TE OGH 2019/9/4 9Nc14/19m

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Veröffentlicht am 04.09.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** C*****, vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei T***** A.O., *****, wegen 400 EUR sA, über den Ordinationsantrag der klagenden Partei nach § 28 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Der in ***** Wien wohnhafte Kläger begehrte mit seiner beim Bezirksgericht Schwechat eingebrachten Klage, das beklagte türkische Luftfahrtunternehmen zur Zahlung eines Ausgleichsanspruchs von 400 EUR nach Art 5 iVm Art 7 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 261/2004 (Fluggastrechte-VO) zu verpflichten. Infolge eines von der Beklagten zu verantwortenden Umstands sei sein für den 30. 6. 2018 gebuchter Flug von Wien-Schwechat nach Istanbul verspätet gewesen, sodass er bei einer gebuchten Flugstrecke von mehr als 1.500 km und weniger als 3.500 km den Anschlussflug nach Samsun Airport versäumt und das Endziel um mehr als drei Stunden verspätet erreicht habe. Im Luftbeförderungsvertrag sei ausdrücklich vereinbart worden, dass er am Flughafen Wien-Schwechat als Abflugort zu erfüllen sei, weil dort die wesentlichen Leistungen des Vertrags erbracht würden. Eine „Direktion“ der Beklagten befindet sich nach den Klagsangaben in 1010 Wien.

Das Bezirksgericht Schwechat wies die Klage mit Beschluss vom 20. 2. 2019 mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Die Beklagte habe ihren Sitz in der Türkei, sodass der Sachverhalt mangels eines Sitzes der Beklagten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nicht in den räumlich-personellen Anwendungsbereich der EuGVVO, Brüssel Ia VO falle. Der Gerichtsstand nach § 88 Abs 1 JN sei nur bei ausdrücklicher und urkundlich nachweisbarer Vereinbarung eines Erfüllungsorts gegeben, was vom Kläger nicht behauptet worden sei. Die bloße Berufung auf den Abflugort sei nicht ausreichend.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers keine Folge und sprach aus, dass der Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 2 Z 1 ZPO jedenfalls unzulässig sei. Der Zurückweisungsbeschluss ist rechtskräftig.

Hilfsweise zu seinem Rekursantrag stellte der Kläger den an den Obersten Gerichtshof gerichteten Antrag, eine Ordination des Rechtsstreits an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien gemäß § 28 JN vorzunehmen. Bei der Beklagten handle es sich um ein Unternehmen mit Sitz in der Türkei, ihr allgemeiner Gerichtsstand sei daher in der Türkei. Im Beförderungsvertrag hätten die Parteien eine Beförderung des Klägers vom Flughafen Wien-Schwechat über Istanbul nach Samsun vereinbart. Eine Norm, die die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Schwechat begründen könne, sei nicht ersichtlich. Die Republik Österreich sei verpflichtet, sicherzustellen, dass ein Fluggast seine Rechte nach der EU-VO 261/2004 wirksam wahrnehmen und effektiv durchsetzen könne. Nach der Rechtsprechung des EuGH dürften Vorschriften des nationalen Rechts gemäß dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht übermäßig erschweren. Eine Klagsführung gegen die Beklagte vor ihrem Sitzgericht erscheine aber mangels Anwendung der EU-VO 261/2004 durch türkische Gerichte aussichtslos. Diese würden die Verordnung über Fluggastrechte des türkischen Generaldirektorats für Zivilluftfahrt („SHY-Verordnung“) anwenden. Diese sei zwar der EU-VO 261/2004 nachempfunden, jedoch gebe es wesentliche Unterschiede. Insbesondere unterliege die Auslegung der SHY-Verordnung nicht der Rechtsprechung des EuGH. Dies habe zur Folge, dass Fluggäste von Flügen mit großer Verspätung nach der EU-Fluggastrechte-VO Anspruch auf Ausgleichsleistung hätten, nach der türkischen SHY-VO aber nicht. Soweit bekannt, werde nach dieser eine Ausgleichzahlung nur im Falle einer Überbuchung gewährt, nicht jedoch für andere Fälle der Beförderungsverweigerung. Nach Unionsrecht (Art 5 Abs 2 Rom I VO) sei die nationale türkische SHY-VO nicht anwendbar, türkische Gerichte würden aber türkisches nationales Recht und nicht EU-Recht nach dem Grundsatz „forum non conveniens“ anwenden. Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre dennoch von einer übermäßigen Erschwernis für Verbraucher auszugehen, wenn diese ihre Rechte nur in einem Drittstaat und nicht innerhalb der EU wahrnehmen könnten.

