TE OGH 2018/3/22 2Ob167/17y

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Veröffentlicht am 22.03.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solè sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** R*****, vertreten durch Mag. Karl Komann, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei Fachverband der Versicherungsunternehmungen, Wien 3, Schwarzenberg-platz 7, vertreten durch Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwalt in Mödling, und dem Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei H***** K*****, vertreten durch Mag. Dieter Benko, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 91.154,59 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 20.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 23. Juni 2017, GZ 2 R 158/15w-62, womit infolge der Berufungen sämtlicher Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Juni 2015, GZ 15 Cg 13/14k-47, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. Juli 2015, GZ 15 Cg 3/14k-50, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.

1. Das angefochtene Teilurteil, das in seinem stattgebenden Teil in Rechtskraft erwachsen ist und von dieser Entscheidung unberührt bleibt, wird im Umfang der Abweisung eines Teilbegehrens auf Zahlung von 31.830,95 EUR samt 4 % Zinsen aus 63.518,22 EUR vom 13. 7. 2013 bis 30. 1. 2014, aus 8,88 EUR vom 31. 1. 2014 bis 25. 3. 2014, aus 16.212,48 EUR vom 26. 3. 2014 bis 17. 3. 2015 und aus 31.830,95 EUR seit 18. 3. 2015 als weiteres Teilurteil bestätigt.

Die Entscheidung über die auf dieses Teilbegehren entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

2. Im Übrigen, hinsichtlich der Abweisung eines weiteren Teilbegehrens auf Zahlung von 31.687,27 EUR samt 4 % Zinsen aus 27.460,06 EUR vom 31. 1. 2014 bis 4. 3. 2014, aus 27.636,37 EUR vom 5. 3. 2014 bis 25. 3. 2014 und aus 31.687,27 EUR seit 26. 3. 2014 sowie des restlichen Feststellungsbegehrens wird das Teilurteil aufgehoben. In diesem Umfang einschließlich der Kostenentscheidung wird auch das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die hierauf entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und der Nebenintervenient waren Mitarbeiter der „Firma S*****“. Beide waren am 26. 10. 2011 auf der Baustelle im K*****tunnel tätig, wo es zu einem Arbeitsunfall mit schweren Verletzungen des Klägers kam.

Zum ersten Rechtsgang vgl 2 Ob 72/16a.

Im zweiten Rechtsgang ist im Revisionsverfahren noch das Mitverschulden des Klägers strittig. Im Wesentlichen ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Kläger war bei der „Firma S*****“ als Mechaniker beschäftigt. Er erhielt von seinem Arbeitgeber eine „Unterweisung von Arbeitnehmern“ ausgefolgt, die aus einer „Allgemeinen Erstunterweisung für Beschäftigte im Hoch- und Tiefbau sowie den Besonderen Sicherheitsvorschriften für Mitarbeiter Zyklischer Vortrieb“ bestand. Letztere enthielten ua folgende Regelungen:

„Auf folgende Sicherheitsvorschriften wird b e s o n d e r s hingewiesen und diese sind dementsprechend einzuhalten. Die Liste stellt nur eine Ergänzung zu allen gesetzlichen Vorschriften und üblichen Maßnahmen auf Tunnelbaustellen dar bzw ist eine Ergänzung zu der allgemeinen Unterweisung von Arbeitnehmern.

Wie alle anderen Sicherheitsvorschriften sind auch die hier aufgezählten für a l l e P e r s o n e n, die sich im Baustellenbereich aufhalten, a b s o l u t b i n d e n d. […]

[...]

Der Aufenthalt auf der Baustelle und im Tunnel ist nur mit entsprechender Schutzkleidung erlaubt, wie Sicherheitsschuhe und Overall mit Rückstrahler. Im Tunnel besteht die Pflicht, eine entsprechende Lampe mitzuführen!

[…]

Arbeiten im Tunnelbereich dürfen nur im Beisein einer zweiten Person durchgeführt werden.

[…]

Erforderliche Arbeiten und Reparaturen an Geräten im Tunnel sind mit dem Bauführer, Polier/Meister abzusprechen! Der Arbeitsbereich ist dafür abzusperren.

[...]“

Der Kläger war nicht im Bereich des „Zyklischen Vortriebs“ (dabei handelt es sich um die eigentlichen Tunnelbauer) tätig.

Im Bereich der Unfallstelle war der Tunnel ca 11 m breit. Am Unfallstag fand dort kein Vortrieb statt. Ein Teil des Tunnels wurde als Lager für eine Werkstatt benutzt und zum Abstellen einiger Fahrzeuge verwendet. An den Tunnel schloss eine etwa 6 bis 7 m breite Nische an, in welcher ein Radlader abgestellt war.

Der Kläger hatte den Auftrag, ein Sicherheitsgitter dieses Radladers zu reparieren. Dazu stieg er eine am Radlader angebrachte Leiter hinauf, um das Sicherheitsgitter abzumontieren. Nachdem er das Sicherheitsgitter am Radlader abmontiert hatte, stieg er über dessen Leiter wieder herunter, wobei er das Gesicht zum Radlader hin gewandt hatte. Er trug während dieser Arbeiten eine rote Arbeitsmontur mit Leuchtstreifen an den Armen, den Beinen und am Bauch, außerdem einen gelben Helm mit eingeschalteter Stirnlampe.

Es war damals ein Gebläse zwecks Frischluftzufuhr eingeschaltet. In etwa 200 m Entfernung von der Nische wurde Schottermaterial in Container verfüllt und es war ein Bagger tätig. Durch diese Umstände herrschte ein Lärm, der denjenigen, der unmittelbar neben einer Autobahn wahrzunehmen ist, noch übersteigt.

Während der Kläger die ihm aufgetragenen Arbeiten vornahm, steuerte der Nebenintervenient nach Beendigung der von ihm verrichteten Arbeiten einen „Merlo“ rückwärts fahrend durch den Tunnel. Dabei handelt es sich um ein einsitziges Mehrzweckfahrzeug mit ausfahrbarem Kran und Lastgabeln, das eine Geschwindigkeit bis zu 20 km/h, im Falle einer Getriebeänderung sogar bis zu 40 km/h erreichen kann. Das Fahrzeug dient zum Heben und zum Transport von Lasten, aber auch zum Anheben eines Arbeitskorbs. Das Führerhaus ist mit zwei Außenspiegeln ausgestattet, die Heckscheibe verfügt über einen Scheibenwischer. Bei Rückwärtsbewegung ertönt ein akustisches Warnsignal.

Der Nebenintervenient musste bei seiner Fahrt die Nische mit dem Radlader passieren. An sich wollte er in einem Abstand von 30 bis 40 cm (parallel) am Radlader vorbeifahren, obwohl eine weiter entfernte Fahrlinie möglich gewesen wäre. Er drehte sich während dieses Fahrmanövers im Fahrzeug nach hinten, um durch die Heckscheibe hinauszusehen. Diese war damals in dem vom Scheibenwischer erfassten Bereich geringfügig und außerhalb dieses Bereichs sehr stark verschmutzt. Im Bereich der Nische herrschten „gedämpfte Lichtverhältnisse“. Der „Merlo“ näherte sich dem Radlader in spitzem Winkel. Wegen der „gedämpften Lichtverhältnisse“, der verschmutzten Heckscheibe und weil er nicht in den Rückspiegel schaute, fiel dies dem Nebenintervenienten nicht auf und er sah auch nicht den Kläger.

Als der Kläger mit dem Herabsteigen vom Radlader begann, war der mit etwa 4 bis 5 km/h fahrende „Merlo“ noch 4,4 m von der Unfallstelle entfernt. Den akustischen Warnton des „Merlo“ nahm er nicht bzw nicht als Signal einer sich nähernden Gefahrenquelle wahr. Nachdem er den Boden erreicht hatte und sich umdrehte, betrug die Entfernung des „Merlo“ nur mehr 1 bis 1,5 m. Der Kläger stieß einen Schrei aus, worauf der Nebenintervenient bremste. Dennoch wurde der Kläger vom Schild des „Merlo“ erfasst und gegen den linken hinteren Reifen des Radladers gedrückt. Hätte sich der Kläger vor dem Hinabsteigen umgedreht, hätte er den „Merlo“ sehen und den Unfall vermeiden können.

Der Kläger erlitt einen rechtsseitigen Leberriss, einen Bruch des rechten Oberarms mit Teilschädigung des Speichennervs, einen Schlüsselbeinbruch rechts, Serienrippenbrüche rechts mit Luftansammlung (Pneumothorax) und einen Bruch des rechten oberen Schambeinasts. Unfallskausale Spätfolgen sind nicht auszuschließen. Der Kläger war ab dem Unfall bis zum 31. 3. 2013 aufgrund der unfallbedingten Verletzungen nicht arbeitsfähig. Es kann nicht festgestellt werden, dass ab dem 1. 4. 2013 weiterhin eine unfallskausale Arbeitsunfähigkeit bestand.

