TE OGH 2020/2/27 2Ob7/20y

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Veröffentlicht am 27.02.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei U*****, vertreten durch Dr. Elisabeth Messner, Rechtsanwältin in Wien, wegen 149.762,32 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. November 2019, GZ 13 R 166/19f-47, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Juli 2019, GZ 6 Cg 2/17h-41, abgeändert wurde, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.632 EUR (darin enthalten 1.007,50 EUR USt und 8.587 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 11. 4. 2010 ereignete sich auf der Westautobahn A1 bei Kilometer 9,570 ein Verkehrsunfall, bei dem die Ehegattin (damals noch Lebensgefährtin) des Klägers als Lenkerin mit einem vom Kläger gehaltenen und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw in einen Baustellenbereich geriet, dort mit dem Fahrzeug auf eine 26 Meter lange freigelegte Betonplatte stürzte und dann gegen eine Erhöhung stieß. Durch den Aufprall wurden sowohl die Lenkerin als auch der Kläger als Beifahrer verletzt.

Mit der am 19. 1. 2017 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Zahlung von 149.762,32 EUR (50.000 EUR Schmerzengeld; 5.000 EUR Verunstaltungsentschädigung; 73.106,05 EUR Verdienstentgang von 2010 bis 2015; 9.240 EUR Pflegekosten und entgangene Beitragsleistungen im Haushalt, 9.525,84 EUR vermehrte Bedürfnisse; 2.104 EUR Fahrtkosten; 786,43 EUR Heilbehandlungskosten) und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden entsprechend dem Versicherungsvertrag. Er brachte, soweit noch von Bedeutung, vor, er könne sich gegen die mitversicherte Fahrzeuglenkerin zwar nicht auf das EKHG, aber auf das ABGB berufen, wofür die Beklagte Deckung zu gewähren habe. Er sei bis kurz vor Klageeinbringung davon ausgegangen, dass der Unfall durch eine mangelnde Beschilderung und unzureichende Absperrung der Baustelle verursacht worden sei und hierfür die ASFINAG sowie das – mittlerweile in Konkurs befindliche – Bauunternehmen haftbar seien. Beide seien in je einem Prozess von ihm und seiner Ehefrau vor dem Handelsgericht Wien geklagt worden. Das von ihm angestrengte Verfahren sei bis zur rechtskräftigen Erledigung des von seiner Frau angestrengten Verfahrens (in der Folge als „Vorprozess“ bezeichnet) unterbrochen worden. In keinem dieser Vorverfahren sei ein Sachverständigengutachten über den Unfallhergang erstattet worden. Der Vorprozess habe 2016 im dritten Rechtsgang durch das rechtskräftige Berufungsurteil ergeben, dass ein Fehlverhalten der dort Beklagten nicht nachweisbar sei. Hieraus folge zwingend, dass ein von der Lenkerin schuldhaft zu verantwortender Aufmerksamkeitsfehler ursächlich gewesen sei. Erst damit habe der Kläger vom gesamten anspruchsbegründenden Sachverhalt, insbesondere zu den Umständen des Verschuldens, Kenntnis erlangt, weshalb Verjährung noch nicht eingetreten sei. Er sei deshalb bisher nicht von einem Fahrfehler der Lenkerin ausgegangen, weil er keine Absperrungseinrichtungen (zB Hütchen) gesehen habe und er durch den Aufprall auf dem Betonfeld überrascht worden sei. Die Lenkerin habe ihm damals zum Unfallhergang mitgeteilt, sie sei der beschilderten Abzweigung nach rechts Richtung Auhof gefolgt und ohne Kollision mit Hindernissen zur Unfallstelle gelangt.

Die Beklagte wendete, soweit noch von Bedeutung, ein, die Ansprüche des Klägers seien verjährt, weil ihm alle relevanten Umstände des Unfalls naturgemäß seit dem Unfall bekannt gewesen seien. Dass in den Vorverfahren kein Sachverständigengutachten eingeholt worden sei, könne die Verjährung nicht hindern.

Die Vorinstanzen wiesen im ersten Rechtsgang das Klagebegehren wegen Verjährung gemäß § 1489 ABGB ab. Das Erstgericht meinte, dem Kläger sei schon am Unfallstag bekannt gewesen, dass möglicherweise auch ein Verschulden der Lenkerin in Frage komme. Das Berufungsgericht verwies auf dem Kläger zumutbare Erkundigungen nach dem Unfall, die ihm hinreichende Kenntnis vom Verschulden der Lenkerin verschafft hätten.

