TE OGH 2017/11/15 1Ob133/17s

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Veröffentlicht am 15.11.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätinnen Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Kodek als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin M***** A*****, vertreten durch Mag. Alfred Hütteneder, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, gegen den Antragsgegner F***** A*****, vertreten durch Dr. Hans Wabnig, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 30. Mai 2017, GZ 21 R 52/17v-28, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 20. Dezember 2016, GZ 31 Fam 53/15m-24, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im Umfang der Leistung einer Ausgleichszahlung von 1.000 EUR durch den Antragsgegner an die Antragstellerin mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Ehe der Parteien, die 47 Jahre verheiratet waren, wurde mit Urteil des Erstgerichts vom (richtig:) 18. 8. 2014 aus dem überwiegenden Verschulden des Antragsgegners rechtskräftig geschieden. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist seit November 2008 aufgehoben.

Der Antragsgegner hatte in die Ehe zwei Liegenschaften samt der dazugehörigen Landwirtschaft eingebracht. Darauf befand sich ein mehrere Jahrhunderte altes Haus. Die Parteien beschlossen kurz nach ihrer Hochzeit im Jahr 1967, ein Haus zu errichten. Dieses wurde zum Teil in Eigenregie errichtet. Beide Parteien wirkten am Hausbau mit. Die Antragstellerin erhielt 1968 von ihrer Familie 100.000 S, die sie für den Hausbau verwendete. Später erhielt sie noch zwei Mal 25.000 S, die jedoch nicht für den Hausbau verwendet wurden, sondern zunächst 1974 für die Einrichtung des Hauses mit Möbeln und 1983 für eine Melkmaschine. Diese Melkmaschine funktioniert nicht mehr und ist daher nicht mehr in Verwendung.

Die Antragstellerin kümmerte sich allein um die Kindererziehung sowie um den ehelichen Haushalt. Der Antragsgegner ging von Beginn an seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Maurer nach. Die Landwirtschaft wurde von beiden Parteien geführt und war vorwiegend auf Milch- und Fleischwirtschaft ausgerichtet; daneben wurde auch noch selbst produzierter Schnaps verkauft. Die Antragstellerin kümmerte sich um die Landwirtschaft neben dem Haushalt und der Kindererziehung; der Antragsgegner seinerseits neben seiner Tätigkeit als Maurer. Im März 1982 erlitt der Vater des Antragsgegners einen Schlaganfall. Nach einem Krankenhausaufenthalt nahmen die Parteien ihn zu Hause auf. Bis April 1986 kümmerte sich die Antragstellerin alleine um ihren Schwiegervater. Der Antragsgegner beteiligte sich an der Pflege seines Vaters nicht. Im November 2008 verließ die Antragstellerin die gemeinsame eheliche Wohnung und zog vom Hof weg. Sie beantragte beim Erstgericht die gesonderte Wohnungnahme gemäß § 92 Abs 3 ABGB; diesem Begehren trat der Antragsgegner dem Grunde nach nicht entgegen, allerdings sprach er sich gegen die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe aus. Bereits zu diesem Zeitpunkt zahlte der Antragsgegner Ehegattenunterhalt von 650 EUR (monatlich).

Mit Vertrag vom 27. 7./9. 12. 2009 übertrug der Antragsgegner die beiden Liegenschaften und den darauf befindlichen landwirtschaftlichen Betrieb an die gemeinsame Tochter der Parteien. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits 72 Jahre alt. Seit der Übertragung der Liegenschaften an die Tochter kommt dem Antragsgegner dort ein Wohnungsgebrauchsrecht zu. Bis 2005 wurde eine vergleichbare Wohnung im selben Haus vom Antragsgegner zum Mietzins von 300 EUR (inklusive aller weiteren Kosten) vermietet. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts verfügte der Antragsgegner lediglich über ein Sparbuch mit einem Guthaben von 1.000 EUR.

Die Antragstellerin konnte im erstinstanzlichen Verfahren keinen konkreten Aufteilungsvorschlag unterbreiten, begehrte aber für das bei der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft noch vorhandene und heute nicht mehr verfügbare eheliche Gebrauchsvermögen und die ehelichen Ersparnisse sowie für sämtliche Aufwendungen und Wertzuwächse im Vermögen des Antragsgegners eine „angemessene“ Ausgleichszahlung. Sie habe zur Werterhöhung der vom Antragsgegner in die Ehe eingebrachten Landwirtschaft erheblich beigetragen, und zwar durch harte Arbeit am Hof, der alleinigen Führung des gesamten Haushalts, der Erziehung von fünf Kindern, der überaus gewissenhaften Erledigung sämtlicher Kontogeschäfte und der Investition ihres gesamten Hab und Gutes in die Landwirtschaft. Trotz ihres aufopfernden Verhaltens habe sie nie eine Entlohnung vom Antragsgegner erhalten.

