TE OGH 2018/7/17 1Ob56/18v

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Veröffentlicht am 17.07.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.

 Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. B***** S*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Land Salzburg, Salzburg, Kaigasse 14, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 105.000 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2018, GZ 4 R 113/17s-101, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 29. Mai 2017, GZ 12 Cg 38/14g-94, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.450,70 EUR (darin 408,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erhobene Rekurs der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (RIS-Justiz RS0043685 [T6]) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung des Rekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RIS-Justiz RS0043691):

1. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage eines Vergleichs der „Mobbingdefinition des Obersten Gerichtshofs“ mit den Voraussetzungen des dem § 43a BDG nachgebildeten „Mobbingverbots“ nach dem – mit Sbg LGBl 2012/99 geschaffenen – § 9 Abs 5 Salzburger Landes-Beamtengesetz 1987, von dem das Berufungsgericht aber selbst ausführte, dass jene Bestimmung erst (nach Verwirklichung der im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Vorfälle) am 1. 1. 2013 in Kraft trat, führt das beklagte Land nicht aus.

2. Es meint aber, das Berufungsgericht sei in korrekturbedürftiger Weise von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Mobbing abgewichen, weil der Bezirkshauptmann mit seinem Vorgehen nur seinen Pflichten nachgekommen sei. Dazu zitiert es Vorschriften des Salzburger Landes-Beamtengesetzes 1987) und der Salzburger Bezirkshauptmannschaften-Geschäftsordnung (Sbg LGBl 2007/37), wonach die Dienstaufsicht unbeschadet der Überwachung durch sonstige Vorgesetzten dem oder der unmittelbare Vorgesetzten obliege, und schlussfolgert aus ihnen, dass die Verpflichtung des Bezirkshauptmanns als Vorgesetzten bestanden habe, die Fürsorgepflichten gegenüber den übrigen Bediensteten wahrzunehmen, auf die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben sowie die Einhaltung der Dienstzeit zu dringen und dazu erforderlichenfalls auch Weisungen zu erteilen oder Missstände abzustellen, während es die Dienstpflicht der Klägerin gewesen wäre, ihn als ihren Vorgesetzten zu unterstützen, seine Weisungen zu befolgen und ihn zeitgerecht und umfassend zu informieren.

Dass der jeweilige Rechtsträger im Rahmen der Amtshaftung für die unmittelbar gesetzten Mobbing-(besser: Bossing-)handlungen des von ihm eingesetzten mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betrauten Vorgesetzten einzustehen hat, hat der Fachsenat bereits ausgesprochen (1 Ob 106/15t). Ist nun der Bezirkshauptmann als Leiter der Bezirkshauptmannschaft der Vorgesetzte aller Bediensteten der Bezirkshauptmannschaft, was von beiden Parteien auch gar nicht in Zweifel gezogen wurde (vgl auch § 2 Abs 2 Salzburger Bezirkshauptmannschaften-Gesetz) kommt es – unter der Voraussetzung, dass sein Verhalten als verpöntes Bossing einzustufen ist – nicht auf eine (zusätzliche) Fürsorgepflichtverletzung einer ihm übergeordneten Stelle an, und auch nicht darauf, ob und ab wann diese erkannte oder erkennen hätte können, dass anfänglich sachlich gerechtfertigte Maßnahmen des Bezirkshauptmanns in (vom beklagten Land nach wie vor bestrittenes) Mobbing-(besser: Bossing-)verhalten übergegangen waren.

3. Die Beurteilung, ob Auseinandersetzungen unter Kollegen und Kolleginnen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen am Arbeitsplatz „Mobbing“ (oder „Bossing“) zugrunde liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS-Justiz RS0124076 [T4]), sodass in der Regel eine erhebliche (Rechts-)Frage nicht zu beantworten ist. Auch hat das Höchstgericht bereits mehrmals erläutert, dass es sich bei Mobbing um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz handelt, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder [Hervorhebung durch den erkennenden Senat] dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird (vgl auch ErläutRV 488 BlgNR 24. GP 9) und dies als Diskriminierung empfindet (so schon 8 ObA 59/08x; zuletzt 9 ObA 32/17x je mwN). Wesentlich ist also – gleich, ob auch seine Absicht darauf abzielte –, ob die vom Bezirkshauptmann gesetzten Maßnahmen objektiv geeignet waren bei der untergebenen Klägerin einen solchen Effekt des Verdrängens aus dem Arbeitsverhältnis zu bewirken (arg: „oder“).