Über die außerordentliche Revision des Klägers hob der erkennende Senat mit Beschluss vom 30. 1. 2018, 2 Ob 214/17k, die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung auf. Zu der im nunmehrigen zweiten Rechtsgang noch strittigen Frage der Verjährung gemäß § 1489 ABGB führte der Senat ua Folgendes aus:

„Bei einem diese strittigen Tatfragen und Rechtsfragen behandelnden Prozess darf dessen Ausgang oder zumindest das Vorliegen gesicherter Verfahrensergebnisse abgewartet werden. Der Geschädigte setzt sich also bis zu diesem Zeitpunkt nicht der Gefahr der Verjährung seines Schadenersatzanspruchs aus (RIS-Justiz RS0034524 [T28]). Eine ausreichende Kenntnis vom Schaden kann allerdings im Einzelfall auch gegeben sein, wenn bereits vorher gesicherte Verfahrensergebnisse vorliegen oder der Geschädigte erdrückende Beweise ignoriert (RIS-Justiz RS0034908 [T14, T20]).“

Der Senat kam zusammengefasst zum Ergebnis, dass weder das Vorbringen der Beklagten zur Verjährung noch die Feststellungen der Vorinstanzen ausreichten, um die Frage der Verjährung der eingeklagten Ansprüche beurteilen zu können.

Im zweiten Rechtsgang brachte der Kläger zusammengefasst ergänzend vor, er sei durch den Unfall überrascht worden. Die Darstellung seiner Frau zum Unfallhergang sei völlig schlüssig und überzeugend gewesen, weshalb er davon ausgegangen sei, dass diese der Beschilderung und den Verkehrsleiteinrichtungen gefolgt sei und kein Fehlverhalten ihrerseits vorliege. Im gegen seine nunmehrige Ehefrau geführten Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Unfall sei sie mangels Schuldbeweises freigesprochen worden. Im Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im Vorprozess vom 24. 3. 2014 sei ausdrücklich ausgeführt worden, dass die nunmehrige Ehegattin des Klägers den Nachweis des mangelnden Verschuldens erbracht habe.

Die Beklagte brachte im zweiten Rechtsgang ergänzend vor, im Vorprozess seien bereits in der Tagsatzung vom 13. (gemeint: 3.) 2. 2012 die zwei beim Unfall intervenierenden Polizisten als Zeugen einvernommen worden, die angegeben hätten, dass die Information, die Lenkerin sei zwischen zwei transportablen Abweisbaken rechts durch die Baustellenabsperrung abgefahren, von der Lenkerin selbst stamme. Einer dieser Zeugen habe auch angegeben, dass er gemeinsam mit seinem Kollegen den Weg des Unfallfahrzeugs nachverfolgt habe, das Unfallfahrzeug durch die Abweisbaken durchgefahren sein müsse und er keine Wahrnehmungen gemacht habe, dass die Baustelle in irgendeiner Form schlecht gesichert gewesen sei. Diese Angaben habe der zweite Polizist in seiner Zeugenaussage in der Tagsatzung vom 3. 2. 2012 bestätigt. Somit seien bereits im Februar 2012 Beweise vorgelegen, die eine erfolgversprechende Klage gegen die Lenkerin bzw für diese haftende Personen möglich gemacht hätten. Spätestens im Zusammenhalt mit diesen Zeugenaussagen vom 3. 2. 2012 seien erdrückende Beweise für ein Verschulden der Lenkerin vorgelegen, womit die Verjährungsfrist zu laufen begonnen habe.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das gesamte Klagebegehren erneut ab. Es stellte ua folgenden Sachverhalt fest:

Im Vorprozess führte die dortige Zweitbeklagte in ihrer Klagebeantwortung aus, dass die Lenkerin ihre ursprünglichen Angaben offenbar geändert habe. Denn im Aktenvermerk, der noch am Unfallabend nach den Angaben der Lenkerin im Spital angefertigt worden war, war festgehalten worden, dass sie transportable Abweisbaken gesehen habe und zwischen zwei dieser Baken durchgefahren sei, um in Auhof zu tanken. Der Kläger war von Beginn des Vorprozesses an über die jeweiligen Standpunkte der Parteien und den Verfahrensverlauf informiert, weil der Parteienvertreter der Ehefrau des Klägers laufend darüber berichtete.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, dem Kläger seien die zur Einbringung einer erfolgreichen Klage notwendigen Umstände bereits am Tag des Unfalls, spätestens aber im November 2011 bekannt gewesen, und zwar umso mehr, als er sich das Wissen seines Rechtsvertreters zurechnen lassen müsse. Die Ansprüche aus dem Unfall seien daher im Zeitpunkt der Einbringung der gegenständlichen Klage am 19. 1. 2017 verjährt gewesen.

