TE OGH 2018/12/6 12Os135/18x

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.2018
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Dezember 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sischka als Schriftführer in der Strafsache gegen Fazli D***** und andere Angeklagte wegen der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Fazli D***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 29. Juni 2018, GZ 131 Hv 12/18k-64, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten Fazli D***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche weiterer Angeklagter enthält, wurde Fazli D***** der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB (A./1./), der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 erster Fall StGB (B./1./), der Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (B./2./) sowie des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB (B./3./) schuldig erkannt.

Danach hat bzw haben am 8. Oktober 2017 in G*****

A./ anderen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht, und zwar

1./ Fazli D*****

1./1./ dem Agron Z*****, der auf dem Fahrersitz seines abgestellten PKW der Marke Audi saß, sowie dessen Bruder Liridon Z*****, der vor diesem Auto im Bereich der linken hinteren Fahrzeugtüre stand, indem er mit dem von ihm gelenkten PKW der Marke Mercedes Benz mit hoher Geschwindigkeit direkt auf den Audi und die dort bzw darin befindlichen genannten Personen zufuhr, um diese zu rammen bzw zu erfassen und einzuklemmen, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil einerseits Liridon Z***** im letzten Moment auf die Motorhaube des auf ihn zurasenden Wagens springen konnte und Agron Z***** durch den Anprall nur leichte Verletzungen erlitt,

1./2./ im Anschluss an die zu 1./1./ geschilderte Tat dem Agron Z*****, indem er mit seinem PKW nach einer „Hofrunde“ wiederum auf den Audi mit dem darin sitzenden Agron Z***** zuraste und diesen abermals mit hoher Geschwindigkeit, diesmal im Bereich der rechten Flanke auf Höhe der fahrerseitigen Türen rammte, wobei die Tatvollendung mangels Eintritts einer schweren Verletzung scheiterte,

2./ Agron Z***** nach der zu A./1./ geschilderten Tat dem Fazli D*****, indem er ihm mit einer Luftpumpe unzählige heftige Schläge gegen Kopf und Körper sowie auch mehrere Fußtritte versetzte, wobei die Tatvollendung nur aufgrund der Intervention Dritter und mangels des Eintritts einer schweren Verletzung scheiterte;

B./ Fazli D*****

durch die zu A./1./2./ geschilderte Tat grob fahrlässig (§ 6 Abs 3 StGB)

1./ nachgenannte Personen dadurch, dass der PKW des Agron Z***** durch den wuchtigen Anstoß gegen einen PKW der Marke VW geschleudert wurde, am Körper verletzt, und zwar

1./1./ dessen Lenker Vyacheslav G***** sowie

1./2./ den Beifahrer Khansan A*****,

welche im Urteil näher bezeichnete Verletzungen erlitten;

2./ eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit für die Fußgänger Iris K***** und Christian K***** herbeigeführt, die aufgrund des Umstands, dass der neben ihnen befindliche PKW der Marke VW kollisionsbedingt ihrerseits versetzt wurde, zur Seite springen mussten, um sich vor einem „Zusammenprall“ zu retten;

3./ durch die zu A./1./ und B./1./ geschilderten Taten fremde Sachen, nämlich die erwähnten PKW der Marke Audi und der Marke VW beschädigt oder unbrauchbar gemacht und dadurch einen 5.000 Euro, nicht jedoch 30.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt,

C./ (vor den zu A./ und B./ geschilderten Taten) Agron Z***** und Liridon Z***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter den Fazli D***** vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht, indem sie Schläge gegen den am Fahrersitz des PKW der Marke Mercedes Benz Befindlichen führten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Fazli D*****, der keine Berechtigung zukommt.

Die Mängelrüge ist vorweg darauf hinzuweisen, dass die Behauptung einer offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) stets sämtliche beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter in Ansehung der bekämpften Feststellung berücksichtigen muss, widrigenfalls sie ihren gesetzlichen Bezugspunkt verfehlt (RIS-Justiz RS0119370 [T1]).

