TE OGH 2019/1/17 28Ds4/18d

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Veröffentlicht am 17.01.2019
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Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. Jänner 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart der FI Mock als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Diszplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 19. März 2018, AZ D 3/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, des Kammeranwalts Dr. Kaska und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird keine Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 19. März 2018, AZ D 3/17, wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat er

1./ im Zeitraum 5. April 2013 bis 24. Jänner 2014 im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** grob sorgfaltswidrig unterlassen, ein Vorbringen zu § 27a KSchG zu erstatten, wodurch es zum Prozessverlust seiner Mandantin, der B***** GmbH, kam;

2./ ohne Auftrag seiner Mandantin, der B***** GmbH, am 16. September 2013 eine Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts ***** vom 5. August 2013, AZ *****, erhoben;

3./ den durch das zu den Schuldsprüchen 1./ und 2./ beschriebene Verhalten entstandenen Schaden trotz der ihm mit Urteil des Bezirksgerichts ***** vom 10. Juni 2016, AZ ***** auferlegten Zahlungsverpflichtung ab 10. Juni 2016 nicht ersetzt.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde hiefür eine Geldbuße von 3.000 Euro verhängt. Zudem wurde er zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – keine Nichtigkeitsgründe bezeichnete (vgl RIS-Justiz RS0128656) – Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.

Mit Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) reklamiert der Beschwerdeführer den Strafaufhebungsgrund der Verjährung gemäß § 2 Abs 1 Z 1 DSt, weil der „Kammer“ die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bereits seit 29. Oktober 2015 bekannt gewesen seien, der Kammeranwalt jedoch erst am 10. Februar 2017 die Bestellung eines Untersuchungskommissärs beantragt habe.

Nach § 2 Abs 1 Z 1 DSt wird die Verfolgung eines Rechtsanwalts wegen eines Disziplinarvergehens wegen Verjährung ausgeschlossen, wenn innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Kammeranwalts (§ 22 Abs 1 DSt) von dem einem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhalt kein Untersuchungskommissär bestellt wurde. Da im vorliegenden Fall der Akt am 16. Juni 2016 an den Kammeranwalt weitergeleitet und am 20. Februar 2017 ein Untersuchungskommissär bestellt wurde, ist eine Verjährung nicht eingetreten.

Der Kritik am Einleitungsbeschluss (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) ist entgegenzuhalten, dass dieser den vorgeworfenen Sachverhalt solcherart umschreiben muss, dass dem Disziplinarbeschuldigten die Vorbereitung einer wirksamen Verteidigung gegen den ihn konkret treffenden Vorwurf disziplinären Fehlverhaltens ermöglicht wird. Er enthält jedoch keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über eine allfällige Qualifikation der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlungsweise als Disziplinarvergehen (vgl RIS-Justiz RS0056978).

Weshalb der – die Vorwürfe im Wesentlichen bereits wie im Disziplinarerkenntnis konkretisierende – Einleitungsbeschluss vom 6. November 2017 den dargelegten Kriterien nicht entsprechen sollte und eine „verfassungsgesetzmäßige Anklage“ fehle, macht der Rechtsmittelwerber nicht deutlich.

Mit dem – im Übrigen unsubstanziierten – Vorwurf, dem Erkenntnis mangle es an einer ausreichenden rechtlichen Beurteilung (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) wird ein Nichtigkeitsgrund nicht geltend gemacht (RIS-Justiz RS0100877).