Sie habe auch zum Bau und zu späteren Investitionen des Hauses mehrmals erhebliche Summen beigetragen. Dieses Haus sei 2009 im Zusammenhang mit der Landwirtschaft der Tochter übergeben worden; dies sei allerdings nach der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft erfolgt. Weiters sei ihr auch von März 1982 bis September 1986 die Pflege des Schwiegervaters übertragen worden. Der Antragsgegner sei mit dem Vermögen der Parteien nicht so gewissenhaft umgegangen und habe beispielsweise die Kinder – ohne die Antragstellerin davon zu informieren – großzügig beschenkt. Die Ehewohnung wirke vermögensmäßig in dem dem Antragsgegner von der Tochter 2009 vertraglich eingeräumten unentgeltlichen Wohnungsgebrauchsrecht im Ausmaß von ungefähr 70 m² als Vermögenswert fort. Vom Einkommen des Antragsgegners habe sie nie etwas bekommen.

Der Antragsgegner wendete im Wesentlichen ein, dass die Landwirtschaft, bestehend aus den beiden Liegenschaften, nicht der Aufteilung unterliege, weil die Liegenschaften einerseits zu einem Unternehmen gehörten und andererseits von ihm in die Ehe eingebracht worden seien. Bei der Übergabe der Liegenschaften an die gemeinsame Tochter handle es sich um ein im bäuerlichen Bereich übliches Rechtsgeschäft, weil er zum Übergabezeitpunkt bereits 72 Jahre alt gewesen sei. Ferner habe die Antragstellerin auch keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung aufgrund einer Werterhöhung der Landwirtschaft. Ihr Vorbringen zum Umfang der Landwirtschaft und zu ihrer Tätigkeit in der Landwirtschaft sei unrichtig, die entsprechenden Investitionen hätten nur aufgrund seines Haupterwerbs finanziert werden können. Es könne nur mehr ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 1.000 EUR aufgeteilt werden.

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner, der Antragstellerin eine Ausgleichszahlung im Sinn des § 94 EheG von 1.000 EUR zu zahlen. Die beiden Liegenschaften seien einerseits vom Antragsgegner in die Ehe eingebracht worden und andererseits zu einem Unternehmen (Landwirtschaft) gehörig und unterlägen somit – unabhängig davon, wer die Landwirtschaft betrieben habe oder betreibe – nicht der Aufteilung. Die Verfügung des Antragsgegners im Jahr 2009 stelle keine „Vermögensverschleuderung“ im Sinn des § 91 (Abs 1) EheG dar, weil sie in keinem Widerspruch zu der Gestaltung der Lebensverhältnisse der Ehegatten während der ehelichen Lebensgemeinschaft stünde. Die nach der Eheschließung errichtete Ehewohnung unterliege grundsätzlich der Aufteilung. Eine Aufteilung könne nur soweit erfolgen, als noch überhaupt eine Aufteilungsmasse vorhanden sei. An Restmasse sei nur mehr ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 1.000 EUR vorhanden, das aus Überlegungen der Billigkeit der Antragstellerin im gesamten Umfang zuzusprechen sei. Das Wohnungsgebrauchsrecht sei nicht zu berücksichtigen, sei dieses doch erst nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft begründet worden. Wenn bereits ein potentieller Ausgleich für die Ehewohnung selbst mit der restlich verbleibenden Masse begrenzt sei, müsse diese Grenze noch viel mehr für ein allfälliges Surrogat gelten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Rechtlich führte es aus, es folge den Überlegungen von Gitschthaler (in EF-Z 2015/119), dass im Anwendungsbereich des § 82 Abs 1 (Z 1), 3 und 4 EheG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 91 Abs 1 und/oder Abs 2 EheG eine Ausgleichszahlung nicht oder nur in Höhe einer tatsächlich vorhandenen Aufteilungsmasse festgesetzt werden könne. Eine solchermaßen festgesetzte Ausgleichszahlung sei jedoch nicht nur in die Aufteilungsmasse, sondern auch in andere Vermögenswerte vollstreckbar. Ein Ausgleich könne nur soweit erfolgen, als noch eine Aufteilungsmasse vorhanden sei. Die gesamte Restmasse sei jedoch bereits der Antragstellerin zugesprochen worden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Im dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs stellt die Antragstellerin – nach Durchführung des vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 12. 7. 2017, GZ 1 Ob 133/17s-32, dem Erstgericht aufgetragenen Verbesserungsverfahrens – (nur) einen Aufhebungsantrag.

