TE OGH 2021/10/12 1Ob126/21t

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. B* S*, Landesbeamtin iR, *, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Land Salzburg, Salzburg, Kaigasse 14, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 378.732 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. April 2021, GZ 4 R 46/21v-190, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. Dezember 2020, GZ 12 Cg 38/14g-183, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts – einschließlich der mangels Anfechtung bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile – hinsichtlich der Punkte 2., 4. (mit der Maßgabe, dass der darin genannte Betrag 179.732 EUR lautet), 5., und 6. wiederhergestellt wird und der Punkt 1. wie folgt lautet:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 199.000 EUR samt 4 % Zinsen p.a. aus 14.000 EUR von 1. 10. 2014 bis 7. 11. 2019 sowie 4 % Zinsen p.a. aus 185.000 EUR ab 8. 11. 2019 zu bezahlen.“

Über die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen hat das Erstgericht zu entscheiden.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die im Landesdienst tätige Klägerin wurde wegen dauernder Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 30. 9. 2013 in den Ruhestand versetzt.

[2]       Sie begehrt mit ihrer Amtshaftungsklage wegen Mobbings (Bossings) durch den ihr übergeordneten Bezirkshauptmann Schmerzengeld (50.000 EUR), Verdienstentgang für den Zeitraum von August 2011 bis November 2019 (328.732 EUR) und die Feststellung der Haftung des Landes Salzburg für weiteren Verdienstentgang.

[3]       Die Beklagte bestritt (zuletzt nur mehr), dass die ab Ende August/Anfang September 2011 gesetzten Mobbing(/Bossing-)handlungen zu einer (weiteren) Erkrankung der Klägerin und zur Ruhestandsversetzung geführt hätten. Sie sah die Ursache dafür in erheblichem Ausmaß in den gegen sie aufgrund der ersten und zweiten Disziplinaranzeige geführten Disziplinar- und Strafverfahren. Die Mobbingsachverhalte hätten isoliert betrachtet nicht zu ihrer Dienstunfähigkeit geführt; in eventu sei eine gleichteilige Schadensteilung vorzunehmen. Der für Juli 2014 bis Mai 2017 erhobene Anspruch wegen Verdienstentgangs sei zudem verjährt.

[4]       Das Verfahren befindet sich im dritten Rechtsgang (s 1 Ob 13/16t; 1 Ob 56/18v). Im ersten Rechtsgang wurden Fragen der Verjährung geklärt, im zweiten, dass im Verhalten des Bezirkshauptmanns gegenüber der Klägerin ab Ende August/Anfang September 2011 Bossing lag.

[5]       Das Verhalten der Klägerin war über längere Zeit unangemessen und kritikwürdig gewesen (exemplarisch sei neben fachlichen Beanstandungen und ihrem Fehlverhalten auch Bürgern gegenüber [Zurechtweisungen und Überheblichkeiten] herausgegriffen: das Hegen von ständigem Misstrauen gegenüber ihren Mitarbeitern, deren unzureichende oder widersprüchliche Anleitung, das Sanktionieren von Meinungsverschiedenheiten oder Fehlern diesen gegenüber durch oft tagelanges und auch bis zu zwei Wochen dauerndes Schweigen, das Abverlangen einer „Abmeldung“ bei Toilettengang oder Kopiervorgängen von einer bestimmten Mitarbeiterin, die Beauftragung von Kopierarbeiten ohne dienstliche Notwendigkeit und Durchsuchung von Evidenzakten ohne Anlassfall „als Bestrafung“, was bei zwei Mitarbeiterinnen zu gesundheitlichen Problemen [Gewichtsverlust, Schlafstörungen, Zittern] führte). Beschwerden über sie waren im Vergleich zu anderen Gruppenleitern „hervorstehend und außerordentlich häufig“. Die ursprünglich noch angemessenen Handlungsweisen des Bezirkshauptmanns durch sachlich gerechtfertigte, rechtskonforme und sozialadäquate Maßnahmen (insbesondere als Reaktion auf Beschwerden von Bürgern und Mitarbeitern der Klägerin bei begründetem Verdacht einer Dienstpflichtverletzung und einer gerichtlich strafbaren Handlung) in der ersten Phase überschritten schließlich nach einer Verschärfung des Konflikts die Grenze zum im gesellschaftlichen Umgang im Allgemeinen üblichen und als Ausfluss der Dienst- und Fachaufsicht hinzunehmenden Verhalten und mündeten in Bossing (beispielsweise durch Erschwerung oder Verweigerung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, eine Unzahl an Dienstanweisungen, das Verlangen nach verschriftlichten Ergebnissen wie Konzepten oder Aktenvermerken bei Tätigkeiten wie Verhandlungsvorbereitung oder Aktenstudium im Zuge der Heimarbeit, die Entziehung der Berechtigung die Post aufzuteilen bis hin zum Ausschluss der Klägerin als Gruppenleiterin von den Gruppenleiter- und Führungskräftebesprechungen, den Antrag auf Leistungsfeststellung mit dem Kalkül „Unternorm“ ohne ausreichende Konkretisierung von Fehlverhalten im Beobachtungszeitraum, die Disziplinaranzeigen III und IV).

