TE Vwgh Erkenntnis 2006/4/20 2003/01/0285

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Veröffentlicht am 20.04.2006
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. April 2003, Zl. 235.109/0-XIV/16/03, betreffend Behebung eines Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG in einer Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: VG in D, geboren 1974, vertreten durch Dr. Rudolf Schaller, Rechtsanwalt in 7350 Oberpullendorf, Hauptstraße 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr Serbien und Montenegro), stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er gelangte am 28. November 2002 in das Bundesgebiet, stellte am 29. November 2002 einen Asylantrag und wurde an diesem Tag vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Begründung führte das Bundesasylamt - zusammengefasst - aus, der Mitbeteiligte habe keine gegen ihn gerichtete Verfolgung dargetan. Der von ihm vorgebrachte "Mangel an Arbeitsplätzen" in seinem Heimatland könne nicht zur Asylgewährung führen. Der Asylantrag sei daher als unbegründet abzuweisen. Stichhältige Gründe für die Annahme, dass der Mitbeteiligte im Kosovo Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe (bzw. der Todesstrafe) unterworfen zu werden, bestünden nicht; seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung sei daher zulässig.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Mitbeteiligte geltend, er habe den Asylantrag nicht wegen politischer Verfolgung, sondern wegen "finanzieller und persönlicher Notstände" gestellt; er sei für ein Kind sorgepflichtig. Im Kosovo könne er aber dieser Sorgepflicht als Arbeitsloser nicht nachkommen. Seine "Flucht" sei deshalb erfolgt, weil er "keinen eigenen Unterstand hatte" und mittellos gewesen sei. Bei seiner Familie, die in ärmlichen Verhältnissen lebe, habe er Geldschulden. Nach Österreich sei er deshalb gekommen, um hier Arbeit zu finden und seine Schulden zu tilgen. Sein Bruder wohne in Deutschkreuz und gewähre ihm Unterkunft und Verpflegung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. April 2003 hat die belangte Behörde in Erledigung der Berufung des Mitbeteiligten den Erstbescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Die belangte Behörde begründete dies im Wesentlichen damit, das Bundesasylamt habe im konkreten Fall "keine Einvernahme des Berufungswerbers im Hinblick auf § 8 AsylG vorgenommen". Zur Prüfung des gegenständlichen Asylantrages hätte es jedenfalls der Vernehmung des Asylwerbers "zum Themenkomplex des § 8 AsylG" bedurft. Im konkreten Fall sei § 66 Abs. 2 AVG zur Anwendung zu bringen, weil der "Sachverhalt" so mangelhaft ermittelt worden sei, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung oder Einvernahme unvermeidlich sei; dies deshalb, weil im Rahmen der erstinstanzlichen Einvernahme "keine Vernehmung des Asylwerbers bezüglich der Frage, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach den Maßstäben des § 57 Abs. 1 FrG zulässig sei", erfolgt sei. Würden diese Mängel nicht von der Erstbehörde saniert, dann würde das diesbezügliche Ermittlungsverfahren vor die Berufungsbehörde verlagert.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Amtsbeschwerde bringt vor, der Mitbeteiligte habe in seiner Einvernahme vor der Erstbehörde und auch in seiner Berufung angegeben, dass er Asyl aus Gründen der Arbeitsaufnahme beantragt habe. Seinem gesamten Vorbringen sei kein Anhaltspunkt zu entnehmen, dass er im Kosovo Gefahr liefe, unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Vor dem Bundesasylamt sei er zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatlandes und zu möglichen gesundheitlichen Problemen befragt worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Mitbeteiligte nicht alle Gründe vorgebracht habe, seien der Befragung nicht zu entnehmen. Die erstinstanzliche Einvernahme des Mitbeteiligten sei daher ausreichend.

Damit zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat, darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist. Für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG genügt es nicht, wenn die von der Behörde "in rechtlicher Gebundenheit" vorgenommene Beurteilung, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung bzw. Vernehmung unvermeidlich ist, zutrifft; es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Ermessensentscheidung, die als notwendig erachteten Verfahrensschritte nicht selbst oder durch ersuchte Behörden durchzuführen, sondern die Sache zu diesem Zweck an die Erstbehörde zurückzuverweisen, - insbesondere unter Bedachtnahme des § 66 Abs. 3 AVG - nicht im Sinne des Art. 130 Abs. 2 B-VG rechtswidrig ist. Einem zurückweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG muss entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200, und vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315).

Dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, warum die Berufungsbehörde hinsichtlich der gegen den Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides erhobenen Berufung von einer Sachentscheidung Abstand nahm. Dass Mängel bei der Sachverhaltsermittlung hinsichtlich des Verfahrensgegenstandes nach § 7 AsylG unterlaufen seien, hat die belangte Behörde nicht angenommen. Für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG waren daher die Voraussetzungen jedenfalls insoweit nicht erfüllt.

Da aber eine selbständige Beurteilung nach § 8 AsylG nur dann in Frage kommt, wenn feststeht, dass der zu Grunde liegende Asylantrag abzuweisen ist, war

der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (vgl. dazu sinngemäß auch das hg. Erkenntnis vom 21. September 2004, Zl. 2003/01/0435).

Wien, am 20. April 2006

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003010285.X00

Im RIS seit

20.06.2006

Zuletzt aktualisiert am

01.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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