TE OGH 2018/11/6 5Ob170/18p

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Veröffentlicht am 06.11.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin G*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Vanis Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin W***** GmbH & Co, *****, vertreten durch Dr. Eike Lindinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 16 Abs 2 MRG über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Mai 2018, GZ 39 R 4/18d-77, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 19. Oktober 2017, GZ 7 Msch 1/16g-70, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin binnen 14 Tagen deren mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist Mieterin, die Antragsgegnerin Vermieterin der Wohnung Top 19 im Haus ***** W*****. Gegenstand des Verfahrens ist die Überprüfung des Hauptmietzinses. Im Revisionsrekursverfahren ist nur mehr der Lagezuschlag, den die Vorinstanzen übereinstimmend mit 3,12 EUR monatlich pro m² als gerechtfertigt erachteten, und das Ausmaß der Zuschläge für den Erstbezug nach Sanierung, den Telekabel-, Telefon- und Waschmaschinenanschluss sowie die Gegensprechanlage strittig, die das Erstgericht mit insgesamt 19 %, das Rekursgericht hingegen mit 14 % veranschlagte.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, wie der zulässige Lagezuschlag nach § 16 Abs 3 MRG zu berechnen sei, wenn keine unbebauten Vergleichsliegenschaften vorhanden seien bzw ob in einem solchen Fall auch auf solche mit abbruchreifen, wertlosen Gebäuden als Vergleichsliegenschaften zurückgegriffen werden dürfe.

Der – von der Antragsgegnerin beantwortete – ordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin, mit dem sie auf eine Abänderung dahin abzielt, dass der gesetzlich zulässige Nettohauptmietzins für die Wohnung zum Stichtag 8. 2. 2011 ohne Berücksichtigung eines Lagezuschlags und einem Zuschlag nur für Erstbezug nach Sanierung von 10 % mit nur 408,54 EUR monatlich festgestellt werde, ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig. Er zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG).

Rechtliche Beurteilung

1.1. Grundsätzlich kann eine im Berufungsverfahren unterbliebene oder nicht gehörig ausgeführte Rechtsrüge im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0043480). Dies gilt auch dann, wenn sich die Rechtsrüge in der Berufung nur auf eine von mehreren Ansprüchen oder einen von mehreren Punkten der angefochtenen Entscheidung bezieht (RIS-Justiz RS0043480 [T22]; RS0043573 [T2, T33, T36, T43]). Diese Grundsätze sind auch auf Revisionsrekurse in Verfahren nach § 37 MRG, in denen das Rekursgericht funktionell gleich einem Berufungsgericht tätig wird, anzuwenden (5 Ob 6/00v).

1.2. Hier hat die Antragstellerin zwar im Verfahren erster Instanz zunächst die Berechtigung eines Lagezuschlags dem Grunde nach mit der Behauptung bestritten, ihre Wohnung liege in einem Gründerzeitviertel. Sie hat diesen Einwand allerdings nach Erstattung der Ergänzungsgutachten des Sachverständigen im Schriftsatz vom 31. 5. 2017 (ON 61) zurückgezogen und den von der MA 25 berechneten Lagezuschlag von 0,96 EUR pro m² Nutzfläche nicht nur als richtig bezeichnet, sondern sogar ausdrücklich anerkannt. Folgerichtig enthielt die Rechtsrüge ihres Rekurses in Bezug auf den Lagezuschlag nur Ausführungen betreffend dessen Höhe und die vom Sachverständigen gewählte Berechnungsmethode; die überdurchschnittliche Lage iSd § 16 Abs 2 Z 3 MRG bezweifelte die Antragsgegnerin hingegen in ihrem Rekurs nicht. Das Rekursgericht ging somit zutreffend davon aus, dass in Ansehung des Lagezuschlags nur dessen Höhe bzw die Methode seiner Berechnung Gegenstand des Rekursverfahrens war. Soweit die Antragstellerin erstmals im Revisionsrekurs versucht, die Zulässigkeit des Lagezuschlags unter Hinweis auf die Entscheidung 5 Ob 74/17v (= immolex 2018/25 [krit Kothbauer; zust Rosifka] = wobl 2018/29 [krit Vonkilch] = ZLB 2018/29 [krit Hauswirth]) in Zweifel zu ziehen, ist dies daher unzulässig und kann schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage begründen. Im Übrigen stellte der erkennende Senat entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung in der genannten Entscheidung als Vergleichsmaßstab für die Ermittlung der Durchschnittslage gerade nicht auf das unmittelbar angrenzende Wohngebiet
– nämlich die dort angeführten sechs Häuserblöcke – ab.