[6]       Dass die Klägerin ab Ende August/Anfang September 2011 Bossing ausgesetzt war, wird auch von der Beklagten nicht (mehr) bezweifelt. Aus Gründen der besseren Übersichtlich- und Verständlichkeit beschränkt sich die Darstellung des Sachverhalts (diesem sind im Ersturteil mehr als 85 Seiten gewidmet) auf die im Revisionsverfahren noch wesentlichen Punkte in knapper Form:

[7]       Aufgrund sowohl der von außen an ihn herangetragenen Beschwerden mehrerer Bürger, als auch wegen der ihrer Mitarbeiter erstattete der Bezirkshauptmann, nachdem die Klägerin auch nach einem rund zweistündigen Mitarbeitergespräch kein Einsehen entwickelt hatte, am 8. 2. 2011 eine Disziplinaranzeige (Diziplinaranzeige I), die die zuständige Staatsanwaltschaft zum Anlass von Ermittlungen und letztlich zur Anklageerhebung wegen des Verbrechens des Amtsmissbrauchs und des Vergehens der falschen Beurkundung im Amt nahm. Hauptsächlich wegen weiterer von Parteien deponierter Beschwerden über ihre Amtsgebarung folgte der Disziplinaranzeige I am 8. 8. 2011 eine „Ergänzung“ (Disziplinaranzeige II). Die Klägerin wurde im Strafverfahren gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Im Disziplinarverfahren sprach das zuständige Landesverwaltungsgericht die Klägerin zwar in Bezug auf den Vorwurf der Verfahrensführung trotz Befangenheit zu einem bestimmten Verwaltungsverfahren frei, bestätigte aber den Schuldspruch der Disziplinarbehörde erster Instanz in Ansehung eines anderen Verfahrens.

[8]       Bei der Klägerin hatte sich, begünstigt durch ihre persönlichkeitsstrukturelle Prädisposition (durch zwanghafte, neurotische Züge mit festgefahrenen Verhaltensmustern und mangelnder Möglichkeit, Konflikte innerpsychisch zu verarbeiten), bereits vor dem 1. 9. 2011 eine Verbitterungsstörung in Form einer Befindlichkeitsstörung ohne Krankheitswert multifaktoreller Genese ausgebildet. Gemeinsam verursacht durch das Bossing (Verhalten des Bezirkshauptmanns ab Ende August/Anfang September 2011) und die Belastungen durch die aufgrund der Straf- und Disziplinaranzeigen (I und II) geführten Verfahren bildete sich bei der Klägerin – (wiederum) begünstigt durch ihre persönlichkeitsstrukturelle Prädisposition – eine Störung mit Krankheitswert aus. Diese führte (wegen der damit einhergehenden Beschwerden) zur Vermehrung ihrer Krankenstände und schließlich zum Dauerkrankenstand, dem ihre Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit folgte. Die vorbestehende Verbitterungsstörung ohne Krankheitswert hätte diese Krankenstände und die Dienstunfähigkeit per se nicht ausgelöst. Es hätten aber auch weder das Bossing noch die Belastungen der Klägerin durch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das Verfahren der Dienstbehörde hinsichtlich der Disziplinaranzeigen I (und II) jeweils für sich genommen diese vermehrten Krankenstände, den Dauerkrankenstand oder die Dienstunfähigkeit der Klägerin herbeigeführt. Vielmehr führten die genannten Komponenten nur in Summe dazu, wobei die Handlungen des Bezirkshauptmanns gegenüber der Klägerin ab Ende August 2011/Anfang September 2011 „vorrangig verantwortlich“ waren.

[9]       Das Erstgericht traf weiters Feststellungen zu den erlittenen Schmerzen und zum Verdienstentgang (in verschiedenen Varianten). Es verpflichtete die Beklagte als Ausgleich für die (nicht verjährten; s dazu 1 Ob 13/16t) allein auf das Bossing zurückgehenden Schmerzen zur Zahlung von 14.000 EUR. An Verdienstentgang sprach es – auf Basis einer Schadenssteilung 2 : 1 zugunsten der Klägerin und weil es den Verjährungseinwand der Beklagten als nicht berechtigt beurteilte – für die Zeit von Juli 2014 bis November 2019 191.577 EUR zu (daher insgesamt 205.577 EUR laut Pkt 1.). Zur Schadensteilung 2 : 1 gelangte es aufgrund der Überlegung, dass der Schaden durch summierte Einwirkungen entstanden sei und der Klägerin wegen der Führung von Verwaltungsverfahren trotz ihrer Befangenheit nach § 7 AVG ein Mitverschulden (eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten) an der Einleitung (und Führung) des Strafverfahrens anzulasten sei. Im Disziplinarverfahren sei deswegen sogar ihre Verurteilung erfolgt. Da aber das Mobbing/Bossing den Verdienstentgang der Klägerin vorrangig herbeigeführt habe, sei eine Teilung von 2 : 1 angemessen. Deswegen (und weil der Klägerin Verdienstentgang für Fahrprüfungen ab Jänner 2015 nicht zustehe) stellte es die begehrte Haftung für Verdienstentgang nur im Ausmaß von 2/3 (und unter Ausnahme eines Schadens aus entgangenen Fahrprüfungen) fest (Pkt 2.) und wies neben dem Zahlungsmehrbegehren von 173.155 EUR sA (Pkt 4.) auch das Mehrbegehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für ein weiteres Drittel (Pkt 5.) sowie für Verdienstentgang aus Fahrprüfungen (Pkt 6.) ab.

[10]     Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen jeweils teilweise Folge. Es ging zwar ebenso von „summierter Einwirkung“ aus, bezog sich im Weiteren aber überwiegend auf Entscheidungen aus dem Bereich der Arzthaftung (Behandlungsfehler bei schon vor Behandlungsbeginn bestehender körperlicher „Grundschädigung“ bzw „Vorschädigungen“), zur Schadensveranlagung des Patienten und auf einen Fall der Mitursächlichkeit von alters- und unfallbedingten Leidenszuständen. Es führte aus, in all diesen Fällen habe die Mitursächlichkeit des Verhaltens des Geschädigten noch nicht für eine Haftungsminderung des Schädigers ausgereicht; es müsse dem Geschädigten sein Verhalten vielmehr vorwerfbar sein. Auf diesem Erfordernis aufbauend pflichtete es im Weiteren der Klägerin darin bei, dass – soweit sie freigesprochen wurde – „für die Annahme eines vorwerfbaren Verhaltens bezüglich des hinter dem strafrechtlichen Vorwurf stehenden Verhaltens kein Raum mehr“ bleibe. Wenn bezüglich der Disziplinaranzeige II nicht einmal ein Verfahren gegen sie eingeleitet worden sei, könne ihr ebenso kein Vorwurf gemacht werden. Im Verfahren aufgrund der Disziplinaranzeige I sei ein Schuldspruch lediglich zu einem Faktum verblieben und daher auch dieses Verhalten hinsichtlich des Mitverschuldensvorwurfs vernachlässigbar. Wegen der Geringfügigkeit ihres Verschuldens könne von einer Haftungsminderung wegen vorwerfbarer Mitursächlichkeit Abstand genommen werden, was zur alleinigen Haftung der Beklagten für den Verdienstentgang (ohne jenem aus Fahrprüfungen) führe. Die Berufung der Beklagten sah es (nur) im Hinblick auf die Verjährung der vor der Klage bereits fällig gewesenen Leistungsansprüche als berechtigt an.

[11]     Das Berufungsgericht änderte daher das Ersturteil dahin ab, dass es der Klägerin (ohne Schadensteilung) 297.790 EUR sA zuerkannte. Die Feststellung der Haftung sprach es ohne Einschränkung auf 2/3 (aber ausgenommen Schäden aus entgangenen Fahrprüfungen) aus. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, weil zur Abgrenzung der Rechtsprechung zu summierten Einwirkungen von der Judikatur für sogenannte Anlageschäden eine Klarstellung durch das Höchstgericht wünschenswert sei.

