TE OGH 2018/7/17 4Ob120/18b

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Veröffentlicht am 17.07.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** D*****, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** A*****, vertreten durch Dr. Alexander Knotek und Mag. Florian Knotek, Rechtsanwälte in Baden, wegen restlich 14.450,75 EUR sA und Feststellung (Streitwert 99 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. März 2018, GZ 11 R 32/18h-30, mit dem das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 3. Jänner 2018, GZ 60 Cg 15/17m-21, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich des Zahlungsbegehrens dahin abgeändert, dass es unter Einschluss des rechtskräftigen und des bestätigten Teils als Teil- und Zwischenurteil lautet:

„Das Klagebegehren auf Zahlung von 14.450,75 EUR sA besteht dem Grunde nach im Ausmaß von 50 % zu Recht.

Das Zahlungsmehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 7.225,38 EUR samt 4 % Zinsen seit 6. 1. 2017 zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die Kostenentscheidung in Bezug auf alle drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin mietete vom beklagten Gastwirt einen Raum für eine Silvesterfeier. Der Boden dieses Raums war teilweise verfliest, teilweise war ein Parkettboden verlegt; der verflieste Bereich sollte zum Tanzen benützt werden. An der Übergangsstelle der unterschiedlichen Bodenbeläge waren zwei nebeneinander liegende Metallleisten angebracht, um den Höhenunterschied auszugleichen. Bei der Besichtigung des Raums durch die Klägerin war eine der Metallleisten im Anstoßbereich zur nächsten Leiste um 1 mm aufgebogen, was der Klägerin, dem Beklagten und dessen Lebensgefährtin auffiel. Die Klägerin bat den Beklagten, diese Leiste zu entfernen, was der Beklagte unter Hinweis auf den sonst bestehenden Höhenunterschied ablehnte. Die Klägerin nahm dies zur Kenntnis.

Am Tag der Feier kam die Klägerin durch die aufgebogene Leiste zu Sturz, als sie rückwärtsgehend ein Kind auf die Tanzfläche ziehen wollte; sie verhakte sich dabei mit dem Absatz ihres Schuhes an der aufgebogenen Metallleiste. Durch diesen Sturz erlitt die Klägerin Verletzungen; zudem wurde ihr Kleid beschädigt.

Nach dem Sturz wurde die aufgebogene Leiste mit einem Sessel verstellt; in der Folge wurde sie mittels Klebstoffs auf dem Boden befestigt.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 14.650,75 EUR aus dem Titel des Schadenersatzes sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden; zudem erhob sie aufgrund einer behaupteten beleidigenden Äußerung des Beklagten ein Widerrufs- und ein Unterlassungsbegehren. Der Beklagte habe die als Gefahrenquelle einzustufende Bodenunebenheit nicht beseitigt und dadurch seine Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt.

Der Beklagte entgegnete im Wesentlichen, dass ihm keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten zur Last falle.

Das Erstgericht gab – mit Teil- und Zwischenurteil – dem Schadenersatzbegehren der Klägerin im Umfang von 14.450,75 EUR dem Grunde nach im Ausmaß von zwei Dritteln statt; das Zahlungsmehrbegehren sowie das Widerrufs- und das Unterlassungsbegehren (diese sind nicht mehr Gegenstand des Verfahrens) wies es ab; die Entscheidung über das Feststellungsbegehren wurde so wie die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten. Gerade in Gaststätten seien an die Sicherheit der Wege hohe Anforderungen zu stellen. Im Anlassfall komme hinzu, dass sich die Gefahrenquelle im Bereich einer Tanzfläche befunden habe, wo sich das Publikum auch mit schleifenden Schritten fortbewege. Die aufgebogene Metallleiste sei für die Klägerin eine Stolperfalle gewesen. Der Beklagte habe daher seine Verkehrssicherungspflichten verletzt. Die Klägerin treffe allerdings ein Mitverschulden von einem Drittel, weil sie die Gefahr bereits anlässlich der Besichtigung erkannt und sich nicht entsprechend verhalten habe. Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren behielt sich das Erstgericht vor.

Das Berufungsgericht wies – mit Teilurteil – das gesamte Leistungsbegehren ab; zudem sprach es aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, welche Niveauunterschiede in Gaststätten zu tolerieren seien, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle. Der Gastwirt habe alles vorzukehren, um die Sicherheit des Betriebs bzw der Anlage sowie der damit im Zusammenhang stehenden Wege und Plätze zu gewährleisten. Niveauunterschiede auf Gehflächen seien in Geschäftslokalen strenger als auf Gehsteigen zu beurteilen. Ein minimaler Niveauunterschied sei allerdings keine Gefahr, weil die Füße auch in Gaststätten üblicherweise so weit angehoben würden, dass die Schuhe nicht gegen eine geringfügige Kante stießen. Dem Beklagten falle daher keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten zur Last.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Leistungsbegehrens im nicht rechtskräftigen Umfang (14.450,74 EUR sA) abzielt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf; dementsprechend ist sie auch teilweise berechtigt.