Das Berufungsgericht sprach im zweiten Rechtsgang mit Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO aus, das Klagebegehren (Zahlungs- und Feststellungsbegehren) sei nicht verjährt. In der rechtlichen Beurteilung verwies das Berufungsgericht auf die vom Obersten Gerichtshof im Aufhebungsbeschluss 2 Ob 214/17k überbundene Rechtsansicht. Da die erstinstanzlichen Urteile in den beiden ersten Rechtsgängen des Vorprozesses jeweils vom Berufungsgericht aufgehoben worden seien, sei der „Ausgang“ des Vorprozesses noch offen gewesen und wären „gesicherte Verfahrensergebnisse“ nicht vorgelegen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof frei gestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig, sie ist auch berechtigt.

Die Revisionswerberin macht zusammengefasst geltend, es liege eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vor, weil für den Kläger auch vor dem rechtskräftigen Urteil im Vorprozess im Jahr 2016 erdrückende Beweise für das Verschulden seiner Ehefrau vorgelegen seien. Den Vorinstanzen seien sekundäre Feststellungsmängel vorzuwerfen, weil die Zeugenaussagen der Tagsatzung vom 3. 2. 2012 im Vorprozess nicht festgestellt worden seien.

Der Kläger verweist in der Revisionsbeantwortung auf die zweimalige Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch das Berufungsgericht im Vorprozess sowie auf den Freispruch im gegen seine Frau geführten Strafverfahren. Im Vorprozess sei kein Sachverständigengutachten über den Unfallhergang eingeholt worden, sodass er keine Kenntnis des Ursachenzusammenhangs gehabt habe. Im Hinblick auf die eigene Erinnerung an den Unfall und die Aussagen der Lenkerin darüber komme den von der Beklagten ins Treffen geführten Zeugenaussagen der Polizisten keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

Hierzu wurde erwogen:

1. Sekundäre Feststellungsmängel:

Diese Rüge der Revisionswerberin ist berechtigt, weil die entscheidungswesentlichen Zeugenaussagen, auf die sich die Beklagte bezieht, nicht festgestellt wurden. Dies führt hier aber nicht zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen, weil der Akt des Vorprozesses im vorliegenden Verfahren verlesen wurde, das darin enthaltene Protokoll der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 3. 2. 2012 gemäß § 215 Abs 1 ZPO vollen Beweis über den Verlauf und den Inhalt der Verhandlung liefert und ein Widerspruch nicht erhoben wurde (18 ONc 2/19t mwN). Der Oberste Gerichtshof kann somit die Sachverhaltsgrundlage selbst ergänzen. Aus dem Protokoll der erwähnten Streitverhandlung wird Folgendes festgehalten:

Zeuge Gruppeninspektor [...], gibt nach WE und Vorhalt § 321 ZPO unbeeidet vernommen an:

Es war so, dass ich damals nach dem Unfall die Kl. im Spital aufgesucht habe. Wenn mir vorgehalten wird der Bericht vom 11. 4. 2010, AS 11 im Strafakt, so gehe ich davon aus, dass damals ich die Information, dass die Kl. zwischen zwei transportablen Abweisbacken rechts durch die Baustellenabsperrung abgefahren ist, von der Kl. erhalten habe. Es war jedenfalls so, dass es sich dort gehandelt hat um eine kilometerlange Baustelle und waren eben dort diese Abweisbacken vorhanden. Es war für uns daher auch der Unfallhergang gar nicht anders erklärbar.

Es war damals so, dass wir zur Unfallstelle zugefahren sind von der Gegenrichtung durch die Baustelle. Wir haben natürlich dann hier weiter den Weg des Unfallfahrzeuges zurückverfolgt, wir sind auch eine Zeit lang hier abgefahren die Strecke, wir konnten uns an sich aber nicht erklären, wo hier die Kl. hergekommen sein soll.

Es waren hier eben teilweise Betonwände und teilweise Abweisbacken. Es war eben so, dass hier einerseits Betonwände waren und andererseits solche Abweisbacken.

Ich gehe davon aus, dass die Kl. nicht eine Betonwand überwunden hat, daher kann sie nur bei Abweisbacken durchgefahren sein.