2.1. Nach gefestigter Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0114795) enthält § 16 Abs 3 MRG genaue Anweisungen über die Ermittlung des Lagezuschlags, weshalb er nicht unter Anwendung des § 273 ZPO nach Ermessen des Gerichts festgesetzt werden darf. Zur Ermittlung der Lagezu- und -abschläge ist nach gesetzlicher Anordnung zunächst der der Lage des Hauses entsprechende Grundkostenanteil je m² Nutzfläche zu berechnen. Dazu bedarf es der Feststellung der in dieser Gegend üblichen Grundpreise für unbebaute, aber für Wohnbauten geeigneten Grundstücke (idS ist § 16 Abs 3 MRG – der überwiegenden Lehre folgend – berichtigend auszulegen) durch einen Realitätensachverständigen und – allenfalls mithilfe eines Bausachverständigen – der Umlegung dieser Preise auf die unter Berücksichtigung der Bauvorschriften erzielbaren Wohnnutzflächen. Von der Differenz zwischen dem auf diese Weise errechneten und dem der Richtwertfestsetzung zugrunde gelegten Grundkostenanteil (§ 3 Abs 2 und Abs 5 RichtWG), der aus dem gemäß § 4 Abs 1 RichtWG mit dem Richtwert kundgemachten Prozentanteil rückgerechnet werden kann, bilden 0,33 % den Lagezuschlag bzw Lageabstrich.

2.2. Die Vorgangsweise der Vorinstanzen bei der Ermittlung des Lagezuschlags entsprach grundsätzlich diesen Vorgaben. Da nach den Feststellungen ein Auffinden von Vergleichsdaten für Grundpreise für unbebaute Liegenschaften in der bewertungsgegenständlichen Gegend (dicht verbautes innerstädtisches Gebiet) nicht nur schwierig, sondern unmöglich gewesen war, griff das Erstgericht allerdings – dem Sachverständigengutachten folgend – auf Transaktionsdaten von Liegenschaften zurück, deren Bebauung keinen wirtschaftlichen Wert mehr dargestellt hatte und stellte für die Liegenschaft einen Grundkostenanteil zum Stichtag 1. 2. 2011 von gerundet 1.200 EUR pro m² fest. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung über den Einzelfall hinaus wirft dies nicht auf:

3.1. Die von einem Sachverständigen zur Gewinnung von Tatsachenfeststellungen anzuwendenden Regeln der Wissenschaft, Sachkunde und Kunstfertigkeit sind Erfahrungsgrundsätze zur Gewinnung des Sachverhalts; ihre Anfechtung betrifft die rechtliche Beurteilung grundsätzlich nur insoweit, als dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze und zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (RIS-Justiz RS0043122). Die Ermittlung des Verkehrswerts eines Grundstücks gehört daher dem Tatsachenbereich an (RIS-Justiz RS0043122 [T7, T11, T12]). Auch die Wahl der Bewertungsmethode ist als eine nicht dem Tatsachenbereich angehörige Frage vom Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn das Rekursgericht die vom Sachverständigen gewählte Bewertungsmethode ohne Änderung der Sachverhaltsgrundlagen aufgrund abstrakter Argumente modifiziert und hiedurch zu anderen Ergebnissen gelangt als die Sachverständigen und das diesen folgende Erstgericht (RIS-Justiz RS0043517). Besteht für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen keine gesetzliche vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht (RIS-Justiz RS0118604); demgemäß entziehen sich etwa die Fragen der Ermittlung des marktüblichen Mietzinses, der die Grundlage für die rechtliche Beurteilung bei der richterlichen Festsetzung des angemessenen Mietzinses bildet, der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (5 Ob 137/08w mwN).

