TE OGH 2017/10/25 3Ob91/17d

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2017
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Krammer & Frank Rechtsanwälte in Horn, wider die beklagten Parteien 1. G*****, 2. A*****, beide vertreten durch Teufer-Peyrl & Hennerbichler, Rechtsanwälte GesbR in Freistadt, wegen 9.839,73 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 28. März 2017, GZ 1 R 220/16g-74, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Horn vom 28. Oktober 2016, GZ 13 C 163/14g-66, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Berufungsurteil wird hinsichtlich der zweitbeklagten Partei dahin abgeändert, dass es wie folgt zu lauten hat:

„Das Klagebegehren des Inhalts

1. die zweitbeklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 9.839,73 EUR samt 4 % Zinsen aus 9.141,45 EUR seit 30. Juli 2013, aus 540,00 EUR seit 4. Februar 2016 und aus 158,23 EUR seit 3. Mai 2016 zu bezahlen;

2. es werde festgestellt, dass die zweitbeklagte Partei der klagenden Partei gegenüber für jeden zukünftigen Schaden aus dem Unfallereignis vom 26. Juni 2013 in *****, hafte, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 4.546,96 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten 755,67 EUR an USt und 12,92 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 717,04 EUR bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung (darin enthalten 119,51 EUR an USt) und die mit 2.301,24 EUR bestimmten Kosten der Revision (darin enthalten 156,54 EUR an USt und 1.362 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte ist Transportunternehmer. Der Zweitbeklagte arbeitet als Kranfahrer im Betrieb des Erstbeklagten. Der Erstbeklagte hatte mit einer Zimmerei-GmbH einen Jahresvertrag, im Rahmen dessen er als Kranfrächter der Zimmerei-GmbH einen LKW samt Kran und Kranfahrer fix für das gesamte Jahr zur Verfügung stellte. Der Zweitbeklagte erhielt vom Disponenten der Zimmerei-GmbH am Vortag eines (jeden) Arbeitstags (jeweils) konkrete Anweisungen, wann er wo zu laden und wohin er zu fahren hatte. Das konkrete Bauprojekt und seine Tätigkeit, die er durchzuführen hatte, wurde ihm vor Ort von der Zimmerei-GmbH mitgeteilt. Der Zweitbeklagte arbeitete vor Ort direkt nach den Anweisungen des Bauleiters, des Poliers oder des Vorarbeiters der Zimmerei-GmbH. Für den technischen Ablauf war er selbst verantwortlich.

Im Rahmen dieses Jahresvertrags hatte der Zweitbeklagte am 26. Juni 2013 Kranarbeiten zur Errichtung der Dachkonstruktion eines Kleintierstalles für die Zimmerei-GmbH durchzuführen. Auf dieser Baustelle arbeiteten mit ihm auch Mitarbeiter der Zimmerei-GmbH, nämlich der Kläger (ein Zimmereifacharbeiter), und ein anordnungsbefugter Vorarbeiter, dessen Anweisungen sowohl vom Kläger als auch vom Zweitbeklagten Folge zu leisten war, sowie ein namentlich unbekannter Leiharbeiter.

Bei dem Kleintierstall handelte es sich um ein achteckiges Gebäude mit einer Mittelsäule und acht Randsäulen. Die Firsthöhe des Dachs im Bereich der Mittelsäule betrug rund 4,15 m. Auf die Mittelsäule und die acht Randsäulen waren sternförmig Leimbinder für die Dachkonstruktion aufzusetzen und von unten zu verschrauben. Zwischen den Leimbindern waren je zwei Querriegel von oben in Eisenprofile einzusetzen. Zum Zweck der Verschraubung befand sich auf der Baustelle ein fahrbares, in der Höhe verstellbares Stahlrohrgerüst mit einer Höhe von rund zwei m und einem Plateau von zwei m x einem m, von dem aus der Kläger bzw der Vorarbeiter die Leimbinder von unten in die Eisenplatten verschrauben konnten.