Es ist so, dass ich nichts wahrgenommen hätte, dass diese Baustelle in irgend einer Form schlecht oder nicht gesichert gewesen wäre, es war dies eben eine ganz gewöhnliche Baustelle. Ich komme auch selber aus dieser Gegend und fahre diese Strecke regelmäßig, es ist mir hier noch nichts aufgefallen, dass es hier Sicherheitsmängel gegeben hätte. Ich habe allerdings nie versucht hier bei Auhof abzufahren, wie dies die Kl. offenbar vorgehabt hat.

Über Befragen durch den KV:

Der Unfall war gegen 20:30 Uhr, ich bin um 21:18 Uhr an der Unfallstelle eingetroffen. Als wir dort angekommen sind, war die Straßenbeleuchtung jedenfalls eingeschaltet, man kann dies auch auf den Lichtbildern erkennen. Die Lichtbilder hat mein Kollege angefertigt.

Keine weiteren Fragen, laut diktiert, kein Einwand gegen die Protokollierung.

Zeuge Revierinspektor [...] gibt nach WE und Vorhalt § 321 ZPO unbeeidet vernommen an:

Ich glaube, dass wir damals zur Unfallstelle entgegen der Fahrtrichtung im Baustellenbereich zugefahren sind. Es war eben so, dass wir uns an sich nicht erklären konnten, wie dieses Unfallfahrzeug dort überhaupt hingekommen ist, wir sind dann ein Stück die Strecke zurückgefahren um nach Spuren zu suchen, haben aber keine gefunden. Wir haben uns dann eben entschlossen nur den unmittelbaren Unfallbereich abzufotografieren. Die Fotos im Strafakt habe ich angefertigt.

Wir sind dann eben ins Spital gefahren und haben kurz mit der Kl. gesprochen, diese hat uns eben gesagt, dass sie zwischen zwei Abweisbacken durchgefahren wäre, sie wisse jedoch nicht mehr wo genau.

Mir ist an sich an der Unfallstelle bezüglich der Absicherung dieser Baustelle nichts besonderes aufgefallen. Es ist so, dass ich diese Strecke auch privat normalerweise nicht fahre.

Soweit ich mich erinnern kann, war die Fahrbahnbeleuchtung eingeschaltet, als wir hingekommen sind. Es ist dies jedenfalls auf den Lichtbildern auch deutlich zu erkennen. Es ist hier auch im Unfallbericht als Lichtverhältnisse künstliche Beleuchtung angegeben.

Über Befragen durch den BV:

Ich glaube, dass mein Kollege mit Herrn S***** [Kläger] gesprochen hat. Ich gehe davon aus, dass Herr S***** damals gesagt hat, er könne zum Unfall keine näheren Angaben machen, andernfalls hätte mein Kollege dies nicht in den Bericht geschrieben. Wenn Herr S***** irgend etwas zweckdienliches beigetragen hätte, hätten wir dies auch sicher aufgeschrieben.

Keine weiteren Fragen, laut diktiert, kein Einwand gegen die Protokollierung.“

2. Der erkennende Senat ist der Ansicht, dass mit diesen beiden Zeugenaussagen „erdrückende Beweise“ für ein (zumindest Mit-)Verschulden der Lenkerin vorlagen: Die beiden als Zeugen vernommenen Polizisten sagten unter Wahrheitspflicht aus, waren im Dienst und konnten kein Interesse haben, die Wahrheit zugunsten einer der Parteien verzerrt oder falsch darzustellen. Ihre Aussage hatte somit einen hohen Beweiswert, zumal es gerade ihre Aufgabe war, die Spuren des Unfalls – auch zur Eruierung der Unfallursache(n) und eines Verschuldens am Unfall – zu sichern, sodass – anders als bei Zufallszeugen – ihre Aufmerksamkeit ganz auf die Gegebenheiten des Unfalls gerichtet war.

Aus beiden Aussagen ergibt sich, dass die Lenkerin noch am Unfallstag und somit in frischer Erinnerung angab, zwischen zwei Abweisbaken durch die Baustellenabsperrung gefahren zu sein. Diese Aussage ist insofern ein Schuldeingeständnis, als man im Nahebereich einer Baustelle ordnungsgemäß allenfalls an Abweisbaken entlang und nicht durch eine Baustellenabsperrung fährt.

Weiters ergibt sich aus diesen übereinstimmenden Aussagen, dass die mit der Spurensicherung befassten Polizeibeamten keinerlei Hinweise auf eine nicht ordnungsgemäße Absicherung der Baustelle gefunden hatten. Auch daraus war zwingend auf ein Verschulden der Lenkerin zu schließen.

