TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/22 D1 250707-0/2008

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Veröffentlicht am 22.10.2008
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Spruch

D1 250707-0/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Stracker als Vorsitzenden und den Richter Dr. Feßl als Beisitzer über die Beschwerde des Y.A., geb. 00.00..2003, StA. d. Russischen Föderation, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes vom 04.06.2004, FZ. 04 06.406-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde von Y.A. vom 18.06.2004 gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes vom 04.06.2004, FZ. 04 06.406-BAE, wird dieser gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der (nunmehrige) minderjährige Beschwerdeführer, ein der tschetschenischen Volksgruppe angehörender Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gelangte am 02.04.2004 - zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern - unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet und beantragte am selben Tag durch seine Mutter, als gesetzliche Vertreterin, die Gewährung von Asyl. Die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers wurde hiezu am 07.05.2004 vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, niederschriftlich einvernommen. Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.06.2004 in Spruchteil I unter Berufung auf § 7 AsylG 1997 ab; in Spruchteil II stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 nicht zulässig sei; unter einem wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil III des Bescheides unter Berufung auf § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG 1997 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.06.2005 erteilt. Gegen Spruchpunkt I dieses am 08.06.2004 der Mutter des Beschwerdeführers zugestellten Bescheides erhob diese mit dem am 18.06.2004 zur Post gegebenen und als Berufung eingebrachten Schriftsatz vom 17.06.2004 fristgerecht Beschwerde.

 

2. Hinsichtlich der Angaben der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 07.05.2004 wird ausdrücklich auf die Wiedergabe im angefochtenen Bescheid (S. 2 bis 3) verwiesen. Die gesetzliche Vertreterin des mj. Beschwerdeführers hat für den Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.

 

2. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

§ 61 Abs. 3 Z. 1 AsylG sieht eine Einzelrichterentscheidung im Fall einer zurückweisenden Entscheidung wegen a) Drittstaatsicherheit gemäß § 4 AsylG, b) Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 AsylG, c) entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, sowie gemäß Z. 2 bei einer mit diesen Entscheidungen verbundenen Ausweisung vor.

 

3. Gemäß § 23 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungs- verfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß 75 Abs. 1 AsylG sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997 - hier gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 - zu Ende zu führen.

 

4.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

4.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.04.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.06.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr gleichermaßen für den Asylgerichtshof, zumal dieser nicht - wie der Unabhängige Bundesasylsenat - ein gerichtsähnlicher unabhängiger Verwaltungssenat, sondern ein Gerichtshof ist, dem noch weniger zuzusinnen ist, erstmals mit der ernsthaften Prüfung des Antrages zu beginnen und das gesamte Verfahren von Anbeginn an durchzuführen.

 

5. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren aus folgenden Gründen mangelhaft:

 

Tragend für die rechtlichen Schlussfolgerungen des Bundesasylamtes waren zwei (Gruppen von) Feststellungen: die Negativfeststellungen zu den Verfolgungsgründen des Beschwerdeführers und die Länderfeststellungen zur Situation in Tschetschenien. Aus diesen Feststellungen allein lassen sich die rechtlichen Schlüsse jedoch nicht ziehen:

 

Geht man von den (Negativ-)Feststellungen zu den Fluchtgründen aus, so kommt man, wie das Bundesasylamt, in der Tat zu der Annahme, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien nicht asylrelevant verfolgt wird (vgl. Z 164 erster Satz des "Handbook on Procedures and Criteria for Determining Refugee Status under the 1951 Convention and the 1967 Protocol relating to the Status of Refugees", der lautet: "Persons compelled to leave their country of origin as a result of international or national armed conflicts are not normally considered refugees under the 1951 Convention or 1967 Protocol."). Das Bundesasylamt hat weiters Länderfeststellungen getroffen, aus denen hervorgeht, dass die humanitäre und die Sicherheitslage in Tschetschenien katastrophal ist; dies legt den Schluss nahe, dass dort eine extreme Gefahrenlage herrscht, durch die praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Diesen Schluss hat die Behörde erster Instanz auch gezogen und mit einer Begründung, die diesen Überlegungen entspricht, dem Beschwerdeführer den - in einer solchen Situation gebotenen (vgl. VwGH 25.11.1999, 99/20/0465;

8.6.2000, 99/20/0203; 8.6.2000, 99/20/0586; 21.9.2000, 99/20/0373;

25.1.2001, 2000/20/0367; 25.1.2001, 2000/20/0438; 25.1.2001, 2000/20/0480; 21.6.2001, 99/20/0460; 16.4.2002, 2000/20/0131) - Refoulementschutz iSd

 

§ 8 Abs. 1 AsylG gewährt. Dieser Ausspruch ist in Rechtskraft erwachsen.

 

Die vom Bundesasylamt getroffenen Feststellungen zeigen jedoch eindeutig auf, dass die Beurteilung der Frage, ob dem Antragsteller eine neuerliche Wohnsitzbegründung in anderen Teilen der Russischen Föderation offen steht, letztlich nicht ausreichend begründet ist, die vom Bundesasylamt hiezu getroffenen Feststellungen lassen vielmehr große Zweifel an der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative aufkommen, bzw. bleibt völlig ungeklärt, warum eine solche Ausweichmöglichkeit nicht besteht.