Dazu war Folgendes zu erwägen:

Rechtliche Beurteilung

1. Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln, so hat der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten gemäß § 28 Abs 1 JN eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (Z 1) oder der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Z 2) oder die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist (Z 3).

2. Die Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN setzt die internationale Zuständigkeit Österreichs voraus (Garber in Fasching/Konecny3 § 28 JN Rz 22; RS0118239; s auch RS0046326). Der Oberste Gerichtshof ist dabei an eine darüber bereits ergangene rechtskräftige Entscheidung gebunden (Garber in Fasching/Konecny3 § 28 JN Rz 25; 3 Nc 3/18y mwN = RS0046568 [T5]). Da das Bezirksgericht Schwechat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit rechtskräftig zurückgewiesen hat, kann eine Ordination nicht auf § 28 Abs 1 Z 1 JN gestützt werden.

3. Der Kläger begründet seinen Ordinationsantrag auch mit einer übermäßigen Erschwernis der Durchsetzung seiner Rechte nach der Fluggastrechte-VO in der Türkei, womit er auf § 28 Abs 1 Z 2 JN Bezug nimmt.

3.1. Durch diese Bestimmung wird die internationale Zuständigkeit Österreichs erweitert, indem eine Notkompetenz für den Fall, dass die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist, eröffnet wird (Garber in Fasching/Konecny³ I [2013] § 28 JN Rz 22). Dabei ist allerdings zu beachten, dass bei Fehlen eines Anknüpfungspunkts, der eine besondere Zuständigkeit österreichischer Gerichte begründen würde, zunächst davon ausgegangen wird, dass der Gesetzgeber Klagen gegen Personen, die in Österreich keinen ordentlichen Wohnsitz oder bleibenden Aufenthalt haben, im Allgemeinen von den österreichischen Gerichten nicht behandelt wissen will (6 Nc 1/19b). § 28 JN soll also dem Obersten Gerichtshof nicht die Möglichkeit bieten, grundsätzlich jede Rechtssache, zu deren Entscheidung die Zuständigkeitsvorschriften kein österreichisches Gericht berufen, der österreichischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen (6 Nc 1/19b mwN; RS0046322) und damit einen allgemeinen Klägergerichtsstand zu etablieren (Garber aaO Rz 56, 58). Ist im Ausland ausreichender Rechtsschutz gewährleistet und würde die ausländische Entscheidung im Inland auch vollstreckt werden, so besteht bei Fehlen einer inländischen Zuständigkeit kein Anlass zur Bejahung der internationalen Zuständigkeit (RS0046159). § 28 Abs 1 Z 2 JN soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (RS0057221 [T4]).

3.2. Das Naheverhältnis zum Inland ist hier insofern zu bejahen, als der Kläger seinen Wohnsitz und die Beklagte nach den Klagsangaben eine „Direktion“ in Wien haben und der Abflugort im Inland lag.

3.3. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzung der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im konkurrierenden Ausland entspricht es der Rechtsprechung, dass eine unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage allein für eine Ordination nicht ausreichen kann (zuletzt 6 Nc1/19b; 10 Nc 20/19a mwN ua). Eine günstigere oder ungünstigere materielle Rechtslage allein kann nicht die Begründung einer ansonsten nicht gegebenen inländischen Gerichtsbarkeit bewirken (RS0117751, 10 Nc 20/19a; 7 Nc 18/19k). Ungeachtet dessen kennt die Türkei auch eine eigene Fluggastrechteverordnung („SHY-Verordnung“, Regulation on Air Passenger Rights of the Directorate General of Civil Aviation), deren Art 7 Abs 1 und Art 8 Abs 1 ausdrücklich Regelungen bezüglich Flugverspätungen für (mehr als) drei Stunden und entsprechende Ausgleichszahlungen treffen (Art 8 Abs 1 lit b: a compensation of the Turkish Lira equivalent of 400 Euros for all the flights between 1500 and 3500 kilometers).

