TE OGH 2018/11/28 9ObA123/18f

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Veröffentlicht am 28.11.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Andreas Schlitzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Alexandra Sedelmayer-Pammesberger, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2018, GZ 7 Ra 69/18w-69, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Bei der Anfechtung einer Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist zunächst zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (RIS-Justiz RS0051746 [T7]). Ist dies – wie mittlerweile unstrittig – der Fall, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RIS-Justiz RS0116698).

2. Dabei entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass als personenbezogene Kündigungsgründe auch Krankenstände herangezogen werden können (vgl RIS-Justiz RS0051801). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist aber nicht nur die Dauer der bisherigen Krankenstände zu berücksichtigen, sondern es ist auch die zukünftige Entwicklung der Verhältnisse nach der Kündigung soweit einzubeziehen, als sie mit der angefochtenen Kündigung noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang steht (RIS-Justiz RS0051785).

Dabei muss der Arbeitgeber, der eine Kündigung wegen überhöhter Krankenstände ausspricht, eine Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anstellen. Entscheidend ist, dass ein verständiger und sorgfältiger Arbeitgeber bei objektiver Betrachtung berechtigt davon ausgehen kann, dass Krankenstände in erhöhtem Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft zu erwarten sind (vgl RIS-Justiz RS0051888). Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen abgeleitet werden (vgl RIS-Justiz RS0081880 [T11]). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit aufgetretene Krankenstände, die für die künftige Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers nicht aussagekräftig sind, weil die zugrunde liegende Krankheit überwunden wurde, nicht als persönliche Kündigungsrechtfertigungsgründe herangezogen werden können (8 ObA 53/11v ua). Insoweit ist auch die Art der Erkrankung des Arbeitnehmers und deren Ursache für die Zukunftsprognose von Relevanz.

Eine starre Grenze für überhöhte Krankenstände in Bezug auf deren Häufigkeit und Dauer besteht nicht (8 ObA 103/06i). Vielmehr ist das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (8 ObA 48/08d). Dabei sind an den Rechtfertigungsgrund strenge Anforderungen zu stellen.

3. Sowohl bei objektiven, aber auch im Rahmen der personenbezogenen Kündigungsgründe bei der Kündigung älterer und langjährig beschäftigter Arbeitnehmer ist zu fragen, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist. Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen – freien – Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, so ist ihm dieser Arbeitsplatz vor Ausspruch der Kündigung anzubieten. Unterlässt der Arbeitgeber dieses Anbot, so ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt (RIS-Justiz RS0116698).

Ältere und im Betrieb schon lang beschäftigte Personen haben Anspruch auf Schonung. Der Arbeitgeber wird daher versuchen müssen, diese Arbeitnehmer auf einem ihren geminderten Kräften entsprechenden Arbeitsplatz zu verwenden (8 ObA 172/98x). Das bedeutet, dass auch in solchen Fällen eine Weiterverwendungsmöglichkeit des betroffenen Arbeitnehmers auf den gesamten Betrieb hin überprüft werden muss.

Die soziale Gestaltungspflicht verpflichtet den Arbeitgeber aber nur insoweit zum Anbot freier Arbeitsplätze, als diese der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers entsprechen. Dabei muss dem Arbeitnehmer im Rahmen des Zumutbaren Gelegenheit zur Umschulung und Einarbeitung gegeben werden (RIS-Justiz RS0051707). Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner sozialen Gestaltungspflicht dazu verpflichtet, dem zu kündigenden Arbeitnehmer einschlägige Stellen anzubieten (RIS-Justiz RS0051841 [T3]). Lediglich dann, wenn es sich um eine ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung im Betrieb handelt, muss der Arbeitnehmer selbst initiativ werden und sich um diese Stellen bewerben (RIS-Justiz RS0051923). Die Frage, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist, stellt schon wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0051942 [T4]).

4. Selbst wenn man der Revision darin folgen würde, dass aufgrund des Krankenstands des Klägers von 14 Monaten (aufgrund eines Arbeitsunfalls) bei einer Prognose der Direktionsärztin, dass die Dienstfähigkeit für die angestammte Tätigkeit in den nächsten sechs Monaten zu erwarten ist, ein ausreichend personenbezogener Kündigungsgrund vorlag, sind die Vorinstanzen vertretbar davon ausgegangen, dass die Beklagte ihrer sozialen Gestaltungspflicht nicht ausreichend entsprochen hat. Das Erstgericht hat eine Reihe von Tätigkeiten festgestellt, zu deren Ausübung der Kläger gesundheitlich in der Lage und für die er mit einer vertretbaren Einschulungszeit auch einsetzbar gewesen wäre. So dauert die Ausbildung zum Straßenbahn- bzw U-Bahnfahrer drei Monate. Dass es sich dabei um eine gegenüber einer Tätigkeit als Busfahrer ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung im Betrieb handelt, ist nicht überzeugend. Für die Tätigkeit eines Instruktors ist die praktische Erfahrung als Busfahrer sogar Voraussetzung. Um andere Stellen, etwa Zivilkontrolleur, Revisor und Fahrscheinprüfer hat sich der Kläger sogar aktiv, aber erfolglos bemüht.

Auch hat das Erstgericht festgestellt, dass etwa beim Fahrpersonal hohe Fluktuation herrscht, damit kommt es darauf, ob gerade zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung offene Stellen vorhanden waren, nicht an, war mit solchen jedenfalls in absehbarer Zeit zu rechnen und ein Zuwarten im Rahmen der Gesamtbeurteilung zumutbar.

5. Die Revision lässt aber auch offen, warum selbst bei Bejahung personenbezogener Kündigungsgründe im Rahmen der – wie ausgeführt – gebotenen Interessenabwägung (vgl auch RIS-Justiz RS0051818) überwiegende Gründe für eine Kündigung sprechen würden und weshalb die entsprechenden Ausführungen des Erstgerichts, das von einem überwiegenden Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses ausgegangen ist, und auf die das Berufungsgericht verwiesen hat (§ 500a ZPO), unrichtig sind.

6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Textnummer

E123759

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00123.18F.1128.000

Im RIS seit

21.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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