TE OGH 2009/11/25 3Ob206/09d

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Veröffentlicht am 25.11.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Berger Saurer Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Einwendungen gegen einen Unterlassungsanspruch, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. Juli 2009, GZ 47 R 201/09w-14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. Jänner 2009, GZ 53 C 9/08d-9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit einstweiliger Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 13. Mai 2008 wurde der klagenden Partei verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs beim Vertrieb von periodischen Druckschriften, insbesondere einer näher bezeichneten Tageszeitung, die Ankündigung und Durchführung von Gewinnspielen, insbesondere des Euroticket-Gewinnspiels, zu unterlassen, wenn dabei Preise nicht unbedeutenden Werts, insbesondere eine Eintrittskarte für ein Fußballspiel der Euro 2008 gewonnen werden können und zur Teilnahme oder Erhöhung der Gewinnchancen der Verkauf einer von der Beklagten verlegten Zeitung notwendig oder förderlich ist oder erscheint.

Das gegen die aufgrund dieses Titels ergangenen Strafbeschlüsse erhobene Oppositionsbegehren der klagenden Partei wiesen die Vorinstanzen ebenso wie das in eventu gestellte Impugnationsbegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Unter Bezugnahme auf ein vom Obersten Gerichtshof am 18. November 2008 gestelltes Vorabentscheidungsersuchen (4 Ob 154/08p), ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs vom 5. Juni 2008 (BGH I ZR 4/06) und auf ein Urteil des EuGH vom 23. April 2009, Rs C-261/07 und C-299/07 = wbl 2009/144 [krit Schuhmacher]) behauptet die klagende Partei die Richtlinienwidrigkeit des § 9a Abs 1 Z 1 zweiter Fall UWG, auf den sich der Unterlassungstitel gründete. Die durch die Richtlinienwidrigkeit bewirkte „Änderung der Rechtslage" sei mit Oppositionsklage geltend zu machen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die klagende Partei allerdings aus folgenden Überlegungen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Die RL 2005/29/EG des EP und Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (RL-UGP) war bis 12. Juni 2007 umzusetzen. Tatsächlich erfolgte die Umsetzung durch die UWG-Nov 2007 (BGBl I 2007/79), die am 12. Dezember 2007 in Kraft trat.

2. Der österreichische Gesetzgeber sah in Ansehung des § 9a UWG, der an die Stelle des ZugG trat, das durch das Wettbewerbs-DeregulierungsG 1992 aufgehoben wurde, keinen Umsetzungsbedarf.

Die hier maßgebliche Bestimmung (§ 9a Abs 1 Z 1 zweiter Fall UWG) lautet daher unverändert wie folgt:

Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbrauchern neben periodischen Druckwerken unentgeltliche Zugaben (Prämien) anbietet, ankündigt oder gewährt, kann auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden (die Ausnahme - § 9a Abs 2 Z 8 UWG - ist gemäß § 9a Abs 2 letzter Satz UWG nicht auf Zugaben zu periodischen Druckwerken anzuwenden).

3. In der Lehre (Jakusch in Angst, EO² § 35 Rz 30; Dullinger in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 35 Rz 69) wird die Auffassung vertreten, dass eine nachträgliche Änderung der maßgebenden Rechtslage im Allgemeinen keine den Anspruch aufhebende oder hemmende Tatsachen iSd § 35 Abs 1 EO darstelle. Das gelte jedoch dann nicht, wenn der Exekutionstitel in die Zukunft wirkt. Insoweit begründe eine Änderung der Rechtslage einen Oppositionsgrund (Rebernig in Burgstaller/Deixler-Hübner § 36 Rz 39; Dullinger aaO § 35 Rz 53, 69. Zum Fall der Änderung der Rechtslage bei einer Unterhaltsverpflichtung Jakusch aaO § 35 Rz 30). Der Verpflichtete kann gegen die Unterlassungsexekution nach § 355 EO geltend machen, sein im Exekutionsantrag behauptetes Verhalten sei nach der nunmehr geltenden Rechtslage zulässig (RIS-Justiz RS0080961).

Allerdings können Einwendungen gegen einen Anspruch gemäß § 35 EO nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn sie sich auf eine den Anspruch aufhebende oder hemmende Tatsache stützen, die erst nach dem Entstehen des diesem Verfahren zugrundeliegenden Exekutionstitels (maßgeblicher Stichtag im Zivilprozess: Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) eingetreten sind (stRsp; RIS-Justiz RS0001280). Seit dem Schluss der Verhandlung erster Instanz im Titelverfahren, zu welchem Zeitpunkt die Umsetzungsfrist für die RL-UGP bereits abgelaufen war, hat sich die Rechtslage jedoch nicht geändert. Die nun behauptete Richtlinienwidrigkeit des § 9a Abs 1 Z 1 zweiter Fall UWG wäre, unterstellt man ihr Vorliegen, bereits im Erkenntnisverfahren verwirklicht gewesen. Ohne dass es eines Eingehens darauf bedürfte, wie sich eine allfällige Richtlinienwidrigkeit der Bestimmung auf das nationale Recht auswirken würde - die klagende Partei stellt in diesem Zusammenhang die These der gebotenen „unmittelbaren Anwendung" der Richtlinie auf - ist der von der klagenden Partei geltend gemachte Oppositionsgrund der Änderung der Rechtslage somit nicht gegeben.

4. Aber auch eine tiefgreifende Rechtsprechungsänderung, die bei in die Zukunft wirkenden Exekutionstiteln unter bestimmten Umständen zur Oppositionsklage berechtigen könnte (vgl Rebernig aaO § 36 Rz 39 zu Unterlassungstiteln) bzw eine neue Sachentscheidung rechtfertigen könnte (RIS-Justiz RS0047398 zur Neufestsetzung von Unterhaltstiteln) liegt hier (jedenfalls noch) nicht vor:

4.1 Nach Klageeinbringung, aber vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz legte der 4. Senat des Obersten Gerichtshofs am 18. November 2008 (4 Ob 154/08p) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Stehen Art 3 Abs 1 und Art 5 Abs 5 der RL-UGP oder andere Bestimmungen dieser Richtlinie einer nationalen Regelung, wonach das Ankündigen, Anbieten oder Gewähren von unentgeltlichen Zugaben zu periodischen Druckschriften sowie das Ankündigen von unentgeltlichen Zugaben zu anderen Waren oder Dienstleistungen abgesehen von abschließend genannten Ausnahmen unzulässig ist, ohne dass im Einzelfall der irreführende, aggressive oder sonst unlautere Charakter dieser Geschäftspraxis geprüft werden müsste, auch dann entgegen, wenn diese Regelung nicht nur dem Verbraucherschutz, sondern auch anderen Zwecken dient, die nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst werden, etwa der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt oder dem Schutz schwächerer Mitbewerber.

Für den Fall der Bejahung dieser Frage wurde als Eventualfrage formuliert, ob die mit dem Erwerb einer Zeitung verbundene Ermöglichung der Teilnahme an einem Gewinnspiel allein deswegen eine unlautere Geschäftspraxis iSd Art 5 Abs 2 der RL darstelle, weil diese Teilnahmemöglichkeit zumindest für einen Teil der angesprochenen Kreise zwar nicht das einzige, wohl aber das ausschlaggebende Motiv für den Erwerb der Zeitung bildet.

Diesem Vorabentscheidungsersuchen liegt zusammengefasst die Überlegung zugrunde, dass die RL-UGP grundsätzlich zu einer vollen Harmonisierung des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts führt. Diene die Regelung in § 9a Abs 1 Z 1 2. Fall UWG tatsächlich nur dem Verbraucherschutz, wäre daher diese Bestimmung an den Vorgaben der Richtlinie zu messen. Da nach § 9a Abs 1 Z 1 UWG das Ankündigen, Anbieten oder Gewähren von Zugaben jedenfalls unzulässig sei, ohne dass die Gerichte im Einzelfall zu prüfen hätten, ob dieses Verhalten aggressiv oder irreführend iSd Art 5 Abs 4 RL-UGP sei oder gegen die Generalklausel des Art 5 Abs 2 RL-UGP verstoße, könnte darin eine Richtlinienwidrigkeit erblickt werden. Der 4. Senat betonte allerdings, dass die Regelung nicht nur dem Verbraucherschutz, sondern auch der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt diene, also Zwecken, die nicht vom Anwendungsbereich der RL erfasst würden.

In der Folge (4 Ob 87/09m) unterbrach der Oberste Gerichtshof ein Verfahren nach § 9a Abs 1 Z 1 erste Alternative UWG bis zur Entscheidung des EuGH im Verfahren über das zitierte Vorabentscheidungsersuchen. Auch weitere Verfahren (siehe Anm Schumacher zu 4 Ob 87/09m = wbl 2009, 520) unterbrach der 4. Senat.

4.2. Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens eines belgischen Gerichts, das allerdings reine Koppelungsangebote ohne den hier zu beurteilenden Zusammenhang mit einem Druckwerk betraf, entschied der EuGH (23. April 2009; C-261/07, C-299/07 = wbl 2009, 144 [krit Schumacher]), dass die RL einer nationalen Regelung, wonach Koppelungsangebote generell und präventiv verboten werden, ohne dass ihre Unlauterkeit anhand der Kriterien der Art 5 bis 9 der RL geprüft wird, entgegensteht.

4.3. Der Bundesgerichtshof (I ZR 4/06, Beschlussfassung am 5. Juni 2008) stellte ebenfalls ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung des Art 5 Abs 2 der RL bezogen auf ein Verfahren gegen eine beklagte Einzelhandelsunternehmerin wegen Bewerbung eines als „Bonusaktion" bezeichneten Gewinnspiels. Eine Entscheidung zu diesem Vorabentscheidungsersuchen ist noch nicht ergangen.

4.4. Davon ausgehend ergibt sich Folgendes:

Unabhängig davon, ob die „tiefgreifende Rechtsprechungsänderung" eine solche des innerstaatlichen Gerichts sein muss oder aber bereits ein Erkenntnis des EuGH, das konkrete Auswirkungen für ein innerstaatliches Unterlassungsgebot hat, einer solchen „tiefgreifenden Rechtsprechungsänderung" gleichzuhalten ist, ist im konkreten Anlassfall weder eine Änderung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 9a Abs 1 Z 1 zweiter Fall UWG erfolgt noch ein einschlägiges EuGH-Erkenntnis über die Richtlinienwidrigkeit dieser Gesetzesbestimmung ergangen. Auf die Entscheidung des EuGH zu dem von einem belgischen Gericht gestellten Vorabentscheidungsersuchen (Rs C-261/07 und C-299/07) kann sich die klagende Partei schon deshalb nicht berufen, weil das dort gestellte Vorabentscheidungsersuchen ein allgemeines „Koppelungsverbot" betraf, während im konkreten Anlassfall - insoweit vergleichbar dem zu 4 Ob 154/08p gestellten Vorabentscheidungsersuchen - der Tatbestand des § 9a Abs 1 Z 1 zweiter Fall UWG (Zugaben neben periodischen Druckwerken) auf dem Prüfstand steht. Dass der Oberste Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen stellte bzw andere Verfahren bis zur Erledigung dieses Vorabentscheidungsersuchens unterbrach, bedeutet noch keine Änderung der Rechtsprechung, sondern eben nur das Abwarten mit einer Entscheidung bis zur Entscheidung des EuGH.

5. Das Eventualimpugnationsbegehren ist schon deshalb unberechtigt, weil nur der Rekurs, nicht aber die Impugnationsklage zur Verfügung steht, wenn der Verpflichtete bestreitet, dass der behauptete Sachverhalt rechtlich ein Zuwiderhandeln gegen das Unterlassungsgebot darstellt (RIS-Justiz RS0123123; 3 Ob 172/09d).

Schlagworte

Euroticket-Gewinnspiel,

Textnummer

E92861

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0030OB00206.09D.1125.000

Im RIS seit

25.12.2009

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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