[12]     Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beklagte in ihrer Revision, mit der sie ausdrücklich nur die ihr über 172.908 EUR sA hinaus auferlegte Zahlungspflicht und den über 2/3 hinausgehenden Ausspruch ihrer Haftung bekämpft. Sie räumt selbst ein, dass die persönlichkeitsstrukturelle Prädisposition der Klägerin als Schadensanlage zu qualifizieren sei, die im Sinne der ständigen Judikatur nicht zu einer Schadensteilung führen könne. Im weiteren wendet sie sich aber dagegen, dass sie alleine zu haften habe, wenn doch der Schaden nur durch ein Zusammentreffen eines haftungsbegründenden Schädigerverhaltens mit einem die Geschädigte treffenden Zufall herbeigeführt worden sei. Der Klägerin sei überdies im Hinblick auf Disziplinar- und Strafanzeigen bzw -verfahren auch ein (stärker zu gewichtendes) Mitverschulden anzulasten, weswegen es auch deshalb zu einer Schadensteilung zu kommen habe. Da die vom Erstgericht (im Verhältnis 2 : 1 zu ihren Lasten) vorgenommene Teilung aus ihrer Sicht angemessen sei, strebt sie mit der Revision (ausgenommen des von ihr weiterhin als verjährt bekämpften Begehrens auf Verdienstentgang bis Mai 2017) weitgehend die Wiederherstellung des Ersturteils an.

[13]     In ihrer Revisionsbeantwortung teilt die Klägerin, gestützt auf die Unschuldsvermutung, den Standpunkt des Berufungsgerichts. Da sie freigesprochen worden sei, könne ihr ihr Verhalten nicht vorgeworfen werden. Im Übrigen tritt sie – wie schon bisher – dem Einwand der Verjährung entgegen und hält die Entscheidung des Berufungsgerichts für richtig.

Rechtliche Beurteilung

[14]     Die Revision ist zur Klarstellung zur Schadensteilung bei summierten Einwirkungen von in die Sphäre des Geschädigten fallendem Zufall und rechtswidrigem und schuldhaften Verhalten des Schädigers zulässig und im Ergebnis teilweise berechtigt:

1. Zum „Zufall“ nach § 1311 ABGB:

[15]     1.1. Der erste Satz des § 1311 ABGB („Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet“) enthält das allgemeine Prinzip (den Risikotragungsgrundsatz [Koziol Haftpflichtrecht I4 A/1]), wonach dem Geschädigten für einen durch (bloßen) Zufall entstandenen Schaden kein Schadenersatzanspruch zusteht (casum sentit dominus; RIS-Justiz RS0027328). Kein von § 1311 ABGB angesprochener „Zufall“ liegt in der Person des Geschädigten selbst (also seiner physischen und psychischen Ausstattung, seinem Alter, seiner Gebrechlichkeit, seiner Prädisposition für bestimmte Krankheiten und Krankheitsverläufe oder einer „unterdurchschnittlich“ verlaufenden Heilung und/oder Regeneration), sofern ein haftungsbegründendes Verhalten eines Dritten eine (dadurch begünstigte) Schädigung herbeiführt. Grundsätzlich hat der Schädiger den Geschädigten nämlich so zu nehmen, wie er ist; eine besondere Schadensanfälligkeit des Geschädigten kann ihn daher im Allgemeinen nicht entlasten (2 Ob 48/14v = EvBl 2015, 574 [Pehm] = ZVR 2015, 100 [Huber] = Zak 2014, 376 [Klete?ka]; RS0022684; Karner, Aktuelle Entwicklungen der Ersatzpflicht bei Personenschäden, ZVR 2016, 112 [117] und in KBB5 § 1295 Rz 8 mwN). Es haftet damit der Schädiger – mit der Grenze der Adäquanz – (auch) für den (besonders großen oder überhaupt wegen der Prädisposition) bei dieser (anfälligen) Person eingetretenen Schaden, der auf sein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zurückzuführen ist (siehe dazu RS0022746 [T8, T9]; 4 Ob 204/13y = RS0022562 [T2]) zur Gänze.