3.2. Hier hatte sich der Sachverständige an den rechtlichen Vorgaben des § 16 Abs 3 MRG zu orientieren. Seine Aufgabe war es, aufgrund seiner einschlägigen Fachkenntnisse die Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gerichtsauftrag maßgeblichen strittigen Tatfragen am besten eignet (RIS-Justiz RS0119439). Dies hat er dadurch getan, dass er aufgrund der Unmöglichkeit unbebaute Vergleichsobjekte in der Umgebung des Bestandobjekts aufzufinden, im Rahmen der Vergleichswertmethode auf Transaktionen zurückgegriffen hat, bei denen die keinen Wert mehr darstellende Bebauung abgerissen wurde. Im Wortlaut des § 16 Abs 3 MRG ist dies gedeckt; auch im Rahmen einer berichtigenden Auslegung des Begriffs „bebaut“ im Sinn der herrschenden Lehre ist es jedenfalls vertretbar, entsprechend der von Schinnagl/Gröschl (Jahrbuch Wohnrecht 2017, 157 [166]) vertretenen Auffassung Liegenschaften mit abbruchreifen wertlosen Gebäuden, deren Sanierung technisch nicht machbar oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar ist, unbebauten Liegenschaften zumindest dann gleichzustellen, wenn die Ermittlung eines Grundkostenanteils nach § 16 Abs 3 MRG mangels Vergleichsobjekten sonst scheitern müsste. Die Entscheidung 5 Ob 78/06s steht dem nicht entgegen, hatte der Sachverständige dort doch den Grundkostenanteil aus dem Kaufpreis für eine Eigentumswohnung rückgerechnet, was den Vorgaben von § 16 Abs 3 MRG jedenfalls widersprach. Zu bebauten Liegenschaften mit abbruchreifen, wertlosen Gebäuden nahm der Fachsenat dort gar nicht Stellung, die Unmöglichkeit der Ermittlung eines Grundkostenanteils anhand unbebauter Liegenschaften war dort nicht nachgewiesen. Ein Widerspruch zu dieser Entscheidung ist daher nicht zu erkennen. Dass die Bebauung auf den hier vom Sachverständigen herangezogenen Vergleichsliegenschaften wertlos war, haben die Vorinstanzen übereinstimmend festgestellt, dabei handelt es sich um eine Tatsachenfrage, die der Beurteilung des Höchstgerichts auch im Außerstreitverfahren entzogen ist (RIS-Justiz RS0007236). Dies gilt auch für die Höhe der für die Vergleichsobjekte bezahlten Grundkostenanteile, die das Erstgericht – wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – dem Sachverständigengutachten folgend ausdrücklich festgestellt hat. Damit hielt sich die Vorgangsweise des Sachverständigen und der Vorinstanzen bei der Ermittlung des Grundkostenanteils in dem von § 16 Abs 3 MRG vorgegebenen Rahmen und ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG liegt nicht vor.

4.1. Die Berechtigung und die Höhe von Abschlägen bzw Zuschlägen zum Richtwertmietzins hängen regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0116132 [T2]; RS0117881 [T1]). Grundsätzlich ist es mit der in § 16 Abs 2 MRG geforderten Orientierung an der allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens unvereinbar, alle (auch die winzigsten) Ausstattungsdetails gesondert zu bewerten und die so gewonnenen Zuschläge einfach zusammenzuzählen. Geboten ist vielmehr eine Gesamtschau, weil auch der Wert der Wohnung nur insgesamt erfassbar ist bzw erlebt wird. Die Auflistung und Bewertung einzelner Fakten kann dabei nur ein Kontrollinstrument sein; die Justierung im Einzelfall hat nach richterlichem Ermessen zu erfolgen (RIS-Justiz RS0117881). Dass das Rekursgericht den im eingeräumten Ermessensspielraum hier in unvertretbarer Weise verlassen hätte, vermag der Revisionsrekurs nicht aufzuzeigen:

4.2. Ein Zuschlag von 10 % für den Erstbezug nach Generalsanierung steht im Einklang mit der überwiegenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung (5 Ob 133/10k; 5 Ob 240/10w; 5 Ob 224/13x). Wenn das Rekursgericht davon ausging, dass damit allein nicht sämtliche Ausstattungsmerkmale, die in einer modernen Wohnung erwartet werden können, abgedeckt werden, sondern Anschlüsse für Telefon, Telekabel, Waschmaschine und Gegensprechanlage als Sonderausstattung mit jeweils einem Zuschlag von je 1 % zu veranschlagen sind, ist dies jedenfalls vertretbar. Vergleichsmaßstab ist ja die mietrechtliche Normwohnung als Wohnung in einem Althaus (RIS-Justiz RS0115605) und der Fachsenat hat in vergleichbaren Fällen bereits in dem Sinn judiziert (vgl 5 Ob 168/01v; 5 Ob 230/02p).

5. Damit war der ordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG; nach Billigkeit hat die zur Gänze unterlegene Antragstellerin die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen, die gemäß § 10 Z 3 lit a lit bb RATG allerdings nur auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 1.500 EUR zu honorieren ist. Auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hat die Antragsgegnerin hingewiesen (RIS-Justiz RS0122294 [T1, T2]; RS0122774).

Textnummer

E123487

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00170.18P.1106.000

Im RIS seit

14.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

05.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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