TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/7 W150 2248832-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.2021
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Entscheidungsdatum

07.12.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs3
VwGVG §8a

Spruch


W150 2248832-1/41E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX (alias XXXX , alias XXXX ), geb. XXXX 1991 (alias XXXX 1995 alias XXXX 2001), StA. MAROKKO, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, FN 525828b, gegen den Bescheid der BFA, Regionaldirektion Vorarlberg (BFA-V) vom 17.11.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG iVm § 1 Z 3 und Z 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG wird der Antrag der beschwerdeführende Partei auf Kostenersatz als unbegründet abgewiesen.

V. Gemäß § 8a VwGVG wird der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Gewährung von Verfahrenshilfe als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“ oder „beschwerdeführende Partei“), reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.04.2016 unter Angabe der Personalien, XXXX , geboren am XXXX 2001 in Tripolis, libyscher Staatsbürger einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Verfahrensanordnung vom 14.06.2016 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch „BFA“ oder „belangte Behörde“) gemäß § 39 Abs. 2 AVG, § 63 Abs. 2 AVG die Volljährigkeit des BF festgestellt, das Mindestalter zunächst um 10 Jahre korrigiert und als fiktives Geburtsdatum der XXXX 1995 festgesetzt.

3. Der BF entzog sich in weiterer Folge seinem laufenden Asylverfahren in Österreich und reiste illegal in Dänemark ein. Von dort aus wurde er am 16.06.2016 gemäß der Dublin-III-Verordnung zurück nach Österreich überstellt.

4. Mit 28.07.2016 wurde das Asylverfahren des BF vom BFA gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt, da sein Aufenthaltsort wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht weder bekannt, noch sonst leicht feststellbar war und eine Entscheidung ohne weitere Einvernahme nicht erfolgen konnte.

5. Am 23.05.2018 wurden der BF gemäß der Dublin-III-Verordnung von der Schweiz nach Österreich überstellt.

6. Der BF entzog sich abermals dem Verfahren durch illegale Ausreise und wurde neuerlich am 02.07.2018 von den Schweizer Behörden gemäß der Dublin-III-Verordnung den österreichischen Behörden übergeben.

7. Am 13.08.2018 wurde über den BF die Untersuchungshaft in der Justizanstalt Innsbruck verhängt.

8. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck, vom 01.10.2018, AZ 37 Hv 92/18s, wurde der BF aufgrund des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall zweite Alternative StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 9 Monaten, davon 6 Monate bedingt auf eine Probezeit auf 3 Jahre, verurteilt.

9. Mit Bescheid des BFA vom 02.11.2018, Zl. XXXX , wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den BF die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verhängt. Am 03.11.2018 wurden der BF aufgrund Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen.

10. Mit 05.11.2018 wurde vom Bundeskriminalamt mitgeteilt, dass der BF von Interpol Rabat unter den Personalien XXXX , geboren am XXXX 1991 in XXXX , marokkanischer Staatsbürger, identifiziert wurde.

11. Der BF entzog sich erneut seinem Verfahren in Österreich und wurden am 20.12.2018 abermals von der Schweiz gemäß Dublin-III-Verordnung nach Österreich rücküberstellt.

12. Mit Bescheid des BFA vom 23.12.2018, zu Zahl XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 15.04.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 Asyl wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Mit der Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG gegen den BF ein Einreiseverbot auf die Dauer von 5 Jahren erlassen, weiters festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig ist und ihm mitgeteilt, dass er gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 02.08.2018 verloren hat. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der Aufenthaltsort des BF entzog sich der Kenntnis der erkennenden Behörde, weshalb die Zustellung des Bescheides mit Hinterlegung im Akt am 03.01.2019 erfolgt. Am 09.01.2019 erschien der BF vor dem BFA und es wurde ihm eine Kopie des gegenständlichen Bescheides ausgefolgt und ihm mitgeteilt, dass die Rechtsmittelfrist am 03.01.2019 begonnen hat. Im Zuge Ihres Erscheinens wurde dem BF das Formblatt für die marokkanische Botschaft ausgefolgt, jedoch verweigerte er das Ausfüllen und somit seine Mitwirkung.

13 Am 15.01.2019 wurde durch das BFA bei der marokkanischen Botschaft ein Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF gestellt.