1.1 Entsteht im Rahmen eines Vertrags-verhältnisses eine besondere Gefahrenlage, so kommt eine Haftung des Verantwortlichen aus der Verletzung vertraglicher Verkehrssicherungspflichten als nebenvertragliche Schutz- oder Aufklärungspflichten in Betracht (vgl 8 Ob 94/17g). Verkehrssicherungspflichten sind darauf gerichtet, die Sicherheit der befugten Benützer (zB Gäste) und ihre körperliche Unversehrtheit zu wahren (RIS-Justiz RS0021735). Der Verkehrssicherungspflichtige muss den Verkehrsbereich für die befugten Benützer in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand erhalten und diese vor Gefahren schützen. Die Verkehrssicherungspflicht findet ihre Grenze einerseits in der Erkennbarkeit der Gefahr (RIS-Justiz RS0023801; RS0023442) und andererseits in der Zumutbarkeit ihrer Abwehr (RIS-Justiz RS0023397). Liegen angesichts des Verkehrsbereichs (zB Anlage) oder der Veranstaltung Gefahren für andere nahe, so hat der Verantwortliche im Rahmen des Zumutbaren dagegen angemessene Maßnahmen zu treffen (siehe dazu 8 Ob 84/12d mwN). Letztlich kommt es auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung an (2 Ob 135/17t mwN).

Der Umfang und die Intensität von Verkehrssicherungspflichten richtet sich zudem auch danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer vorhandene Gefahren selbst erkennen und ihnen begegnen können (RIS-Justiz RS0023726). Sie kann auch entfallen, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahr leicht, also ohne genauere Betrachtung erkennbar war (RIS-Justiz RS0114360; 8 Ob 140/17x). Welche Sicherheitsvorkehrungen konkret erforderlich sind, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls, vor allem vom Anlass, von der Situation und der Örtlichkeit ab und begründet in der Regel, abgesehen von Fällen einer erheblichen Fehlbeurteilung, keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0111380; RS0110202; RS0078150).

1.2 Nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze gilt vor allem auch für einen Gastwirt, dass er für die Sicherheit seines Lokals zu sorgen und die den Gästen zur Verfügung gestellten Räume in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu erhalten hat (RIS-Justiz RS0020753; RS0023421). Unter gewissen Umständen kann die Sorgfaltspflicht des Gastwirts auch erhöht sein. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn im Lokal Alkohol ausgeschenkt wird und mit einer Beeinträchtigung der Standsicherheit der Gäste gerechnet werden muss. Ähnliches gilt für Tanzveranstaltungen, weil Tanzschritte nicht mit normalem Gehen mit Anheben der Füße verglichen werden kann, sondern dabei auch „schleifende“ Schritte üblich sind; zudem sind die Lichtverhältnisse in der Regel schlecht. Auf Tanzflächen ist es auch nicht ungewöhnlich, dass Tänzer über einen nur durch einen unterschiedlichen Bodenbelag gekennzeichneten Tanzbereich hinaus geraten. Hinzu kommt, dass nach § 6 Abs 1 Z 1 der Arbeitsstättenverordnung Fußbodenoberflächen so zu gestalten sind, dass sie keine Stolperstellen aufweisen. Diese Vorgaben werden als öffentlich-rechtliche Mindestanforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Unternehmers auch in Bezug auf Gäste qualifiziert, wenn vorhersehbar ist, dass diese befugterweise in den betroffenen Bereich gelangen (RIS-Justiz RS0020749 [T11 und T12]).

2.1 Aus den angeführten Grundsätzen ergibt sich für den Anlassfall folgende Beurteilung:

Eine auch nur geringfügig aufgebogene Metallleiste in einem Bereich, in dem sich tanzende Gäste bewegen, die an einer Feier teilnehmen, ist eine besondere Gefahrenquelle. Beim Tanzen sind rhythmische, mitunter schwungvolle und das Gleichgewicht beeinträchtigende Bewegungen sowie auch „schleifende“ Schritte typisch. Bei solchen Veranstaltungen werden von Frauen auch regelmäßig Schuhe mit höheren Absätzen getragen. Bei Unebenheiten im Boden, die ein Verhaken der Schuhe ermöglichen, ist die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besonders groß. Das Vorhandensein einer aufgebogenen Metallleiste in einem Bereich, in dem sich Tänzer aufhalten, widerspricht daher den erhöhten Sorgfaltsanforderungen, die an einen Gastwirt zu stellen sind, der Räume für derartige Veranstaltungen zur Verfügung stellt. Die Judikatur zu Niveauunterschieden auf Gehwegen außerhalb von Gaststätten (vgl etwa 10 Ob 50/04g; 10 Ob 22/06t; 4 Ob 249/07g) kann mangels Vergleichbarkeit nicht herangezogen werden. Es lässt sich auch keine generelle Aussage darüber treffen, welcher Niveauunterschied auf einer Tanzfläche noch tolerierbar ist. Vielmehr ist bei der Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht bei Geschäftsräumen und Geschäftslokalen auf die spezifischen Gefahren Bedacht zu nehmen, die sich aus der Eigenart des jeweiligen Verkehrs ergeben.

