TE OGH 2020/4/7 14Os24/20s

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Veröffentlicht am 07.04.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in der Strafsache gegen K***** Y***** wegen Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 10. Dezember 2019, GZ 23 Hv 21/19i-42a, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde K***** Y***** der Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (I./a./ und I./b./) und der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 zweiter Satz zweiter Fall StGB (II./a./ und II./b./ sowie III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in L***** gegen nachstehende Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die Taten betreffend seine zu II./ und III./ angeführten Kinder jeweils gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt länger als ein Jahr ausübte, und zwar gegen

I./ V***** Y*****

a./ von 30. November 2013 bis 30. August 2015 und

b./ von 15. Jänner 2016 bis 11. Mai 2019,

indem er im zu a./ genannten Zeitraum zumindest ein Mal monatlich und im zu b./ genannten Zeitraum zwei bis drei Mal monatlich

1./ ihr durch Schläge auf den Kopf, Reißen an den Haaren, Würgen und im Herbst 2014 durch Nachwerfen einer Gabel „Gewalt zufügte“;

2./ sie gefährlich bedrohte, nämlich mit dem Umbringen, wobei er ihr in manchen Fällen ein Messer am Hals anlegte, und am 11. Mai 2019 durch – im angefochtenen Urteil einzeln angeführte – Äußerungen und Verhaltensweisen,

II./ seine am ***** geborene Tochter S***** Y*****

a./ von 30. November 2013 bis 30. August 2015 und

b./ von 15. Jänner 2016 bis 11. Mai 2019,

indem er ihr zumindest ein Mal pro Woche Schläge auf den Rücken versetzte und sie am 11. Mai 2019 durch eine im Urteil angeführte Äußerung gefährlich bedrohte;

III./ seinen am ***** geborenen Sohn A***** Y***** von 15. Jänner 2016 bis 11. Mai 2019, indem er ihm zumindest ein Mal pro Woche Schläge gegen den Körper, insbesondere die Beine und in einem Fall auch auf den Oberarm versetzte und ihn am 11. Mai 2019 durch eine im Urteil angeführte Äußerung gefährlich bedrohte.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 42 S 2 f) des Antrags auf „Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit der S***** Y***** und des A***** Y*****, hierbei auch in Bezug auf eine allfällige Fremdsuggestion der beiden Minderjährigen“ (ON 40 S 12 iVm ON 34), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Die Beurteilung der Aussagefähigkeit und Glaubwürdigkeit eines Zeugen obliegt – als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) – allein den Tatrichtern (RIS-Justiz RS0098297). Die Hilfestellung eines Sachverständigen kommt bei dieser Beurteilung nur ausnahmsweise in Betracht, etwa bei erheblichen Bedenken gegen die allgemeine Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit des Zeugen (insb bei geistigen Schwächen oder Entwicklungsstörungen) oder bei objektiven Anhaltspunkten, die gegen die Aussageehrlichkeit des Zeugen schlechthin (und damit losgelöst vom Einzelfall) sprechen (RIS-Justiz RS0097733, RS0097576, RS0120634; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 11 f).

In Betreff der Zeugin S***** Y***** behauptete der Beweisantrag deren Beeinflussung bei der polizeilichen Vernehmung durch Anwesenheit ihrer weinenden Mutter und eine durch Gespräche mit Familienmitgliedern hervorgerufene und anhand der Verwendung nicht alterstypischer Wörter erkennbare Fremdsuggestion bei der kontradiktorischen Vernehmung. Damit stützte sich der Antrag lediglich auf Umstände, die gegen die Glaubwürdigkeit oder Verlässlichkeit der Zeugin im gegebenen Anlassfall sprechen können, aber keine gravierenden Bedenken gegen die Aussagefähigkeit der Zeugin im Allgemeinen wecken.

Ebenfalls keine solche Ausnahmekonstellation zeigte der Beweisantrag in Betreff des Zeugen A***** Y***** mit den Behauptungen auf, die Kindsmutter sei bei der polizeilichen Vernehmung desselben nicht nur anwesend gewesen, sondern habe sich auch aktiv an dieser beteiligt, und der Zeuge weise ein geringes Alter auf und sei zu einem Geschehen vernommen worden, bei dem er erst fünf Jahre alt gewesen sei.

Im Übrigen wurde in den Beweisanträgen nicht einmal behauptet, dass die (unmündigen) Zeugen sowie deren gesetzliche Vertreter die Zustimmung zur jeweiligen Begutachtung erteilt haben oder erteilen würden (RIS-Justiz RS0108614, RS0118956; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Der Beschwerdekritik, man könne erst nach der Auftragserteilung wissen, ob die Erstellung eines Gutachtens faktisch möglich ist, und der Verteidiger könne schon aus standesrechtlichen Gründen nicht direkt mit den Opfern Kontakt aufnehmen, ist zu entgegnen, dass ein Antrag auf Befragung der Opfer sowie deren gesetzlichen Vertreters zu einem solchen Einverständnis nicht gestellt wurde und eine Verpflichtung des Gerichts zu amtswegiger Ergänzung eines Beweisantrags wiederum nicht besteht (RIS-Justiz RS0108614 [T1, T2]). Dass der Beschwerdeführer an entsprechender Antragstellung gehindert gewesen wäre (vgl zur Aufklärungsrüge [Z 5a] RIS-Justiz RS0115823), behauptet die Rüge ohnehin nicht.