In der Einstufung der über einen längeren Zeitraum währenden Maßnahmen des Bezirkshauptmanns (ausdrücklich) als systematisches und schikanöses Bossingverhalten liegt bei Prüfung unter dem Gesichtspunkt einer objektiven Eignung keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, das zudem betonte, die rechtliche Würdigung eines als „Mobbing am Arbeitsplatz“ zu bezeichnenden Sachverhalts habe vor allem unter dem Blickwinkel einer Fürsorgepflichtverletzung des Dienstgebers zu erfolgen (so etwa 1 Ob 106/15t mwN). Es qualifizierte den vom Erstgericht auf mehr als 80 Seiten festgestellten Sachverhalt zur Situation am Arbeitsplatz der Klägerin zurückreichend über Jahre bis zu ihrer Versetzung in den dauernden Ruhestand (mit September 2013) zwar nicht von Anbeginn an, aber ab Ende August/Anfang September 2011 als Mobbing. Dazu berief es sich auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach dafür ein systematisches, ausgrenzendes und prozesshaftes Geschehen über einen längeren Zeitraum typisch sei, etwa durch systematische Verweigerung jeder Anerkennung, Isolation, Zurückhaltung von Informationen, Rufschädigungen etc (vgl RIS-Justiz RS0124076 [T2; T3]), sich die große Bandbreite möglicher Mobbinghandlungen einer vollständigen Aufzählung entziehe und vielfach erst eine Summe von – im Einzelnen nicht als Dienstpflichtverletzung zu wertenden – Worten oder Taten einen Verstoß gegen das Mobbingverbot ergäbe (VwGH 2011/09/0197), wobei nicht entscheidend sei, dass die einzelnen Handlungen für sich genommen rechtswidrig sind (1 Ob 106/15t). Unter detaillierter Auseinandersetzung mit den Geschehnissen und Maßnahmen kam es zum Ergebnis, dass in der ersten Phase von einer sachlich gerechtfertigten, rechtskonformen und sozialadäquaten Verhaltensweise des der Klägerin vorgesetzten und ihr gegenüber weisungsbefugten Bezirkshauptmanns als Reaktion auf Beschwerden von Bürgern und Mitarbeitern der Klägerin bei begründetem Verdacht einer Dienstpflichtverletzung und einer gerichtlich strafbaren Handlung auszugehen sei, dass aber von ihm in dem sich in der Folge verschärfenden Konflikt die Grenze zum im gesellschaftlichen Umgang im Allgemeinen üblichen und als Ausfluss der Dienst- und Fachaufsicht hinzunehmenden Verhalten sukzessive überschritten worden sei. Es habe die anfänglich sachlich berechtigte Kritik in ein systematisches und schikanöses Mobbing-(Bossing-)verhalten gemündet, für das das beklagte Land einzustehen habe, weil der Bezirkshauptmann in der Zeit nach Erstattung der Disziplinaranzeige II auf die bestehende Konfliktsituation nicht mehr sozialadäquat reagiert, sondern mit System gegen tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten der Klägerin mit herabwürdigenden, demütigenden, ihre Stellung und ihr Ansehen in der Bezirkshauptmannschaft untergrabenden und ausgrenzenden Maßnahmen vorgegangen sei (unter vielen etwa mit der Erschwerung oder Verweigerung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen und einer Bildungsfahrt sowie des Coachings, einer Vielzahl an Dienstanweisungen und der als schikanös angesehenen Aufforderung, von der Klägerin bei der Heimarbeit verschriftlichte Ergebnisse wie Konzepte oder Aktenvermerke bei Tätigkeiten wie Verhandlungsvorbereitung oder Aktenstudium zu verlangen, der Entziehung der Berechtigung die Post aufzuteilen und dem als besonders gravierend gewerteten Ausschluss der Klägerin als Gruppenleiterin von den Gruppenleiter- und Führungskräftebesprechungen, den Disziplinaranzeigen III und IV, dem Antrag auf Leistungsfeststellung mit dem Kalkül „Unternorm“ ohne ausreichende Konkretisierung von Fehlverhalten im Beobachtungszeitraum). Dass nicht feststehe, dass er Maßnahmen „bewusst“ gesetzt hätte „mit dem Ziel oder Effekt“ des Ausstoßens der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis, ändere nichts daran, dass die unerwünschten Verhaltensweisen „typischerweise“ bewirkt hätten, dass die Würde der Klägerin verletzt und ein durch Einschüchterungen, Erniedrigungen und Entwürdigungen gekennzeichnetes Umfeld mit dem „tatsächlich eingetretenen Effekt“ der Versetzung in den dauernden Ruhestand geschaffen worden sei. Unter Berücksichtigung des Ergänzungsauftrags des Berufungsgerichts kann diese Formulierung nur in dem Sinn verstanden werden, dass die ungerechtfertigten und überzogenen Maßnahmen geeignet gewesen seien, die (vorzeitige) Versetzung der Klägerin in den Ruhestand herbeizuführen; ob sie tatsächlich kausal waren, ist ja gerade Gegenstand der aufgetragenen Verfahrensergänzung.

Zu dieser Beurteilung des Berufungsgerichts kann das beklagte Land keine Fehlbeurteilung aufzeigen, wenn es auf Fehlverhalten und Versäumnisse der Klägerin hinweist, einzelne Maßnahmen anders gewichtet, aber einräumen muss, dass sich „Ton und Diktion zugespitzt“ hätten und etwa zum Ausschluss aus der Gruppenleiterbesprechung nur ausführt, ungeachtet dessen, ob in dieser Maßnahme „retrospektiv eine sachlich gerechtfertigte Maßnahme oder ein überzogenes Vorgehen“ zu sehen sei, sei das Verhalten des Bezirkshauptmanns schlicht „menschlich verständlich“. Es verlangt aber auch provokantes Fehlverhalten von Untergebenen eine angemessene Reaktion darauf und kann überzogene Maßnahmen von Vorgesetzten nicht rechtfertigen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0123222). Das beklagte Land hat der Klägerin die Kosten ihrer zweckentsprechenden Rekursbeantwortung, in der sie auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen hat, zu ersetzen.

Textnummer

E122269

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00056.18V.0717.000

Im RIS seit

02.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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