Der am Heck des LKW angebrachte Kran war dauernd im Bereich des Gebäudeeingangs positioniert und wurde vom Zweitbeklagten mittels einer Fernbedienung gesteuert. Die Errichtung der Dachkonstruktion erfolgte so, dass der Zweitbeklagte mit Hilfe des Krans die außerhalb des Gebäudes gelagerten Leimbinder und Querriegel (die am Kranarm mit einer Schlaufe [Rundschlinge] durch den Leiharbeiter befestigt wurden, sodass die Last sicher war), anhob und über das Dach in die jeweilige Position brachte. Dabei gab der Vorarbeiter die Anweisungen. Dann ließ der Zweitbeklagte den Knickarm des Kranes mit langsamer Geschwindigkeit herunter, die Leimbinder und Querriegel wurden in die vorgesehene Position gebracht, dort fixiert und festgeschraubt/vernagelt. Zunächst wurden die Leimbinder, dann die Querriegel versetzt. Die Leimbinder wurden an den Außensäulen durch den Leiharbeiter und an den Innensäulen durch den Kläger, der sich auf dem fahrbaren Gerüst befand, mittels Schrauben fixiert.

Als der längere Querriegel zwischen den Leimbindern fünf und sechs versetzt wurde, stand der Zweitbeklagte am Boden. Er arbeitete nach Anordnung des Vorarbeiters und konzentrierte sich auf die an der Schlaufe befestigte Last und das Absenken des Kranarms. Der Kläger befand sich dabei am fahrbaren Gerüst, das nahe der Mittelsäule positioniert war. Als der Zweitbeklagte den Knickarm absenkte, um den Querriegel in die Eisenprofile zu senken, stieg der Kläger – ohne Anordnung des Vorarbeiters und ohne mit dem Zweitbeklagten durch Zuruf Kontakt aufzunehmen – aus dem Gerüst auf die Dachkonstruktion. Der Zweitbeklagte nahm dies infolge der Konzentration auf den Absenkvorgang nicht wahr; es kann nicht festgestellt werden, dass er es hätte erkennen können. Es kam zum Kontakt des Rückens des Klägers mit dem sich langsam absenkenden Kranarm.

Wie genau dieser Kontakt erfolgte, ist nicht feststellbar, vermutlich durch ein Aufrichten des Klägers in den sich absenkenden Kranarm. Infolge dieses Kontakts schrie der Kläger laut auf, der Zweitbeklagte vernahm diesen Schrei und betätigte sofort die Taste Not-Aus der Fernbedienung, wodurch sämtliche Bewegungen des Kranes gestoppt wurden und dieser in derselben Position verblieb. Der Kläger, der sichtlich durch den Kontakt erschrak, sprang vom Dach wieder in das Gerüst zurück und blieb vorerst kurz dort liegen. Der Zweitbeklagte drehte sich nach hinten und sah den Kläger erst, als er sich von den Leimbindern ins Gerüst zurück bewegte; dann hob er den Kranarm wieder an. Der Kläger stieg dann aus dem Gerüst herunter und verspürte Schmerzen.

Er erlitt bei dem Unfall einen stabilen Kompressionsbruch des 4. Lendenwirbelkörpers. Spät- und Dauerfolgen (unfallbedingte Abnützungen im entsprechenden Segment) sind jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Technischerseits ist es ausgeschlossen, dass sich der Unfall so ereignet hat, dass der Kläger auf den Leimbindern am Dach befindlich mit Kopf Richtung Mittelsäule durch den absenkenden Kranarm zwischen Kranarm und Dachkonstruktion eingeklemmt wurde. Es ist auch medizinisch ausgeschlossen, dass die Verletzung des Klägers durch ein Anpressen seines Körpers mit dem Kranarm gegen die Dachkonstruktion entstanden ist. Der Bruch könnte vielmehr durch den Kontakt mit dem in Absenkung befindlichen Kranarm im Zuge des Aufrichtens des Klägers aus einer gebeugten Oberkörperposition oder dadurch entstanden sein, dass er mit gebeugtem Oberkörper nach dem Kontakt mit dem Kranarm über zwei Meter in das Gerüst zurücksprang.

Die Klage gegen den Erstbeklagten wurde bereits rechtskräftig abgewiesen; dennoch wird er aus Gründen der Verständlichkeit weiter als Partei geführt und die bisherige Parteienbezeichnung beibehalten.