2. Zu „summierten Einwirkungen“:

[16]     Von wesentlicher Bedeutung für die Lösung des Rechtsstreits ist, dass es hier weder um einen Fall der sogenannten „kumulativen“ noch der „alternativen“ Kausalität (des Verhaltens mehrerer – zumindest potenzieller – Schädiger) geht, sondern „summierte Einwirkungen“ vorliegen, bei denen zuerst zu prüfen ist, wem welche Ursache schadensrechtlich zuzurechnen ist.

[17]     Bei „kumulativer Kausalität“ sind zwei reale Ursachen gleichzeitig wirksam geworden; jede Ursache hätte zudem den Schaden auch für sich allein herbeigeführt (vgl RS0022729; RS0092078).

[18]     Von „alternativer Kausalität“ spricht man, wenn (nur) erweislich ist, dass jede von mehreren möglichen (weil konkret gefährlichen) Handlungen für sich den (ganzen) Schaden herbeigeführt haben könnte und nur eine von diesen in Frage kommenden Ursachen den Schaden tatsächlich (allein) verursacht hat, aber nicht geklärt werden kann, welche dieser Ursachen sich real verwirklicht hat (vgl RS0022721).

[19]     Als „summierte Einwirkungen“ wird dagegen eine Konstellation beschrieben, in der mehrere Ursachen (nicht für sich, sondern nur) gemeinsam (im „Zusammenwirken“) den „ganzen“ Schaden verursacht haben (RS0123611; 1 Ob 175/01v).

3. Zu den Komponenten der Verursachung im konkreten Fall und ihrer Zurechnung zu den Parteien:

[20]     3.1. Im vorliegenden Fall traf die Beklagte (als Schädigerin durch Bossing) auf eine Person mit einer besonderen persönlichkeitsstrukturellen Prädisposition. Dadurch mag zwar das spätere Auftreten der Verbitterungsstörung mit Krankheitswert „begünstigt“ worden sein. Es zweifelt aber auch die Beklagte – zu Recht – nicht an, dass sie diese Prädisposition der Klägerin nicht zu entlasten vermag bzw „spiegelbildlich“ betrachtet, der Klägerin ihre Prädisposition – dem Grundsatz, dass sich der Schädiger den Geschädigten nicht aussuchen kann und ihn so nehmen muss, wie er ist, folgend – nicht zu ihrem Nachteil zuzurechnen ist. Die bereits bestandene Befindlichkeitsstörung (als Störung ohne Krankheitswert) samt der Prädisposition der Klägerin bietet damit keine Grundlage für eine nur teilweise Schadenszurechnung an die Beklagte („Schadensteilung“).

[21]     3.2. Nach den Tatsachenfeststellungen hätten aber weder die psychischen Belastungen durch die Verfahren aufgrund der Straf- und Disziplinaranzeigen I und II (im weiteren nur mehr: „Verfahren“) noch das Mobbing/Bossing für sich den Schaden herbeigeführt. Wäre jeweils nur einer dieser Umstände vorgelegen (Verfahren oder Mobbing) wäre der Schaden gar nicht eingetreten. Mit ihrer gegenteiligen Behauptung durch die Verfahren sei kein zusätzlicher Belastungseffekt eingetreten, entfernt sich die Revisionsgegnerin vom festgestellten Sachverhalt (RS0043603 [T2, T8]). Überhaupt legt sie über weite Strecken ihre Sichtweise der Geschehnisse, nicht aber den festgestellten Sachverhalt, zugrunde und befasst sich mit einzelnen für sie günstigen Beweismitteln. Der Oberste Gerichtshof wird aber nur zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig (RS0123663); ihm kommt eine Funktion als Tatsacheninstanz nicht zu (RS0042903 [T7]). Angelegenheiten der Beweiswürdigung sind daher ausschließlich von den Tatsacheninstanzen zu behandeln (vgl nur 1 Ob 71/21d mwN).

[22]           Hier hat nur das Zusammenwirken beider Umstände gemeinsam den Schaden verursacht. Für eine dieser beiden „Einwirkungen“, nämlich das Mobbing/Bossing ist die Beklagte zweifelsohne schadenersatzrechtlich verantwortlich. Bei der anderen fehlt aber ein Zurechnungsmoment im Sinne eines rechtswidrig und schuldhaft kausalen Handelns.

