TE OGH 2021/8/5 2Ob151/20z

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Veröffentlicht am 05.08.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** P*****, vertreten durch Dr. Otto Urban und andere Rechtsanwälte in Vöcklabruck, gegen die beklagten Parteien 1. N***** A*****, und 2. m***** Versicherung*****, beide vertreten durch Dr. Clemens Heigenhauser, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen 27.531,25 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 14.425,84 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Juni 2020, GZ 6 R 45/20k-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 18. Februar 2020, GZ 38 Cg 1/19p-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.119,44 EUR (darin 186,57 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Die Klägerin wurde am 24. 6. 2018 als Beifahrerin und Begleiterin einer „L-17 Übungsfahrt“ mit dem von ihrer Tochter gelenkten und von ihr gehaltenen PKW bei einer Kollision mit dem von der Erstbeklagen gelenkten und gehaltenen, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW verletzt. Sie begehrt Schadenersatz und erhebt ein Feststellungsbegehren.

[2]            Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs war auf der 6,6 m breiten, übersichtlichen Fahrbahn dem (infolge „Einnickens“ der Erstbeklagten) auf ihre Fahrbahnhälfte geratenen entgegenkommenden Beklagtenfahrzeug auf Anraten der Klägerin nach links in die für den Gegenverkehr bestimmte Fahrbahnhälfte ausgewichen, wodurch es nach mehrmaligem Hin- und Herlenken beider Fahrzeuge letztlich zur frontalen Kollision mit dem in der Folge ebenfalls nach links in ihre „richtige“ Fahrbahnhälfte zurückgelenkten Beklagtenfahrzeug kam.

[3]                     Im Rechtsmittelverfahren ist nur strittig, ob und in welchem Umfang der Klägerin ein Mitverschulden zur Last liegt.

[4]            Das Erstgericht ging von einer Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Lasten der Erstbeklagten aus.

[5]            Das nur von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage eines wegen Verletzung der in § 114 Abs 4 KFG 1967 normierten Pflichten begründeten Mitverschuldens keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorgefunden habe werden können.

Rechtliche Beurteilung

[6]            Die Revision der Klägerin ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

[7]       1. Die Revisionswerberin wendet sich nicht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, dass sie als Begleiterin der Übungsfahrt gemäß § 122 Abs 6 KFG die in § 114 Abs 4 Z 1 bis 5 lit a KFG normierten Pflichten zu erfüllen hatte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB, das Unfälle bei den Übungsfahrten verhindern soll (vgl auch RS0027619).

[8]       2. Der Oberste Gerichtshof hat zur Vorgängerbestimmung des § 101 Abs 3 KFG 1955 und ausgehend davon auch zu dem an deren Stelle getretenen § 114 Abs 4 KFG 1967 bereits mehrfach ausgesprochen, dass die zivilrechtliche Haftung für einen durch ein verkehrsvorschriftswidriges Verhalten eines Fahrschülers mit dem Schulfahrzeug verursachten Unfall grundsätzlich den Lehrenden trifft (2 Ob 61/85 mwN ZVR 1987/37; 8 Ob 137/82 ZVR 1984/119; vgl RS0065445; RS0065443; vgl auch 7 Ob 62/69 SZ 42/71 [Übungsfahrt nach § 101 KFG 1955]).

[9]            Argumente gegen die in dieser Rechtsprechung Deckung findende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, eine schuldhafte Verletzung der Pflichten des § 114 Abs 4 Z 2 bis 4 KFG durch die Klägerin begründe ein (Mit-)Verschulden am Verkehrsunfall, enthält die Revision nicht.

[10]     3. Ein Ausweichversuch nach links, vor allem unter Benützung der linken Fahrbahnhälfte, darf nur im äußersten Notfall und nur dann unternommen werden, wenn eine andere Möglichkeit, eine Kollision zu vermeiden, nicht gegeben ist und wenn aus triftigen Gründen mit dem Gelingen eines solchen Versuchs des Abwehrmanövers gerechnet werden kann (RS0073624).

[11]     Mit den Argumenten des Berufungsgerichts, das sich auf diese Rechtsprechung stützte und ausführlich darlegte, weshalb es die Anweisung der Klägerin an die Lenkerin, frühzeitig in den für den Gegenverkehr bestimmten Fahrstreifen zu lenken, und die unterlassene Aufforderung zum Abbremsen sowie – wenn auch nicht (allein) „entscheidend“ – zur Abgabe von akustischen Warnzeichen (§ 22 Abs 1 StVO) ex ante betrachtet als unrichtig und nicht geeignet erachtete, um der Kollision vorzubeugen, setzt sich die Revisionswerberin nicht auseinander. Es wäre daher an der Klägerin gelegen gewesen, den Beweis zu erbringen, dass die Kollision auch bei Anordnung dieser Maßnahmen mit denselben Folgen stattgefunden hätte (RS0112234 [T5 und T14]). Diesen Beweis hat sie nicht erbracht.

[12]           Zwar kann einem Verkehrsteilnehmer, der bei einer plötzlich auftretenden Gefahr zu schnellem Handeln gezwungen wird und unter dem Eindruck dieser Gefahr eine – rückschauend betrachtet – unrichtige Maßnahme trifft, dies nicht als Mitverschulden angerechnet werden (RS0023292; vgl RS0073536). Mit ihrem bloßen Hinweis, sie sei „unter Schock“ gestanden und hätte „innerhalb von Sekundenbruchteilen“ zu reagieren gehabt, entfernt sich die Klägerin jedoch von den Feststellungen, nach denen sie und die Lenkerin des Klagsfahrzeugs das Fehlverhalten der Erstbeklagten knapp 13 Sekunden vor der Kollision erkannten. Damit vermag sie keine aufzugreifende Fehlbeurteilung in der Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der Klägerin die Verletzung ihrer Pflichten nach § 114 Abs 4 KFG auch vorwerfbar gewesen sei, aufzuzeigen.

[13]       4. Das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen seiner Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RS0087606). Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RS0087606 [T2]).

[14]           In der Rechtsprechung wurde in einer ähnlichen Unfallkonstellation, in der der Lenker auf ein ihm unzulässigerweise auf „seinem“ Fahrstreifen entgegenkommendes Fahrzeug unrichtig durch Linksauslenken reagiert hatte, weshalb es zur Kollision mit dem ebenfalls nach links auf seine richtige Fahrbahnhälfte zurücklenkenden Entgegenkommenden kam, gleichteiliges Verschulden angenommen (8 Ob 25/85 [8 Ob 1015/85] ZVR 1986/20).

[15]           Mit der vom Berufungsgericht vorgenommenen Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Erstbeklagten, in der es die Situation der Klägerin als Begleiterin der Übungsfahrt berücksichtigte, hat es auch angesichts der der Erstbeklagten zur Last gelegten Schuldvorwürfe den ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum nicht überschritten.

[16]           5. Ob und inwieweit (auch) die lernende Lenkerin des Klagsfahrzeugs im konkreten Einzelfall für den Unfall verantwortlich ist (vgl 2 Ob 61/85 ZVR 1987/37; 8 Ob 137/82 ZVR 1984/119), muss nicht beantwortet werden.

[17]           6. Da somit Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen sind, ist die Revision zurückzuweisen.

[18]     7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E132442

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00151.20Z.0805.000

Im RIS seit

19.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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