Nach der weiteren erstgerichtlichen Feststellung wurde der Kläger über den Verfahrensverlauf des Vorprozesses vom Parteienvertreter „laufend“ informiert. Er hat somit im zeitlichen Nahebereich (von maximal wenigen Wochen) von dieser Verhandlung, somit jedenfalls im Frühjahr 2012, Kenntnis von diesen Zeugenaussagen erlangt.

3. Zuletzt ist auf die Argumente der Revisionsbeantwortung einzugehen.

3.1. Aus den beiden Aufhebungsbeschlüssen im Vorprozess ist für den Kläger nichts gewonnen: Die Aufhebung hielt das Berufungsgericht jeweils für nötig, weil es nicht ausreichend für geklärt hielt, ob die dort Beklagten irgend ein Verschulden wegen mangelhafter Baustellenabsperrung traf. Aus beiden Entscheidungen geht aber deutlich hervor, dass auch ein Verschulden der damaligen Beklagten ein Mitverschulden der Lenkerin nicht ausschließe.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass selbst im Fall eines nur geringen (aber nicht zu vernachlässigenden) Mitverschuldens der Lenkerin der Kläger von dieser (bzw vom beklagten Haftpflichtversicherer) seinen ganzen Schaden ersetzt verlangen konnte, weil gemäß § 1302 Satz 2 ABGB diesfalls die mehreren Schädiger solidarisch hafteten, sofern sich die Verschuldensanteile nicht bestimmen ließen. Des Klägers allfällige Ungewissheit über ein Verschulden der Beklagten im Vorprozess schloss seine Kenntnis (zumindest) eines Mitverschuldens der Lenkerin nicht aus, welche Kenntnis somit den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist für den ganzen Schadenersatzanspruch auslöste.

3.2. Der Freispruch der Lenkerin im Strafverfahren erfolgte gemäß § 259 Z 3 StPO mangels Schuldbeweises und entfaltet für das Zivilverfahren keine Bindungswirkung.

3.3. Dass im Vorprozess kein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, ist im vorliegenden Fall irrelevant, weil die im Vorprozess maßgebliche Tatfrage, ob bzw wie die Baustelle gesichert war, kein Thema eines Sachverständigenbeweises war.

3.4. Warum im Hinblick auf die Erinnerung des Klägers an den Unfall und die Aussagen der Lenkerin darüber den wiedergegebenen Zeugenaussagen der Polizisten keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommen sollte, ist nicht nachvollziehbar.

3.5. Der Kläger weist auf die schon in seiner Berufung gemachte Ausführung hin, nach Zustellung der Berufungsentscheidung vom 24. 3. 2014 im Vorprozess habe er davon ausgehen können, dass die Lenkerin kein unfallkausales Fehlverhalten gesetzt habe.

Dazu kann auf die Ausführungen unter Punkt 3.1. verwiesen werden: In der erwähnten Berufungsentscheidung findet sich die Ausführung, ein eigenes Verschulden der Klägerin (= Lenkerin) am Unfall schließe ein Mitverschulden der Erstbeklagten nicht von vornherein aus.

Schon durch diesen Satz ist die Auffassung des Klägers widerlegt.

3.6. Schließlich releviert der Kläger noch die von ihm in der Berufung begehrte, vom Berufungsgericht für unerheblich gehaltene Feststellung, wonach der Rechtsanwalt die Lenkerin und ihn selbst weder vor Klagseinbringung noch nach Erstattung der Klagebeantwortungen durch die Gegenseite im Vorprozess darüber aufgeklärt habe, dass die Klage infolge eines hervorkommenden Verschuldens der Lenkerin abgewiesen werden könne.

Auf diese Feststellung käme es tatsächlich nicht an, weil sie nichts daran änderte, dass der Kläger durch die unter Punkt 1. wiedergegebenen Zeugenaussagen ab dem Frühjahr 2012 erdrückende Beweise für ein Verschulden der Lenkerin hatte.

4. Wegen der unter Punkt 1. dargestellten erdrückenden Beweise hat die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB bereits im Frühjahr 2012 zu laufen begonnen und war demnach bei Klagseinbringung im Jänner 2017 bereits abgelaufen, weshalb die eingeklagten Ansprüche verjährt sind. Das klageabweisende Urteil des Erstgerichts ist somit wiederherzustellen.

5. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Da die Revision kein verfahrenseinleitender Schriftsatz ist, gebührt gemäß § 23a RATG nur eine Erhöhung der Entlohnung von 2,10 EUR (RS0126594).

Textnummer

E128002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00007.20Y.0227.000

Im RIS seit

13.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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