Der Kläger begehrt vom Zweitbeklagten nach Modifikation und Ausdehnung Schadenersatz (Schmerzengeld etc) von zuletzt 9.839,73 EUR sA und die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden aus dem Unfallereignis vom 26. Juni 2013. Er begründete dies im Wesentlichen damit, der eigenständig arbeitende und von Weisungen des Vorarbeiters unabhängige Zweitbeklagte habe bei der Steuerung des Krans nicht die notwendige Aufmerksamkeit eingehalten. Er hätte beim Bedienen des Krans eine Position wählen können und müssen, aus der er den Gefahrenbereich und das Geschehen auf der Dachkonstruktion entsprechend hätte beobachten können.

Der Zweitbeklagte bestritt und wendete zusammengefasst ein, ihn treffe kein Verschulden am Unfall. Er habe unter Anweisung des Vorarbeiters Querriegel auf die Dachhöhe verhoben, wobei der Kläger zu Beginn außerhalb jeder Gefahrenzone und nicht am Dach gewesen sei. Beim darauffolgenden Senken des Kranarms habe sich der Zweitbeklagte auf das Verhebegut konzentriert. Der Kläger habe sich ohne ersichtlichen Grund, ohne Auftrag, ungesichert und ohne Helm beim Abhängen des Querriegels auf das Dach und damit bewusst in den Gefahrenbereich begeben. Das sei für den Zweitbeklagten nicht sichtbar gewesen, sodass er den Unfall nicht vermeiden habe können.

Das Erstgericht wies auch die gegen den Zweitbeklagten gerichtete Klage ab. Gemäß ÖNORM M 9601 Punkt 2.8., die für Krananlagen aller Bauarten Anwendung finde, habe der Kranfahrer die Last und das Lastaufnahmemittel zu beobachten und wenn nötig Warnzeichen zu geben. Diese Verantwortung habe den Zweitbeklagten getroffen. Nur wenn der Kranfahrer im Zuge einer Manipulation mit der Last das Lastaufnahmemittel und die Last nicht beobachten könne, bedürfe er nach § 19 Abs 6 AM-VO eines Einweisers. Der Zweitbeklagte sei angesichts der notwendigen Konzentration auf und die Beobachtung der Last nicht verpflichtet gewesen, auch noch den Kläger zu beobachten. Es sei ihm auch nicht vorwerfbar, dass er den Kläger im Zuge des Hinaufkletterns auf die Dachkonstruktion nicht wahrgenommen habe. Dieser habe sich unzulässig, ohne sich entsprechend bemerkbar zu machen, in den Gefahrenbereich begeben. Daher liege kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Zweitbeklagten vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, bestätigte die Klageabweisung gegenüber dem Erstbeklagten, änderte jedoch das Ersturteil im Sinne der Stattgebung gegenüber dem Zweitbeklagten unter Zugrundelegung gleichteiligen Verschuldens ab, während es das Mehrbegehren abwies, bewertete den Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil die Beurteilung, ob sich der Zweitbeklagte rechtswidrig, insbesonders sorgfaltswidrig verhalten habe, von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

