TE OGH 2020/5/27 7Ob8/20g

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Veröffentlicht am 27.05.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI F***** S*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 13.784,76 EUR sA, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 8. November 2018, GZ 5 R 150/18t-13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 7. Juni 2018, GZ 207 Cg 353/18f-9, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

II.1 Die Rückziehung der Revision der klagenden Partei wird zur Kenntnis genommen.

2. Das im Schriftsatz vom 2. Jänner 2020 enthaltene – über die Rückziehung der Revision hinausgehende – Vorbringen wird zurückgewiesen.

III. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit nicht die Abweisung von 414,16 EUR samt 4 % seit 4. 4. 2018 bereits in Rechtskraft erwachsen ist, aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war Angestellter der Beklagten und schloss mit ihr mit Beginn 1. 4. 2005 und Ablauf 30. 3. 2030 einen klassischen Lebensversicherungsvertrag ab. Im schriftlichen Antrag vom 16. 3. 2005 und in den diesem angeschlossenen Unterlagen („M***** Spartenantrag“, „Schlusserklärung für die Personenversicherung“) ist eine Rücktrittsbelehrung gemäß § 165a VersVG nicht enthalten. Der Kläger erhielt „eine Polizze“ übermittelt, die er mit seiner Unterschrift versehen an die Beklagte rückmittelte.

Im Weiteren kam es mit Antrag, vom Kläger unterfertigt am 27. 1. 2006 und Versicherungsbeginn 1. 2. 2006, zu einer Änderung dieses Lebensversicherungsvertrags sowie mit Antrag vom 22. 1. 2007, Versicherungsbeginn 1. 2. 2007, zu einer Reduktion der monatlichen Prämie, weil der Kläger die Arbeit im Unternehmen der Beklagten beendete.

Die den Änderungsanträgen vom 27. 1. 2006 und 22. 1. 2007 jeweils angeschlossenen „Informationen zur klassischen Lebensversicherung (gemäß §§ 91 und 18b VAG)“ lauten jeweils auszugsweise:

[...]

„8. Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsnehmers

[…]

Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG:

[…]

Rücktrittsrecht nach § 3a KSchG:

[…]

Rücktrittsrecht nach § 5b VersVG:

[…]

Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG: Sie können binnen zweier Wochen nach Zustandekommen des Vertrages von diesem zurücktreten.

Rücktrittsrecht nach § 6 FernFinG:

[…]

Kündigungsrecht nach allgemeinen Versicherungsbedingungen:

Sie können Ihre Lebensversicherung schriftlich kündigen:

[…]“

Mit Schreiben vom 19. 7. 2007 teilte die Beklagte dem Kläger unter anderem mit, dass sie aufgrund einer Anforderung der Finanzmarktaufsichtsbehörde verpflichtet sei, die Versicherung den gesetzlichen Gegebenheiten anzupassen. Durch diese Umstellung ergäben sich für den Kläger keine Nachteile. Die genauen Vertragsdaten seien der beiliegenden neuen Polizze zu entnehmen, die bereits zugegangene Polizze habe keine Gültigkeit mehr. In der neuen Versicherungspolizze lautet der Punkt Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers:

„Die nachfolgend angeführten Absätze haben nur für den Fall Gültigkeit, dass die schriftliche Vertragserklärung (Antrag auf Änderung des Vertrages) auf eine inhaltliche Änderung hinsichtlich des Versicherungsobjektes oder der Versicherungssummen gerichtet ist.

Bei formalen Vertragsänderungen, wie Änderung der Zahlungsweise oder Zahlungsart, Änderung der begünstigten Person, Änderung der Anschrift etc. sind sie nicht anzuwenden.

[...]

Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG:

Sie sind berechtigt, binnen 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrages von diesem zurückzutreten.

[…]“

Mit Schreiben vom 28. 2. 2018 erklärte der Kläger seinen Rücktritt vom Vertrag wegen fehlerhafter Belehrung über die ihm zustehenden Rücktrittsrechte bei Vertragsabschluss. Die Beklagte wies diesen als verspätet zurück.