Die dem Antragsgegner freigestellte Revisionsrekursbeantwortung ist als verspätet zurückzuweisen, weil sie außerhalb der 14-Tages-Frist des § 68 Abs 1 Satz 2 AußStrG erstattet wurde (Zustellung der Mitteilung des Obersten Gerichtshofs nach § 68 Abs 3 Z 3 AußStrG und des Rechtsmittels am 3. 10. 2017; Einbringung am 30. 10. 2017).

Der Revisionsrekurs ist im Hinblick auf die Klarstellung der Rechtslage zu § 91 EheG zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die Ehegatten errichteten auf einer zur Landwirtschaft des Antragsgegners gehörigen Liegenschaft ein Wohnhaus, das als Ehewohnung verwendet wurde. Nach ständiger Rechtsprechung unterliegt ein Haus, das als Bestandteil eines landwirtschaftlichen Unternehmens auch als Ehewohnung in Benützung beider Parteien stand, der Aufteilung (RIS-Justiz RS0057479 [T2]). Die von beiden Ehegatten während der aufrechten ehelichen Lebensgemeinschaft geschaffene Werterhöhung der Liegenschaft durch den Bau des Hauses unterfällt damit dem Aufteilungsverfahren und dessen Wert ist grundsätzlich auch für die Festsetzung der Ausgleichszahlung von Bedeutung (6 Ob 552/82 = [teilweise veröffentlicht] EFSlg 43.762; 8 Ob 615/88), während die übrigen Teile der Liegenschaft
– auch bloß wertmäßig – von der Aufteilung ausgenommen bleiben (2 Ob 577/85 mwN).

2.1. Hat ein Ehegatte ohne ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des anderen frühestens zwei Jahre vor Einbringung der Klage auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe oder, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft vor Einbringung der Klage aufgehoben worden ist, frühestens zwei Jahre vor dieser Aufhebung eheliches Gebrauchsvermögen oder eheliche Ersparnisse in einer Weise verringert, die der Gestaltung der Lebensverhältnisse der Ehegatten während der ehelichen Lebensgemeinschaft widerspricht, so ist der Wert des Fehlenden nach § 91 Abs 1 EheG in die Aufteilung einzubeziehen.

2.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gilt § 91 Abs 1 EheG auch für Verringerungen ehelichen Gebrauchsvermögens oder ehelicher Ersparnisse, die erst nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft stattfanden (RIS-Justiz RS0057933). Da die Übertragung der Ehewohnung im Rahmen der Übertragung der Landwirtschaft erst nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft stattfand, fällt dieser Vorgang in die Frist des § 91 Abs 1 EheG.

2.3. § 91 Abs 1 EheG will verhindern, dass ein Ehegatte dadurch benachteiligt wird, dass der andere in einem Zeitraum, in dem die Krise der Ehe sich bereits abzuzeichnen begonnen hat, eheliches Gebrauchsvermögen oder eheliche Ersparnisse einseitig zum Nachteil seines Ehepartners vermindert (1 Ob 692/84 = RIS-Justiz RS0057927; vgl RS0057919). Solche Vermögensverringerungen, die mit Rücksicht auf die Gestaltung der Lebensverhältnisse bei aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft bedenklich erscheinen, legen den Verdacht nahe, der eine Ehegatte habe sie in der Absicht getätigt, den anderen bei der Aufteilung zu benachteiligen (RIS-Justiz RS0057913). Eine tatsächliche Verschleuderungs- oder Benachteiligungsabsicht ist jedoch nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0057929 [T1]).