Es verwarf die Beweis-, Mängel- und Aktenwidrigkeitsrügen und folgerte rechtlich: Die Sorgfaltsanforderungen ua beim Bedienen eines Krans würden durch die Schutznormen der Vorschriften der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) und der Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) konkretisiert. Jedenfalls seien geeignete Maßnahmen, wie die Bestellung eines Einweisers, durchzuführen, wenn der Weg der Last oder das Lastaufnahmemittel vom Kranführer nicht über die gesamte Länge einsehbar sei (§ 19 Abs 6 AM-VO). Hier habe zwar nicht die Last, sondern der Kranarm den Kläger berührt, dafür sehe aber § 19 Abs 2 AM-VO die Verpflichtung vor, den Kran so einzusetzen, dass die Sicherheit der übrigen Arbeitnehmer gewährleistet werde. Um dieser Vorschrift zu entsprechen, hätte der Kläger dafür sorgen müssen, dass er den Kranarm so rechtzeitig anhalten könne, dass dieser niemanden berühre oder gefährde. Dafür wäre grundsätzlich auch die Bestellung eines Einweisers geeignet gewesen. Die Feststellungen des Erstgerichts ließen nicht erkennen, ob der Kranarm den Kläger auch dann berührt hätte, wenn der Zweitbeklagte das Eintreten des Klägers in den Absenkbereich des Kranarms wahrgenommen und daraufhin den Kranarm sofort angehalten hätte. Er habe nicht bewiesen, dass sich der Unfall nicht ereignet hätte, wenn er den Bereich unter dem Kranarm ständig beobachtet hätte. Die dem Kläger anzulastende Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten begründe gleichteiliges Mitverschulden.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Zweitbeklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Er macht im Wesentlichen geltend, nach der Judikatur sei Adressat öffentlich-rechtlicher Arbeitnehmerschutzvorschriften grundsätzlich der Arbeitgeber. Das gelte auch für § 19 Abs 2 AM-VO, weshalb der Zweitbeklagte als Arbeitnehmer, der überdies Anordnungen des Vorarbeiters zu befolgen habe, keine Schutzgesetzverletzung zu vertreten habe. Der Kläger habe wegen seines selbstgefährdenden Verhaltens das Alleinverschulden zu vertreten. Da den Zweitbeklagten keine Schutzgesetzverletzung treffe, liege echtes Handeln des Klägers auf eigene Gefahr vor. Das Berufungsverfahren sei mangelhaft, weil der Zweitbeklagte von der Annahme und Anwendung eines Schutzgesetzes ebenso überrascht worden sei wie von der Auseinandersetzung mit rechtmäßigem Alternativverhalten und der Beweislast dazu; davon sei im ganzen Prozess nie die Rede gewesen.

Der Kläger behauptet in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision und tritt ihr auch inhaltlich entgegen.

Die außerordentliche Revision ist, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Zweitbeklagte habe eine Schutzgesetzverletzung zu verantworten, nicht aufrecht erhalten werden kann, zulässig und deshalb auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Keine Schutzgesetzverletzung durch den Zweitbeklagten:

1.1. Das Berufungsgericht prüfte die Verletzung eines Schutzgesetzes durch den Zweitbeklagten, obwohl sich der Kläger nie auf diese Rechtsgrundlage berief, geschweige denn ein konkretes Schutzgesetz nannte. Auch in seiner Berufung erblickte der Kläger das Verschulden des Zweitbeklagten nur darin, dass dieser es unterlassen habe, einen Standort (Arbeitsposition) beim Absenken zu wählen, der ihm freie Sicht auf den gesamten Gefahrenbereich („Flugbahn“ der Last, Kranarm und Bereich unter der Last) gewährt hätte, ohne die vom Sachverständigen in erster Instanz aufgezeigten Regelungen zu bemühen.

1.2. Zur vom Erstgericht gar nicht näher festgestellten ÖNORM M 9601 genügt der Hinweis, dass ÖNORMEN, die nicht durch konkrete Rechtsvorschriften für verbindlich erklärt wurden, was hier weder ersichtlich ist noch behauptet wurde, nicht als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB angesehen werden können (RIS-Justiz RS0038622 [T17]).

1.3. Adressat der öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften ist grundsätzlich der Arbeitgeber. Sie geben die Rahmenbedingungen und die Mindestanforderungen für die zu treffenden Schutzmaßnahmen vor und dienen in erster Linie dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung (RIS-Justiz RS0084412 [T5 bis T7]; 2 Ob 211/12m). Umfasst wird davon vor allem der „technische Arbeitnehmerschutz“ (Gefahren- oder Betriebsschutz), dessen Vorschriften sich ua auf die Arbeitsvorgänge und die in der Arbeitsstätte verwendeten technischen Geräte und sonstigen Arbeitsmittel beziehen (RIS-Justiz RS0050631 [T4] = 2 Ob 98/08f). Solche Regelungen enthält auch die Arbeitsmittelverordnung (AM-VO, BGBl II 2000/164), die aber nicht alle nur an den Arbeitgeber gerichtet sind (2 Ob 211/12m).

1.4. § 19 AM-VO mit der Überschrift „Krane“ sieht in seinem Abs 1 die Verpflichtung vor, schriftliche Betriebsanweisungen mit einem näher beschriebenen Mindestinhalt zu erstellen. Dessen Abs 2 lautet: Der Einsatz von Kranen ist ordnungsgemäß zu planen und so zu überwachen und durchzuführen, dass die Sicherheit der ArbeitnehmerInnen gewährleistet wird. Insbesondere ist für die Einhaltung der Betriebsanweisung nach Abs 1 zu sorgen. Der weitere vom Berufungsgericht angesprochene Abs 6 hat folgenden Wortlaut: Wenn der Weg der Last oder des Lastaufnahmemittels vom Kranführer nicht über die gesamte Länge einsehbar ist, sind geeignete Maßnahmen, wie Bestellung eines Einweisers, durchzuführen, um Gefahr bringende Zusammenstöße mit der Last zu verhindern.

1.5. Schon der inhaltliche Konnex zwischen Abs 1 und 2, der durch die Verpflichtungen zur Erstellung einerseits und Sorge für die Einhaltung der Betriebsanweisung andererseits hergestellt wird, belegt, dass sich auch § 19 Abs 2 AM-VO an den Arbeitgeber richtet, der die Sicherheit der ArbeitnehmerInnen zu gewährleisten hat. Adressat dieser Bestimmung ist somit – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht der Kranführer, weshalb die Begründung des Berufungsgerichts für eine Haftung des Zweitbeklagten verfehlt ist.

1.6. § 19 Abs 6 AM-VO ist in doppelter Hinsicht nicht einschlägig (wovon zwar das Berufungsgericht selbst auszugehen scheint, wobei es dem Zweitbeklagten aber dennoch den unterbliebenen Einsatz eines Einweisers zum Vorwurf macht). Nach den Feststellungen bestand nicht die Situation, dass der Zweitbeklagte den Weg der Last (des Querriegels) oder des Lastaufnahmemittels (der Rundschlinge und allenfalls des Kranhakens) nicht über die gesamte Länge (beim Absenken) einsehen konnte. Es verwirklichte sich auch nicht jene Gefahr, welche durch die Regelung verhindert werden soll; denn es kam nicht zu einem Zusammenstoß des Klägers mit der Last, sondern mit dem im Absenken befindlichen Kranarm an einer von der Lastaufnahme entfernten Stelle. Ob ein Kranführer überhaupt in der Lage ist, (bei einzelnen Arbeitsschritten) auf einer Baustelle einen Einweiser (durch Auswahl eines anderen dort tätigen Arbeitnehmers) zu bestellen, oder ob nicht auch diese Verpflichtung den Arbeitgeber trifft, braucht daher nicht näher untersucht zu werden: Ist doch festzuhalten, dass der Zweitbeklagte gegen die (hier nicht anwendbare) Regelung des § 19 Abs 6 AM-VO nicht verstoßen hat, seine Haftung also auch darauf nicht gegründet werden kann.

1.7. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann auch eine Betriebsvorschrift, die sich nur an Betriebsangehörige richtet, ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB sein, wenn sie auf dem Bescheid einer Verwaltungsbehörde beruht und dadurch eine Gefährdung von Personen vermieden wird (RIS-Justiz RS0027539). Dasselbe gilt, wenn einer solchen Vorschrift ein genereller Verwaltungsakt, also eine Verordnung zugrunde liegt (2 Ob 223/15f mwN). Allerdings wurde die Erstellung einer solchen Betriebsvorschrift (ungeachtet der Verpflichtung nach § 19 Abs 1 AM-VO) von keiner Seite behauptet, sodass sich eine weitere Prüfung in diese Richtung erübrigt.

1.8. Zusammengefasst ist eine – vom Kläger zu Recht gar nicht geltend gemachte – Verletzung eines Schutzgesetzes durch den Zweitbeklagten (als Adressat eines solchen) zu verneinen.

2. Zur Verletzung von Verkehrssicherungspflichten:

2.1. Die Gefährdung absolut geschützter Rechte (also auch des Rechts auf körperliche Unversehrtheit), ist grundsätzlich verboten (RIS-Justiz RS0022946; RS0008996; RS0023550). Aus diesem Verbot werden Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten abgeleitet. Diese bestehen
– unabhängig von Sonderhaftungsnormen – dann, wenn jemand eine Gefahrenquelle schafft. Die Verpflichtung zur Beseitigung der Gefahrenquelle, also zum „positiven Tun“ folgt aus der vorhergehenden Verursachung der Gefahrensituation. Eine gleiche Verpflichtung trifft auch denjenigen, in dessen Sphäre gefährliche Zustände bestehen (2 Ob 223/15f mwN; RIS-Justiz RS0022778; RS0023719).