Die Ausgeschlossenheit bzw Befangenheit des „gesamten Disziplinarrats“ behauptende Besetzungsrüge (§ 281 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) nennt weder einen Ausschließungsgrund im Sinne des § 26 Abs 1 DSt noch konkrete Umstände, die aus der Sicht eines objektiven Beobachters bei diesem den Eindruck erwecken, der Abgelehnte könnte sich aus persönlichen Gründen bei seiner Entscheidung von anderen als sachlichen Erwägungen leiten lassen (vgl RIS-Justiz RS0056962, RS0097082). Denn das Vorbringen, der Disziplinarrat würde berechtigte Kritik nicht vertragen und Disziplinarverfahren als Reaktion darauf missbrauchen, stellt – selbst unter Berücksichtigung des Schreibens vom 28. Dezember 2017, mit dem die Ablehnung des gesamten Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich „wegen ihrer … unentschuldbaren Fehlleistungen ...“ vorgebracht wurde und der Verantwortung des Berufungswerbers anlässlich der Disziplinarverhandlung vom 29. Jänner 2018, wonach er sich „mangels Legitimität des Disziplinarrates nicht in die Verhandlung einlässt“ lediglich einen unsubstanziierten und damit unbeachtlichen Pauschalvorwurf dar.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der zu Schuldspruch 1./ erhobenen Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) steht die Feststellung, wonach ***** vor Einbringung der Klage die Höhe des geltend zu machenden Klagsbetrags mehrfach mit dem Geschäftsführer der B***** GmbH und dessen Ehegattin erörterte, nicht im Widerspruch zur weiteren Konstatierung, nach welcher er die B***** GmbH nicht ausdrücklich über den Inhalt der Bestimmung des § 27a KSchG informierte.

Ein allfälliger Widerspruch „zu den Akten“ ist unter dem Aspekt der Z 5 dritter Fall des § 281 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) unbeachtlich (RIS-Justiz RS0119089).

Inwiefern die das Verfahren AZ ***** führende Richterin des Bezirksgerichts ***** eine vom Rechtsmittelwerber dahin verstandene Äußerung getätigt hat, dass das Vorbringen der dortigen Beklagten noch keine Informationspflicht der Klägerin nach § 27a KSchG ausgelöst habe, ist vor dem Hintergrund, dass der Disziplinarbeschuldigte schon aufgrund seiner gemäß § 9 Abs 1 RAO bestehenden Verpflichtung zur Vertretung der Rechte seiner Partei mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit bei einer wie hier – angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 27a KSchG und der zur Informationspflicht des Unternehmers ergangenen Judikatur (vgl 1 Ob 268/03y sowie Apathy in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 27a KSchG Rz 4) unzweifelhaften Rechtslage nicht entscheidend und daher nicht erörterungsbedürftig (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt; vgl RIS-Justiz RS0106268), weil er jedenfalls, zumindest vorsichtshalber (RIS-Justiz RS0055381; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 12), ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten gehabt hätte (vgl auch RIS-Justiz RS0072005).

Die weitere Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) verfehlt mit der Behauptung, im Hinblick auf das substanziierte Vorbringen der Beklagten im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** sei eine – ohnehin erfolgte – Mitteilung gemäß § 27a KSchG nicht indiziert gewesen, die prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit, setzt sie sich doch über die gegenteiligen Konstatierungen des Disziplinarrats hinweg, wonach ***** trotz Verpflichtung zu einer Erklärung im Sinne des § 27a KSchG keine solche erstattet hatte (vgl RIS-Justiz RS0099810).

Die Berufungsausführungen bieten im Übrigen auch keinen Anlass zu Bedenken gegen die auf der Basis der Konstatierungen des Berufungsurteils des Landesgerichts ***** vom 23. Februar 2017, AZ *****, gegründeten Feststellungen des Disziplinarrats.

Der Vorwurf der fehlenden Berücksichtigung (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) der Ausführungen in der Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Urteil des Bezirksgerichts ***** vom 10. Juni 2016, AZ *****, geht schon deshalb ins Leere, weil dieser Schriftsatz in der Disziplinarverhandlung nicht verlesen wurde (vgl RIS-Justiz RS0118316). Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, weshalb die darin wiedergegebenen Aussagen des Geschäftsführers der B***** GmbH und seiner Ehefrau den getroffenen Feststellungen erörterungsbedürftig entgegenstehen sollten (vgl RIS-Justiz RS0098646).

Die in der Berufung erhobene Forderung, der Disziplinarrat hätte bei Zweifeln am Inhalt des Aktes AZ ***** des Bezirksgerichts ***** den Geschäftsführer der B***** GmbH und seine Ehefrau vernehmen müssen, legt nicht dar, weshalb der Beschwerdeführer in der Disziplinarverhandlung in erster Instanz an einer zielgerichteten Antragstellung gehindert gewesen wäre.