Der Kläger begehrt den Ersatz seines zuletzt mit 91.154,59 EUR sA bezifferten Schadens sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen, derzeit nicht bekannten Schäden aus dem Unfall vom 26. 10. 2011 bis zur gesetzlichen Versicherungssumme des KHVG. Das Leistungsbegehren umfasst 50.000 EUR Schmerzengeld, 4.929 EUR Besuchskosten, 352,62 EUR sonstige Kosten und 35.872,97 EUR Verdienstentgang für den Zeitraum 1. 1. 2013 bis 17. 3. 2015. Das Alleinverschulden an dem Unfall treffe den Nebenintervenienten. Die Haftung des Fachverbands gründe sich auf § 6 VOEG idF BGBl I 2007/37. Der „Merlo“ sei ein nicht haftpflichtversicherungspflichtiges Fahrzeug iSd § 1 Abs 2 lit b iVm § 2 Abs 1 Z 21 KFG.

Die beklagte Partei bestritt ihre Haftung. Soweit sie dies mit der Novellierung des § 6 VOEG, BGBl I 2013/12, begründete, wurde die Berechtigung dieses Einwands in 2 Ob 72/16a bereits abschließend verneint. Davon abgesehen behauptete sie wie der Nebenintervenient das Alleinverschulden, jedenfalls aber das überwiegende Mitverschulden des Klägers. Der Kläger sei für den Nebenintervenienten nicht sichtbar gewesen und unter Missachtung des akustischen Warnsignals unerwartet hervorgetreten. In einem Logistikstollen müsse mit Baustellenverkehr gerechnet werden. Der Kläger habe überdies die auch für ihn geltenden „Sicherheitsvorschriften“ verletzt. Hätte er nur eine dieser Bestimmungen eingehalten, wäre der Unfall vermieden worden.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 48.553,12 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Leistungsmehrbegehren von 42.601,47 EUR sA wies es ab.

Das Erstgericht traf noch weitere Feststellungen zum Schaden des Klägers und gelangte in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dass den Nebenintervenienten, der einen Aufmerksamkeits- und Beobachtungsfehler zu verantworten und die Beseitigung der sich durch die Verschmutzung der Heckscheibe ergebende Sichtbeeinträchtigung unterlassen habe, das Alleinverschulden an dem Unfall treffe.

Dem Kläger sei kein Mitverschulden vorwerfbar. Die Nische, in welcher sich der Radlader befunden habe, habe zum Abstellen und zur Reparatur kaputter Fahrzeuge gedient. Der Kläger habe davon ausgehen können, dass er in dieser Nische die Reparatur des Radladers ungestört vornehmen werde können, und nicht damit rechnen müssen, dass der unmittelbar um den Radlader gelegene Bereich (in der Nische) von weiteren Fahrzeugen befahren werde.

Zu den dem Kläger ausgefolgten „Sicherheitsvorschriften“ sei zunächst festzuhalten, dass sich diese an die Mitarbeiter des zyklischen Vortriebs gerichtet hätten, denen der Kläger nicht angehöre. Eine Lampe habe der Kläger ohnedies verwendet. „Arbeiten im Tunnelbereich“ oder „erforderliche Arbeiten und Reparaturen an Geräten im Tunnel“ hätten nicht stattgefunden, weil der Kläger die Reparaturarbeiten in der eigens hiefür vorgesehenen Nische vorgenommen habe. Er habe auch keinen Aufmerksamkeitsfehler zu verantworten. Welchen Fehler der Kläger im Zusammenhang mit der „Absprechung von Arbeiten“ gemacht haben solle oder welche Auswirkungen eine Absprache auf den Unfallhergang gehabt hätte, sei nicht erkennbar und auch nicht dargetan worden.

Dem Kläger stehe daher der Ersatz des ermittelten Schadens (40.000 EUR Schmerzengeld; 4.149,60 EUR Besuchskosten; 352,62 EUR sonstige Kosten; 4.050,80 EUR Verdienstentgang für den Zeitraum Jänner bis März 2013) zu, für den die beklagte Partei gemäß § 6 Abs 1 Z 1 VOEG idF BGBl I 2007/37 hafte. Der „Merlo“ sei als selbstfahrende Arbeitsmaschine iSd § 2 Abs 1 Z 21 KFG zu qualifizieren und werde daher von § 1 Abs 2 lit b KFG erfasst.