Betreffend die Begründung der Feststellungen zu A./1./ lässt die Nichtigkeitsbeschwerde außer Acht, dass das Erstgericht diesbezüglich aus den äußeren Umständen einen Schluss auf die Absichtlichkeit des Angeklagten zog (US 13), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist (vgl RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, es stelle sich in einem „außerordentlichen Maß die Frage der subjektiven Tatseite, nämlich ob er nach den gegen ihn gerichteten Angriffen betreffend Faktum C./ überhaupt noch auf der subjektiven Seite fähig war, bewusst und absichtlich zu handeln oder nicht“, übt bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Auch betreffend die Feststellung der Zurechnungsfähigkeit des Nichtigkeitswerbers haftet dem angefochtenen Urteil kein Begründungsmangel (Z 5) an. Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde hier von einer willkürlichen Annahme „auf dem Niveau einer unstatthaften Vermutung zu Lasten des Erstangeklagten“ spricht (Z 5 vierter Fall), übergeht sie die erstrichterliche Beweiswürdigung, welche sich ausführlich mit den Gutachten der gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Regina Ga***** und des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Manfred W***** sowie mit dem vom Rechtsmittelwerber eingeholten und in der Hauptverhandlung verlesenen „Privatgutachten“ (vgl hingegen RIS-Justiz RS0118421, RS0115646 [insbesondere T8, T10, T11], RS0097292) von Dr. Martin H***** auseinandergesetzt hat (vgl US 13 ff, insbesondere US 14 betreffend den Ausschluss einer vom Angeklagten behaupteten Gehirnerschütterung vor der ersten Rammung aus gerichtsmedizinischer Sicht und US 17 betreffend das rationale und zielgerichtete Handeln des Nichtigkeitswerbers bei der Tatbegehung als auch danach und betreffend von ihm vollzogene Wendemanöver und seine Fähigkeit, durch ein enges Tor zu fahren).

Mit der Behauptung, die Feststellungen betreffend die Zurechnungsfähigkeit des Rechtsmittelwerbers wären aktenwidrig (Z 5 letzter Fall), verkennt die Mängelrüge, dass Aktenwidrigkeit nur vorliegen kann, wenn die Entscheidungsgründe den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder eines anderen Beweismittels in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergeben (RIS-Justiz RS0099547 [insbesondere T9], RS0099431). Ein derartiges Fehlzitat zeigt die Beschwerdeschrift mit ihren Ausführungen zu den bereits erwähnten Sachverständigengutachten nicht auf, vielmehr wendet sie sich neuerlich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung. Das gilt auch für die Berufung auf den

Zweifelsgrundsatz (RIS-Justiz RS0098534).

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, das Erstgericht hätte feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer sehr wohl durch die seinen Taten vorangegangenen Schläge (C./ des Schuldspruchs) verletzt wurde, und behauptet, die diesbezügliche Negativfeststellung wäre nur offenbar unzureichend begründet worden (Z 5 vierter Fall), spricht sie keinen für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage betreffend den Nichtigkeitswerber entscheidenden Umstand an (RIS-Justiz RS0099497, RS0117499).

Der Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583). Diese Anfechtungsvoraussetzungen verfehlt die vorliegende Tatsachenrüge mit ihren Ausführungen zu den bereits erwähnten Sachverständigengutachten. Betreffend das „Privatgutachten“ wird überdies verkannt, dass nur dessen Befund zu erheblichen Bedenken im Sinne der Z 5a Anlass geben kann (RIS-Justiz RS0118421 [T2], RS0115646 [T5]). Das Vorbringen, aus den drei Gutachten ergäbe sich – wenn schon keine Gehirnerschütterung – wenigstens eine Beeinträchtigung aufgrund der (vorangegangenen) Schläge durch den Zweit- und den Drittangeklagten, weshalb die subjektive Tatseite beim Rechtsmittelwerber zu verneinen wäre, ist nicht nachvollziehbar.

Als Aufklärungsrüge (Z 5a) moniert die Nichtigkeitsbeschwerde das Fehlen einer mündlichen Gutachtenserörterung bzw Gutachtensergänzung durch die erwähnten Sachverständigen sowie das Unterlassen der Beiziehung eines neurologischen Sachverständigen durch das Erstgericht, macht aber nicht klar, wodurch der anwaltlich vertretene Angeklagte gehindert gewesen wäre, insofern zweckentsprechende Anträge in der Hauptverhandlung zu stellen (RIS-Justiz RS0115823). Weshalb der Verteidiger davon ausgehen konnte, dass das Schöffengericht „die drei medizinischen Gutachten widerspruchsfrei nebeneinander bestehen lässt (somit das Privatgutachten als Ergänzung der beiden anderen betrachtet)“, und aus dem Umstand, dass das Erstgericht die Sachverständigen nicht zur Hauptverhandlung lud, sondern lediglich die Gutachten verlas, schließen konnte, dass „entweder ein Freispruch oder zumindest eine unmittelbare Enthaftung des Erstangeklagten bevorstehen muss“, bleibt offen. Betreffend die vom Verteidiger erwartete „unmittelbare Enthaftung“ ist der Nichtigkeitsbeschwerde überdies zu entgegnen, dass der Angeklagte aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO nur vor überraschenden Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen geschützt wird (RIS-Justiz RS0125372).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E123552

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00135.18X.1206.000

Im RIS seit

20.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten