TE OGH 2021/9/14 11Os82/21z

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2021
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen Abdullah A***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 23. Februar 2021, GZ 6 Hv 10/21a-41, und die Beschwerde des Angeklagten gegen einen Beschluss gemäß § 494 Abs 1 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, sowie des Verteidigers Mag. Wurnig und des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch und demzufolge der Beschluss auf Erteilung einer Weisung und Anordnung der Bewährungshilfe aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Abdullah A***** wird für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I) und das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (2) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 84 Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird der Vollzug dieser Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Die Vorhaft wird wie im Ersturteil angerechnet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung und der Angeklagte wird mit seiner Berufung und seiner Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Abdullah A***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I) und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II) schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er in G*****

I) am 5. bzw 6. September 2020 Sarah W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit dem abgesondert verfolgten Yahya H***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zuzufügen versucht, indem er der am Boden liegenden W***** (die mit einer anderen Frau rangelte) zunächst Schläge gegen den Körper sowie drei Fußtritte in das Gesicht bzw den Kopfbereich und, nachdem er zwischenzeitig von unbekannten Personen weggezogen worden war, einen weiteren Tritt gegen den Kopfbereich versetzte, wodurch er im Urteil näher beschriebene, dem Grad nach leichte Verletzungen herbeiführte;

II) am 5. September 2020 eine fremde Sache beschädigt, indem er gegen eine Baustellenleuchte schlug, wodurch der F***** GmbH ein Schaden von 15 Euro entstand.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Gegen den Strafausspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4]       Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) erachtet auf Basis der Feststellung, wonach der Angeklagte die miteinander ringenden Frauen „gemeinsam mit seinem Freund Yahya H***** zu Boden gebracht“ habe (US 6), der diesbezüglichen Beweiswürdigung (US 9) und der Heranziehung der „Tatbegehung in Gemeinschaft“ (US 13) als Erschwerungsgrund in Zusammenhalt mit dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zum „bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit dem abgesondert verfolgten Yahya H*****“ (US 2) eine Begehung in verabredeter Verbindung im Sinn des § 39a Abs 1 Z 5 StGB als gegeben.

[5]       Zwar trifft es zu, dass die für die Annahme einer verabredeten Verbindung vorausgesetzte ernstliche Willenseinigung von mindestens zwei Personen über die gemeinsame Tatausführung auch durch schlüssiges Verhalten und in sukzessiver Weise erfolgen kann (vgl Messner, SbgK § 84 Rz 73; Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 84 Rz 86; RIS-Justiz RS0092795, RS0092859). Ebenso bedarf es für ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der Täter keiner ausdrücklichen Vereinbarung (vgl RIS-Justiz RS0106270). Während allerdings für Mittäterschaft ein spätestens während der Tatverübung spontan gefasster, auf die gemeinsame Tatbegehung gerichteter Entschluss genügt (Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 26; RIS-Justiz RS0089831 [T4], RS0090015, RS0106270, RS0089499), setzt die Verabredung eine Willenseinigung vor oder zumindest zu Beginn der Tatausführung voraus (Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 84 Rz 86; Flora in WK² StGB § 39a Rz 12; Messner, SbgK § 84 Rz 73; RIS-Justiz RS0099236, RS0092842; vgl Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 35).

[6]       Eine zu diesem Zeitpunkt – allenfalls auch konkludent – verabredete gemeinsame Tatbegehung ist weder den in der Beschwerde wiedergegebenen Ausführungen noch dem sonstigen Urteilssachverhalt zu entnehmen. Die Anwendung der die Strafuntergrenze zwingend erhöhenden (Flora in WK² StGB § 39a Rz 19) Bestimmung des § 39a Abs 1 Z 5 (iVm Abs 2 Z 3) StGB unterblieb demnach zu Recht, sodass die Nichtigkeitsbeschwerde in Übereinstimmung mit dem Croquis insoweit zu verwerfen war.

[7]       Zutreffend zeigt die Beschwerde (Z 11 erster Fall) allerdings auf, dass das Schöffengericht irrig einen durch § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG für junge Erwachsene (§ 1 Abs 1 JGG) modifizierten Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe herangezogen hat (US 13).

[8]       Denn abweichend von § 19 Abs 1 JGG bleibt es bei den Strafandrohungen der allgemeinen Strafgesetze, wenn der Täter eine mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedrohte strafbare Handlung (unter anderem) gegen Leib und Leben (§ 19 Abs 4 Z 1 JGG) begangen hat (vgl Schroll in WK² JGG § 19 Rz 3/4, 6/4).

[9]       Die Annahme des Entfalls der Strafuntergrenze des § 84 Abs 4 StGB unter Nichtbeachtung des § 19 Abs 4 Z 1 JGG bewirkt – unabhängig davon, dass die konkret verhängte Strafe innerhalb des rechtsrichtigen Strafrahmens liegt (RIS-Justiz RS0099852) – Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs und machte neuerlich in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur dessen Aufhebung sowie die Aufhebung des Beschlusses auf Erteilung einer Weisung und Anordnung der Bewährungshilfe erforderlich.

[10]     Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung im Rahmen von sechs Monaten bis fünf Jahre Freiheitsstrafe waren mildernd das Alter des Angeklagten unter einundzwanzig Lebensjahren (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB), der bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), das reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) und dass es bei der vom Schuldspruch I umfassten Tat beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB). Erschwerend war das Zusammentreffen eines Vergehens mit einem Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie das Ausnützen der Wehrlosigkeit des Opfers der Körperverletzung (§ 33 Abs 1 Z 7 StGB) zu werten.

[11]     Davon ausgehend erweist sich eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten als tat- und schuldangemessen.

[12]           Zufolge der außergewöhnlich positiven Entwicklung des jungen Erwachsenen seit dem Tatgeschehen konnte der Vollzug der Unrechtsfolge fallbezogen – trotz der gezeigten nachdrücklichen Brutalität – zur Gänze bedingt nachgesehen werden.

[13]     Den verfehlt (RIS-Justiz RS0126528) in die Urteilsausfertigung aufgenommenen Beschluss auf Erteilung einer Weisung und Anordnung der Bewährungshilfe hat das Erstgericht neu zu fassen (Schroll in WK2 StGB § 50 Rz 16).

[14]     Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, dieser zudem mit seiner (implizierten) Beschwerde auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E132816

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00082.21Z.0914.000

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten