TE OGH 2020/1/15 15Os143/19x

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Veröffentlicht am 15.01.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Jänner 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Dr. Ondreasova als Schriftführerin in der Strafsache gegen Serdar D***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 11. Oktober 2019, GZ 37 Hv 99/19t-54, weiters über dessen Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Serdar D***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1./1./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (1./2./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (1./3./), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (2./), des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 „Abs 1 und“ Abs 4 StGB (3./1./) und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (3./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** und an anderen Orten des Bundesgebiets

1./ vorschriftswidrig Suchtgift

1./1./ in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge ein- und ausgeführt, indem er teils alleine, teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Manuel M*****, Michael M*****, Adem C*****, Mohamed S***** und Ibrahim Y***** in wiederholten Angriffen zwischen zumindest Februar 2016 und Jänner 2019 zumindest 620 g Methamphetamin mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 50 % in der Tschechischen Republik ankaufte und in weiterer Folge nach Österreich schmuggelte;

1./2./ in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er in wiederholten Angriffen zwischen zumindest Februar 2016 und März 2019 von dem unter 1./1./ angeführten Suchtgift zumindest 324 g Methamphetamin an teils bekannte Abnehmer, und zwar an René P***** (zumindest 20 g), Gamze T***** (circa 124 g), Adem C***** (circa 150 g), Vera F***** (circa 2 g), Mohamed S***** (unbekannte Mengen) sowie an teils unbekannte Abnehmer (circa 28 g) weitergab;

1./3./ erworben und besessen, nämlich zwischen etwa Mai 2015 und zumindest 7. Mai 2019 Methamphetamin und Amphetamin, wobei er die Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging;

2./ gegen eine andere Person, nämlich „seine damalige Lebensgefährtin“ Gamze T*****, zwischen circa September 2017 bis April 2018, sohin eine längere Zeit hindurch, fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie beinahe täglich schlug, sie mehrmals mit dem Umbringen bedrohte und sie durch die sinngemäßen Äußerungen, dass er sie umbringen werde, wenn sie aussage, und von ihm gemachte Sexvideos in der Familie verbreiten würde, zur Abstandnahme einer Aussage vor Gericht nötigte;

3./ am 29. März 2019 auf der Polizeiinspektion D*****

3./1./ im Ermittlungsverfahren gegen René P***** „wegen §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1, 107 Abs 1 und 2 StGB“ bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache als Zeuge durch die Behauptung, dass P***** geschrien habe: „Ich vergas dich! Ich stech dich ab! Ich vergas dich scheiß Türk!“, P***** plötzlich auf ihn zugesprungen sei, einen Schraubenzieher in der Hand gehabt und in seine Richtung gestochen habe, er den Stich gerade noch rechtzeitig mit einem Schlag gegen die Hand von P***** abwehren habe können, wodurch er ihn nur leicht gestreift habe, und P***** ihm nachgeschrien habe: „Du wirst dich anschauen du verfickter Türkenschädel! Ich stech dich ab, du wirst dich ansehen!“, falsch ausgesagt;

3./2./ durch die zu 3./1./ angeführte Aussage René P***** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er ihn von Amts wegen zu verfolgender, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohter Handlungen, nämlich des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB, falsch verdächtigte, obwohl er wusste, dass die Verdächtigung falsch ist.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Entgegen dem der Sache nach erhobenen Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) hat sich das Schöffengericht bei der Feststellung der zu 1./1./ inkriminierten Suchtgiftmenge von insgesamt zumindest 620 g Methamphetamin gar wohl mit von der Beschwerde ins Treffen geführten Aspekten der Aussagen der Zeugin T***** auseinandergesetzt. So mit dem Umstand, dass der Genannten nach eigenen Angaben Zahlen nichts sagen würden (US 8), die Lebensgemeinschaft erst ab September (erkennbar gemeint) 2016 (US 8 iVm ON 53 S 19) bestanden hatte (US 8), sie in der Hauptverhandlung (zunächst) ihre vor der Polizei getätigten Angaben abgeschwächt und auch „gemeinsame“ Suchtgiftankäufe in der Tschechischen Republik (US 8 ff) erwähnt hatte. Ebenso bezogen die Tatrichter in ihre Überlegungen ein, dass sich der Angeklagte im Tatzeitraum für zwei Monate in Haft befunden hatte (US 10).

Entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) mussten sie dabei nicht jeden einzelnen Satz der Bekundungen der genannten Zeugin einer besonderen Erörterung unterziehen. Anhand einer eigenständigen Würdigung der Aussage dieser Zeugin tritt der Beschwerdeführer für günstigere Schlussfolgerungen zu 1./1./ ein, bekämpft damit aber bloß die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) ist die Ableitung der Feststellungen zu 1./1./ aus einer vernetzten Betrachtung von Depositionen der genannten Zeugin (US 8 f), Aussagen von (weiteren) Abnehmern und einem Suchtgiftverkäufer sowie von Angaben des Angeklagten betreffend Eigenkonsum und Schmuggelfahrten (US 9 f) gleichfalls nicht zu beanstanden.

In Bezug auf den Einwand, das Erstgericht habe den Reinheitsgrad des zu 1./1./ und 1./2./ manipulierten Suchtgifts mit in der Hauptverhandlung nicht erörterter Gerichtsnotorietät begründet (Z 5 vierter Fall), bleibt festzuhalten, dass der von den Tatrichtern – wie bereits von der Staatsanwaltschaft in der in der Hauptverhandlung vorgetragenen Anklageschrift (ON 31 S 2, 5, 8 und ON 53 S 2; vgl RIS-Justiz RS0119094 [T8, T9]) – festgestellte Reinheitsgehalt von 50 % (US 1, 5, 12) in der Hauptverhandlung gar wohl angesprochen wurde (ON 53 S 17 f).

Für die Bejahung ausreichender Kenntnisse der Schöffen genügt bei von der Rechtsprechung allgemein anerkanntem Erfahrungswissen (vgl zu Methamphetamin [auch „Crystal-Meth“, „Pervitin“, „Ice“ oder „Pico“] etwa 11 Os 27/19h; 12 Os 2/19g; 15 Os 170/18s; 15 Os 32/17w; 15 Os 145/16m) zudem deren Instruktion durch den Vorsitzenden (14 Os 81/12m). Das Unterbleiben einer solchen wird von der Beschwerde nicht einmal behauptet.

Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 zweiter Halbsatz StPO) wird keine Nichtigkeit in der Bedeutung der Z 5 oder 5a des § 281 Abs 1 StPO aufgezeigt (RIS-Justiz RS0102162). Im Übrigen unterzog das Schöffengericht – unter Berücksichtigung des Standpunkts des Angeklagten zur Qualität des Suchtgifts (US 12) – den von der Beschwerde kritisierten Wert einer Plausibilitätsprüfung. Der Vorwurf der Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) geht somit in jeder Hinsicht ins Leere.

Der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider blieben auch die Feststellungen zur Suchtgiftüberlassung an den Abnehmer Adam C***** nicht unbegründet. Insoweit verweist das Urteil nämlich auf die Angaben dieses Zeugen vor der Polizei (US 5, 7, 9 f; ON 28 S 39).

Zwar behauptet die Beschwerde unter Berufung auf das Verbot wiederholter Strafverfolgung (ne bis in idem; § 17 Abs 1 StPO) der Sache nach einen Feststellungsmangel (Z 9 lit b), nennt aber keine in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse (vgl aber RIS-Justiz RS0099689), die eine unzulässige Doppelverfolgung indizieren würden. Im Übrigen betraf die in der Beschwerde erwähnte Verurteilung vom 7. Februar 2017 ausschließlich bis April 2015 begangene Suchtgiftdelinquenz (ON 29; dort: III./1./-III./5./), sodass schon mangels Überschneidung der Tatzeiträume (hier: 1./1./–1./3/.) aktuell kein Verfolgungshindernis in Rede stand. Aus diesem Grund bedurfte das Urteil des Landesgerichts Linz, AZ 40 Hv 8/15x (US 4), auch keiner Erörterung (Z 5 zweiter Fall; vgl RIS-Justiz RS0098646).

Schließlich sind auch die zu 2./ erhobenen Einwände der Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) unberechtigt: Denn der festgestellte Tatzeitraum (September 2017 bis April 2018) wurde mit dem Hinweis auf die in der Hauptverhandlung bekräftigte Aussage der Zeugin T***** vor der Polizei (US 5 f, 12 f) gar wohl begründet. Mit den (differierenden) Angaben dieser Zeugin und des Angeklagten zum „Ende der Beziehung“ haben sich die Tatrichter in diesem Zusammenhang im durch das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) vorgegebenen Umfang (vgl RIS-Justiz RS0106642) beweiswürdigend auseinandergesetzt (US 12 f). Der Nichtigkeitswerber hingegen übergeht mit seiner Berufung auf einen isoliert hervorgehobenen Teil der Depositionen der genannten Zeugin (ON 53 S 24; vgl RIS-Justiz RS0116504) deren Angaben zum Fortbestehen der Wohngemeinschaft auch nach ihrer (ersten) Anzeige vom Jänner 2018 (US 13; ON 53 S 25).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizite) Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt zum Einziehungserkenntnis anzumerken, dass § 26 Abs 1 StGB nur in Betracht kommt, wenn diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Feststellungen zur besonderen Deliktstauglichkeit der eingezogenen „Suchtgiftwaage“ (vgl auch RIS-Justiz RS0107294) enthält das Urteil nicht (US 3, 7, 15). Im Hinblick auf den vom Angeklagten – im Beisein seines Verteidigers – abgegebenen Verzicht (ON 53 S 34) ist jedoch ein Nachteil in der Bedeutung des § 290 Abs 1 StPO nicht gegeben (RIS-Justiz RS0088201 [T11, T14]), sodass es insoweit eines amtswegigen Vorgehens nicht bedurfte.

Textnummer

E127191

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00143.19X.0115.000

Im RIS seit

31.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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