TE OGH 2017/5/24 9ObA18/17p

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Veröffentlicht am 24.05.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und Werner Krachler in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. M***** F*****, vertreten durch Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D***** F***** GmbH, *****, 2. D***** I***** GmbH, *****, 3. C***** D*****, alle vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.112.891,52 EUR sA, Feststellung und Dienstzeugnis (Revisionsinteresse: 2.092.640,34 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 2016, GZ 10 Ra 70/16m-72, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Bei der Frage, ob „überschießende“ Feststellungen in den Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrundes oder der Einwendungen fallen und daher nach ständiger Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, handelt es sich um eine nicht revisible Frage des Einzelfalls, die nur in Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz aufzugreifen wäre (s RIS-Justiz RS0037972 [T15, T16]; RS0040318 [T3]). Das ist hier nicht der Fall:

Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass die Beklagten den Ansprüchen des Klägers das Fehlen einer entsprechenden Vereinbarung entgegenhielten, womit sie jedenfalls auch deren Zustandekommen bestritten. Danach ist es nicht weiter korrekturbedürftig, wenn das Berufungsgericht alle Feststellungen, die das Nichtzustandekommen der vom Kläger behaupteten Vereinbarungen betreffen, als vom Vorbringen der Beklagten gedeckt erachtete.

2. Inhaltlich beruft sich der Kläger auf die Wirksamkeit der in Ergänzung zu seinem Dienstvertrag als Geschäftsführer der Erstbeklagten unterzeichneten Urkunden Beil ./E und ./F.

2.1. Die Auslegung von (konkludenten) Willenserklärungen im Einzelfall ist vom Obersten Gerichtshof – von groben Auslegungsfehlern und sonstigen krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – nicht zu überprüfen (RIS-Justiz RS0042555 [T28]). Auch die Beurteilung, ob zwischen den Prozessparteien überhaupt eine Vertragsbeziehung anzunehmen ist oder nicht, betrifft die Vertragsauslegung und daher ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage, weil sie von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig ist (RIS-Justiz RS0042776 [T37]).

2.2. Für die Wirksamkeit eines Vertrags ist die Einigung der Vertragsteile über den Vertragsinhalt und die ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des Abschlusswillens erforderlich (RIS-Justiz RS0038607; RS0013984 [T4]). Ob die Parteienvereinbarung in diesem Sinn schon vollständig ist, muss mit den Mitteln der Auslegung ergründet werden (RIS-Justiz RS0013968). Dafür gilt die Vertrauenstheorie, das heißt der Erklärende ist an seine Erklärung gebunden, wenn der Gegner berechtigterweise auf sie vertraut hat (RIS-Justiz RS0017884). Es gilt also nicht das, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat; die aus einer Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen sind vielmehr danach zu beurteilen, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage gemessen am Empfängerhorizont zu verstehen war (RIS-Justiz RS0113932; RS0014205). Entsprechend der Vertrauenstheorie ist der Empfängerhorizont sowohl für die Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, als auch für die Bestimmung ihres Inhalts maßgeblich (Bollenberger in KBB, ABGB4 § 863 Rz 3 mwN). Soweit der Erklärungsempfänger auf eine bestimmte Bedeutung nicht vertrauen durfte, fehlt es an einer dem anderen zurechenbaren Erklärung, sodass sich eine Anfechtung nach § 871 ABGB erübrigt (Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB IV4 § 871 Rz 28 mwN).

2.3. Diese Grundsätze sind auch in dem Fall, dass jemand eine Urkunde ungelesen unterfertigt, nicht außer Acht zu lassen. Grundsätzlich muss zwar im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs derjenige, der eine Urkunde ungelesen unterschreibt, deren Inhalt als seine Erklärung gegen sich gelten lassen (s RIS-Justiz RS0017267). Derjenige, der eine Urkunde unterfertigt, macht den durch seine Unterschrift gedeckten Text auch dann zum Inhalt seiner Erklärung, wenn er den Text nicht gekannt hat (RIS-Justiz RS0014893; RS0014753). Dies gilt zumindest dann, wenn der Inhalt der Urkunde nicht als ungewöhnlich anzusehen ist (RIS-Justiz RS0014893 [T8], zuletzt etwa 3 Ob 194/10s), und nur, wenn der andere Teil aus den Umständen nicht etwas anderes entnehmen musste (RIS-Justiz RS0014893 [T12]; RS0014753 [T12]). Denn auch bei „ungelesenem“ Unterfertigen einer Urkunde ist es für die Geltung als Willenserklärung notwendig, dass der die Erklärung Abgebende Rechtsfolgen herbeiführen will. Ist das erkennbar nicht der Fall, kann keine wirksame Willenserkärung angenommen werden (RIS-Justiz RS0014893 [T18], RS0014753 [T17]; s auch das Bsp in Koziol-Welser/Klete?ka, Bürgerliches Recht I14 Rz 472).

2.4. Nach all dem wäre für den Standpunkt des Klägers daher nur dann etwas gewonnen, wenn er das Verhalten des Drittbeklagten nach Treu und Glauben als Zustimmung zu den Urkundentexten verstehen hätte dürfen. Hier hatte der Kläger in die Urkunden von ihm vorbereitete Inhalte (Zusage einer zusätzlichen Prämie, mehrjähriger Kündigungsverzicht, persönliche Garantieerklärung des Drittbeklagten, freiwillige Abfertigung) im Wissen aufgenommen, dass der Drittbeklagte die Angewohnheit hatte, ihm vorgelegte Urkunden ungelesen zu unterfertigen. Der Kläger wies ihn auf die genannten Vertragspunkte auch nicht hin. Der Dritte unterzeichnete die Verträge im Vertrauen auf den Kläger, ohne sie durchgelesen zu haben und wusste daher insbesondere nicht, dass sie auch die Zusage zusätzlicher Prämien, Kündigungsverzichte und persönliche Haftungserklärungen enthielten. Dabei steht auch zu Beil ./E explizit fest, dass der Drittbeklagte sie unterzeichnete, „ohne die dort enthaltenen Änderungen … gewollt zu haben“. Der Kläger behielt die Originale jeweils bei seinen Unterlagen. Die Vereinbarungen gelangten nie in die Personalabteilung. Das Erstgericht kam zum Schluss, dass der Kläger, der das übliche Verhalten des Drittbeklagten in Hinblick auf die Unterfertigung von Urkunden kannte, diesem die fraglichen Vertragsinhalte untergeschoben hatte. Wenn die Vorinstanzen hier mangels eines Verhaltens des Drittbeklagten, das der Kläger redlicherweise als Abschlusswille des Drittbeklagten zu den Urkundeninhalten verstehen durfte, keine – allenfalls anfechtbare – Einigung über die strittigen Änderungen und Ergänzungen zum ursprünglichen Dienstvertrag des Klägers sahen, so ist dies nach der Lage des Falles vertretbar.

3. Inwiefern bei dieser Beurteilung eine Mangelhaftigkeit oder Nichtigkeit des Berufungsverfahrens vorliegen soll (Revision S 15), wird nicht näher dargelegt.

4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Textnummer

E121121

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00018.17P.0524.000

Im RIS seit

11.04.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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