Der Kläger begehrt unter Berufung auf eine nicht bzw nur fehlerhaft erfolgte Belehrung über sein Rücktrittsrecht vom Lebensversicherungsvertrag nach § 165a VersVG im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrags und dem daraus resultierenden unbefristeten Rücktrittsrecht die Bezahlung von 13.784,86 EUR samt 4 % Zinsen aus 13.634,44 EUR seit 4. 4. 2018. Die Beklagte habe den Kläger nicht über § 165a VersVG in der Fassung BGBl I Nr 62/2004 belehrt. Die späteren Belehrungen in den Änderungsanträgen seien insofern fehlerhaft gewesen, als sie über ein Rücktrittsrecht binnen zwei Wochen ab Zustandekommen des Vertrags belehrt hätten, während dem Kläger tatsächlich ein Rücktrittsrecht von 30 Tagen zugestanden hätte. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wie der Kläger habe davon ausgehen müssen, dass auch für den Rücktritt nach § 165a VersVG Schriftlichkeit erforderlich sei.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Die Rücktrittsbelehrung des Klägers sei ordnungsgemäß und fehlerfrei erfolgt. Ein unbefristetes Rücktrittsrecht stehe ihm nicht zu. Die Rücktrittsfrist des § 165a VersVG sei auch wegen Kenntnis des Klägers von dieser bereits mehr als 30 Tage vor Abgabe der Rücktrittserklärung abgelaufen; auch eine erst nachträglich erfolgte Belehrung, wie jene mit Schreiben vom 19. 7. 2007, löse die Rücktrittsfrist aus. Es stehe überdies nur ein Anspruch auf den Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht wies den auf die Versicherungssteuer entfallenden Klagsbetrag ab und bestätigte im Übrigen das Ersturteil. Dem Kläger sei bei Vertragsabschluss keine Rücktrittsbelehrung erteilt worden, eine nachfolgende – selbst richtige – Belehrung, könne dies ebenso wenig korrigieren wie eine Kenntniserlangung darüber. Ein widersprüchliches Verhalten sei nicht anzunehmen, weil keine entsprechende Vertrauenssituation vorgelegen sei. Die Anwendung des § 176 VersVG widerspreche 7 Ob 107/15h. Die Verjährung der Zinsen beginne nicht mit der Prämienzahlung, sondern dann, wenn der Versicherungsnehmer über sein Rücktrittsrecht aufgeklärt werde. Allerdings sei die Versicherungssteuer abzuziehen, weil insofern keine Leistung im Sinne einer bewussten Vermehrung fremden Vermögens erbracht worden sei.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof in 7 Ob 107/15h mit den bereicherungsrechtlichen Folgen eines Rücktritts nach § 165a VersVG nicht im Detail auseinandergesetzt habe.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Parteien mit den Anträgen auf Abänderung im Sinn einer Klagestattgebung bzw Klageabweisung. Hilfsweise stellen beide Aufhebungsanträge.

In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen sie jeweils die Zurückweisung hilfsweise die Abweisung der Revision der Gegenseite.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

1. Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom 20. 3. 2019, AZ 7 Ob 33/19g, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z-12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C-479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

Der EuGH hat mit Urteil vom 19. Dezember 2019 in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 (Rust-Hackner) über das zuvor bezeichnete Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

Zu II. 

1. Der Kläger zog seine Revision gegen die Abweisung von 414,26 EUR sA an Versicherungssteuer mit Schriftsatz vom 2. 1. 2020 unter Anspruchsverzicht zurück.

Die Zurückziehung der Revision ist nach §§ 484, 513 ZPO bis zur Entscheidung über diese zulässig (RS0118330) und mit deklarativer Wirkung zur Kenntnis zu nehmen (RS0042041 [T3]).

2. Mit seinen darüber hinausgehenden Ausführungen verletzt der Kläger den Grundsatz der Einmaligkeit von Rechtsmitteln.

Zu III.:

Die Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

A. Belehrung über das Rücktrittsrecht:

1. Zum nationalen (österreichischen) Recht bei Abschluss des Versicherungsvertrags:

1.1. Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idF BGBl I 2004/62), in Kraft von 1. 10. 2004 bis 31. 12. 2006 lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. …“

Von 1. 1. 2007 bis 30. 6. 2012 lautete die Bestimmung (idF BGBl I 2006/95) wie folgt:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach seiner Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. ...“

1.2. Der bei Vertragsabschluss bzw bei den Vertragsänderungen geltende § 9a Abs 1 VAG (idF BGBl 1996/447) lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist bei Abschluß eines Versicherungsvertrages über ein im Inland belegenes Risiko vor Abgabe seiner Vertragserklärung schriftlich zu informieren über

6. die Umstände, unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluß des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann.

