TE OGH 2020/2/20 5Ob189/19h

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Veröffentlicht am 20.02.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** H*****, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Schlegl, Rechtsanwalt in Graz, gegen die Beklagte Mag. D***** M*****, vertreten durch MMag.Dr. Christopher Engel, Rechtsanwalt in Graz, wegen 37.052,50 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. September 2019, GZ 2 R 129/19m-21, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Beklagte begründet die Zulässigkeit ihres Revisionsrekurses mit der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens in Folge Verletzung der richterlichen Anleitungspflichten nach den §§ 182, 182a ZPO. Das Berufungsgericht habe es unterlassen, seine aus eigenem aufgegriffene, überraschende Rechtsauffassung zu erörtern und damit gegen das Verbot von Überraschungsentscheidungen verstoßen.

1.2. Die Grenzen der vom Gericht wahrzunehmenden Anleitungspflicht und die Frage, ob das Überraschungsverbot verletzt wurde, richten sich nach den Umständen des Einzelfalls und begründen aus diesem Grund in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO (RS0114544; RS0120057 [T1, T11]; RS0037300 [T31]).

1.3. Der von der Beklagten behauptete Verstoß gegen das Überraschungsverbot ist auch nicht zu erkennen. Die Klägerin stützte die Klageforderung primär auf eine Verwertungsvereinbarung der Streitteile. Die Beklagte qualifizierte die darin enthaltene Verpflichtung der Beklagten, die Hälfte des zukünftigen Verwertungserlöses einer Eigentumswohnung der Klägerin zukommen zu lassen, als eine Schenkung ohne wirkliche Übergabe, die mangels Einhaltung der Notariatsaktsform nichtig sei. Unter Hinweis auf die näheren Umstände des Zustandekommens dieser Verwertungsvereinbarung bestritt die Klägerin die Freigebigkeit und Schenkungsabsicht der Beklagten, die Vereinbarung sei vielmehr Ausfluss eines Treuhandverhältnisses. Die strittige rechtliche Qualifikation der Verteilungsvereinbarung war demnach Gegenstand des Vorbringens beider Parteien und des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Klägerin erstattete insbesondere auch ein entsprechendes Tatsachenvorbringen, das die Parteien rechtlich jeweils anders qualifizierten. Das Verbot der Überraschungsentscheidung bedeutet nun nicht, dass Gerichte ihre Rechtsansicht kundtun müssten (RS0122749). In der anderen rechtlichen Wertung eines im Verfahren erster Instanz unübersehbar behandelten Standpunkts liegt daher keine Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht (RS0037300 [T51]). Dass das Berufungsgericht zwar den vom Erstgericht auf Basis des Vorbringens der Streitteile festgestellten Sachverhalt seiner rechtlichen Beurteilung unverändert zugrunde gelegt, aber das von der Beklagten behauptete Erfordernis der Notariatsaktsform infolge einer anderen Rechtsansicht als das Erstgericht verneint hat (keine Unentgeltlichkeit zufolge Erfüllung einer sittlicher Pflicht), begründet daher keinen Verfahrensmangel (RS0037300 [T15, 44]).

2.1 Auch die von der Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zufolge des Verstoßes gegen § 405 ZPO (Bindung an den Urteilsantrag) liegt nicht vor.

2.2. Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts ist der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt (RS0037610 [T34]). Eine unrichtige rechtliche Qualifikation dieses Sachverhalts wirkt sich nicht zum Nachteil des Klägers aus, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat (RS0037610 [T37]; vgl auch RS0016473). Dieses Tatsachenvorbringen ist vom Gericht grundsätzlich nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Nur dann, wenn das Klagebegehren ausdrücklich und ausschließlich auf einen bestimmten Rechtsgrund beschränkt ist, ist es dem Gericht verwehrt, dem Begehren aus anderen Gründen stattzugeben (RS0037610 [T43]). Im Zweifel ist eine solche Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Frage kommenden Rechtsgründen nicht anzunehmen (RS0037610 [T36]).