14. Am 28.01.2019 brachte der BF, damals vertreten durch den VMÖ, gegen den oben unter Punkt 12. genannten Bescheid des eine Beschwerde ein.

15. Das Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge auch: „BVwG“) wies mit Erkenntnis vom 27.05.2019, AZ I406 2213866-1/15E, die Beschwerde als unbegründet ab. Mit 28.05.2019 erwuchs somit der ober unter Punkt 12. genannte Bescheid des BFA in zweiter Instanz in Rechtskraft.

16. Am 14.05.2019 wurde vom BFA über den BF gemäß § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG als gelinderes Mittel zum Zweck der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Hinterlegung einer Sicherheit in der Höhe von € 1.200,- angeordnet und mit gleichem Tage von einem Organ der österreichischen Exekutive sichergestellt.

17. Mit Bescheid des BFA, vom 01.06.2019, Zl. XXXX , wurde über den BF gemäß § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung das gelindere Mittel der regelmäßigen Meldung bei der Landespolizeidirektion beginnend mit 17.06.2019 angeordnet. Dieser Bescheid samt Verfahrensanordnungen wurde am 01.06.2019 dem BF eigenhändig ausgefolgt.

18. Da der BF in weiterer Folge seiner Meldeverpflichtung gemäß § 77 Abs. 6 FPG nicht nachkam wurde mit 06.08.2019 vom BFA ein Festnahmeauftrag gegen den BF gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 BFA-VG erlassen.

20. Am 10.08.2019 wurde der BF festgenommen, einer Haftfähigkeitsprüfung unterzogen und vom Amtsarzt für nicht haftfähig erklärt, der dazu eine neuerliche Kontrolle der Haftfähigkeit in drei Monaten empfahl. Mit gleichem Tage wurde der BF daraufhin aus der Festnahme entlassen. Mit Entlassung wurde dem BF eine Ladung für den 12.08.2019 sowie die Verfahrensanordnung gemäß § 77 Abs. 6 nachweislich zugestellt. Dieser Ladung leistete der BF Folge.

19. Mit Bescheid des BFA, vom 14.08.2019, Zl. XXXX wurde gemäß § 68 Abs. 2 AVG der Bescheid des BFA vom 01.06.2019, Zl.: XXXX , betreffend das gelindere Mittel zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung von Amts wegen abgeändert. Die Meldeverpflichtung gemäß § 77 Abs. 6 FPG wurde von Amts wegen aufgehoben. Die Hinterlegung der finanziellen Sicherheit in der Höhe von € 1.200,- blieb aufrecht.

21. Von 21.09.2019 bis 23.11.2020 befand sich der BF in verschiedenen Justizanstalten in Österreich in Untersuchungs- bzw. Strafhaft.

22. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck, vom 04.12.2019, AZ 29 Hv 100/19k wurden der BF aufgrund der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 6 Monaten verurteilt.

23. Mit Parteiengehör vom 27.12.2019, zugestellt am 29.12.2919 wurde dem BF gemäß § 45 Abs. 3 AVG mitgeteilt, dass die Erlassung einer neuerlichen fremdenpolizeilichen Maßnahme, nämlich eine Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot, gegen ihn beabsichtigt ist und ihm eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen gewährt. Diese Frist ließen der BF ungenutzt verstreichen.

24. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Schwaz, vom 23.08.2019, AZ Zahl 4 U 11/19w-102, rechtskräftig seit 06.02.2020, wurde der BF aufgrund des Vergehens des Diebstahles nach § 127 StGB, der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB, der Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Diebstahles nach §§ 127, 15 StGB, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt drei Monaten verurteilt.

25. Mit Bescheid des BFA vom 26.03.2020, Zl. XXXX , wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung nach Marokko gemäß § 52 Abs. 9 FPG für zulässig erklärt. Mit der Rückkehrentscheidung wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot auf die Dauer von 10 Jahren erlassen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründe wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG gewährt. Weiters wurde einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Diese Entscheidung wurde am 06.04.2020 persönlich an den BF zugestellt und erwuchs mit 30.05.2020 in erster Instanz in Rechtskraft.

26. Am 23.11.2020 gelang dem BF die Flucht aus der Justizanstalt Innsbruck.

27. Am 04.01.2021 traten die Schweizer Behörden mit Österreich in Kontakt und ersuchten um Übernahme des BF iSd Dublin-III-Verordnung. Nach Zustimmung zur Überstellung wurde von der Schweiz die Aussetzung beantragt, da der BF sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befand.