Das von beiden Parteien und dem Nebenintervenienten angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im zweiten Rechtsgang dahin ab, dass es die beklagte Partei mit Teilurteil zur Zahlung von 2.636,37 EUR sA an den Kläger verpflichtete, dem Feststellungsbegehren zur Hälfte stattgab und ein mit 63.518,22 EUR sA beziffertes Leistungsmehrbegehren sowie das Feststellungsmehrbegehren abwies. Im Umfang von 25.000 EUR hob es das erstinstanzliche Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Zum Teilurteil sprach es aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Zur Verschuldensfrage führte das Berufungsgericht aus, es sei eine Erfahrungstatsache, dass Arbeiten im Tunnelbau – auch wenn kein Vortrieb stattfinde – gefahrengeneigter seien als Bauarbeiten über Tag. Diese Gefahrengeneigtheit ergebe sich etwa aus eingeschränkten Sichtverhältnissen (gedämpftes Licht) und aus dem Baustellenlärm. Es sei daher von allen auf einer Tunnelbaustelle tätigen Personen ganz besondere Sorgfalt gegenüber fremden Gütern zu fordern.

Das Verschulden des Nebenintervenienten könne nicht fraglich sein. Er habe knapp am Radlader ein Reversiermanöver durchgeführt, ohne genügende Sicht nach hinten zu haben, und auch nicht in den Außenspiegel geblickt. Angesichts der in der Nähe der Nische befindlichen Werkstatt und des dort abgestellten Radladers habe sich der Nebenintervenient nicht darauf verlassen dürfen, dass sich dort keine Person befinde.

Andererseits treffe den Kläger ein wesentliches Mitverschulden. Schon im Hinblick darauf, dass in einer Entfernung von etwa 200 m Schottermaterial in Container verfüllt worden und dabei auch ein Bagger tätig gewesen sei, habe der Kläger nicht darauf vertrauen dürfen, dass kein Fahrzeugverkehr im Tunnel stattfinde. Der Kläger hätte sich unmittelbar vor dem Hinabsteigen vergewissern können, ob dies ohne Gefahr für ihn möglich sei. Zu diesem Zeitpunkt sei nämlich der „Merlo“ 4,4 m von der Unfallstelle entfernt und als Gefahr bereits erkennbar gewesen. Die Obliegenheitsverletzung des Klägers wiege deshalb schwer, weil er mit geringer und angesichts der Gefahrengeneigtheit im Tunnelbau naheliegender Aufmerksamkeit hätte erkennen können, dass das Herabsteigen für ihn nicht gefahrlos sei.

Angesichts der aufgezeigten Umstände sei ein gleichteiliges Verschulden angemessen. Dies führe infolge des eingewendeten Quotenvorrechts des Sozialversicherers zur gänzlichen Abweisung des begehrten Verdienstentgangs. Hingegen seien die ersatzfähigen Besuchskosten auf 4.920,12 EUR zu erhöhen, woraus sich einschließlich der Fahrtkosten ein Betrag von 5.272,74 EUR ergebe. Hievon gebühre dem Kläger die Hälfte, dies seien 2.636,37 EUR. Der Anspruch auf Schmerzengeld könne infolge eines dem Erstgericht unterlaufenen Verfahrensmangels noch nicht abschließend beurteilt werden, weshalb das erstinstanzliche Urteil im Umfang der Hälfte dieses Teilbegehrens aufzuheben sei.

Gegen den abweisenden Teil dieses Berufungsurteils richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die beklagte Partei und der Nebenintervenient beantragen in den ihnen durch den Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortungen das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei der Beurteilung des Mitverschuldens des Klägers eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Das Rechtsmittel ist im Sinne des Aufhebungsantrags in die erste Instanz auch teilweise berechtigt.

