TE OGH 2018/9/21 3Ob151/18d

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Veröffentlicht am 21.09.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Mag. Karin Sonntag, Rechtsanwa?ltin in Salzburg, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwa?lte GmbH in Salzburg, und die auf deren Seite beigetretene Nebenintervenientin N***** GmbH, *****, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwa?lte in Salzburg, wegen 11.000 EUR und Feststellung, u?ber die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 8. Mai 2018, GZ 2 R 53/18d-54, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 13. Februar 2018, GZ 5 Cg 134/15z-48, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.205,96 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 200,99 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Betreiberin eines Einkaufszentrums wegen Schadenersatz nach einer Verletzung durch einen Sturz in einer öffentlich zugänglichen Toilettenanlage aufgrund des wegen Feuchtigkeit rutschigen Fliesenbodens in Anspruch. Die Vorinstanzen bejahten die Haftung der Beklagten, die eine Verkehrssicherungspflicht dem Grunde nach nicht bestritt, aber in ihrer Revision im Wesentlichen auf dem Standpunkt steht, sie habe diese durch ausreichende Maßnahmen erfüllt; der von den Vorinstanzen verlangte Austausch des – beim Bau der Anlage im Jahr 2003 baubehördlich genehmigten, im Zeitpunkt des Sturzes im Jahr 2015 aber seit dem Jahr 2009 nicht mehr dem Stand der Technik betreffend Rutschfestigkeit bei Nässe
entsprechenden – Fliesenbodens stelle eine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht dar und sei wirtschaftlich unzumutbar.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf, weshalb die Revision – ungeachtet des nicht bindenden nachträglichen Ausspruchs des Berufungsgerichts – als nicht zulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Der Grundsatz, dass vom Berufungsgericht verneinte Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens keinen tauglichen Revisionsgrund darstellen, kann auch nicht durch das Argument, das Berufungsverfahren sei deshalb mangelhaft geblieben, umgangen werden (RIS-Justiz RS0042963 [T58]).

2. Die erstgerichtliche Feststellung zur Unfallursache ist (mit Rücksicht auf die mehrfachen Ausführungen in der Beweiswürdigung dazu und den Annahmen zu den Eigenschaften der feuchten Bodenfliesen) dahin zu verstehen, dass die Klägerin aufgrund der Feuchtigkeit auf den in diesem Zustand nicht rutschfesten Bodenfliesen ausrutschte. Davon geht ohnehin auch die Revision aus, weil sie ausführt, die Art der Bodenfliese stehe mit der Sturzursache des Ausrutschens nicht zwingend in einem Zusammenhang (Punkt 3.2.1.). Allerdings zielt diese Argumentation (ebenso wie jene, ein Sturz könne unterschiedlichste Ursachen haben) darauf ab, die von der zweiten Instanz übernommenen Annahmen des Erstgerichts zur Sturzursache in Zweifel zu ziehen. Sie erweist sich somit inhaltlich als in dritter Instanz unzulässiger Angriff auf die Beweiswürdigung der Vorinstanzen (RIS-Justiz RS0042903 [T2]; vgl auch RS0002399 [T1 und T2]) und muss deshalb unbeachtet bleiben.

3. Die Beklagte vermisst die Feststellung, dass die Differenz des Reibungskoeffizienten von 0,30 zu 0,29 den Schadenseintritt verursacht habe. Eine Tatsachenbehauptung dahin, dass der Sturz auch mit weniger rutschigen Fliesen der Klassen II oder I erfolgt wäre, erstattete die Beklagte aber in erster Instanz nicht, sodass kein sekundärer Feststellungsmangel vorliegt.

4.1. Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt sowie der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht bzw wann die Grenze der Zumutbarkeit weiterer oder erhöhter Verkehrssicherungspflichten erreicht oder überschritten ist, richtet sich generell nach den Umständen des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0029874; RS0110202; RS0111380).

4.2. Die Genehmigung oder Überwachung einer Anlage durch die zuständige Behörde beziehungsweise die Erfüllung ihrer Auflagen bedeutet nicht notwendig, dass der Inhaber einer Anlage keine weiteren Vorkehrungen zur Vermeidung oder Verringerung von Gefahren zu treffen hat. Insbesondere befreit ihn eine einmal erteilte Benützungsbewilligung nicht von seiner Sorgfaltspflicht gegenüber Benützern der Anlage; er hat sie in einem möglichst gefahrlosen Zustand zu erhalten, was auch die Anpassung an neue Sicherheitsstandards bedeuten kann (5 Ob 273/03p = RIS-Justiz RS0118600 = RS0023511 [T8]). Die Verkehrssicherungspflicht kann durch allenfalls bestehende Sondervorschriften immer nur ergänzt, aber nicht ersetzt werden. Das Vorliegen einer entsprechenden baubehördlichen Genehmigung kann daher den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er aufgrund eigener Kenntnis um den Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder wissen muss, aber ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (RIS-Justiz RS0023419). Als Verschulden ist dem Verkehrssicherungspflichtigen schon zuzurechnen, wenn er Anzeichen einer drohenden Gefahr ignoriert (5 Ob 273/03p mwN = RIS-Justiz RS0023419 [T5]).

4.3. Das (hier nicht strittige) Bestehen einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (allenfalls durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden hat grundsätzlich der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen (10 Ob 53/15i [P 3.5.1]; Reischauer in Rummel³ § 1298 ABGB Rz 4a). Der Verkehrssicherungspflichtige hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich diese Pflicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Ingerenzprinzip) oder aus einem Vertrag ergibt; ebenso, dass die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen unzumutbar oder unmöglich gewesen sei, wie auch, dass den Geschädigten ein Mitverschulden treffe (3 Ob 91/17d; RIS-Justiz RS0022476 [T11]).