3.4. Nach der Rechtsprechung kann eine Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland auch vorliegen, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde (s RS0046644; RS0132702; RS0046148), allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass überhaupt eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (RS0046148 [T10, T17, T18]). Anders als etwa in den Entscheidungen 6 Nc 1/19b (Serbien), 4 Nc 11/19h (Vereinigte Arabische Emirate) und 2 Nc 12/19s (Ägypten; Ordination jeweils bejaht), besteht aber zwischen Österreich und der Türkei ein Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen in Zivil- und Handelssachen (BGBl 1992/571).

3.5. Dass ein Verfahren in der Türkei kostspieliger als im Inland wäre (zu diesem allenfalls eine Unzumutbarkeit einer ausländischen Verfahrensführung mitbegründenden Argument s etwa 6 Nc 1/19b, 2 Nc 12/19s), hat der Kläger nicht ins Treffen geführt. Schon all diese Umstände sprechen danach gegen eine Ordination iSd § 28 Abs 1 Z 2 JN.

3.6. Richtig ist, dass die EU-Fluggastrechte-VO, auf die der Kläger seinen Anspruch stützt, Bestandteil des Unionsrechts ist. Die zu dessen Durchsetzung dienenden innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dürfen daher nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (für viele zB EuGH 28. 3. 2019 C-637/17, Cogeco, Rn 43 mwH). Dazu hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Nc 1/19b ausgeführt, dass dieser Grundsatz des Unionsrechts dafür spreche, (jedenfalls) Fluggästen, die aufgrund eines Beförderungsvertrags mit einem Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat von einem in der Europäischen Union liegenden Flughafen abfliegen, die Geltendmachung und Durchsetzung von in der Verordnung begründeten Ansprüchen nicht zu erschweren. Ob der vom Kläger im Verfahren geltend gemachte Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß § 88 JN diesen Anforderungen möglicherweise nicht entspricht (vgl dazu die Anregung an den Gesetzgeber im Tätigkeitsbericht des Obersten Gerichtshofs für das Jahr 2018, S 38 f, abrufbar über https://www.ogh.gv.at/media/ ogh_taetigkeitsbericht_2018.pdf; Plavec, Schwechat, Luton oder Newark? Zur internationalen Zuständigkeit iZm der Fluggastrechte-VO, ecolex 2017, 607 [608]), ist jedoch im Verfahren gemäß § 28 JN nicht zu prüfen.

3.7. Wie schon zu 10 Nc 20/19a ausgeführt, ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN vielmehr in jedem einzelnen Fall zu beurteilen. Diese Bestimmung bietet keine Grundlage dafür, eine allenfalls fehlende (generelle) Zuständigkeitsvorschrift des Verfahrensrechts nur aus dem Grund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (generell und) unabhängig vom Einzelfall zu ersetzen: denn es können durchaus Fälle denkbar sein, in denen die Rechtsverfolgung auch von Rechten aus der EU-Fluggast-VO in einem Drittstaat weder unmöglich noch unzumutbar ist. In dem insofern vergleichbaren Fall 6 Nc 1/19b wurde die Ordination vor allem damit begründet, dass zwischen Österreich und Serbien kein Abkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen nach der EU-Fluggast-VO bestehe, wobei die damaligen Kläger ausreichend behauptet und bescheinigt haben, dass die beklagte Fluglinie in Österreich Vermögen habe und daher hier gegen sie Exekution geführt werden solle. Demgegenüber wurde in der Entscheidung 10 Nc 20/19a (ebenfalls betreffend Serbien) eine Ordination mangels entsprechender Behauptungen jenes Klägers abgelehnt.

3.8. Vergleichbare Behauptungen hat der Kläger auch im vorliegenden Antrag nicht aufgestellt. Dem Argument, eine wirksame Durchsetzung der Ansprüche nach der Fluggastrechte-Verordnung sei nur dann gewährleistet, wenn diese vor einem Gericht eines Mitgliedstaats geltend gemacht werden, wurde bereits in der Entscheidung 6 Ob 1/19b nicht gefolgt.

3.9. In Summe liegen damit auch keine ausreichenden Gründe für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN vor.

4. Dass die Streitteile die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart hätten (§ 28 Abs 1 Z 3 JN), hat der Kläger in seinem Ordinationsantrag nicht behauptet.

5. Der hier verfahrensgegenständliche Ordinationsantrag ist danach abzuweisen.

Textnummer

E126296

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0090NC00014.19M.0904.000

Im RIS seit

20.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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