Nach ständiger Rechtsprechung trifft die Verkehrssicherungspflicht denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann. Wer eine Gefahrenquelle schafft oder bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (Ingerenzprinzip; 2 Ob 70/12a SZ 2012/134; 1 Ob 97/15v; 7 Ob 59/16a; 2 Ob 223/15f; RIS-Justiz RS0022778). Voraussetzung ist das bei gehöriger Sorgfalt mögliche Erkennen einer Gefahrenlage. Diese Sorgfaltspflicht darf allerdings nicht überspannt werden. Die Grenzen des Zumutbaren sind zu beachten. Im Einzelfall kommt es auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung an (7 Ob 59/16a; RIS-Justiz RS0023487 [T7]).

Das Bestehen einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (allenfalls durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden hat grundsätzlich der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen (10 Ob 53/15i [P 3.5.1]; Reischauer in Rummel³ § 1298 ABGB Rz 4a). Der Verkehrssicherungspflichtige hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich diese Pflicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Ingerenzprinzip) oder aus einem Vertrag ergibt; ebenso, dass die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen unzumutbar oder unmöglich gewesen sei, wie auch, dass den Geschädigten ein Mitverschulden treffe (1 Ob 114/08h = RIS-Justiz RS0022476 [T11]).

2.2. Zweifellos schafft der Betrieb eines LKW-Krans schon angesichts seines weiten Auslegers (vgl Beilagen 2 und 6 zum Gutachten ON 27) und seines offenkundig großen Gewichts grundsätzlich eine Gefahrenquelle, für die, falls sie einen Schaden verursacht, auch ohne Vertragsverhältnis deliktisch nach dem Ingerenzprinzip gehaftet wird. Eine solche Haftung würde unter den oben genannten Voraussetzungen den Zweitbeklagten treffen, ist doch davon auszugehen, dass er als Kranführer in der Lage war, die Gefahr zu beherrschen (RIS-Justiz RS0023251), zumal er trotz der Weisungsbefugnis des Vorarbeiters für den technischen Ablauf selbst verantwortlich war.

2.3. Grundsätzlich wird zwar jemand nicht für schutzwürdig erachtet, der sich unbefugt in den Gefahrenbereich begeben hat, weil er nicht damit rechnen kann, dass Schutzmaßnahmen zugunsten unbefugt Eindringender getroffen werden (2 Ob 223/15f; 8 Ob 114/04d; RIS-Justiz RS0027526, RS0114361 [T3]). Die aus dem Ingerenzprinzip abgeleitete allgemeine Verkehrssicherungspflicht wird aber nicht schon allein dadurch ausgeschlossen, dass der Verletzte unbefugt in ein fremdes Rechtsgut eingedrungen ist (RIS-Justiz RS0023801 [T8]). Insbesondere wenn die Möglichkeit besteht, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen oder dass Kinder und andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden, oder wenn eine ganz unerwartete und große Gefährdung besteht, kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle dennoch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat (2 Ob 223/15f mwN; RIS-Justiz RS0114361).

2.4. Die Frage nach einer allfälligen Gefährdung von Kindern oder sonstigen Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, stellt sich jedoch nicht, weil der Kläger nicht zu diesem Personenkreis zählt.

2.5. Aus den Feststellungen ergibt sich vielmehr, dass sich der Kläger bis zum Beginn des später zum Kontakt mit dem Kläger führenden Absenkens des Kranarms am fahrbaren Gerüst nahe der Mittelsäule befand, also noch unterhalb der Dachkonstruktion und damit außerhalb des vom geplanten Vorgang betroffenen Gefahrenbereichs; aus diesem Grund stand einem Beginn mit dem Absenken nichts entgegen.