28. Mit Verbalnote vom 09.02.2021 wurden der BF von der marokkanischen Botschaft als marokkanischer Staatsbürger identifiziert und es wurde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für seine Person zugesichert.

29. Am 16.04.2021 erstellte das Spital Thurgau einen Austrittsbericht, demzufolge der BF nach Insulinintoxikation (vermuteter Suizidversuch) im Zusammenhang mit einem Fluchtversuch aus dem Kantonsspital St. Gallen in Behandlung war. Als Hauptdiagnose wurde eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und emotional instabilen Zügen angegeben. Bei Austritt sei der BF wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen. Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis soweit unauffällig. Kein Wahn, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen. Situationsbezogene Ängste. Keine Phobien oder Zwänge. Im Affekt angepasst, Stimmung ausgeglichen, die affektive Schwingungsfähigkeit ist erhalten. Psychomotorisch ruhig. Keine Suizidgedanken und –pläne. Keine Hinweise auf akute Eigen- oder Fremdgefährdung.

30. Da sich der BF bereits einem früheren Transferversuch widersetzt hatte war für den 25.05.2021 eine begleitete Überstellung auf dem Luftwege von der Schweiz nach Österreich vorgesehen. Diese Überstellung musste jedoch abgebrochen werden, da der BF den Abflug verweigerte.

31. Am 22.06.2021 wurden der BF von den schweizerischen Behörden am Landweg am Grenzübergang Lustenau-Au an den österreichischen Behörden übergeben und er wurde zur Verbüßung seiner offenen Strafhaft in die Justizanstalt Feldkirch überstellt.

32. Am 23.06.2021 injizierte sich der BF drei Insulinpens auf einmal und musste daraufhin ins LKH-Feldkirch zur Behandlung eingeliefert werden. Dort beschimpfte er die ihn einliefernden Beamten als „Hurensöhne“ und „verdammte Nazis“, riss sich die FFP2 Maske vom Gesicht, bespuckte die Beamten, wollte auf sie losgehen und musste am Boden fixiert werden.

33. Am 24.06.2021 übermittelte eine Fachärztin für Lungenkrankheiten der JA Feldkirch auf Anforderung hin einen Röntgenbefund des BF vom 23.06.1021 demzufolge dieser nach tuberkulostatischer Therapie bis 31.05.2021 derzeit ergussfrei in der Lunge sei, stauungsfrei, kleine streifige Verdichtung an den rechten unteren Hiluspol angrenzend. Sie empfahl eine Kontrolle in ca. drei bis sechs Monaten.

34. Seit 28.06.2021 befand sich der BF in der Justizanstalt Innsbruck. Dort wurde ihm am 06.07.2021 Parteiengehör betreffend beabsichtigter Sicherungsmaßnahme in Hinblick auf die Verhängung der Schubhaft nachweislich zugestellt und ihm eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme erteilt, die er ungenutzt verstreichen ließ.