Zu Recht abgewiesen (ON 42 S 2 f) wurde auch der Antrag (ON 40 S 12 f iVm ON 34) auf Vernehmung mehrerer Zeugen zu „den Abläufen innerhalb des Familienverbandes des Angeklagten“. Denn warum die Zeugen ***** A*****, ***** Yi***** und ***** H***** als „Tür an Tür Nachbarn“ des Angeklagten bestätigen könnten, „dass kein einziges Mal Drohungen oder Gewalttätigkeiten innerhalb der Wohnung des Angeklagten aufgetreten wären“ und dieser „gegenüber seiner Ehefrau sowie auch den Kindern keine lautstarken Drohungen geäußert“ oder Gewalt angewendet hat, legt der Antrag nicht dar (RIS-Justiz RS0118444).

Durch den Antrag auf Vernehmung der Zeugen R***** Ü***** und E***** Ü*****, welche langjährige Freunde des Angeklagten und seiner Familie seien, mit dieser mehrere Monate zusammengelebt hätten, regelmäßig Kontakt pflegen würden und gemeinsam auf Urlaub gewesen seien, sollte unter Beweis gestellt werden, „dass der Angeklagte zu seiner Familie, insbesondere zu seiner Tochter S***** Y***** und seinem Sohn A***** Y*****, ein familiäres, nicht gewalttätiges und liebevolles Verhältnis pflegt(e)“. Weshalb dieser Umstand den gegenständlichen Taten entgegenstehen sollte, legte der Antrag nicht dar. Soweit er zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeugen V***** Y*****, S***** Y***** und A***** Y***** gestellt wurde (vgl dazu RIS-Justiz RS0028345), unterblieb die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Annahme, die Zeugen hätten in Bezug auf entscheidende Tatsachen nicht die Wahrheit gesagt (RIS-Justiz RS0120109 [T3]).

Das zur Fundierung der Anträge in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragene Vorbringen ist aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618, RS0098978).

Der Tatsachenrüge (Z 5a) ist voranzustellen, dass diese nur unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel – unter gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiserwägungen – verhindern will (RIS-Justiz RS0118780). Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird durch sie aber nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583).

Indem der Beschwerdeführer einerseits unter Verweis auf mehrere Passagen der Anzeige vom 11. Mai 2019 (ON 2) behauptet, die Familie der V***** Y***** neige „offenbar zu Übertreibungen“, andererseits aus seiner Sicht bestehende „Auffälligkeiten und Widersprüche“ in den Aussagen der Zeugen V***** Y*****, S***** Y***** und A***** Y***** auflistet, bekämpft er die Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung. Soweit dabei Widersprüche in den Aussagen der Zeugen betreffend „die Art und Weise des Zusammentreffens“ nach dem Einkauf am 11. Mai 2019, den Vorfall vom selben Tag in der Wohnung des S***** At***** und den Umfang der von V***** Y***** und S***** Y***** an ihre Verwandten und Freunde weitergegebenen Informationen thematisiert werden, richtet sich die Rüge nicht einmal gegen Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS-Justiz RS0117499). Dasselbe gilt für die Anführung von „Auffälligkeiten“ in den Angaben des Zeugen V***** A***** betreffend den vom Freispruch umfassten Vorfall.

Mit den Divergenzen in den Aussagen der Zeugen V***** Y***** und S***** Y***** zur Häufigkeit der Gewalt sowie der Verantwortung des Angeklagten hat sich das Schöffengericht – der Beschwerde zuwider – auseinandergesetzt (US 8 f und 10 f).

Die von der Rüge ins Treffen geführten unterschiedlichen Angaben der Zeugin V***** Y***** zur Art der Gewalt des Angeklagten gegenüber seinen Kindern, die das selbe Thema betreffenden Angaben der Zeugin ***** Ya***** sowie die von der Beschwerde aufgezählten Passagen der Aussagen der Zeugen ***** G*****, S***** At*****, E***** A*****, die (zusammengefasst) nie Verletzungen an V***** Y***** wahrgenommen und denen vor dem 11. Mai 2019 von der Genannten nie über Schläge durch den Angeklagten berichtet wurde, wecken wiederum mit Blick auf die Gesamtheit der Beweisergebnisse keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.

Mit den „Hinweisen zur vorliegenden Fremdsuggestion“ bei S***** Y***** und A***** Y***** und zu „sprachlichen Auffälligkeiten in ihren Aussagen“ sowie mit dem Verweis auf das Vorbringen zu in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen entspricht die Beweiswürdigungskritik erneut nicht den Kriterien der Z 5a.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E127853

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00024.20S.0407.000

Im RIS seit

29.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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