...“

2. Zu den Rechtsbelehrungen der Beklagten:

Das Antragsformular der Beklagten enthielt keine Rechtsbelehrung über die Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers. Die den Änderungsanträgen angeschlossenen Belehrungen wiederum enthielten Hinweise auf ein zweiwöchiges Rücktrittsrecht.

Sie entsprachen daher nicht den Anforderungen des Art 15 Abs 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung 90/619 und dem zitierten § 165a VersVG.

Die Belehrung in der Polizze, die aufgrund von Anforderungen der Finanzmarktaufsichtsbehörde ausgestellt wurde, enthielt zwar eine § 165a VersVG entsprechende Rücktrittsbelehrung, aber auch den Hinweis, dass diese Belehrung nicht in Fällen rein formaler Vertragsänderungen gilt, zu denen ein verständiger durchschnittlicher Versicherungsnehmer (RS0112256; RS0008901) auch den konkret vorliegenden Fall zählen musste.

Damit entsprachen alle Belehrungen der Beklagten nicht den oben genannten gesetzlichen Anforderungen.

3. Zu den Rechtsfolgen der fehlerhaften Belehrung:

3.1. Der Senat hat von den Entscheidungen des EuGH 19. 12. 2013, C-209/12, Endress, und 10. 4. 2008, C-412/06, Hamilton, ausgehend ausgesprochen, dass aufgrund einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung über die Dauer der Rücktrittsfrist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 165a Abs 2 VersVG dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zusteht (7 Ob 107/15h = RS0130376).

3.2. Sowohl aus der Struktur als auch aus dem Wortlaut der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen folgt, dass damit sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht genau belehrt wird (C-209/12, Endress, Rn 25). Wenn ein Versicherungsnehmer daher nicht (oder zumindest nicht ausreichend) belehrt worden ist, steht dies dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt damit zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht (

7 Ob 107/15h Pkt 2.3.1 mwN, 7 Ob 10/12a, 7 Ob 11/20y).

3.3. Die Beklagte erteilte dem Beklagten zu keinem Zeitpunkt eine gesetzeskonforme Belehrung nach § 165a VersVG. Damit wurde dem Kläger die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, sodass auf die Frage der Wirkung einer nach Vertragsabschluss erfolgten richtigen Belehrung nicht eingegangen werden muss.

4. Kein „widersprüchliches Verhalten“:

Die Beklagte argumentiert weiters, die Ausübung des Rücktrittsrechts Jahre nach dem Abschluss des Vertrags sei rechtsmissbräuchlich und widersprüchlich.

Aus der Beantwortung der Vorlagefrage 2 in EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner folgt, dass in einem Fall, in dem der Versicherer dem Versicherungsnehmer keine oder eine entsprechend fehlerhafte Information über dessen Rücktrittsrecht mitgeteilt hat, die Frist für das Rücktrittsrecht selbst dann nicht zu laufen beginnt, wenn der Versicherungsnehmer auf anderem Weg von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt haben sollte (7 Ob 19/20z; 7 Ob 15/20m). Demzufolge kann auch der Umstand, dass der Kläger Angestellter der Beklagten war, an seinem Rücktrittsrecht nichts ändern.

Den Einwänden der Beklagten, der Versicherungsnehmer habe dadurch, dass er Änderungen des Lebensversicherungsvertrags in den Jahren 2006 und 2007, darunter die Reduzierung der Prämien, veranlasst habe und über Jahre am Versicherungsvertrag festhielt, ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrags begründet, weshalb sein Verhalten rechtsmissbräuchlich und widersprüchlich sei, steht schon entgegen, dass der Versicherungsnehmer nicht in Kenntnis seines Rücktrittsrechts handelte, sondern über die Tatsache bzw Dauer seines Rücktrittrechts im Unklaren gelassen wurde. Aus seinem Verhalten können daher keine rechtlichen Schlüsse gezogen werden (7 Ob 40/20p; 7 Ob 15/20m).