[23]     3.3. (Disziplinar- oder Straf-)Anzeigen durch Vorgesetzte und ein daraufhin von Behörden durchgeführtes Verfahren (hier im Bereich der Beklagten das Disziplinarverfahren) sind häufig Ausfluss von Behörden- oder auch Dienstgeberpflichten. Solche Anzeigen werden oft – wie auch überwiegend hier – durch Mitteilungen Dritter ausgelöst. Soweit dem Anzeiger und/oder der Behörde kein Fehlverhalten (beispielsweise Kenntnis von der Unrichtigkeit der erhobenen Vorwürfe) vorzuwerfen ist, kann dem Anzeiger die Anzeige und der Behörde, die aufgrund der Anzeige ein Verfahren durchzuführen hat, das Einschreiten nicht als rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten angelastet werden. Schäden, die durch die Anzeige und das daran anschließende Verfahren bewirkt werden, sind folglich (zumindest) vom Geschädigten selbst zu tragender „Zufall“ iSd § 1311 ABGB. Eine „schuldhafte Veranlassung“ der Verfahren durch die Organe der Beklagten lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass Gesundheitsschäden (und deren Folgen) grundsätzlich nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dienstrechtlichen Maßnahmen oder Unterlassungen stehen, wenn sich diese als unberechtigt erweisen sollten, es sei denn, es handelt sich dabei um Mobbing bzw Bossing (vgl 1 Ob 214/15z; 1 Ob 173/17y; 1 Ob 71/19a; 1 Ob 39/21y), was in Bezug auf die Straf- und Disziplinaranzeigen I und II nicht der Fall war. Daraus resultierende Belastungen der Klägerin stellen daher einen sie treffenden Zufall dar.

[24]     3.4. Ob die in den Disziplinaranzeigen I und II sowie der Strafanzeige genannten Vorwürfe in allen Einzelheiten tatsächlich der Wahrheit entsprachen (die Anzeigen und Verfahren also zur Gänze von der Klägerin selbst „verschuldet“ wurden), lässt sich (selbst den umfangreichen) Feststellungen des Erstgerichts nicht zweifelsfrei entnehmen. Darauf kommt es aber gar nicht entscheidend an.

[25]     Gleich, ob ein „unverschuldetes“ Disziplinar- oder Strafverfahren und die damit verbundene psychische Belastung als ein die Sphäre der Klägerin (als Geschädigter) fallender „Zufall“ nach § 1311 ABGB oder ein durch Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten „verschuldeter“ Umstand mit schädigendem (rechtswidrigen und schuldhaften) Verhalten der Beklagten (als Schädigerin durch Bossing) zusammentraf und gemeinsam und nur in Summe den Schaden bewirkte, ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass das verpönte Verhalten der Organe der Beklagten nicht allein ursächlich für den Schaden war. Sowohl bei einem in die Sphäre der Geschädigten fallenden „Zufall“ als auch bei einem „selbst verschuldeten“ Umstand fehlt in Bezug auf die Beklagte ein Zurechnungsmoment (rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten) für den dadurch verursachten „Schadensanteil“.

[26]            3.5. Der Aufklärbarkeit des Anteils am Schaden in Bezug auf eine einzelne Ursache (vgl RS0026615) sind häufig Grenzen gesetzt. Derartige Probleme stellen sich auch bei „kumulativer Kausalität“ und jedenfalls bei „alternativer Kausalität“ (die ja überhaupt nur vorliegt, wenn sich nicht klären lässt, welche Ursache sich tatsächlich verwirklicht hat). Einigkeit herrscht für die alternative Kausaliät dahin, dass, wenn die fraglichen Ursachen auf (jeweils) sorgfaltswidriges und schuldhaftes Handeln mehrerer Dritter (potenzielle Schädiger) zurückzuführen sind, jeder von ihnen (und nicht der Geschädigte) das Unaufklärbarkeitsrisiko (welcher der Schädiger tatsächlich kausal für den Schaden geworden ist) tragen soll und sie daher für den (gesamten) Schaden solidarisch haften (analoge Anwendung des § 1302 ABGB; RS0022712; Karner in KBB6 § 1302 ABGB Rz 3 mwN; zu summierten Einwirkungen s auch RS0010538).