Es steht weiters fest, dass es die Aufgabe des Klägers war, von unten die Holzelemente zu fixieren und anzuschrauben/anzunageln; ein Auftrag durch den Vorarbeiter an den Kläger, auf die Dachkonstruktion zu steigen, erfolgte nicht. Da es sich beim Kläger um einen Zimmereifacharbeiter handelte, der mit den Arbeitsvorgängen auf dieser Baustelle vertraut war, konnte der Zweitbeklagte nach Ansicht des erkennenden Senats ein – weder (arbeits-)technisch erforderliches noch angeordnetes – Verlassen des Gerüsts durch den Kläger, um auf die Dachkonstruktion zu steigen, ausschließen und sich vollständig auf die abzusenkende Last und deren exakte Positionierung konzentrieren. Mit dem eigenmächtigen und selbstgefährdenden Handeln des Klägers bei/nach Beginn des Absenkvorgangs brauchte der Zweitbeklagte keinesfalls zu rechnen. Gegenüber dem Kläger ist ihm daher auch kein Vorwurf daraus zu machen, dass er diesem beim Absenken den Rücken zuwandte (was sich daraus ergibt, dass er den Kläger nach dem Stoppen des Kranarms erst sah, nachdem er „sich nach hinten drehte“); eine parallel zur Konzentration auf den Vorgang des Absenkens und Einpassens des Querriegels ohnehin realistisch kaum mögliche ständige Beobachtung des Klägers war nämlich aus den vorstehenden Gründen nicht geboten.

Der Zweitbeklagte durfte also eine Schädigung des Klägers durch den herabsinkenden Kranarm beim Einpassen des Querriegels als ausgeschlossen ansehen.

2.6. Die Annahme einer Verkehrssicherungs-
pflicht gegenüber dem sich unbefugt in den Gefahrenbereich begebenden Kläger in der konkreten Situation verbietet sich aber auch aus einem weiteren Grund.

Der angenommene Sachverhalt bietet keinen Hinweis darauf, der Kläger wäre über den bevorstehenden und eingeleiteten Arbeitsschritt nicht informiert gewesen; es musste ihm daher klar sein, dass der Kranarm zwecks Einpassen des Querriegels – wie schon bei vorausgegangenen Arbeitsschritten – herabgesenkt (werden) wird. Ebenso ist ihm die Kenntnis von der notwendigen Konzentration des Kranführers auf den Absenkvorgang zu unterstellen. Unter diesen Prämissen konnte für ihn aber die naheliegende Gefahr eines Kontakts mit dem immer tiefer gleitenden Kranarm im Fall eines nicht zu erwartenden und dennoch unangekündigten Besteigens der Dachkonstruktion durch den Kläger keinesfalls „ganz unerwartet“ sein, sondern offenkundig und selbstverständlich.

2.7. Aus den dargelegten Gründen ist auch die Verletzung einer dem Zweitbeklagten gegenüber dem Kläger obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu verneinen.

3. Da eine taugliche Haftungsgrundlage somit fehlt, muss die Klage auch gegenüber dem Zweitbeklagten erfolglos bleiben, was schon das Erstgericht – im Ergebnis – zutreffend erkannte. Wegen der bereits teilrechtskräftigen Entscheidung gegenüber dem Erstbeklagten ist der Spruch jedoch neu zu fassen.

Auf die vom Berufungsgericht angesprochene Unklarheit im Sachverhalt zur exakten Ursache der Verletzung des Klägers kommt es für die vorliegende Beurteilung nicht an; mangels rechtlicher Relevanz bedarf es auch keiner Auseinandersetzung mit den weiteren in der Revision vorgetragenen Argumenten.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

Für die erst- und zweitinstanzliche Kostenentscheidung wurden die Zusprüche durch das Berufungsgericht an den durch denselben Rechtsanwalt vertretenen Erstbeklagten berücksichtigt. Die Bemessungsgrundlage für die Revision beträgt ungeachtet der Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht nur 12.339,73 EUR; dementsprechend waren die dafür verzeichneten Kosten zu kürzen.

5. Über den – absolut unzulässigen (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO; RIS-Justiz RS0044233) – „Revisionskostenrekurs“ ist nicht zu entscheiden, weil er nur für den Fall der Erfolglosigkeit der Revision erhoben wurde.

Textnummer

E120042

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00091.17D.1025.000

Im RIS seit

12.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

26.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten