TE OGH 2022/2/22 14Os149/21z

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Februar 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher in der Strafsache gegen * C* wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. September 2021, GZ 95 Hv 90/21g-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt I./ des Schuldspruchs, demzufolge auch im Strafausspruch und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche hinsichtlich Punkt I./ des Schuldspruchs aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen Punkt I./ des Schuldspruchs richtet, und mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde * C* des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (I./) und des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er am 20. Jänner 2021 in W*

I./ als Beamter mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, nämlich * S* an seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit und „auf Einhaltung der zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Menschen die exekutiven Zwangsbefugnisse einschränkenden Normen“ sowie den Staat „an seinem konkreten Recht auf Einhaltung der zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Menschen die exekutiven Zwangsbefugnisse einschränkenden Normen“, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er S* in der Klinik H* „im Zuge einer Amtshandlung, nämlich der Fixierung des S*, der zuvor versucht hatte, mit seinem Kopf in Richtung der einschreitenden Exekutivbeamten auszuschlagen, mit dem Fuß einen Tritt oder Stoß gegen den Kopf versetzte, als S* bereits gesichert am Boden lag“,

II./ S* am Körper zu verletzen versucht, indem er ihm im Zuge des Transports in die Klinik D* im Rettungswagen mit dem rechten Fuß einen gezielten Tritt in das Gesicht versetzte.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 sowie Z 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Zur amtswegigen Maßnahme

[4]       Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das angefochtene Urteil zu Punkt I./ des Schuldspruchs einen nicht geltend gemachten Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten aufweist, der von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[5]            Ob ein Verhalten Ausübung einer Befugnis zu hoheitlichen Amtsgeschäften, insbesondere zur Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt, darstellt oder bloß einen allgemeinen Straftatbestand erfüllt, ergibt sich aus der – nach einem objektiven Maßstab zu beurteilenden – Zielsetzung der Handlung (vgl 17 Os 51/14z). Ist die Durchführung der Amtshandlung ihr Zweck, soll maW durch sie das Ziel der Amtshandlung erreicht werden, kommt Strafbarkeit nach § 302 StGB in Betracht. Setzt der Beamte dabei die ihm (abstrakt) gegebene Macht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein, liegt gerade darin ein Befugnisfehlgebrauch iSd § 302 Abs 1 StGB, selbst wenn dieser (auch) einem anderen Tatbild entspricht (vgl RIS-Justiz RS0096344, inbes 14 Os 141/19w). In diesem Fall verdrängt Missbrauch der Amtsgewalt als echtes Sonderdelikt die allgemein strafbare Handlung, sofern diese nicht strenger strafbedroht ist (RIS-Justiz RS0090968). Nützt aber der Beamte bloß die Gelegenheit einer Amtshandlung zu einem (sonst strafbaren) Verhalten ohne Konnex zu dieser aus, liegt Missbrauch der Amtsgewalt nicht vor (vgl zum Ganzen im Detail Nordmeyer in WK² StGB § 302 Rz 129 ff).

[6]            Nach den Urteilskonstatierungen war die Amtshandlung darauf gerichtet, einen gefährlichen Angriff des S* abzuwehren und „ihn unter Kontrolle zu bringen“ (siehe aber US 4, wonach die Beamten S* einer Krankenanstalt für Psychiatrie vorführten [vgl § 46 Abs 2 SPG und § 9 Abs 2 UbG]). Es war Ziel, ihn zu fixieren und die von ihm ausgehende Gefahr zu bannen. Als S* bereits am Boden fixiert war und von ihm keine weitere Gefahr mehr ausging, trat oder stieß der Angeklagte mit seinem Fuß gegen seinen Hinterkopf (US 6).

[7]            Dass der Fußtritt aber der Beendigung eines gefährlichen Angriffs (§§ 21 Abs 2, 33 SPG) oder der Vorführung des S* (erneut § 46 Abs 2 SPG, § 9 Abs 2 UbG) diente, geht aus den Entscheidungsgründen nicht hervor. Einer Subsumtion nach § 302 Abs 1 StGB fehlt somit die notwendige Sachverhaltsgrundlage.

[8]       Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erforderte die Aufhebung des Urteils in Punkt I./ des Schuldspruchs, demgemäß auch des Strafausspruchs und des auf Punkt I./ des Schuldspruchs bezogenen Ausspruchs über die Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg (vgl RIS-Justiz RS0101303) bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[9]            Darauf war der Angeklagte mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen Punkt I./ des Schuldspruchs richtet, und mit seiner Berufung zu verweisen.

[10]           Bleibt anzumerken, dass sich das – neben dem tatbestandsmäßigen Recht des S* auf körperliche Unversehrtheit (vgl Nordmeyer in WK² StGB § 302 Rz 151) – als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes formulierte Recht des Staates und des S* „auf Einhaltung der zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Menschen die exekutiven Zwangsbefugnisse einschränkenden Normen“ im (für die Tatbestandserfüllung nicht ausreichenden) Anspruch auf Einhaltung jener Vorschriften erschöpft, deren Verletzung vom Tatbestandsmerkmal des Befugnismissbrauchs erfasst ist (RIS-Justiz RS0096270 [T10, T12, T14 und T16]; vgl Nordmeyer in WK² StGB § 302 Rz 152 ff [zu Individualrechten im Zusammenhang mit Verfahrensvorschriften] und Rz 159 [zum staatlichen Anspruch auf pflichtgemäße Berufsausübung]).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde betreffend Punkt II./ des Schuldspruchs

[11]           Zu Punkt II./ des Schuldspruchs stützte das Erstgericht die Feststellungen zum Tathergang auf die Aussage des Tatzeugen * T* (US 19 ff), den Umstand, dass im Zusammenhang mit den vorausgegangenen Geschehnissen im Krankenhaus H* mehrere Zeugen ebenfalls Misshandlungsvorwürfe erhoben hatten (US 24 f), und den persönlichen Eindruck vom Angeklagten (US 25). Das von T* (teils bei seiner kriminalpolizeilichen Vernehmung) geschilderte Verhalten des Angeklagten vor und nach der Tat stand nach den Erwägungen der Tatrichter mit der Tatbegehung im Einklang (US 23).

[12]           Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge anfechtbar, als sie für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage entscheidend sind (RIS-Justiz RS0117499). An dieser Voraussetzung scheitert die Unvollständigkeit und offenbar unzureichende Begründung reklamierende Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall), soweit sie sich auf die Urteilsannahmen zum Nachtatverhalten des Angeklagten (Stattfinden eines Gesprächs mit den Sanitätern über das Vorhandensein von Überwachungskameras im Rettungswagen, Gespräche über die Plausibilisierung der Verletzungen des S* mit einem vorausgegangenen Handgemenge) und zu dessen Verhalten vor der Tat (Provokation des S*) bezieht, weil das Erstgericht in ihnen erkennbar keine notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache erblickte (US 19 ff; RIS-Justiz RS0116737).

[13]           Gleiches gilt für den Einwand (Z 5 zweiter Fall) gegen die Urteilserwägungen in Zusammenhang mit der Aussage des Angeklagten über den von ihm vermuteten Grund für die Vorladung zu einem Dienstgespräch mit einem Vorgesetzten (US 22). Denn mit der solcherart unternommenen Infragestellung der Ausführungen der Tatrichter zur fehlenden Überzeugungskraft der Einlassung des Beschwerdeführers bezieht sich die Rüge auf die Sachverhaltsannahme seiner Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit und daher nicht auf die Feststellung entscheidender Tatsachen im dargelegten Sinn (RIS-Justiz RS0106588 [T4]).

[14]           Das weitere mit den Aussagen des Angeklagten und des Zeugen I* begründete Vorbringen (nominell Z 5 zweiter Fall), Gegenstand des Augenscheins sei nicht der Rettungswagen gewesen, mit dem S* transportiert worden sei, erschöpft sich in unzulässiger Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung. Dieser Einwand zielt nämlich darauf ab, den Beweiswert der Beweisaufnahme in Frage zu stellen. Im Übrigen ist den Depositionen des genannten Zeugen zum angesprochenen Thema nichts zu entnehmen (ON 36 S 19), während die hervorgehobene Behauptung des Angeklagten schon deshalb keiner expliziten Erörterung bedurfte, weil der beim Lokalaugenschein anwesende Sanitäter bestätigte, dass das hiefür zur Verfügung gestellte Rettungsfahrzeug jedenfalls „genau der gleiche Typ“ war, wie das für den Transport des Tatopfers verwendete (ON 39 S 5).

[15]           Schließlich ist der Schluss vom Verhalten des Angeklagten, nämlich vom Ausführen eines Tritts mit seinem beschuhten Fuß in das Gesicht des S*, auf seinen Verletzungsvorsatz (US 23 f) – der Beschwerde zuwider (Z 5 vierter Fall) – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden und bei (wie hier) nicht geständigen Angeklagten methodisch auch nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0116882).

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bloß allgemein behauptet, dass bereits die Feststellungen zur objektiven Tatseite den Schuldspruch nicht zu tragen vermögen, ohne die vermissten Feststellungen konkret zu benennen, verfehlt sie die Ausrichtung am Verfahrensrecht (vgl RIS-Justiz RS0118342).

[16]           Zur subjektiven Tatseite stellten die Tatrichter fest, dass der Angeklagte die Zufügung von Verletzungen im Gesicht des S*, wie „Schürfungen“ und Hämatome (vgl RIS-Justiz RS0092811 [T12, T13, T14]), sowie von Verletzungen im Mundbereich ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand (US 9 f). Welche darüber hinausgehenden Konstatierungen erforderlich gewesen wären, um den als fehlend reklamierten Sachverhaltsbezug herzustellen, legt die Beschwerde nicht dar, sodass sie sich abermals einer sachbezogenen Erwiderung entzieht.

[17]     In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[18]     Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E134019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00149.21Z.0222.000

Im RIS seit

09.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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