B. Zu den Rechtsfolgen des Rücktritts:

Wie der Fachsenat jüngst wiederholt ausgesprochen hat, löst aufgrund der Beantwortung der Vorlagefrage 4 durch den EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, ein Rücktritt des Versicherungsnehmers nicht die Rechtsfolgen nach § 176 VersVG aus, sondern führt zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags (7 Ob 19/20z; 7 Ob 10/20a; 7 Ob 11/20y; 7 Ob 15/20m).

Das bedeutet, dass der Kläger aufgrund der infolge des wirksamen Rücktritts vorzunehmenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien hat.

C. Zur Verzinsung zurückzuzahlender Prämien:

1.1 Kondiktionsansprüche, die aus der (Teil-)Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts oder einer Vertragsbestimmung resultieren, verjähren in 30 Jahren beginnend vom Tag der Zahlung (RS0127654).

1.2 Alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht, darunter auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“), verjähren gemäß § 1480 ABGB (RS0031939; RS0033829; RS0032078; RS0038587). Unkenntnis des Anspruchs hindert den Beginn der Verjährung im Allgemeinen nicht. Wer etwa einen wegen Irrtums (auch eines Rechtsirrtums) ohne Rechtsgrund geleisteten Geldbetrag zurückfordert, ist zwar bis zur Aufdeckung dieses Willensmangels gar nicht in der Lage, Zinsen von dem rechtsgrundlos gegebenen Kapital zu fordern; das hindert aber nicht den Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1480 ABGB, ist doch der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich – von Ausnahmebestimmungen wie etwa § 1489 ABGB abgesehen – an die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung geknüpft. Die Möglichkeit zu klagen ist im objektiven Sinn zu verstehen; subjektive, in der Person des Berechtigten liegenden Hindernisse, wie ein Irrtum des Berechtigten oder überhaupt Unkenntnis des Anspruchs, haben in der Regel auf den Beginn der Verjährungsfrist keinen Einfluss (RS0034337; RS0034445 [T1]; RS0034248). Mehr als drei Jahre vor dem Tag der Klagseinbringung rückständige Vergütungszinsen sind daher verjährt (4 Ob 584/87).

1.3 In seinen erst jüngst ergangenen Entscheidungen 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y hat der erkennende Fachsenat diese Rechtsprechung auch für den Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach einem (Spät-)Rücktritt des Versicherungsnehmers von einem Lebensversicherungsvertrag ausdrücklich aufrechterhalten.

2.1 Ausgehend von der Entscheidung des EuGH 19. 12. 2013, C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, (ua) hat der Senat in seinen Entscheidungen 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y weiters ausgesprochen: Im Grundsatz steht das Unionsrecht einer Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren nicht entgegen, wenn dies die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst nicht beeinträchtigt. Der EuGH hob deutlich hervor, dass das Rücktrittsrecht nicht dazu dient, dass der Versicherungsnehmer eine höhere Rendite erhalten oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen spekulieren kann. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine solche Verjährung des Anspruchs auf Vergütungszinsen geeignet ist, die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst zu beeinträchtigen, zumal Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietendem Versicherer große Unterschiede aufweisen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können. Wenn unter diesen Umständen die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen, insbesondere wenn der Versicherungsnehmer nicht richtig über die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts informiert wurde. Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren.

2.2 Der Kläger meint, dass der dreijährigen Verjährung von Vergütungszinsen jedenfalls entgegenstehe, wenn dadurch „der Anspruch des Versicherungsnehmers infolge des Rücktritts erheblich (mehr als 10 %) geschmälert“ würde.

