TE OGH 2019/6/27 6Ob221/18w

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Veröffentlicht am 27.06.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Thomas Hufnagl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei J*****verein *****, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 33.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. September 2018, GZ 6 R 55/18b-21, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 21. März 2018, GZ 26 Cg 5/17m-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Berufungsverfahrens zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der beklagte Verein veranstaltete am 10. 1. 2015 in einem Gasthaus einen Ball, den die Klägerin nach Erwerb einer Eintrittskarte besuchte. Sie kam in der Bierstube des Gasthofs zwischen 23:00 Uhr und Mitternacht zu Sturz. An dieser Stelle befand sich zumindest eine Scherbe zerbrochenen Glases auf dem Boden; dass sich weitere Scherben auf dem Boden der Bierstube befunden hätten, konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin zog sich durch die Glasscherbe schwere Verletzungen zu.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 33.000 EUR sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes. Sie bringt vor, der Raum sei überfüllt gewesen. Sie sei dadurch zu Sturz gekommen, dass ein Mitarbeiter des Beklagten gleichsam von hinter der Bar aus in die Menschenmenge hineingesprungen sei, um einen Streit zu schlichten. Sie sei entweder von dem Mitarbeiter selbst oder durch die Ausweichbewegungen anderer Gäste gestoßen worden. Ein Sprung in eine Menschenansammlung in einem geschlossenen Raum lasse Unfälle wahrscheinlich erscheinen. Mitursächlich für den Sturz sei gewesen, dass der Boden durch ausgeschüttete Getränke rutschig gewesen sei. Dies sei für die Leute des Beklagten erkennbar gewesen. Der Beklagte habe sich auch nicht an die Vorgabe gehalten, keine Glasgebinde zu verwenden.

Der beklagte Verein bringt vor, die Klägerin sei nicht aufgrund des Gedränges oder eines rutschigen Bodens gestürzt, sondern aufgrund des Stoßes eines anderen Gastes.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der wesentlichen Begründung ab, die Schaffung einer Gefahrenlage oder eine Verletzung von Sorgfaltspflichten durch die Leute des Beklagten ließen sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ableiten.

Das Berufungsgericht behandelte die Verfahrens- und die Beweisrüge der Klägerin nicht, gab der Berufung der Klägerin aber aus rechtlichen Gründen Folge. Es bejahte eine schuldhafte Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, weil die auf dem Boden liegende Scherbe eine objektive Sorgfaltsverletzung begründe und der beklagte Verein gar nicht vorgebracht habe, dass ihm ein Freihalten des Bodens von Glasscherben unzumutbar gewesen wäre.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1.1. Jeden Vertragspartner treffen vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten, die darauf abzielen, die Rechtsgüter des Vertragspartners, mit denen der Verpflichtete in Berührung kommt, nach Tunlichkeit vor Schaden zu bewahren (vgl RS0013922). Den Inhaber eines Geschäfts (RS0016407) oder einen Gastwirt (RS0020753) trifft die vertragliche Pflicht, für die Sicherheit des (Geschäfts-)Lokals zu sorgen. Er muss alle Gefahrenquellen, die sich aus dem Geschäftsbetrieb ergeben, ausschalten (RS0023597). Unter gewissen Umständen kann die Sorgfaltspflicht auch erhöht sein, etwa dann, wenn im Lokal Alkohol ausgeschenkt wird und mit einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und Standsicherheit der Gäste gerechnet werden muss (3 Ob 44/99p = RS0023421 [T23]; 4 Ob 120/18b). Diese Grundsätze sind auch auf den Veranstalter eines Balls anzuwenden.

Voraussetzung jeder Verkehrssicherungspflicht ist, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter – jeweils im Einzelfall – bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist (RS0023801) und die Gefahr durch zumutbare Maßnahmen abgewendet werden kann (RS0023442; RS0023397; RS0023421 [T3]). Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden (RS0023487 [T17]); es sind nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die nach der Verkehrsauffassung verlangt werden können. Ein darüber hinausgehendes Verlangen würde die Verkehrssicherungspflicht überspannen und letzten Endes auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene, vom Verschulden unabhängige Haftung hinauslaufen (RS0023950 [T13]).

1.2. Das Bestehen einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (etwa durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung für den Schaden hat grundsätzlich der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen (9 Ob 58/18x mwN; 10 Ob 53/15i).

Hinsichtlich des Verschuldens gilt die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB (RS0022686). Eine eingeschränkte Beweislastumkehr kann bereits dann Platz greifen, wenn dem Geschädigten der Nachweis eines Schadens und der Kausalität sowie zumindest eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierenden – objektiv rechtswidrigen Zustands gelungen ist (9 Ob 58/18x; 10 Ob 35/15i; vgl RS0026290). Dem Schädiger steht dann der Entlastungsbeweis offen (10 Ob 53/15i); er hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat (RS0022476).

