TE OGH 2021/2/18 14Os135/20i

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Veröffentlicht am 18.02.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Nagy in der Strafsache gegen ***** T***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom 15. Oktober 2020, GZ 50 Hv 115/19x-45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil und der zugrunde liegende Wahrspruch aufgehoben und die Sache an das Landesgericht Feldkirch als Geschworenengericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Darauf wird der Angeklagte mit seinen Rechtsmitteln verwiesen.

Text

Gründe:

[1]            Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde ***** T***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (2/a) sowie der Vergehen der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 3 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1) StGB (1/a und b) und der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (2/b) schuldig erkannt.

[2]            Danach hat er in I***** und K*****

1/ vom 7. September 2016 bis zu einem unbekannten Zeitpunkt nach dem 7. April 2017 an der staatsfeindlichen Verbindung „S*****“, mithin an einer Verbindung, deren wenn auch nicht ausschließlicher Zweck es ist, auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik oder eines ihrer Bundesländer zu erschüttern,

a/ auf eine andere als die in § 246 Abs 2 StGB bezeichnete Weise unterstützt, indem er sich am 7. September 2016 dieser Verbindung durch Zahlung eines Mitgliedsbeitrags von 20 Euro sowie durch Kauf und Unterzeichnung einer „Lebendmeldung“ anschloss und in weiterer Folge auch eine „Authentitätskarte“ und zwei (im Urteil näher bezeichnete) „Phantasie-Kennzeichentafeln“ für zumindest 100 Euro erwarb;

b/ sonst teilgenommen, indem er am „13./15.“ März 2017 in einem gegen ihn geführten (im Urteil konkretisierten) Strafverfahren der dort zuständigen Richterin ein Schreiben übermittelte, in welchem er sie unter Stellung einer unberechtigten Schadenersatzforderung in der Höhe von 30.000 Euro und Androhung der Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister und anschließender Zwangsvollstreckung sinngemäß aufforderte, das genannte Strafverfahren umgehend zu beenden, wobei er auch den Eindruck vermittelte, hinter ihm würde eine Organisation, nämlich der „S*****“, stehen und dessen Mitglieder und Organe seien in der Lage, Eintragungen in internationale Schuldenregister zu bewirken;

2/ durch Übermitteln des zu 1/b genannten Schreibens

a/ mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf Strafverfolgung zu schädigen, eine Beamtin (im strafrechtlichen Sinn), nämlich die zuständige Richterin, zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu missbrauchen;

b/ diese Richterin durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen zu einer Handlung oder Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von weiteren Strafverfolgungsschritten und zur Beendigung des Strafverfahrens, zu nötigen versucht.

[3]       Dagegen richtet sich die vom Angeklagten aus den Gründen der Z 1, 5 und 13 des § 345 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

[4]       Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – von mehreren nicht geltend gemachten Rechtsfehlern (Z 11 lit a) zum Nachteil des Angeklagten, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, § 344 zweiter Satz StPO).

[5]            Bei geschworenengerichtlichen Urteilen entspricht die von § 342 dritter Satz StPO verlangte Wiedergabe des Wahrspruchs, also der an die Geschworenen gestellten Fragen und der Antworten der Geschworenen, der Feststellung der entscheidenden Tatsachen, bildet also das tatsächliche Korrelat zur Subsumtion nach § 260 Abs 1 Z 2 (iVm § 302 Abs 1) StPO. Um sicherzugehen, dass einerseits die Geschworenen die Bedeutung der in den zu prüfenden Tatbeständen verwendeten Begriffe richtig verstanden haben und andererseits eine effektive (also nicht bloß zirkuläre) Rechtskontrolle durch den Obersten Gerichtshof möglich ist, verlangt dieser daher eine – je nach Tatbestand und Komplexität des Falls unterschiedlich auszugestaltende – Anführung konkreter Tatumstände, welche die gesetzlichen Merkmale verwirklichen. Das erfordert unter Umständen auch eine (sachverhaltsmäßige) Auflösung vom Tatbestand verwendeter, wertausfüllungsbedürftiger Begriffe. Der Wahrspruch bildet eine geeignete Urteilsbasis nur dann, wenn die an die Geschworenen gerichteten Fragen die Rückführung der zu beurteilenden Rechtsbegriffe auf den (entscheidenden) Sachverhalt aus sich selbst heraus ermöglichen. Denn angesichts der Besonderheiten des geschworenengerichtlichen Verfahrens geht es nicht an, Undeutlichkeiten (oder Widersprüchlichkeiten) des Wahrspruchs, die auf der Fragestellung beruhen, durch Einbeziehung der pragmatischen Sprachebene (wie etwa im schöffengerichtlichen Verfahren [vgl RIS-Justiz RS0117228]) zu beseitigen (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613 und 616 sowie § 345 Rz 28 und 40 f; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 9, 17, 19 und 21; RIS-Justiz RS0100780 [insbes T5]; vgl auch RS0114319 [insbes T6]).