[27]     Stehen einander hingegen das Verhalten eines Schädigers und ein vom Geschädigten zu tragender Zufall (oder sogar ihm als Obliegenheitsverletzung anzulastende Umstände) als „alternativ“ oder „kumulativ“ kausal gegenüber, kommt es zur Aufteilung des Schadens 1 : 1, soweit die Anteile nicht feststellbar sind (6 Ob 163/05x; 1 Ob 63/11p [Schiunfall: Sturz als Zufall – Aluminiumstange {Verstoß gegen Verkehrssicherungspflicht}]; 4 Ob 75/19m [Mangelhaftigkeit des Werks – Wassereintritte]; RS0027286; RS0026663; RS0107245 [T5]; Karner aaO § 1302 Rz 5 u 8 je mwN; Schacherreiter in ABGB-ON1.08 § 1302 ABGB Rz 37, 46 f mwN; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1302 Rz 49a; Koziol Haftpflichtrecht I4 A/30, B/2/57 ff, B/2/93 u C/9/28 ff). Dies gilt auch für die – wertungsmäßig gleichzuhaltende – Schadensverursachung durch summierte Einwirkungen (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1302 Rz 50; Wittwer in Schwimann/Neumayr, ABGB Takom5 § 1295 Rz 19; auch Koziol Haftpflichtrecht I4 B/2/124 spricht sich für eine Teilung „entsprechend §§ 1302, 1304 ABGB“ aus; s auch 9 Ob 30/14y), bedarf es bei summierten Einwirkungen doch jeder (Teil-)Ursache im Sinne einer conditio sine qua non um den (gesamten) Schaden herbeizuführen; schon bei Wegfall einer der Ursachen entstünde der (Gesamt-)Schaden nicht. Diese Grundsätze sind also auch im vorliegenden Fall heranzuziehen, in dem feststeht, dass ohne beide (Teil-)Ursachen gemeinsam eine krankheitswertige Störung gar nicht entstanden wäre und die Beklagte als Schädigerin für eine dieser Ursachen mangels Zurechnung nicht zu haften hat.

[28]     3.6. In den Schriftsätzen im Verfahren dritter Instanz nimmt die Frage breiten Raum ein, wie schwer ein „Mitverschulden“ der Klägerin zu gewichten wäre. Angemerkt sei, dass ein Freispruch nach § 259 Z 3 StPO für das Zivilverfahren keine Bindungswirkung entfaltet (RS0106015; 2 Ob 7/20y); die Feststellungen des Erstgerichts zu diesen Vorwürfen sind daher – auch bei Freispruch – vollumfänglich zu berücksichtigen. Gewicht und Umfang des Mitverschuldens der Klägerin müssen in der hier zu beurteilenden Konstellation jedoch nicht näher beleuchtet werden. Auch wenn die Klägerin zweifelsohne selbst durch vorwerfbares Verhalten (Führen von Verfahren trotz Befangenheit) jedenfalls teilweise Anlass für die Anzeigen (und die daran anschließenden Verfahren) bot, steht gleichzeitig fest, dass die damit verbundenen Belastungen zwar Mitursache waren, für den aufgetretenen Schaden aber das Bossing „vorrangig“ (im Sinne einer größeren psychischen Belastung) verantwortlich war. Damit hat es nicht zur Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 gemäß der Zweifelsregel (vgl RS0027286) zu kommen. Vielmehr hat die Beklagte, weil das Bossing „vorrangige“ Schadensursache war, den Schaden überwiegend zu tragen. Warum ihr ein geringerer Anteil als ein Drittel zuzurechnen sein sollte, vermag die Klägerin nicht darzustellen. Daher ist die von der Revisionswerberin angestrebte Wiederherstellung der Schadensteilung des Erstgerichts von 1 : 2 (zu Lasten der Beklagten) angezeigt.

[29]           4.1. Die Klägerin begehrte zuletzt an Schmerzengeld 50.000 EUR und an Verdienstentgang 328.732 EUR. Die Abweisungen vom Mehrbegehren für Schmerzengeld von 36.000 EUR und wegen Verdienstentgangs aus Fahrprüfungen ab dem Jahr 2015 sowie aus dem Regelverdienst für die Zeit von Juli bis September 2014 blieben unbekämpft und sind nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Dass der Klägerin 14.000 EUR an Schmerzengeld zustehen, bezweifelt die Beklagte, die dies ihrer eigenen Berechnung zugrunde legt, gar nicht.

[30]           4.2. Zu erörtern ist damit nur der (Regel-)Verdienstentgang der Klägerin als Landesbedienstete im Ausmaß von 2/3 und die Frage, für welchen Zeitraum dieser zusteht.

