TE OGH 2018/6/28 6Ob88/18m

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Veröffentlicht am 28.06.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S***** S*****, vertreten durch Dr. Alois Schneider, Rechtsanwalt in Rattenberg, und dessen Nebenintervenientin S***** M*****, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in Zell am See, gegen die beklagte Partei R***** L*****, vertreten durch Mag. Manfred Seidl und andere Rechtsanwälte in Zell am See, wegen Unterlassung und Widerrufs (Streitwert jeweils 4.360 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 14. Februar 2018, GZ 53 R 274/17a-67, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 18. August 2017, GZ 15 C 57/16b-59, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Fall, insbesondere für die Frage, ob eine Mitteilung an die Ärztekammer auch dann einen Rechtfertigungsgrund nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB darstellen kann, wenn es in dieser Mitteilung nicht um das Verhältnis Arzt – Patient ging, und zur Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen ein auf Angaben eines Zeugen aufbauendes Werturteil zulässig ist.

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass das Fehlen einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem „vergleichbaren Fall“ ebenso wenig eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO begründet (RIS-Justiz RS0102181) wie die Frage, ob der Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB im konkreten Fall als erfüllt anzusehen ist (vgl 6 Ob 20/18m). Und schließlich hängt auch die Frage, wie eine Äußerung im Einzelfall zu verstehen ist, so sehr von den Umständen des konkreten Falls ab, dass dieser Frage keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt und sie daher keine erhebliche Rechtsfrage bildet (4 Ob 18/04g; vgl auch 6 Ob 160/99v).

2. Es gelingt aber auch der Revision nicht, eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen:

2.1. Nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB besteht keine Haftung für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte. Vor diesem Hintergrund sind Straf- und Disziplinaranzeigen an die zuständigen Stellen grundsätzlich gerechtfertigt (RIS-Justiz RS0031927 [T5]; vgl auch 6 Ob 60/97k [Schreiben an die Anwaltskammer als Standesbehörde/Disziplinarbehörde]); es wird generell bei Anzeigen an Behörden ein berechtigtes Interesse angenommen, damit diese bedenkliche Sachverhalte überprüfen können (RIS-Justiz RS0031927 [T6]).

Die Eingabe ist an die zuständige Behörde zu richten, weil unzuständige Behörden kein berechtigtes Interesse an der Mitteilung haben (RIS-Justiz RS0107664; zuletzt 6 Ob 20/18m). Auch privates Fehlverhalten eines Arztes kann für dessen Disziplinarbehörde relevant sein. Dass nicht nur auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient abzustellen ist, ergibt sich in aller Deutlichkeit bereits aus der Formulierung des § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998, wonach ein Disziplinarvergehen auch dann vorliegt, wenn ein Arzt im Inland oder im Ausland das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch sein Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigt. In diesem Sinne führte auch der Verwaltungsgerichtshof (Ra 2015/09/0044) aus, dass § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 allgemeine Standespflichten festlegt, wonach der Arzt in seinem gesamten Verhalten und auch außerhalb der Ausübung seines Berufs auf die Wahrung des Standesansehens zu achten hat. Dabei geht es um die allgemeine Wertschätzung, die die in Österreich tätige Ärzteschaft in der Öffentlichkeit genießt beziehungsweise nach dem Willen des Gesetzgebers genießen soll. Beim außerberuflichen Verhalten ist für die Wahrung des Standesansehens die Möglichkeit von Rückschlüssen von Bedeutung, die aus dem Verhalten des Arztes auf seine berufliche Tätigkeit oder die berufliche Tätigkeit der in Österreich tätigen Ärzte gezogen werden können. Damit kann aber ein berechtigtes Interesse der Ärztekammer an behaupteten Verfehlungen eines Arztes bei seinem Verhalten außerhalb der Ausübung seines Berufs nicht zweifelhaft sein.

Die von der Beklagten zu verantwortende Mitteilung an die Ärztekammer betreffend den Kläger enthielt konkrete Vorwürfe etwa dahin, dieser mische sich in die Familie der Beklagten ein, er übe Druck aus und dergleichen. Ein solches Vorbringen enthält ausreichend Substrat, um ein Tätigwerden der Ärztekammer als Standesbehörde/Disziplinarbehörde auszulösen. Eine besondere Sorgfaltspflicht des Anzeigers dahin, die Verdachtsgründe auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen und das Für und Wider selbst abzuwägen, besteht entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung nicht. Dies würde dem öffentlichen Interesse, den Behörden Kenntnis von Handlungen zu verschaffen, widersprechen. Es genügt daher grundsätzlich das Vorliegen nicht offenkundig bereits widerlegter Verdachtsgründe für die Annahme, dass eine Strafanzeige nicht wider besseres Wissen und somit rechtmäßig erstattet wurde (RIS-Justiz RS0031957); dies gilt auch für Disziplinaranzeigen (vgl RIS-Justiz RS0031957 [T1]).