Der Kläger wendet sich gegen das ihm angelastete Mitverschulden. Er stützt sich auf die Argumente des Erstgerichts und meint, es sei nicht nachvollziehbar, warum er wegen der 200 m entfernten Verfüllung von Schottermaterial mit Fahrzeugverkehr im Tunnel rechnen habe müssen. Es sei entgegen dem vom Berufungsgericht ganz allgemein aufgestellten Erfahrungssatz auch nicht anzunehmen, dass Arbeiten in einem Logistikstollen, in welchem keine Abbrucharbeiten stattfänden und daher auch kein Abbruchmaterial abtransportiert werde, gefährlicher als auf Hochbaustellen wären.

Hiezu wurde erwogen:

1. Den in der Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fach der allgemeinen Medizin erblickten Verfahrensmangel hat das Berufungsgericht verneint. Er kann in dritter Instanz daher nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963).

2. Der beklagte Fachverband haftet gemäß § 6 Abs 1 Z 1 und Abs 2 VOEG für den dem Kläger verursachten Schaden. Das Verschulden des Nebenintervenienten ist in diesem Revisionsverfahren nicht mehr strittig; die beklagte Partei und der Nebenintervenient ließen die zweitinstanzliche Entscheidung unbekämpft. Zu prüfen ist, ob den Kläger ein Mitverschulden trifft.

3. Ein Mitverschulden iSd § 1304 ABGB setzt weder ein Verschulden im technischen Sinn noch Rechtswidrigkeit voraus. Es genügt Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt (RIS-Justiz RS0022681, RS0032045; Karner in KBB5 § 1304 Rz 1). Das Mitverschulden kann aber auch aus der Verletzung eines Schutzgesetzes resultieren. In diesem Fall ist danach zu fragen, ob die übertretene Norm ein Schadensereignis wie das eingetretene verhindern wollte, ob also ein „Mitverschuldenszusammenhang“ besteht (2 Ob 19/12a SZ 2012/119; 1 Ob 154/12x; Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1304 Rz 3; Karner in KBB5 § 1304 Rz 1).

4. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es ein Mitverschulden des Klägers begründete, überzeugen nicht. Bleibt – wie in der Berufungsentscheidung – die Berücksichtigung der dem Kläger übergebenen „Sicherheitsvorschriften“ (vorerst) völlig ausgeklammert, spitzt sich die Beurteilung des Mitverschuldens auf die einzige Frage zu, ob sich der Kläger vor dem Hinabsteigen vom Radlader hätte umdrehen müssen. Die Feststellungen bieten auch unter Anlegung des Sorgfaltsmaßstabs nach § 1299 ABGB für eine solche Vorsichtsmaßnahme keinen ausreichenden Anhaltspunkt. Die in einer Entfernung von 200 m durchgeführten Arbeiten mit einem Bagger sind in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht von Bedeutung, weil sich eine von dort ausgehende Gefahr nicht verwirklicht hat. Mit einem direkt auf den abgestellten Radlader zusteuernden Fahrzeug musste der Kläger aber angesichts des Platzangebots im Tunnel (11 m Breite) keinesfalls rechnen, zumal unklar blieb, warum der Nebenintervenient trotz des vorhandenen Fahrraums nur mit 30 bis 40 cm Seitenabstand an dem (von ihm aber offenbar gar nicht gesehenen) Radlader vorbeifahren „wollte“. Dazu kommt, dass sich der Kläger während und nach dem Herabsteigen zwischen den breiten Reifen des Radladers durchaus sicher fühlen konnte und Schutzkleidung mit Leuchtstreifen sowie eine Stirnlampe trug. Dass er sich vor dem Unfall von dem Radlader auch nur einen Schritt entfernt hätte, steht entgegen der gegnerischen Prozessbehauptung, er sei „hervorgetreten“, nicht fest.

5. Zu einer anderen Beurteilung könnten jedoch die dem Kläger von seinem Arbeitgeber ausgefolgten und am 21. 6. 2011 von ihm unterschriebenen Sicherheitsanordnungen (Beilagen ./N1 bis ./N3; die Echtheit wurde vom Kläger ausdrücklich zugestanden) führen:

5.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist es prozessual unbedenklich, eine im Verfahren vorgelegte Urkunde, deren Inhalt zwischen den Parteien unstrittig ist, der Entscheidung des Revisionsgerichts ohne weiteres zugrunde zu legen (vgl 2 Ob 237/14p [Verweisung auf das eigene Vorbringen]; RIS-Justiz RS0121557 [T3]). Aus dem zwischen den Streitteilen unstrittigen Inhalt der „Unterweisung von Arbeitnehmern“ (Beilage ./N1) ergibt sich, dass der Kläger über diese (und andere) Sicherheitsvorschriften „fachkundig informiert und unterwiesen“ wurde. Die angeführten „sonstigen Unterweisungsinhalte“ umfassen ua die „Sicherheitsvorschriften ZV UT“, das sind die in den Feststellungen auszugsweise wiedergegebenen „Besonderen Sicherheitsvorschriften für Mitarbeiter Zyklischer Vortrieb“ (Beilage ./N3), die hier besonders interessieren. Diese „Sicherheitsvorschriften“ richten sich zwar nach ihrer Überschrift an die „Mitarbeiter Zyklischer Vortrieb“, sie wurden aber im Zuge der Unterweisung auch dem Kläger, einem Mechaniker, ausgefolgt und von diesem zur Kenntnis genommen. Schon in der Einleitung wird teils in gesperrter Druckschrift unübersehbar darauf hingewiesen, dass diese Vorschriften für „alle Personen, die sich im Baustellenbereich aufhalten, absolut bindend“ sind. Dass unter „Baustellenbereich“ der gesamte Tunnel einschließlich seiner Nischen zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang der einzelnen Verhaltensvorschriften. Diese waren daher auch vom Kläger einzuhalten.

5.2 Bedeutsam für den gegenständlichen Fall sind dabei vor allem jene Bestimmungen, nach denen Arbeiten im Tunnelbereich nur im Beisein einer zweiten Person durchgeführt werden durften und Arbeiten und Reparaturen an Geräten im Tunnel mit dem Bauführer bzw dem Polier oder Meister abzusprechen waren und der Arbeitsbereich dafür abzusperren war.

Nach den Feststellungen war der Kläger nicht im Beisein einer zweiten Person. Eine „Absprache“ mit einem Verantwortlichen kann wohl unterstellt werden, weil der Kläger aufgrund eines Auftrags seines Arbeitgebers handelte. Wer allerdings den Arbeitsbereich abzusperren gehabt hätte (der Arbeitgeber oder der Kläger) und wie dies geschehen hätte sollen, kann den Sicherheitsvorschriften nicht entnommen werden und steht auch nicht fest. Aus dem Zweck der Vorschriften ist aber jedenfalls abzuleiten, dass der Kläger vor dem „Absperren“ nicht mit den Arbeiten beginnen durfte. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts bot der Umstand, dass der Radlader in einer Nische stand, keinen Grund dafür, von dieser Anordnung abzugehen. Demnach ließ der Kläger zwei bedeutsame Sicherheitsanordnungen unbeachtet.

5.3 Handelte es sich bei den „Sicherheitsvorschriften“ um Schutznormen iSd § 1311 ABGB, hätte die beklagte Partei den Beweis erbracht, dass die Schutznormen objektiv übertreten wurden. Die Beweislast dafür, dass sich der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten (zweite Person; Absperrung) im selben Ausmaß ereignet hätte, läge beim Kläger. Diesbezügliche Unklarheiten fielen ihm zur Last (2 Ob 177/14i; RIS-Justiz RS0112234). Der Mitverschuldenszusammenhang wäre zu bejahen, weil der Zweck der übertretenen Vorschriften nach ihrem eindeutigen Sinngehalt auf die Vermeidung von Unfällen im Tunnel ausgerichtet war.

Um die „Sicherheitsvorschriften“ als Schutznormen qualifizieren zu können, bedürfte es aber der Klärung, ob sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen oder zumindest behördlich genehmigt waren (vgl RIS-Justiz RS0027415, RS0027539; Karner in KBB5 § 1311 Rz 4). Die Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) enthält zwar in ihrem 13. Abschnitt Arbeitnehmerschutzbestimmungen für „Untertagebauarbeiten“ (§§ 94 bis 105), denen allerdings keine Ermächtigung des Arbeitgebers zur Erlassung bestimmter „Sicherheitsvorschriften“ entnommen werden kann.

5.4 Handelte es sich bei den „Sicherheitsvorschriften“ nicht um Schutznormen iSd § 1311 ABGB, so beruhten sie bloß auf arbeitsvertraglicher Grundlage. Im Verhältnis zu Dritten wurden damit spezielle Verkehrssicherungspflichten der im Tunnel tätigen Personen, also auch des Klägers, formuliert. Kam der Kläger wegen Verstoßes gegen die „Sicherheitsvorschriften“ selbst zu Schaden, konnte dies im Verhältnis zum Schädiger, hier des Nebenintervenienten, eine „Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten“ begründen, deren Mitursächlichkeit für den eingetretenen Schaden der ein Mitverschulden Behauptende, hier also die beklagte Partei, zu beweisen hätte. Diesbezügliche Unklarheiten fielen dann der beklagten Partei zur Last. Diese hat in erster Instanz ebenso wie der Nebenintervenient Vorbringen erstattet, wonach der Unfall bei Einhaltung der „Sicherheitsvorschriften“ nicht eingetreten wäre. Feststellungen liegen zu diesem Einwand bisher nicht vor.

6. Aus diesen Erwägungen folgt, dass das Urteil des Erstgerichts mit einem in zweiter Instanz nicht erkannten Feststellungsmangel behaftet ist. Erst eine vollständige Tatsachengrundlage wird die Beurteilung ermöglichen, ob der Kläger ein Mitverschulden zu verantworten hat und wie dieses zu gewichten ist. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Teilurteils in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang und – diesem entsprechend – auch des Urteils des Erstgerichts.

6.1 Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Zuspruch des für den Zeitraum ab 1. 4. 2013 begehrten Verdienstentgangs in Höhe von 31.822,07 EUR im Hinblick auf die den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen über das zeitliche Ausmaß der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers keinesfalls in Betracht kommt. Dasselbe gilt für einen Teil der geltend gemachten Besuchskosten (8,88 EUR), sodass die Abweisung eines Teilbegehrens von insgesamt 31.830,95 EUR sA bestätigt werden kann.

6.2 Was das Zinsenbegehren anlangt, ist das Berufungsgericht fälschlich davon ausgegangen, dass das Erstgericht Zinsen ab 13. 7. 2013 zugesprochen hat. Tatsächlich hat das Erstgericht aber – vom Kläger in seiner Berufung inhaltlich unwidersprochen – „mangels Nachweises einer früheren Geltendmachung“ Zinsen erst ab der Klagezustellung bzw den mehrfachen Ausdehnungen des Klagebegehrens zuerkannt. Die Klagezustellung erfolgte nach der Aktenlage zwar nicht, wie das Erstgericht annahm, am 31. 1., sondern bereits am 30. 1. 2014. Abgesehen von dem in Teilrechtskraft erwachsenen Zuspruch an den Kläger ist ansonsten jedoch der richtigen Rechtsansicht des Erstgerichts über den jeweiligen Beginn des Zinsenlaufs sowohl beim bestätigenden als auch beim aufhebenden Teil dieser Entscheidung Rechnung zu tragen.

6.3 Im fortgesetzten Verfahren sind daher unter Einbeziehung des zweitinstanzlichen Aufhebungsbeschlusses noch folgende Ansprüche streitverfangen: 50.000 EUR Schmerzengeld und 2.460,06 EUR Besuchskosten jeweils samt 4 % Zinsen seit 31. 1. 2014; 176,31 EUR sonstige Kosten samt 4 % Zinsen seit 5. 3. 2014; 4.050,90 EUR Verdienstentgang samt 4 % Zinsen seit 26. 3. 2014; das restliche Feststellungsbegehren.

Das Erstgericht wird mit den Parteien die in Punkt 5 dargelegte Rechtsansicht zu erörtern und insbesondere zu klären haben,

- ob den „Schutzvorschriften“ der Charakter eines Schutzgesetzes iSd § 1311 ABGB zukommt,

- welche Aufgabe die in den „Schutzvorschriften“ vorgesehene Begleitperson während der Arbeiten des Klägers im Tunnel zu erfüllen gehabt hätte,

- wie eine „Absperrung“ des Arbeitsbereichs des Klägers hätte beschaffen sein müssen und

- ob die Einhaltung dieser Vorschriften geeignet gewesen wäre, den Nebenintervenienten trotz der Sichtbeeinträchtigungen noch rechtzeitig auf die Gefahr aufmerksam zu machen.

Insoweit bedarf es der Feststellung eines hypothetischen Sachverhalts. Bei Unaufklärbarkeit sind die aus Punkt 5.3 und 5.4 ersichtlichen Beweislastregeln anzuwenden.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 4 ZPO (Teilurteil) und § 52 Abs 1 Satz 4 ZPO (Teilaufhebung).

Textnummer

E121375

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00167.17Y.0322.000

Im RIS seit

14.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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