafen, wenn er die Verhinderung der strafbaren Handlung nicht leicht bewirken konnte (vgl RS0095765). Die Strafbarkeit hängt damit davon ab, dass dem Handlungspflichtigen die Vornahme der gebotenen Handlung im Einzelfall physisch-real möglich war (15 Os 54/00; RS0089536).

[16]           2.2.3 Nach dem Strafurteil hat es der Beklagte vorsätzlich unterlassen, den Mord an B***** C***** zu verhindern. Es bedarf daher keiner Korrektur, wenn aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Beklagten die Vorinstanzen ihrer Entscheidung den Umstand bindend zugrundelegten, dass es dieser rechtswidrig und vorsätzlich unterlassen hat, den Mord zu verhindern, und er damit den Tod von B***** C***** durch Unterlassung verursacht hat.

[17]           2.3 Auch mit dem Hinweis auf eine Ausnahme der Bindungswirkung „im Verhältnis zwischen Haftpflichtversicheren mehrerer Schädiger“ wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Der Beklagte nimmt hier offensichtlich darauf Bezug, dass im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung eine Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung des versicherten Lenkers im allgemeinen nicht besteht. Dieser Ausnahme liegt § 28 KHVG 1994 und das Bestreben zugrunde, Entscheidungsdivergenzen zu vermeiden (RS0110240). Entsprechendes gilt für den Bereich der Luftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bei Drittschadensfällen (RS0110240 [T10]). Die vom Beklagten angesprochene Konstellation in diesem Bereich der Haftpflichtversicherung liegt im Anlassfall nicht vor. Diese Rechtsprechung ist hier somit nicht einschlägig, zumal – wie oben erwähnt – die Position des Regresspflichtigen durch die Legalzession nach § 332 ASVG in keiner Weise verändert wird (RS0034514 [T6]). Aus der in Punkt 2.1 referierten Rechtsprechung ist auch nicht abzuleiten, dass bei mehreren Schädigern keine Bindung an die jeweilige strafgerichtliche Verurteilung bestehen soll.

[18]           3. Die Ausführungen zum Schutzweck des § 286 StGB betreffen ebenso keine Fragen im Sinne des § 502 ZPO.

[19]           3.1 In der Rechtsprechung wurde bereits klargestellt, dass § 286 StGB ein Schutzgesetz im weiteren Sinn ist, das eine besondere gesetzliche Pflicht festsetzt, die drohende Beschädigung eines Dritten abzuwehren (6 Ob 147/99g). Demnach wurde diese Vorschrift auch zum Schutz von Individualinteressen erlassen. Wenn die Vorinstanzen auch den mit dem Tod des Opfers verbundenen Schaden der Angehörigen, der ohne inhaltliche Änderung auf die Klägerin übergegangen ist, vom Schutzzweck des § 286 StGB als umfasst sahen, bedarf dies keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

[20]           3.2 Die Zulässigkeit des Rechtsmittels kann auch nicht mit dem Hinweis auf einen bloß mittelbaren Schaden gestützt werden. Nach der Judikatur ist der hier anzuwendende § 1327 ABGB als Sonderregelung zugunsten der Hinterbliebenen als mittelbar Geschädigte zu qualifizieren (2 Ob 99/06g). Der Anspruch der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB ist ein eigener (originärer) Schadenersatzanspruch gegenüber dem Schädiger aus der tödlichen Verletzung des Opfers (RS0031410 [T3]; RS0031342 [T8, T16]), woran sich nichts ändert, wenn der Sozialversicherer die auf ihn übergegangenen Ansprüche der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB im Rahmen des § 332 ASVG gegenüber dem Schädiger geltend macht (2 Ob 226/63 = SZ 36/133).

[21]           3.3 Bereits aus der bisherigen Rechtsprechung lässt es sich im Fall des Todes des unmittelbar geschädigten Dritten (hier: des Mordopfers) daher ableiten, dass (auch) der Beklagte für den damit verursachten Schaden der Hinterbliebenen haftet.

[22]           4. Auch die Behauptung des Beklagten, dass der eingetretene Schaden außerhalb des Adäquanzzusammenhangs der ihm angelasteten Straftat liege, wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf. Dass es die Vorinstanzen im Ergebnis nicht außerhalb der gewöhnlichen Lebenserfahrung angesehen haben, dass der Beklagte durch seine strafbare Handlung (nämlich die unterlassene Verhinderung eines Mordes) den nun geltend gemachten Schaden (nämlich die übergegangenen Ansprüche der Hinterbliebenen) verursachte, weicht von den zur Adäquanz entwickelten Grundsätzen der gesicherten Rechtsprechung nicht ab (RS0098939, RS0022944). Die Argumentation des Beklagten, dass für einen Täter nach § 286 StGB ein Mord nicht vorhersehbar sein müsse, blendet seine strafgerichtliche Verurteilung aus, der gerade die unterlassene Verhinderung eines Mordes zugrundeliegt.

[23]           5. Der Beklagte argumentiert, dass er gegenüber der Klägerin keine Straftat begangen habe, weshalb § 1489 Satz 2 2. Fall ABGB nicht zur Anwendung komme. Auch damit werden keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 ZPO aufgezeigt.

[24]           5.1 Die Anwendung des § 1489 Satz 2 2. Fall ABGB setzt voraus, dass der Geschädigte durch das Delikt des Straftäters geschädigt wurde (RS0034432 [T2]). Oben wurde bereits auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach der Anspruch der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB ein eigener (originärer) Schadenersatzanspruch gegenüber dem Schädiger ist. Die Legalzession ändert die Rechtsnatur des Anspruchs und die Verjährungsfrist nicht (RS0034514 [T1]).

[25]           5.2 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Beklagte die Hinterbliebenen des Mordopfers durch die strafbare Handlung geschädigt habe und sich die klagende Partei bei der Geltendmachung des auf sie übergegangen Anspruchs daher auf die längere Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 2. Fall ABGB berufen konnte, hält sich daher im Rahmen der Rechtsprechung.

Textnummer

E131467

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00031.21M.0324.000

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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