Die Ausführungen des EuGH in seiner Entscheidung 19. 12. 2013, C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, (ua) zeigen, dass bei der – im Zusammenhang mit der Verjährung von Vergütungszinsen relevanten – Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ausschließlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Hingegen bezieht sich der EuGH ganz klar auf den Zeitpunkt des Rücktritts, wenn er davon ausgeht, dass dessen Ausübung dem Versicherungsnehmer keinesfalls ermöglichen soll, auf eine Rendite im oben aufgezeigten Sinn zu spekulieren, er also keine Vorteile aus einem verspäteten Rücktritt ziehen soll. Auf die zu 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y dargestellten Lehrmeinungen muss – vor dem Hintergrund der eben genannten Entscheidung des EuGH – nicht weiter eingegangen werden. Daraus folgt aber, dass das Ausmaß der Nutzungsentschädigung keine relevante Bezugsgröße ist, die auf die Frage der Verjährung der Vergütungszinsen Einfluss haben könnte, weil damit nämlich der vom EuGH verpönte Vorteil aus dem Spätrücktritt gezogen würde (Spekulation mit den gesetzlich gesicherten Vergütungszinsen). Das Ergebnis, dass nach Wirksamwerden der Verjährung ein geringer oder kein Anspruch bestehen könnte, ist allein kein Grund für eine teleologische Reduktion der Verjährungsregeln.

2.3 Soweit der Kläger argumentiert, es stelle einen Wertungswiderspruch dar, wenn zwar der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Vergütungszinsen, nicht aber jener des Versicherers auf Risikokosten innerhalb von drei Jahren verjähre, übersieht er, dass Risikokosten als eine aufgrund des Rücktritts nach § 1435 ABGB rückforderbare Leistung und somit als Konditionsanspruch der Beklagten einzuordnen wären.

2.4 Die unter Punkt 2.1 dargestellten Aspekte waren bislang nicht Gegenstand des Verfahrens und wurden nicht mit den Parteien erörtert. Es ist daher den Parteien Gelegenheit zu geben, Vorbringen zu erstatten und im Weiteren zu klären und festzustellen, ob der Vertrag im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den Bedürfnissen des Klägers entsprach, und ob und inwiefern er durch die Verjährung binnen drei Jahren daran gehindert worden ist, sein Rücktrittsrecht geltend zu machen. Nur dann wird die dreijährige Verjährungsfrist nicht anzuwenden sein.

2.5 Die grundsätzlich anzuwendende dreijährige Verjährungsfrist beginnt im Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung, das heißt mit der Zahlung der Prämie. Mehr als drei Jahre rückständige Verzugszinsen, berechnet von dem Tag der Klagseinbringung, sind daher verjährt. Werden fällige Zinsen eingeklagt, können mangels gesonderter Vereinbarung Zinseszinsen nicht vor dem Tage der Klagsbehändigung gefordert werden (§ 1000 Abs 2 ABGB; RS0083307).

Der Kläger wird in diesem Sinn sein Klagebegehren, insbesondere auch in Bezug auf den Ausdehnungsbetrag aufzuschlüsseln und klarzustellen haben, welche Beträge aus bezahlten Prämien nach Wegfall der mit ihrem konkreten Betrag den bisherigen Aufstellungen nicht zuordenbaren Versicherungssteuer noch begehrt werden und welche nicht verjährten Zinsen sowie, aus welchen (nicht verjährten Zinsen) welche Zinseszinsen weiterhin gefordert werden.

2.6 Der Kläger meint weiters, dass die Unterlassung der gesetzmäßigen Rücktrittsbelehrung kausal für den entstandenen Schaden (verjährte Vergütungszinsen) sei, weil er bei rechtzeitiger Belehrung bzw sodann erfolgtem Rücktritt, dessen Möglichkeit abstrakt zu prüfen sei, innerhalb von drei Jahren ab Prämienzahlung keinen Zinsenverlust durch Verjährung erlitten hätte. Schadenersatzansprüche würden aber erst drei Jahre ab Kenntnis des Schadens verjähren.

Abgesehen davon, dass bei einem aufgrund einer rechtzeitigen Belehrung erfolgten Rücktritt gar keine Vergütungszinsen entstanden wären, verbietet sich auch die Beurteilung allein der Verjährung der ausschließlich geltend gemachten bereicherungsrechtlichen Vergütungszinsen nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen.

D. Die Versicherungssteuer ist infolge Rückziehung der Revision des Klägers nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

E. Der Revision der Beklagten ist Folge zu geben und es sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im noch nicht rechtskräftig erledigten Teil aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Textnummer

E128692

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00008.20G.0527.000

Im RIS seit

30.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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