2.2. Bei der Beurteilung des vertraulichen Charakters einer Mitteilung kommt es auch auf die erkennbare Absicht des Mitteilenden an (RIS-Justiz RS0031972 [T1]). Damit begründen aber hier die Weiterleitung des von der Beklagten zu verantwortenden Schreibens (E-Mail) durch die Ärztekammer an den Kläger, damit dieser sich dazu äußern kann, und die Kenntnisnahme des Schreibens durch dessen Mitarbeiterin noch keine Verantwortung der Beklagten, zumal sonst derartige Eingaben kaum jemals privilegiert wären; es ist naheliegend, dass eine Behörde, bei der ein Sachverhalt angezeigt wird, den Angezeigten zu einer Stellungnahme auffordert. In diesem Sinne wurde bereits in der Entscheidung 3 Ob 940/34 (SZ 17/68) erwogen, es könne einen Anzeiger nicht belasten, dass das von ihm bei der Behörde Angezeigte in der Folge in die Öffentlichkeit gelangte (vgl auch Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1330 ABGB Rz 26). Dies steht auch durchaus mit dem Grundsatz in Einklang, wonach der Nichtöffentlichkeit die Zugänglichkeit für mehrere Personen (etwa eine Sekretärin) nicht entgegensteht, wenn mit einer Weitergabe an außenstehende Personen nicht zu rechnen war; mit einer Weitergabe muss regelmäßig dort nicht gerechnet werden, wo bezüglich der erhaltenen Mitteilung eine gesetzliche oder vertragliche Verschwiegenheitspflicht besteht (Reischauer aaO). Eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht besteht aber sowohl für Ärzte und ihre Hilfspersonen (§ 54 ÄrzteG 1998) als auch für sämtliches Personal der Ärztekammern (§ 89 ÄrzteG 1998). Was die Kenntnisnahme der Mitteilung durch die Mitarbeiterin (Sprechstundenhilfe) des Klägers betrifft, so ist außerdem zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung die Gefahr eines Eintritts von Schäden im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB nicht gegeben ist, wenn eine Mitteilung an eine Vertrauensperson des Beleidigten (etwa seine Chefsekretärin, welche die Erlaubnis hatte, Privatschreiben zu öffnen) gelangte (RIS-Justiz RS0032381).

Dass die Beklagte mit ihren Vorwürfen gegen den Kläger auch den Bezirkshauptmann und die Nebenintervenientin sowie deren Ehemann konfrontierte, bedarf im Revisionsverfahren insoweit keiner weiteren Erörterung, als sich der Kläger im Verfahren erster Instanz lediglich auf die E-Mail an die Ärztekammer und die Äußerungen der Beklagten in einem Parallelprozess (vgl 3.), nicht jedoch auf das Gespräch mit dem Bezirkshauptmann bezogen und seine Ansprüche auch nicht auf dieses gestützt hat; dies gilt auch für den Ehemann der Nebenintervenientin. Hinsichtlich der Nebenintervenientin wiederum ist zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte an diese gewendet hatte, um sie um Hilfe zu ersuchen. Nach der Entscheidung 6 Ob 28/17m liegt ein privilegiertes Prozessvorbringen auch dann vor, wenn eine Prozesspartei einen Freund bittet, einen Schriftsatz, den sie bei Gericht als Vorbringen erstatten will, Korrektur zu lesen. Nichts anderes kann aber gelten, wenn die Beklagte die Nebenintervenientin (ihre Nichte) bat, das E-Mail an die Ärztekammer zu formulieren.

2.3. Das Berufungsgericht hat das Schreiben der Beklagten an die Ärztekammer somit in durchaus vertretbarer Weise als im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB gerechtfertigt angesehen.

3. Als gerechtfertigt angesehen werden nach der Rechtsprechung auch Äußerungen im Rahmen eines Prozesses (vgl RIS-Justiz RS0031998). Der Rechtfertigungsgrund steht unabhängig von der Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit des Prozesses, in dem die bekämpften Behauptungen aufgestellt wurden, zu; auf die mangelnde Vertraulichkeit der Mitteilung kommt es bei der Beurteilung von Prozessbehauptungen nicht an (RIS-Justiz RS0031998 [T5]). Der Rechtfertigungsgrund steht lediglich bei wissentlich falschen Behauptungen nicht zur Verfügung, weil vorsätzlich falsche Anschuldigungen mit dem Interesse am Funktionieren der Rechtspflege nicht gerechtfertigt werden können. Die dargestellten Grundsätze finden auch dann keine Anwendung, wenn eine Prozesspartei nicht Behauptungen aufstellt, sondern (lediglich) den Prozessgegner bzw dessen Rechtsanwalt beschimpft; insoweit sind ja weder der Wahrheitsbeweis noch der Beweis der Kenntnis der Unrichtigkeit der Äußerung denkmöglich (RIS-Justiz RS0105665 [T3]). Diese Grundsätze gelten infolge völlig gleichgelagerter Problemstellung auch für Aussagen eines Zeugen (6 Ob 146/01s).

Damit ist es aber nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Äußerungen der Beklagten (über den Kläger) als Zeugin in einem Parallelverfahren als gerechtfertigt angesehen hat. Der Standpunkt der Revision, es habe sich bei der Äußerung, der Kläger sei „bösartig“, um eine bloße Beschimpfung zur Herabsetzung des Klägers gehandelt, ist nicht zu teilen. Tatsächlich ging es im Parallelprozess um die Herausgabe eines Schlüssels, wobei sich der Kläger bereits zuvor in diese Auseinandersetzung eingemischt und einen der Beklagten gegenteiligen Standpunkt eingenommen hatte.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

Schlagworte

Bösartiger Mensch,

Textnummer

E122243

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00088.18M.0628.000

Im RIS seit

31.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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