TE OGH 2022/2/17 5Ob4/22g

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Veröffentlicht am 17.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer. Mag. Painsi, Dr. Steger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N* GmbH, *, vertreten durch Hajek Boss & Wagner Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei M* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Reiffenstuhl & Reiffenstuhl Rechtsanwaltspartnerschaft OG in Wien, sowie die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei R* eGen, *, vertreten durch Dr. Stefan Herdey, Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen 60.341,39 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 54.309,12 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Oktober 2021, GZ 15 R 126/21s-170, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Beklagte der Klägerin aus dem Titel des Ausgleichsanspruchs nach § 364a ABGB Kosten für eine zusätzliche Schotterbettreinigung ihrer Gleisanlage von 54.309,12 EUR zu ersetzen hat, weil es durch einen ortsunüblichen Austritt von Maishäutchen aus den Ausblasöffnungen der von der Beklagten betriebenen Maistrocknungsanlage zu einer Verunreinigung des Gleiskörpers gekommen war.

[2]       Das Erstgericht gab dem Klagebegehren insoweit statt.

[3]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache und wies in Abänderung des Ersturteils nur ein Zinsenmehrbegehren ab. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4]       Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[5]       1.1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, weil das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang von erstinstanzlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung abgegangen sein soll (zur Zulässigkeit dieser Einwendung mangels Rechtskraftvorbehalt im ersten Rechtsgang vgl RS0119442 [T1, T2]; RS0042991 [T6, T7]) wurde geprüft, sie liegt nicht vor. Das Erstgericht ging davon aus, bei den Gleisen wäre eine Erhaltungsstopfung – denke man sich die organischen Verunreinigungen weg – ungefähr im Jahr 2024 erforderlich, eine Schotterbettreinigung ungefähr im Zeitraum 2032 bis 2037. Die organischen Verunreinigungen mit den Maisteilchen aus der Trocknungsanlage der Beklagten hatten die Konsequenz, dass die nächste Erhaltungsstopfung bereits rund drei Jahre früher erforderlich sein wird, wobei der genaue Zeitpunkt, wann diese Erhaltungsstopfung nötig sein wird, nicht festgestellt werden konnte. In seinen Beweiswürdigungsüberlegungen führte das Erstgericht aus, die Vorverlegung um drei Jahre ergebe das Jahr 2021, nach den Ausführungen des Sachverständigen könnte die nächste Erhaltungsstopfung aber auch schon im Jahr 2019 oder 2020 notwendig sein. Das Berufungsgericht legte diese Fest-stellungen dahin aus, die – andernfalls nicht erforderliche – Schotterbettreinigung im Zug der nächsten Erhaltungsstopfung werde etwa 2021 erforderlich sein. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht, wenn es aus erstgerichtlichen Feststellungen andere tatsächliche (und nicht nur andere rechtliche) Schlüsse zieht als das Erstgericht, nicht zu einer Beweiswiederholung in einer Berufungsverhandlung verpflichtet wäre (RS0118191), ging es bei seiner Schlussfolgerung, die nächste Erhaltungsstopfung werde (erst) 2021 und somit drei Jahre früher erforderlich sein, ohnedies von dem für die Beklagte günstigsten Zeitpunkt aus. Die nicht exakte Feststellbarkeit der genauen Vorverlegung des Termins bezog sich nach der nicht zu beanstandenden Auslegung der Vorinstanzen darauf, dass eine solche Erhaltungsstopfung schon 2019 oder 2020 (und damit vier oder fünf Jahre vor dem an sich gebotenen Zeitpunkt) erforderlich sein könnte. Dies geht daher nicht zu Lasten der Beklagten. Eine Auslegung dieser Feststellungen dahin, die Notwendigkeit einer zusätzlichen Schotterbettreinigung sei gar nicht feststellbar, verbietet sich aufgrund der ausdrücklichen Feststellung, wegen der Verunreinigungen durch Maisteilchen sei jedenfalls eine – andernfalls nicht erforderliche – Schotterbettreinigung erforderlich.

[6]       1.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Zeitpunkt der nächsten Erhaltungsstopfung sei im Zweifel Mitte des Jahres 2021 anzunehmen, verletzt § 498 ZPO nicht. Die Frage ist für die rechtliche Beurteilung irrelevant (§ 510 Abs 3 ZPO).

[7]       1.3. Mangelhaft soll das Berufungsverfahren auch sein, weil das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung ergänzende Feststellungen zur Verfügungsmacht der Beklagten über die mobile Trocknungsanlage und die mögliche Verhinderung schädlicher Immissionen getroffen habe. Das Berufungsgericht hat sich dazu auf die allgemeine Lebenserfahrung und § 269 ZPO berufen, offenkundige Tatsachen dürfte es auch ohne Beweisaufnahme ergänzend seiner Entscheidung zugrunde legen (RS0040219 [T4]). Dieser ergänzenden Feststellung bedarf es aus rechtlichen Gründen aber ohnedies nicht, weshalb der darin angeblich liegende Verfahrensmangel nicht relevant ist (RS0116273).

[8]       1.4. Die als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gerügte mangelnde Fälligkeit der Klageforderung ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung, kein Mangel des Berufungsverfahrens.

[9]       2.1. Der Schadensbegriff des § 1293 ABGB umfasst jeden rechtlich als Nachteil zu beurteilenden Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse besteht als am bisherigen Zustand (RS0022537). Nachteil am Vermögen ist jede Minderung des Vermögens, der kein volles Äquivalent gegenübersteht (RS0022537 [T1]). Die Auffassung der Vorinstanzen, zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz sei ein Schaden in diesem Sinn vorgelegen, ist nicht korrekturbedürftig.

[10]     2.2. Die Verunreinigung der Gleisanlage mit Maishäutchen hatte zur Folge, dass die nächste Erhaltungsstopfung rund drei Jahre früher vorgenommen werden muss. Diese Erhaltungsstopfung kann nicht ohne eine – andernfalls noch nicht erforderliche – vorangehende Schotterbettreinigung durchgeführt werden, um eine Verstopfung des Sickerschlitzes zu vermeiden. Nur solange diese Erhaltungsstopfung nicht stattfindet, ist die Schotterbettreinigung (noch) nicht erforderlich, weil sich die organischen Verunreinigungen da noch in den Hohlräumen des Schotterbetts befinden. Auf Basis dieser Feststellungen ist die Beurteilung der Vorinstanzen, ein positiver Schaden sei durch den Eintrag der Maishäutchen in die Gleisanlage (also durch Verunreinigung) bereits entstanden, nicht zu beanstanden. Auf eine Störung der Funktionstüchtigkeit der Gleisanlage selbst kommt es im Hinblick auf den weiten Schadensbegriff des § 1293 ABGB nicht an. Soweit die Revisionswerberin meint, der Verunreinigungsgrad der Gleise mache eine Reinigung des Schotterbetts (offenbar gemeint: gar nicht) erforderlich, ein Schaden der Klägerin liege nicht vor und es sei nicht feststellbar, wann die Erhaltungsstopfung durchgeführt werden müsse, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und führt die Rechtsrüge nicht gesetzesgemäß aus (RS0043603 [T2, T8]).

[11]     2.3. Dass die Klägerin beabsichtigt, die Schotterbettreinigung anlässlich der nächsten Erhaltungsstopfung durchzuführen, hat sie behauptet. Im ersten Rechtsgang verwies das Berufungsgericht darauf, die Beklagte treffe eine Vorschusspflicht für die daraus abzuleitenden Reparaturkosten. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Ersatzfähigkeit von Reparaturkosten nicht die bereits durchgeführte Reparatur voraus, wohl aber eine Reparaturabsicht (RS0124491). Wenn die Vorinstanzen die Behauptung in der Klage, der Mangel der Gleisanlage müsse saniert werden, um die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs zu gewährleisten, im Sinn einer darauf gerichteten (Reparatur-)Absicht auslegten, ist dies im Einzelfall nicht zu beanstanden (vgl auch 3 Ob 191/13d [Klagevorbringen, dass die geforderte Quellfassung zur Rettung des Gebäudes nötig sei]). Diese Reparaturabsicht hat die Beklagte (auch nicht nach entsprechendem Hinweis auf die Vorschusspflicht durch das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang) nie substantiiert bestritten. Dies als zumindest schlüssig zugestanden anzusehen (vgl 3 Ob 191/13d), ist nicht korrekturbedürftig. Auf dieser Basis steht der Klägerin daher das Deckungskapital für die geplanten Arbeiten (Schotterbettreinigung) – wie vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt – vorschussweise zu (2 Ob 135/10g; 6 Ob 154/09d [zum Anspruch nach § 933a ABGB]). Dabei handelt es sich um einen zweckgebundenen Vorschuss, bei dem der Empfänger verrechnungspflichtig ist, ohne dass es einer ausdrücklichen Bezeichnung als Vorschuss bedürfte (2 Ob 150/20b mwN).