Die in Rede stehende aufgebogene Metallleiste fiel bei der Besichtigung des Veranstaltungsraums nicht nur der Klägerin, sondern auch dem Beklagten auf. Damit war
– auch bei objektiver ex-ante-Betrachtung – der mangelhafte Zustand des Bodenbelags im Bereich der Tanzfläche für ihn zweifellos erkennbar. Aufgrund der erhöhten Sorgfaltspflichten musste der Beklagte den Boden besonders aufmerksam begutachten. Der mangelhafte Zustand hätte
– zumindest als Provisorium – ohne großen Aufwand leicht und schnell behoben werden können, indem die aufgebogene Metallleiste mittels Klebestreifen abgeklebt oder – wie dies nach dem Unfall auch geschehen ist – mittels Klebstoffs auf dem Boden befestigt wird. Da der mangelhafte Zustand bereits bei der Besichtigung bemerkt wurde, wäre auch der
– von der Klägerin sogar geforderte – Austausch der aufgebogenen Metallleiste zumutbar gewesen.

2.2 Der Grundsatz, dass die Verkehrssicherungs-pflicht bei für den später Verletzten leicht erkennbaren Gefahren entfällt (RIS-Justiz RS0114360), betrifft Konstellationen, in denen die Gefahrenquelle bei objektiver Betrachtung einer durchschnittlich aufmerksamen Person sofort in die Augen fällt. Für den Anlassfall lässt sich daraus nichts gewinnen, weil die aufgebogene Metallleiste nicht als für jedermann objektiv leicht erkennbares Hindernis qualifiziert werden kann. Auch die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung des BGH zu VI ZR 213/63 ist nicht einschlägig, zumal sie einen Unfall beim Stiegensteigen, verursacht durch die mit Messingschienen abgedeckten Vorderkanten steinerner Stufen einer Treppe, betroffen hat.

2.3 Zusammenfassend ist dem Erstgericht darin zuzustimmen, dass dem Beklagten eine Verletzung seiner Verkehrssicherungspflichten als Gastwirt anzulasten ist.

3.1 Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Umstand, dass ihr die Gefahrenstelle tatsächlich bekannt war, als Mitverschulden zu berücksichtigen. Ein Mitverschulden im Sinn des § 1304 ABGB setzt weder ein Verschulden im technischen Sinn noch Rechtswidrigkeit voraus. Vielmehr genügt Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt (RIS-Justiz RS0022681; 2 Ob 167/17y).

3.2 Bei Abwägung der Verschuldenskomponenten ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht beim Tanzen zu Sturz kam, sondern als sie rückwärtsgehend ein Kind auf die Tanzfläche ziehen wollte. Da ihr der Mangel der Metallleiste und das davon ausgehende Gefahrenpotential bekannt war und sie auch nicht alkoholisiert war, hätte sie im Übergangsbereich der unterschiedlichen Bodenbeläge besonders vorsichtig sein müssen. Sie hätte sich nicht rückwärts diesem Bereich nähern und auch nicht das Kind ziehen dürfen, sondern hätte versuchen müssen, dieses verbal zum Tanzen zu überreden. Außerdem hat sie die Weigerung des Beklagten, den Mangel zu beheben, zur Kenntnis genommen und den Veranstaltungsraum trotzdem gemietet. Demgegenüber hätte der Beklagte die Gefahrenquelle leicht beseitigen können. Statt dessen war er in seiner Abwehrhaltung uneinsichtig und zog sich auf den unsachlichen Standpunkt zurück, dass bisher noch kein Gast über die aufgebogene Metallleiste gestolpert war.

In Anbetracht dieser Umstände ist eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 angemessen. Es war daher mit Teil- und Zwischenurteil auszusprechen, dass das restliche Zahlungsbegehren dem Grunde nach im Ausmaß von 50 % zu Recht besteht; das Zahlungsmehrbegehren war abzuweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 ZPO.

Textnummer

E122279

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00120.18B.0717.000

Im RIS seit

03.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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