[31]           Zum Zeitraum meint die Beklagte, es hätte das Berufungsgericht den von ihr erhobenen Einwand, die Ansprüche auf Verdienstentgang für die Zeit von 1. 7. 2014 bis 20. 5. 2017 seien verjährt, gänzlich und nicht bloß für den Zeitraum von Juli bis September 2014 (in nach § 273 ZPO festgesetzter Höhe von 9.800 EUR) als berechtigt anerkennen müssen. Um diese der Klägerin bereits bei Einbringung ihrer Klage am 18. 9. 2014 bekannten und fälligen Forderungen war erst mit Schriftsatz vom 25. 9. 2019 ausgedehnt worden. In Ansehung der nach Einbringung der Feststellungsklage fällig gewordenen Forderungen, um die während des laufenden Verfahrens ausgedehnt worden war, folgte das Berufungsgericht dem (auch in der Revision wiederholten) Standpunkt der Beklagten, auch diese seien verjährt (weil die Ausdehnung nicht binnen [jeweils] drei Jahren ab Fälligkeit der Einzelansprüche erfolgt sei) hingegen nicht; und zwar unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung (s nur RS0034771 [bes T5]; RS0034286 [bes T5]; RS0031702), die trotz Kritik aus der Lehre [M. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 1497 Rz 7a und 10; Frauenberger-Pfeiler, Glosse zu 2 Ob 129/09y, EvBl 2010, 414] auch in jüngerer Zeit aufrecht erhalten wurde: 3 Ob 182/11b; 3 Ob 183/12a = ZVR 2013, 292 [Huber]; 2 Ob 68/18s; 2 Ob 78/19p). Neue Argumente dazu trägt die Beklagte nicht vor. Die Klägerin hat die Beklagte bezüglich der ab Einbringung der Klage fällig werdenden Ansprüchen aus Verdienstentgang mittels eines Feststellungsbegehrens belangt und ihre darauf fußenden (Leistungs-)Ansprüche noch vor Schluss der Verhandlung konkretisiert. Von einer Verjährung dieser Ansprüche ist damit nicht auszugehen. Der Klägerin stehen also zwei Drittel ihres (Regel-)Verdienstentgangs (ohne jenem aus Fahrprüfungen ab dem Jahr 2015) für den Zeitraum von Oktober 2014 bis November 2019 zu.

[32]           4.3. Das Erstgericht hielt zur Höhe (insoweit von keiner Partei kritisiert) fest, dass (jeweils) bei Schadensteilung 2 : 1 unter der Annahme eines verjährten Verdienstentgangs im Zeitraum Juli 2014 bis 24. September 2015 ein Bruttobetrag von 158.908 EUR den hypothetischen Nettoverdienstentgang (ohne jenem aus Fahrprüfungen) von 85.681,68 EUR deckt, während unter der Annahme, dass keine Verjährung des Verdienstentgangs im Zeitraum Juli 2014 bis 24. September 2015 eingetreten ist, ein Bruttobetrag von 191.577 EUR den hypothetischen Nettoverdienstentgang (ohne jenem aus Fahrprüfungen) von 102.015,58 EUR deckt. Da sich daraus der Verdienstentgang bei Verjährung nur der Ansprüche für die Monate Juli, August und September 2014 rechnerisch nicht ergibt, wird der Betrag der verjährten Ansprüche auf Basis einer Verschuldensteilung 2 : 1 nach § 273 Abs 2 ZPO festgesetzt. Als Näherungswert kann jener Wert herangezogen werden, der sich aus der Verteilung des Differenzbetrags der Bruttobeträge (32.669 EUR) der beiden Varianten auf den Zeitraum Juli bis September 2014 ergibt. Wird vom Bruttobetrag von 191.577 EUR (für den Zeitraum Juli 2014 bis November 2019) der für die Monate Juli bis September 2014 mit 6.577 EUR ausgemessene Betrag abgezogen, ergibt dies 185.000 EUR an Ersatz für den Brutto-Verdienstentgang.

[33]     5. Die Revision der Beklagten ist damit weitgehend erfolgreich und es ist das Urteil des Erstgerichts im Wesentlichen wiederherzustellen.

[34]           6. )Das Berufungsgericht hat – im Gegensatz zum Erstgericht – die Kostenentscheidung erster und zweiter Instanz dem Erstgericht vorbehalten. Daran ist auch der Oberste Gerichtshof gebunden. Das Erstgericht wird über die Kosten aller drei Instanzen abzusprechen haben (RS0129336).

Textnummer

E133195

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E133195

Im RIS seit

06.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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