2.1. Nicht jede objektiv bestehende Gefahrenquelle indiziert bereits die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Zu 9 Ob 58/18x wurde die Haftung des Betreibers eines Lokals in einem Schwimmbad verneint, nachdem sich ein Badegast im Gastronomiebereich einen Glassplitter eingetreten hatte. Allein das Vorhandensein des Splitters indiziere noch kein rechtswidriges Verhalten, da auch bei zumutbaren sorgfältigen Kontrollen ein solcher Glassplitter unentdeckt bleiben könne. Darüber hinaus wird hervorgehoben, dass der Kläger weder nachgewiesen habe, dass der Splitter schon länger an der Stelle gelegen sei, an einer auffälligen Stelle gelegen oder selbst auffällig gewesen sei oder aufgrund eines Ereignisses, das besondere Reinigungspflichten indiziert hätte, an diesen Ort gelangt sei. Nach den Feststellungen war das Personal gehalten, den Boden während des laufenden Betriebs bei Bedarf zu reinigen. Eine Verpflichtung zur Kontrolle des Bodens derart, dass jeder herabfallende Gegenstand jederzeit erkannt und beseitigt werde, wurde als Überspannung der Verkehrssicherungspflicht beurteilt.

2.2. Diese Wertungen lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Es steht fest, dass den Leuten des Beklagten nicht mitgeteilt worden war, dass sich Scherben am Boden befunden hätten. Die Klägerin behauptet auch nicht, dass ihnen ein konkreter Anlass für eine Reinigung des Bodens erkennbar gewesen wäre. Damit gilt auch im vorliegenden Fall, dass eine lückenlose Kontrolle des Fußbodens während der laufenden Veranstaltung ohne konkreten Anlass dazu die Sorgfaltspflichten des Veranstalters überspannen würde. Der Umstand, dass eine einzige Glasscherbe auf dem Boden lag – dass es mehrere Scherben gewesen wären, konnte nicht festgestellt werden – reicht daher auch im vorliegenden Fall nicht aus, um eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des beklagten Vereins zu indizieren.

3.1. Die Klägerin stützt ihren Schadenersatzanspruch jedoch nicht nur auf die versäumte Beseitigung der Scherbe, sondern auch darauf, dass sie aufgrund von dem Beklagten zurechenbaren Sorgfaltsverletzungen zu Sturz gekommen sei, konkret durch den Sprung eines Mitarbeiters des Beklagten in den überfüllten Raum und den – für die Leute des Beklagten erkennbar – rutschigen Boden.

Das Berufungsgericht hat sowohl die Verfahrensrüge, die sich auf die Rutschigkeit des Bodens im nassen Zustand bezog, als auch die Beweisrügen zum behaupteten Sprung des Mitarbeiters und zu den Ursachen des Sturzes der Klägerin nicht behandelt.

3.2. Damit ist die Sache nicht entscheidungsreif.

Führt nämlich die Erledigung der Verfahrens- und Beweisrüge der Klägerin zu einer Übernahme der bekämpften Feststellungen, so wäre eine Haftung des beklagten Vereins zu verneinen.

Sollte sich hingegen erweisen, dass die Klägerin vom Mitarbeiter des Beklagten zu Boden gestoßen wurde, liegt darin ein rechtswidriges Verhalten, das geeignet ist, eine Haftung des beklagten Vereins zu begründen. Gleiches gilt, wenn der Mitarbeiter durch einen plötzlichen Sprung in das Gedränge hinein unwillkürliche Ausweichbewegungen anderer Gäste auslöste, durch die die Klägerin zu Sturz kam. Die Gefährlichkeit eines unerwarteten Sprungs in einen überfüllten Raum ist nämlich jedem sorgfältigen Menschen ohne Weiteres erkennbar.

In der Rechtsprechung ist darüber hinaus anerkannt, dass auch ein aufgrund von Nässe rutschiger Boden als objektiv sorgfaltswidriger Zustand – abhängig von den konkreten Umständen – ein objektiv fehlerhaftes Verhalten indizieren und damit einen Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB bilden kann (vgl 5 Ob 89/17z; 3 Ob 151/18d; 10 Ob 53/15i). Auch eine durch verschüttete Getränke erhöhte Rutschgefahr, die den Leuten des Beklagten erkennbar war und durch zumutbare Maßnahmen seitens des Beklagten hätte beseitigt werden können, vermag daher eine Haftung des Beklagten zu begründen.

4. Um die Berechtigung des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs abschließend beurteilen zu können, bedarf es daher der Erledigung der von der Klägerin erhobenen Verfahrens- und Beweisrügen. Sollte sich herausstellen, dass die Klägerin aufgrund der Nässe des Fußbodens gestürzt ist, wäre zudem die Frage der Erkennbarkeit sowie der Zumutbarkeit allfälliger Abwehrmaßnahmen mit dem Beklagten zu erörtern.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E125609

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00221.18W.0627.000

Im RIS seit

23.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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