[12]     2.4. Ein solcher Vorschuss wird dann fällig, wenn der Gläubiger ihn zur Schadensbehebung benötigt, er muss ihm daher angemessene Zeit davor zur Verfügung stehen (RS0031088 [T9, T11]). Das Argument der Revisionswerberin, die Vorinstanzen hätten gegen § 406 ZPO verstoßen, weil ein allenfalls zu gewährender Vorschuss noch nicht zur Zahlung fällig sei, überzeugt nicht. § 406 erster Satz ZPO lässt die Verurteilung zu einer Leistung dann zu, wenn die Fälligkeit zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten ist. Im Fall der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vom Berufungsgericht an das Prozessgericht erster Instanz könnten nur abschließend erledigte Streitpunkte nicht wieder aufgerollt werden, im Übrigen ist neues Vorbringen unbeschränkt möglich. Abzustellen ist dann auf den Anspruch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im zweiten Rechtsgang (RS0042435 [T2 bis T7]). Da hier die Verhandlung im zweiten Rechtsgang am 12. 2. 2021 geschlossen, die Frage der Fälligkeit im ersten Rechtsgang nicht abschließend geklärt wurde und der Vorschuss nach den Feststellungen spätestens im Jahr 2021 für die Schotterbettreinigung verwendet werden sollte, ist die Beurteilung der Vorinstanzen, bei Schluss der Verhandlung erster Instanz im zweiten Rechtsgang sei dieser Anspruch jedenfalls fällig gewesen, nicht zu beanstanden.

[13]     2.5. Dass das Berufungsgericht den Beginn des Zinsenlaufs mit 27. 3. 2019 als in der Berufung zugestanden wertete, wird in der Revision nicht beanstandet; ein solches Zugeständnis bestreitet die Revisionswerberin gar nicht.

[14]     3.1. Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung tritt bei Immissionen aus behördlich genehmigten Anlagen gemäß § 364a zweiter Fall ABGB an die Stelle des Unterlassungsanspruchs ein schadensvergütender verschuldensunabhängiger (RS0010691; RS0010449) nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (RS0010550 [T1]; RS0010501). In analoger Anwendung dieser Bestimmung hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch stets dann zu gewähren ist, wenn einem Geschädigten ein Abwehrrecht, das ihm wegen Bestehens einer an sich gefährlichen Situation nach dem Inhalt seines dinglichen Rechts sonst zugestanden wäre, genommen wurde (5 Ob 82/13i mwN). Eine derart gleichartige Gefahrenlage ist insbesondere dann anzunehmen, wenn durch die auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführende Einleitung von Schadstoffen jede Unterlassungsklage zu spät käme, sodass sich der von dieser Einwirkung Betroffene in derselben Situation wie derjenige befindet, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war (8 Ob 48/07b [Wasseraustritt]). Demgemäß besteht die Ersatzpflicht auch für Schäden, die dem Nachbarn durch einmalige Vorfälle entstehen, wenn es sich um für den Betrieb der Anlage typische und damit kalkulierbare Immissionen handelt oder die Immissionen aus für den konkreten Betrieb typischen Verrichtungen herrühren (RS0010674 [T1, T2]; RS0010670 [T1, T10, T13]) und nicht durch zumutbare Vorkehrungen hintangehalten oder verringert werden können (RS0010645 [T8]). Ein solcher Ausgleichsanspruch kommt aber nur bei Schädigungen in Frage, die in irgendeiner Weise mit der Verfügungsmacht des Grundeigentümers zusammenhängen, sei es, dass dieser die Liegenschaft in einen Schaden hervorrufenden Zustand versetzt oder in einem solchen belässt, sei es, dass er auf seiner Liegenschaft eine schadensstiftende Tätigkeit verrichtet oder deren Verrichtung durch Dritte duldet (RS0010448). Sowohl die Frage, ob eine bestimmte Immission für den Betrieb einer bestimmten Anlage typisch ist, als auch, ob der Sachzusammenhang zwischen der Verfügungsbefugnis des Eigentümers und dem Schaden durch die Immission gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0112033) und wirft daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[15]     3.2. Hier steht fest, dass sich (auch) die mobile Trocknungsanlage im Besitz der Beklagten befand und sie diese auf ihrer Liegenschaft so verwendete, dass dadurch der Schaden an der Gleisanlage der Klägerin entstand. In einem solchen Fall von einem ausreichenden Sachzusammenhang zwischen der Verfügungsbefugnis des Eigentümers und der schädigenden Immission auszugehen, begegnet keinen Bedenken. Auf die ergänzenden Feststellungen des Berufungsgerichts zur möglichen Verhinderung oder Verminderung der Schäden durch die Beklagte selbst kommt es rechtlich daher nicht an.

[16]     3.3. Dass die Vorinstanzen (erkennbar) übereinstimmend davon ausgingen, der Austritt von Maissamenhäutchen aus einer (mobilen) Getreidetrocknungsanlage sei für einen Betrieb zur Getreidetrocknung typisch und damit (zumindest abstrakt) für die Beklagte kalkulierbar, ist im Einzelfall ebenfalls nicht zu beanstanden. Auf eine behördliche Genehmigung für die mobile Trocknungsanlage kommt es bei der bloß analogen Anwendung des § 364a ABGB gerade nicht an.

[17]     4. Damit war die Revision zurückzuweisen.

Textnummer

E134327

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00004.22G.0217.000

Im RIS seit

07.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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