2.3. Die Beurteilung, ob dem Prozessvorbringen eine Beschränkung auf einen bestimmten Rechtsgrund entnommen werden kann, hängt von der Auslegung des Vorbringens im Einzelfall ab und begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (1 Ob 5/19w; RS0044273). Dem Berufungsgericht ist auch keine ausnahmsweise auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung (vgl RS0044273 [T37, T43, T47, T53, T56] unterlaufen. Die Klägerin stützte ihr Begehren auf die Verwertungsvereinbarung; diese qualifizierte sie als Treuhandverhältnis, um den Einwendungen der Beklagten zu begegnen und den eigenen Prozessstandpunkt, dass ein formgültiges, weil kein unentgeltliches Rechtsgeschäft vorliege, zu untermauern. Eine Beschränkung ihres Begehren auf diesen Rechtsgrund war offensichtlich nicht ihre Intention.

3. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO). Aktenwidrigkeit kann keinesfalls in (allenfalls unrichtigen) rechtlichen oder tatsächlichen Schlussfolgerungen bestehen, sondern vielmehr nur in einem Widerspruch von tatsächlichen Annahmen des Gerichts zum Akteninhalt (RS0043347 [T21]; RS0043256 [T1, T8, T11]; RS0043189 [T1]; RS0043298). Bei den – von der Beklagten gerügten – tatsächlichen Schlussfolgerungen aus dem Inhalt einer Urkunde handelt es sich vielmehr um einen Akt der Beweiswürdigung (RS0043347 [T10, T18]; RS0043256 [T10]; RS0043189 [T7]; RS0043298 [T10]).

4.1. Nach § 1 lit d Notariatsaktsgesetz ist für Schenkungsverträge ohne wirkliche Übergabe ein Notariatsakt erforderlich. Wurde die gesetzliche Form nicht eingehalten, entsteht gemäß § 943 ABGB bloß eine Naturalobligation, also eine Leistungsverbindlichkeit, die zwar nicht einklagbar, wohl aber erfüllbar ist (7 Ob 192/01p).

4.2. Die Schenkung ist ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, einem anderen eine Sache unentgeltlich zu überlassen (§ 938 ABGB). Der Grund der Schenkung (ihre „causa“) liegt nicht im eigennützigen Austausch von Leistungen, sondern in der Freigebigkeit des Schenkenden (3 Ob 55/03i). Nur wenn der Zweck der Leistung eine Freigebigkeit ist, liegt eine unentgeltliche Leistung vor (RS0033054 [T1]). Ob eine Schenkung vorliegt oder nicht, kann dabei nicht allein danach beurteilt werden, dass der Empfänger des Vermögenswerts mangels Erbringung einer Gegenleistung objektiv in seinem Vermögen bereichert ist; vielmehr muss auch das – ausdrücklich oder schlüssig erklärte – Einverständnis der Vertragspartner über die Unentgeltlichkeit der Vermögensverschiebung vorhanden sein (3 Ob 55/03i; RS0018795; RS0019217; RS0018843). Die Schenkungsabsicht ist eine Tatfrage (7 Ob 192/01p; RS0043441; RS0019229 [T5]). Dabei reicht es aus, dass der Schenkungswille aus den Umständen des Einzelfalls erschlossen werden kann (3 Ob 55/03i; RS0018795 [T5]; RS0019217 [T3]).

4.3. Für die Schenkung ist daher die Schenkungsabsicht begriffswesentlich. Sie besteht in der Absicht einer unentgeltlichen, das heißt auf keine Gegenleistung bezogenen und freiwilligen (freigiebigen) Leistung (RS0018833). Die Rechtsprechung verneint die Freigebigkeit und damit die Schenkungsabsicht – trotz Fehlens eines Entgelts und einer bereits bestehenden Verpflichtung – auch dann, wenn eine Zuwendung von Vermögenswerten aus einer moralischen, sittlichen oder Anstandspflicht zugesagt wird (RS0017193 [T1]; 7 Ob 192/01p; 3 Ob 55/03i). Eine solche Verpflichtung kann daher auch formlos begründet werden (7 Ob 192/01p). Die herrschende Lehre kritisiert diese Rechtsprechung zwar insofern, als auch die Pflicht- und Anstandsschenkung im Hinblick auf die Bestimmungen der § 784 ABGB, § 939 ABGB, § 3 AnfO, § 29 IO als Schenkung anzusehen sei. Diese Form der Schenkung unterliege freilich besonderen Bestimmungen. So ist auch nach der herrschenden Lehre in diesen Fällen die Formpflicht gemäß § 943 ABGB und § 1 NotAktsG trotz Bejahung des Schenkungscharakters zu verneinen (statt vieler Parapatits in Schwimann/Kodek4 § 938 ABGB Rz 29 mwN; Bollenberger in KBB5 § 938 ABGB Rz 4).