 

So stellt das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid auf Seite 5 (AS 41) selbst fest, dass auf die Menschen in den Flüchtlingslagern der Nachbarregionen weiterhin Druck ausgeübt werde, nach Tschetschenien zurückzukehren. Zwar hat das Bundesasylamt einige Regionen der Russischen Föderation aufgezählt, in denen sich ethnische Tschetschenen niedergelassen haben (AS 43). Dies belegt freilich nicht, dass es Tschetschenen, die - wie die Familie des minderjährigen Beschwerdeführers - erst in den letzten Jahren ihre Heimatrepublik verlassen haben, möglich ist, sich dort niederzulassen. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass es sich dabei um Personen handelt, die sich dort schon vor längerem angesiedelt haben, mithin zu einer Zeit, als es mögliche Vorbehalte gegen Tschetschenen nicht oder nicht in entsprechendem Ausmaß gab. Wobei angemerkt wird, dass dieses Argument auch bereits von der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, am 07.05.2004 - nach Vorhalt der Länderfeststellungen des Bundesasylamtes - eingewendet wurde; eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Einwand findet sich hingegen im angefochtenen Bescheid nicht. Schließlich ist eine "innerstaatliche Fluchtalternative" räumlich zu fixieren. Mit der Formulierung, es verbiete sich eine Generalisierung bekannter Zuzugsbeschränkungen, wird dies nicht geleistet. Das Bundesasylamt hat somit keine aussagekräftigen Feststellungen getroffen, ob es einem Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe tatsächlich möglich ist, sich in anderen Landesteilen der Russischen Föderation problemlos niederzulassen und fehlt es im angefochtenen Bescheid gerade an Feststellungen, ob die "innerstaatliche Fluchtalternative" im Fall des Beschwerdeführers vorliegt.

 

Das Bundesasylamt hat es somit unterlassen sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederlassen kann oder nicht (siehe dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.09.2007, Zlen. 2006/19/0541 bis 0543-7). Sollte es zutreffen, dass sich der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht niederlassen kann und sollten die Gründe dafür Konventionsgründe sein (also Gründe, wie sie in der GFK aufgezählt sind, zB die Nationalität, hier im Sinne der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe; zum Verständnis dieses Konventionsgrundes in diesem Sinne zB VwGH 29.6.2000, 99/01/0307; 7.6.2001, 99/20/0368; 11.6.2002, 2000/01/0480; 12.6.2003, 2000/20/0111; 17.9.2003, 2000/20/0432; 30.11.2004, 2003/01/0504), so wäre der Beschwerdeführer in der Situation, dass er in Tschetschenien in einer ausweglosen Lage wäre, sich aber - aus Konventionsgründen - nirgendwo anders in der Russischen Föderation niederlassen könnte. Eine Kombination dieser beiden Umstände - der ausweglosen Lage in Tschetschenien selbst (im Sinne der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte) und des (auf Konventionsgründen beruhenden) Fehlens der Möglichkeit, sich außerhalb dieser Republik niederzulassen - würde eine asylrelevante Verfolgung bewirken (zu den Konsequenzen dieser Kombination zB UBAS 9.2.2004, 246.457/0-IX/27/04; 11.2.2004, 246.390/0-IX/27/04; 3.6.2004, 247.031/0-VI/42/04; 7.6.2004, 247.824/0-VI/42/04 uva.).

 

Es ist daher nicht möglich, die Situation des Beschwerdeführers korrekt zu beurteilen, wenn nicht in ausreichendem Maße Feststellungen über die Möglichkeit, sich anderwärts in der Russischen Föderation niederzulassen, ins Verfahren eingeführt werden, insbesondere - sollte sich herausstellen, dass es diese Möglichkeit nicht gibt - über die Ursachen dieser Unmöglichkeit, und zwar im Hinblick auf die Gründe der GFK. Das Bundesasylamt ist als Spezialbehörde verpflichtet, sich über die Situation und die Entwicklungen in der Russischen Föderation Kenntnis zu verschaffen und im Einzelfall entsprechende Feststellungen zu treffen. Nur anhand solcher Feststellungen ist es möglich zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer - aus Gründen, die in der GFK genannt sind - verfolgt wird. Diese Feststellungen wären mit der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers zu erörtern; daraus könnte sich die Notwendigkeit ergeben, diese neuerlich zu ihren persönlichen Umständen einzuvernehmen. Damit liegt aber eine der Voraussetzungen vor, die § 66 Abs. 2 AVG normiert: dass nämlich die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine; denn ob es sich um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt, macht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084 mwN; 21.11.2002, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Das Bundesasylamt hat es im vorliegenden Fall unterlassen, "brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen" (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; vgl. auch VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135), die eine verlässliche Beurteilung ermöglichen würden, ob sich der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation außerhalb seiner Heimat (Tschetschenien) niederlassen kann oder nicht und auf welchen Gründen eine allfällige Unmöglichkeit beruht. Hätte es das getan und diese Ergebnisse mit der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers erörtert, so hätte es die Mutter des Beschwerdeführers unter Umständen neuerlich vernehmen müssen, um den Sachverhalt weiter aufzuhellen.

 

6. Aufgrund der dargestellten Mängel wäre daher jedenfalls die Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers - nach Beschaffung des entsprechenden länderbezogenen Grundlagenwissens - zu ergänzen gewesen, sodass die erste Voraussetzung für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG (infolge Mangelhaftigkeit des vorliegenden Sachverhaltes erscheint die Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich) im gegenständlichen Fall erfüllt ist.

 

7. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist daher der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahren vor den Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
04.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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