Der gegen den Schuldspruch 2./ gerichteten Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) zuwider ist der (nicht verlesenen) Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts ***** vom 10. Juni 2016, AZ *****, ein Antrag zur Erhebung eines Rechtsmittels (im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts *****) „nach bisheriger und auch vom GF der B***** GmbH nie bestrittenen Vereinbarung“ nicht zu entnehmen.

Die in diesem Zusammenhang erhobene Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) leitet die Ansicht, die Forderungen eines ausdrücklichen Auftrags zur Erhebung einer Berufung sei „praxisfremd“ und bei Zugang des Rechtsmittelentwurfs an den Mandanten sei im Fall einer nicht erwünschten Einbringung „nach Treu und Glauben“ eine entsprechende Mitteilung zu erwarten, nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565; vgl im Übrigen Feil/Wennig, AnwR8 § 9 RAO, 111; 20 Ds 3/18y).

Keine entscheidende Tatsache spricht die zu Schuldspruch 3./ erhobene Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) an, weil sich die in der als übergangen monierten Stellungnahme des Disziplinarbeschuldigten vom 26. November 2015 getroffenen Ausführungen zur Deckung durch die Haftpflichtversicherung auf den Zeitraum vor Fällung des erstinstanzlichen Urteils des Bezirksgerichts ***** vom 10. Juni 2016, AZ *****, und folglich nicht auf den der Verurteilung zugrunde liegenden Tatzeitraum bezogen.

Im Übrigen ist dazu anzumerken, dass es einem Rechtsanwalt keineswegs generell verwehrt ist, sich – wie ein Privatmann – gegen eine gegen ihn erhobene Forderung mit gerechtfertigten Einwendungen zur Wehr zu setzen. Wenn er somit nicht unbegründet, sondern seiner sorgfältig erwogenen Rechtsüberzeugung entsprechend die Erfüllung einer übernommenen Verpflichtung verweigert hat, bildet dies kein Disziplinarvergehen (RIS-Justiz RS0120583).

Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab und den Ausführungen im Disziplinarerkenntnis, wonach angesichts der zugestandenen, ohne Auftrag des Mandanten erhobenen Berufung nach Zugang des betreffenden erstinstanzlichen Urteils festgestanden hat, dass der Disziplinarbeschuldigte der Gegenseite zumindest die im Berufungsverfahren entstandenen Kosten zu erstatten haben wird, ist die rechtliche Schlussfolgerung des Disziplinarrats, die Berufungseinwendungen würden auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruhen, nicht zu beanstanden.

Mit dem Vorwurf der Nichtvorlage des Fristsetzungsantrags vom 14. März 2017 sowie der Beschwerde vom 26. Jänner 2018 gegen den Beschluss des Disziplinarrats vom 3. Jänner 2018 auf Zurückweisung des Ablehnungsantrags des Disziplinarbeschuldigten an den Obersten Gerichtshof wird weder ein Nichtigkeits- noch ein Berufungsgrund geltend gemacht.

Da eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gemäß § 49 letzter Satz DSt immer auch eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe impliziert, ist die Angemessenheit der über ***** verhängten Geldbuße zu prüfen, obwohl die Berufung dazu keine Ausführungen oder Anträge enthält.

Bei der Strafbemessung ging der Disziplinarrat davon aus, dass als mildernd die Unbescholtenheit zu werten war.

Mangels entsprechender Angaben des Disziplinarbeschuldigten konnte der Strafbemessung ein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen von 3.000 Euro zugrunde gelegt werden, der die Sorgepflicht für die Ehefrau und drei Kinder gegenüberstand.

Berücksichtigt man, dass der Berufungswerber sowohl eine Verletzung seiner Berufspflichten als auch von Ehre oder Ansehen des Standes zu vertreten hat, bestehen an der Höhe vom Erstgericht ausgemessenen Geldbuße keine Bedenken.

Der Berufung des Angeklagten war daher insgesamt keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 38 Abs 2 DSt.

Textnummer

E123877

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0280DS00004.18D.0117.000

Im RIS seit

05.02.2019

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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