4.4. Die allgemeinen Begriffe „moralische, sittliche oder Anstandspflicht“ bedürfen einer Auslegung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls. Dabei kommt es grundsätzlich und für die verschiedensten Lebensbereiche auf die Anschauungen der redlichen und rechtsverbundenen Mitglieder der betroffenen Verkehrskreise an (RS0121353 [T1]). Gemeint sind Zuwendungen, die nach der gesellschaftlichen Anschauung zwar nicht rechtlich, aber moralisch gefordert werden können, deren Unterlassung gesellschaftlich als Pflichtverletzung oder Anstandsverletzung gilt und eine Minderung der gesellschaftlichen Achtung nach sich zieht (RS0064311 [T1]; Parapatits in Schwimann/Kodek4 § 938 ABGB Rz 29 mwN; Bollenberger in KBB5 § 938 ABGB Rz 4 mwN). Eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, ist (nur) anzunehmen, wenn dazu eine besondere aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers bestand (RS0018833 [T7]). Wegen dieser Einzelfallbezogenheit stellen sich dabei in der Regel keine erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO (5 Ob 191/10i; 9 Ob 53/05t; RS0018833 [T7]; RS0012972 [T8]).

4.5. Dem Berufungsgericht ist hier auch keine aus Gründen der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen. Dessen Rechtsauffassung, bei der zwischen den Streitteilen getroffenen Verwertungsvereinbarung handle es sich um kein Schenkungsversprechen aus Freigebigkeit, sondern – wenn schon nicht um die Erfüllung einer schuldrechtlichen Verpflichtung, so doch jedenfalls – um eine Schenkung aus sittlicher Pflicht, sodass es hierfür auch nicht der Form des Notariatsaktes bedurfte, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Die von der Beklagten dem hier festgestellten Sachverhalt gegenüber gestellten Entscheidungen beziehen sich nur auf einen der möglichen Anwendungsfälle einer Anstandsschenkung, nämlich jenen, in welchem die „sittliche Pflicht“ wegen des Empfangs von außerordentlichen Beistandsleistungen, die über die gesetzlich geschuldeten weit hinausgehen, angenommen wurde (vgl 2 Ob 91/16w; RS0115477). Als Anstandsschenkung wurde in der Vergangenheit aber etwa auch die Übertragung der von der Schwieger(groß)mutter unentgeltlich erworbenen Liegenschaft an die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder durch die Mutter vor Verlassen der Familie (5 Ob 50/66 = JBl 1966, 620) oder die Erfüllung eines in keiner formgültigen letztwilligen Erklärung geäußerten Wunsches des Erblassers (6 Ob 345/65 = JBl 1967, 257; 2 Ob 79/99b) anerkannt (vgl Parapatits in Schwimann/Kodek4 § 938 ABGB Rz 31). Die Annahme einer Anstandspflicht basiert hier auf einer vergleichbaren, in einem aufrechten und harmonierenden Familienverband berechtigten Erwartung der Erfüllung eines über den Tod hinaus zu respektierenden Wunsches der in Bezug auf das Vermögen ursprünglich berechtigten Familienangehörigen (vgl 2 Ob 79/99b). Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen bezweckte die in Fortsetzung einer „vorweggenommenen Erbregelung“ getroffene Verwertungsvereinbarung der Streitteile nämlich, den Teil des Familienvermögens, den die Großmutter und die Mutter der Streitteile zunächst der Beklagten allein überlassen haben, im Fall des Todes der Großmutter und Mutter deren Willen entsprechend der Klägerin zu gleichen Teilen zukommen zu lassen.

5. Die Revisionswerberin zeigt somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die außerordentliche Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Textnummer

E127861

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00189.19H.0220.000

Im RIS seit

30.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.04.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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