5. Die Beklagte macht geltend, angesichts der Feststellung, dass ihr seit 1999 kein Sturz in den Toilettenanlagen bekannt geworden sei, könne keine Rede davon sein, dass sie die Gefahrenquelle des rutschigen Fliesenbodens gekannt habe oder kennen habe müssen.

5.1. Dabei übergeht sie die ergänzende Feststellung des Berufungsgerichts zur erkannten (oder zumindest befu?rchteten) Gefa?hrlichkeit eines nicht ausreichend rutschsicheren Bodenbelags. Die Beklagte bekämpfte diese Annahme in der Revision: Es dürfe nicht aus der Warnung vor der abstrakten Gefahr des Ausrutschens – im Wege eines einfachen Umkehrschlusses – gefolgert werden, dass ihr eine konkrete Gefahrenquelle bekannt gewesen sei. Damit wendet sich die Beklagte inhaltlich gegen diese Annahme und bekämpft damit die dahinter stehende Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Da der Oberste Gerichtshof (auch in dieser Konstellation) keine Tatsacheninstanz ist (RIS-Justiz RS0123663), gehen diese Ausführungen allerdings ins Leere. Einen Mangel des Berufungsverfahrens, weil das Berufungsgericht eine ergänzende Feststellung ohne Beweiswiederholung/
-ergänzung getroffen hat (s RIS-Justiz RS0043026), rügt die Revision aber nicht, sodass dem Obersten Gerichtshof die Wahrnehmung eines solchen Mangels verwehrt ist (RIS-Justiz RS0043026 [T1]; Zechner in Fasching/Konecny² § 503 ZPO Rz 122).

In dritter Instanz steht die schon vor dem Unfall gegebene Kenntnis der Beklagten von der mangelnden Rutschfestigkeit, also der Rutschgefahr bei Nässe/Feuchte daher bindend fest.

5.2. Demgemäß liegt die Rechtsansicht der Vorinstanzen zur Verpflichtung der Beklagten, eine Nachkontrolle bzw Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahrenquelle trotz der vorliegenden Betriebsanlagengenehmigungs- und Abnahmebescheide vorzunehmen, im Rahmen der zu Punkt 4.2. dargestellten Judikatur und bedarf keiner Korrektur. Wenn die Beklagte dies als „verkehrssicherungsrechtlichen Paradigmenwechsel“ ansieht, übergeht sie die zitierte Rechtsprechung und zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf. Es kann auch keine Rede davon sein, dass Verkehrssicherungspflichtige deshalb gezwungen wären, zB Fliesenbo?den wegen der Änderung einschla?giger Normen zu erneuern, ohne dass es dabei auf das Bestehen einer Gefahrenquelle anka?me.

6. Dass die Vorinstanzen die von der Beklagten gesetzten Maßnahmen als unzureichend angesehen haben, ist ebenfalls vertretbar.

6.1. Die (Kontroll-)Tätigkeit der Nebenintervenientin stellt keine geeignete Maßnahme zur Abwendung der besonderen Rutschgefahr bei Nässe dar: Ist doch mit der Befeuchtung des Fliesenbodens im Bereich der Waschbecken durch Spritzwasser ständig und immer wieder zu rechnen.

6.2. Zum fix aufgestellten gelben Warnschild mit einem Piktogramm, das auf eine Sturzgefahr hinwies, blieb ungeklärt, wo es beim Unfall in der großzügigen Toilettenanlage angebracht war. Wegen der Behauptungs- und Beweislast der Beklagten dafür, alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben, geht diese Negativfeststellung zu Lasten der Beklagten. Auch der Standpunkt des Berufungsgerichts, diese Maßnahme (Warnschild) stelle keine ausreichende Warnung vor der konkreten Gefahrenstelle dar, ist daher jedenfalls vertretbar.

Die Revision unterstellt die Aufstellung des Warnschilds „bei der Sturzstelle“, geht damit jedoch nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und ist insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt; ihre daran anknüpfende Schlussfolgerung, eine Verkehrssicherungspflicht entfalle deshalb, weil die Klägerin die Gefahrenstelle (Rutschigkeit) dieses Bereichs leicht erkennen hätte können, ist daher nicht nur haltlos, sondern auch unbeachtlich (RIS-Justiz RS0043312 [T3]).

6.3. Der Einwand der Revision, die von den Vorinstanzen angenommene Verpflichtung zum Austausch des Fliesenbodens sei wirtschaftlich unzumutbar und stelle eine Überspannung der Verkehrssicherungspflichten dar, übersieht, dass es an der Beklagten gelegen wäre, dazu substantiiertes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Das unterblieb allerdings, obwohl ihr die Klägerin die Aufrechterhaltung eines von Anfang an gefährlichen Zustands schon in erster Instanz zum Vorwurf machte. Dass es die Betreiberin eines großen Einkaufszentrums wirtschaftlich überfordern würde, einige Quadratmeter Fliesenboden in einem (oder auch mehreren) Toilettenanlagen zu erneuern, kann keineswegs als offenkundig angesehen werden.

7. Die kritisierte Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach eine Verletzung der Sorgfaltspflichten in der gegebenen Konstellation unabha?ngig davon anzunehmen sei, ob eine Bodenna?sse zum Sturzzeitpunkt u?berhaupt erwiesen sei, ist hier nicht präjudiziell, weil zu diesem Thema eine positive Feststellung vorliegt. Auch damit spricht die Revision keine erhebliche Rechtsfrage an (RIS-Justiz RS0088931).

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E123741

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00151.18D.0921.000

Im RIS seit

17.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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