[6]            Von diesem Maßstab ausgehend zeigt sich, dass zu den Hauptfragen I und II (in Richtung Vergehen der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs [1 und] 3 erster und zweiter Fall StGB) die gebotene (sachverhaltsmäßige) Auflösung des vom Tatbestand verwendeten Begriffs „Verbindung“ einerseits und zu deren tatbildlicher Zweckausrichtung andererseits unterblieben ist. Unter einer Verbindung verstehen Rechtsprechung und Lehre einen Zusammenschluss einer größeren Zahl von Menschen, der auf eine gewisse Dauer angelegt ist und ein Mindestmaß an Organisation aufweist, um das damit angestrebte Ziel zu erreichen (RIS-Justiz RS0088004; Bachner-Foregger in WK2 StGB § 246 Rz 4; Salimi/Tipold, SbgK § 246 Rz 15 ff; Leukauf/Steininger/Huber, StGB4 § 246 Rz 5 f). Konkrete Tatsachen zur Beurteilung dieser Voraussetzungen enthält der Wahrspruch nicht (14 Os 33/20i; RIS-Justiz RS0120637).

[7]            Gleiches gilt in Bezug auf die von § 246 Abs 1 StGB erfasste Zweckausrichtung der inkriminierten Verbindung „S*****“ (vgl dazu Bachner-Foregger in WK2 StGB § 246 Rz 3 und 5; Salimi/Tipold, SbgK § 246 Rz 20 ff), weil der Wahrspruch insoweit bloß die verba legalia („auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu erschüttern“) wiedergibt, ohne einen Sachverhaltsbezug herzustellen (RIS-Justiz RS0100686 [insbes T10 und T12], RS0119090). Dass ansonsten die dem Angeklagten angelasteten, im Sinn des § 246 Abs 3 StGB tatbildlichen Tathandlungen näher umschrieben sind, vermag dieses Defizit ebenso wenig zu beseitigen wie die Anführung des Eigennamens der Verbindung (14 Os 98/19x).

[8]            Zur Hauptfrage III in Richtung des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB enthält der Wahrspruch keine Sachverhaltsgrundlage zum Tatbestandserfordernis, der Angeklagte habe mit dem Wissen um zumindest vorsätzlichen Befugnisfehlgebrauch der unmittelbaren Täterin gehandelt, was jedoch Voraussetzung für seine Strafbarkeit als Bestimmungstäter wäre (RIS-Justiz RS0108964; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 180). Indem der (dem oben wiedergegebenen Schuldspruch entsprechende) Wahrspruch keine Aussage zum (Tatbild-)Vorsatz enthält, bringt er (gerade umgekehrt) bloß bedingten Vorsatz des Angeklagten in Bezug auf wissentliches Handeln der Adressatin seines Schreibens zum Ausdruck (vgl § 7 Abs 1 StGB; RIS-Justiz RS0113270 [insbes T3]; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 13).

[9]            Schließlich enthält die Hauptfrage IV in Richtung des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB – mangels näherer Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Schreibens – keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die Beurteilung des Tatmittels der gefährlichen Drohung. Zwar ist der Vermögensbegriff unter dem Aspekt gefährlicher Drohung weit auszulegen. Auch die Drohung mit Strafanzeige oder Klage kann (als eine solche mit Verletzung am Vermögen) tatbildlich sein, wenn damit beim Opfer der Eindruck erweckt wird, (Verfahrens-)Kosten für die Abwehr ungerechtfertigter Ansprüche aufwenden zu müssen (RIS-Justiz RS0131845; Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 60; Kienapfel/Schroll BT I4 § 105 Rz 39 ?jeweils mit Verweisen auf die Rechtsprechung?). Die bloße Ankündigung der Eintragung einer unberechtigten Schadenersatzforderung und eines Pfandrechts „in ein internationales Schuldenregister und anschließender Zwangsvollstreckung“, ohne die Folgen einer solchen Eintragung (dem Opfer gegenüber) näher darzustellen, bietet bei Anlegung des gebotenen objektiv-individuellen Maßstabs (RIS-Justiz RS0092753) keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme der Eignung des inkriminierten Schreibens, eine solche Befürchtung (mit derartigen Abwehrkosten konfrontiert zu sein), zu wecken (17 Os 25/17f; 14 Os 13/20y).

[10]     Die aufgezeigten Rechtsfehler erfordern die Aufhebung des gesamten Urteils und des zugrunde liegenden Wahrspruchs bei der nichtöffentlichen Beratung samt Rückverweisung der Sache an das Geschworenengericht des Landesgerichts Feldkirch (§§ 285e, 344 und 351 zweiter Satz StPO).

[11]           Auf diese Entscheidung war der Angeklagte mit seinen Rechtsmitteln zu verweisen.

[12]           Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die in § 246 Abs 3 normierten Begehungsweisen (sonstige Teilnahme und Unterstützung auf andere als die im Abs 2 bezeichnete Weise) rechtlich gleichwertig sind, solcherart ein alternativer Mischtatbestand vorliegt. Mehrere dieser Tathandlungen in Bezug auf dieselbe Verbindung sind – unter den sonstigen Voraussetzungen (vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89) – zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammenzufasssen, dass durch diese (eine) Tat nur ein Vergehen nach § 246 Abs 3 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1) StGB begründet wird.

[13]           Mit Blick auf das aus Z 1 erstattete Vorbringen wird klargestellt, dass – hier der Sache nach behauptete – örtliche Unzuständigkeit eines Kollegialgerichts nach Rechtswirksamkeit der Anklageschrift nicht mehr geltend gemacht werden kann (§ 213 Abs 5 StPO; vgl §§ 281a, 344 zweiter Satz StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111 f). Nicht gehörige Besetzung des Schwurgerichtshofs oder der Geschworenenbank im Sinn des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes wird solcherart nicht angesprochen.

Textnummer

E130830

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00135.20I.0218.000

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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