2.4. Entsprach die Übertragung einer Liegenschaft des einen ehemaligen Ehegatten an das gemeinsame Kind dem Willen beider Parteien, so ist diese Liegenschaft nicht in das Aufteilungsverfahren einzubeziehen (RIS-Justiz RS0057593). In Ermangelung einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung des anderen Ehegatten – zur Beurteilung, ob die Antragstellerin ausdrücklich oder allenfalls stillschweigend dem Übergabsvertrag an die gemeinsame Tochter zugestimmt hat, fehlen Feststellungen, die im fortzusetzenden Verfahren nachzutragen sind – wird hingegen jede Umschichtung von ehelichem Gebrauchsvermögen und Ersparnissen von der Bestimmung des § 91 Abs 1 EheG erfasst (vgl RIS-Justiz RS0057915). Wer behauptet, dass die Verringerung von Gebrauchsvermögen oder Ersparnissen eine Maßnahme gewesen sei, die nach den Umständen vermutlich auch bei aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft nicht anders getroffen worden wäre, dem obliegt der Beweis hiefür (RIS-Justiz RS0057938). Dies hat daher der Antragsgegner zu beweisen.

2.5. Wenn das Erstgericht damit argumentiert, dass § 91 Abs 1 EheG nicht anzuwenden sei, weil die Übergabe der Landwirtschaft keine „Vermögens-verschleuderung“ darstelle, ist ihm eine Fehlbeurteilung unterlaufen, weil – wie bereits ausgeführt – eine tatsächliche Verschleuderungs- oder Benachteiligungsabsicht nicht erforderlich ist. Wenn es damit argumentiert, dass dem 72-jährigen Antragsgegner nach dem Zweck dieser Bestimmung nicht verboten sei, seine Landwirtschaft „zur rechten Zeit“ an seine Tochter weiterzugeben, greift diese Begründung zu kurz. Nach § 91 Abs 1 EheG kommt es nicht darauf an, ob solche Übergabsverträge an sich üblich sind, sondern ob die Vermögensverschiebung den Verhältnissen während der ehelichen Lebensgemeinschaft widerspricht. Da die Landwirtschaft (und damit das darauf befindliche eheliche Wohnhaus) während aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft – trotz des fortgeschrittenen Lebensalters des Antrags-
gegners – nicht an die gemeinsame Tochter übergeben wurde, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass in der ein Jahr später erfolgten Übergabe der Landwirtschaft kein Widerspruch zur bisherigen Gestaltung der Lebensverhältnisse der Ehegatten vorliegen könnte. Die Werterhöhung der Liegenschaft durch die Errichtung des Wohnhauses ist – sofern nicht im fortzusetzenden Verfahren eine Zustimmung der Antragstellerin zur Übertragung an die Tochter festgestellt werden könnte – in die Aufteilung einzubeziehen. Für die Bemessung der Ausgleichszahlung ist der Wert des Wohnhauses im Zeitpunkt der Auseinandersetzung, also im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz maßgebend (RIS-Justiz RS0057644; RS0057818).

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht ein der Aufteilung unterliegendes eheliches Gebrauchsvermögen nur dann, wenn es zum Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung noch vorhanden oder dessen Wert nach der Bestimmung des § 91 Abs 1 EheG in die Aufteilung einzubeziehen ist (RIS-Justiz RS0057299; 1 Ob 221/16f = RS0057913 [T1]). Die Möglichkeit, auch bei Fehlen einer Restmasse eine Ausgleichszahlung festzusetzen, wird auch von Stabentheiner (in Rummel3 § 94 EheG Rz 3), Hopf/Kathrein (Eherecht3 § 94 EheG Rz 2), Deixler-Hübner (in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] § 91 EheG Rz 10, § 94 EheG Rz 3) und Oberhumer (Unternehmen und Gesellschaftsanteile in der nachehelichen Vermögens-aufteilung [2011], 352) vertreten.

3.2. Demgegenüber meint Gitschthaler (in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 91 EheG Rz 7, 13; ders, Aufteilungsrecht II: Das Restmassenproblem, zugleich eine Anmerkung zur E 1 Ob 236/14h, EF-Z 2015/119, 208 [209 f]), dem die Vorinstanzen folgten, dass auch im Anwendungsbereich des § 91 Abs 1 EheG eine Ausgleichszahlung nur in Höhe der tatsächlich vorhandenen Aufteilungsmasse festgesetzt werden dürfe. Gebe es im Aufteilungszeitpunkt keine Aufteilungsmasse – die verbrachten, verheimlichten oder veräußerten Sachen seien de facto nicht aufteilbar – , so sei nicht ersichtlich, aus welchen Mitteln eine Ausgleichszahlung erfolgen sollte: Entweder sei auch sonst kein Vermögen vorhanden, dann müsste die Ausgleichszahlung aus (künftigem) Erwerbseinkommen beglichen werden oder die Ausgleichszahlung müsste aus der Veräußerung von anderen der Aufteilung nicht unterliegenden Sachen (etwa geerbten Sachen) finanziert werden.

Der erkennende Senat teilt diese Rechtsansicht von Gitschthaler nicht:

3.3. Gemäß § 91 Abs 1 EheG ist der Wert des Fehlenden in die Aufteilung einzubeziehen (RIS-Justiz RS0003990; RS0057913; RS0057940). Nach dieser Bestimmung soll der Ehegatte, der den anderen durch eine Verfügung benachteiligen wollte, gezwungen sein, sich so zu behandeln lassen, als hätte er die Verfügung nicht getroffen (1 Ob 692/84 = RIS-Justiz RS0057927). Der daraus entstehende Anspruch auf Einbeziehung des Fehlenden führt zur Fiktion, das Fehlende – und zwar nach dem Wert zur Zeit der Aufteilung – sei dem Antragsgegner schon durch Aufteilung zugekommen (RIS-Justiz RS0003990; RS0057915; vgl RS0057940). Wenn die Ausgleichszahlung so zu bemessen ist, als ob das Vermögen noch vorhanden wäre, so kann dies nicht anders verstanden werden, als dass die Ausgleichspflicht nach § 91 Abs 1 EheG nicht durch das tatsächliche Vermögen begrenzt wird.

Zudem spricht im Fall des § 91 Abs 1 EheG der Gesetzeszweck, nämlich Missbrauch zu verhindern, gegen eine Beschränkung der Ausgleichszahlung auf die tatsächlich noch vorhandenen Vermögenswerte. Ansonsten könnte sich ein Ehepartner der Ausgleichszahlung entziehen, wenn er das aufzuteilende Vermögen erheblich vermindert, wodurch der andere Ehepartner leer ausgehen würde. Im Rahmen des § 91 Abs 1 EheG kann daher die festzusetzende Ausgleichszahlung den Wert der tatsächlich noch vorhandenen Aufteilungsmasse auch übersteigen.

4. Sofern keine Zustimmung der Antragstellerin zum Übergabsvertrag an die Tochter festgestellt werden könnte, wäre der Wert der von beiden Parteien errichteten Ehewohnung (Wohnhaus) zu erheben, die der Antragsgegner ohne eine adäquate Gegenleistung zu erhalten, im Rahmen eines Übergabsvertrags an die gemeinsame Tochter übertrug. Der Wert der Ehewohnung wäre Basis für die Festsetzung der vom Antragsgegner an die Antragstellerin zu leistenden Ausgleichszahlung, auch wenn er nunmehr über kein ausreichendes Vermögen mehr verfügt.

Bei dem dem Antragsgegner im Übergabsvertrag persönlich eingeräumten Wohnungsgebrauchsrecht handelt es sich um ein (teilweises) Surrogat für die an die gemeinsame Tochter übertragene frühere Ehewohnung. Das Wohnungsgebrauchsrecht umfasst nur das Recht, die Wohnung zum persönlichen Gebrauch zu benützen, und es gewährt dem Antragsgegner die Befugnis, die Wohnräume auf Lebenszeit zum eigenen Bedarf zu verwenden (RIS-Justiz RS0011821 [T2, T6]). Der Inhaber eines Wohnungsgebrauchsrechts darf die Wohnung nicht vermieten (6 Ob 613/91 mwN), auch ist die Verwertung im Rahmen einer Verpachtung oder Übertragung ausgeschlossen (M. Cerha in immolex 2016/86, 299 [Glosse zu 5 Ob 55/16y]). Zudem ist das bloße Wohnungsgebrauchsrecht (§ 521 erster Fall ABGB) zufolge des auch die Übertragung im exekutiven Weg ausschließenden § 507 ABGB in der Regel unpfändbar, sofern nicht vom Liegenschaftseigentümer selbst oder mit dessen Zustimmung Exekution geführt wird (3 Ob 88/04v; 5 Ob 175/05d, jeweils mwN). Zwar besteht damit grundsätzlich keine effektive Verwertungsmöglichkeit des Wohnungsgebrauchsrechts, jedoch kann bei Anwendung des § 91 Abs 1 EheG fingiert werden, dass dessen Wert (Gebrauchsnutzen) dem Antragsgegner schon durch die Aufteilung zugekommen ist.

5.1. Wurden eheliches Gebrauchsvermögen oder eheliche Ersparnisse in ein Unternehmen eingebracht oder für ein solches Unternehmen sonst verwendet, so ist der Wert des Eingebrachten oder Verwendeten nach § 91 Abs 2 EheG in die Aufteilung einzubeziehen; bei der Aufteilung ist jedoch zu berücksichtigen, inwieweit jedem Ehegatten durch die Einbringung oder Verwendung Vorteile entstanden sind. § 91 Abs 2 EheG soll Missbräuche und Manipulationen verhindern und die Interessen des anderen Ehegatten schützen, indem Vermögensverschiebungen in Richtung eines Unternehmens wertmäßig bei der Aufteilung berücksichtigt werden, was immer dann der Fall ist, wenn ein Ehegatte aus dem ehelichen Gebrauchsvermögen oder aus den ehelichen Ersparnissen Investitionen in ein Unternehmen getätigt hat
(ErläutRV 1653 BlgNR XX. GP 29).

5.2. § 91 Abs 2 EheG spricht bloß von ehelichen Ersparnissen oder ehelichem Gebrauchsvermögen, sodass sich die Frage stellt, ob auch Arbeitsleistungen zu berücksichtigen sind. Nach den Feststellungen kümmerte sich die Antragstellerin neben dem Haushalt und der Kindererziehung auch um die Landwirtschaft.

Nach Deixler-Hübner (in Gitschthaler/Höllwerth aaO § 91 EheG Rz 19) erfasst § 91 Abs 2 EheG analog auch die Mitwirkung im Erwerb des anderen (und damit Arbeitsleistungen für das Unternehmen des anderen).

Gitschthaler (in Schwimann/Kodek aaO § 91 EheG Rz 10) spricht sich hingegen gegen die Berücksichtigung von Dienst- oder Arbeitsleistungen des anderen Ehegatten für das Unternehmen im Rahmen des § 91 Abs 2 EheG aus und verweist dabei auf die Entgeltansprüche des Ehegatten bei Mitwirkung im Erwerb des anderen nach § 98 ABGB.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

5.3. § 98 ABGB sieht eine Abgeltung der Mitwirkung im Erwerb des anderen vor, wodurch diese Leistungen doppelt abgegolten würden, wenn der Ehegatte für diese Tätigkeit darüber hinaus noch Ansprüche nach § 91 Abs 2 EheG geltend machen könnte. Darüber hinaus will § 91 Abs 2 EheG den anderen Ehepartner nur vor „Vermögensverschiebungen“ schützen (ErläutRV aaO). Die Mitwirkung im Erwerb des anderen als Beitrag zur Vermögensbildung ist hingegen – soweit sie nicht anders abgegolten wurde – schon nach dem Wortlaut des § 83 Abs 2 EheG bei der Festlegung des Aufteilungsschlüssels nach § 83 Abs 1 EheG zu berücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0079235). Ebenso sind „mittelbare Beitragsleistungen“ durch Haushaltsführung, Kindererziehung und – wie hier – Pflegeleistungen bei der Festlegung des Aufteilungsschlüssels zu berücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0057651; RS0057969). Investitionen in das landwirtschaftliche Unternehmen sind nach § 91 Abs 2 EheG – so schon der Wortlaut und auch die Intention des Gesetzgebers (ErläutRV aaO) – nur insofern zu berücksichtigen, als sie auf eheliches Gebrauchsvermögen oder eheliche Ersparnisse zurückzuführen sind.

6. Erst nach Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn wird beurteilt werden können, ob der Antragstellerin eine weitere Ausgleichszahlung – über den bereits rechtskräftig zugesprochenen Betrag von 1.000 EUR, gegen den sie sich naturgemäß im Rekursverfahren nicht wendete – zugesprochen werden kann. Allein der Umstand, dass aufgrund der Liegenschaftsübergabe an die Tochter kein weiteres Vermögen mehr vorhanden ist, kann jedenfalls nicht zu Gunsten des Antragsgegners ausschlagen.

7. Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass noch keine die Sache zur Gänze erledigende Entscheidung im Sinn des § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0123011 [T5]).

Textnummer

E120138

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00133.17S.1115.000

Im RIS seit

20.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.05.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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