35. Am 30.07.2021 wurden der BF in der Justizanstalt Innsbruck von einem Organwalter des BFA, im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache bezüglich der beabsichtigten Sicherungsmaßnahme niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab der BF im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant zusammengefasst zunächst an, erst einmal sehen zu wollen ob er Lust habe, die Fragen zu beantworten. Bezüglich seines Gesundheitszustandes gab an, dass er Insulin bekomme. Bezüglich Reisedokumenten, dass er einen Pass habe, ihn aber versteckt habe. Er könne nicht sagen ob er ihn jemals wiederfinde. Er habe ihn versteckt und wisse nicht mehr wo. Er sei 2015 in das Gebiet der EU eingereist, nach Österreich 2016. Er habe sich in den letzten 5 Monaten in der Schweiz und in Frankreich aufgehalten, sei aber in Frankreich nicht kontrolliert worden. Auf die Frage, ob er Ausreisevorbereitungen getroffen habe, meinte er „einen marokkanischen Pass meinen Sie? Dass ich Papiere habe. Dass Sie mich abschieben? Wenn ich einen Pass habe und den vorlege schicken Sie mich zurück“ und lachte bei der Antwort. Freunde oder Bekannte, Verwandte in Österreich habe er keine. Er habe nur Gott. Bezüglich der Finanzierung seines Unterhaltes in Österreich gab er an, in seinem Leben noch nie gearbeitet zu haben. Er finanziere sein Leben mit Drogen und Diebstählen. Einen ordentlichen Wohnsitz in Österreich habe er keinen. Er habe im Wald gelebt. Deutschkurs oder berufsbildende Kurse habe er keine belegt, er brauche keine Schule. Er habe Kontakte zu Personen in Frankreich, Holland, Spanien, Belgien, Deutschland und Italien. Weiters machte er sich erbötig, im Austausch für Papiere Landsleute zu identifizieren, um sie nach Marokko zurückschicken zu können; auch wolle er, dass man ihm eine Wohnung zur Verfügung stelle. Zur Frage nach einer allfälligen freiwilligen Rückkehr nach Marokko meinte er: „Wie sie wollen mich jetzt zurückschicken? Fremder überlegt länger. Das ist eure Sache. Wenn ich freigelassen werden dann tue ich was ich tun muss, wenn ich mich schicken wollt versucht es. Wenn ich bleiben will dann bleibe ich. Ich kann immer wieder zurück nach Österreich, ist nicht schwer.“ Als ihm mitgeteilt wurde, dass nun die Verhängung der Schubhaft gegen ihn vorgesehen sei, erwiderte er, dass er krank sei, er könne nicht länger in geschlossenen Räumen bleiben. Er sei ein Freigeist und könne tun und lassen was er wolle. Er fürchte sich vor niemanden außer Gott.

36. Mit Bescheid des BFA vom 06.08.2021, Zl. XXXX wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt.

37. Am 12.08.2021 wurde der BF aus der Justizanstalt Innsbruck entlassen.

38. Am 13.08.2021 wurden der BF aufgrund Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen und stationär in einer Krankenanstalt aufgenommen. Anschließend ergriff er die Flucht.

39. Am 30.08.2021 wurde vom BFA gegen den ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG erlassen, da er untergetaucht war.

40. Am 17.11.2021 wurden der BF von den schweizerischen Behörden am Landweg am Grenzübergang Lustenau-Au rücküberstellt und an die österreichischen Behörden übergeben.

41. Nach erfolgter Rückübernahme am 17.11.2021 wurde der BF dem Amtsarzt vorgeführt, der seine Haftfähigkeit bestätigte.

42. Mit Bescheid des BFA vom 17.11.2021 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet und ihm mit Verfahrensanordnung vom gleichen Tage die Bundesbetreuungs- und Unterstützungsagentur (BBU) als Rechtsberatung gemäß § 52 BFA-VG für das Verfahren vor der Behörde und ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

43. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 30.11.2021 Beschwerde an das BVwG.

Darin führte er im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant zusammengefasst aus, dass die Haft unverhältnismäßig sei, da er aus gesundheitlichen Gründen nicht haftfähig sei und die Haft ihn auch im Falle seiner Haftfähigkeit unverhältnismäßig hart treffe.

Er leide an einer schweren psychischen Erkrankung (Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und emotional instabilen Zügen), an einer Passagere Hypokaliämie, an mikroskopisch positiver Lungentuberkulose und an Cervikozephalem Syndrom, an Diabetes sowie an anamnestisch multiplem Substanzgebrauch. Er brauche aufgrund seiner psychischen Erkrankung besondere medizinische Hilfe, weil Suizidgefahr bestehe. Die Behörde habe selbst festgestellt, dass er nicht haftfähig sei. Als Beweis führte er medizinische Unterlagen der Schweizer Behörden und der Justizanstalt Innsbruck. Weiters beantragte er die Einholung eines medizinischen Gutachtens durch einen Facharzt aus dem Gebiet der Augenheilkunde und Optometrie sowie ein weiteres medizinisches Gutachten durch einen Facharzt aus dem Gebiet der Psychiatrie.

Neben Kostenzuspruchs der Aufwendungen sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen einschließlich der Eingabengebühr im Falle des Obsiegens beantragte der BF weiters die Durchführung einer mündliche Verhandlung unter Einvernahme des BF und der beantragten Zeugen zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes, den angefochtenen Bescheid zu beheben und auszusprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte; weiters auszusprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF nicht vorliegen.

44. Das BFA gab in einer Stellungnahme vom 01.12.2021 dazu im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant zusammengefasst an, dass nicht verkannt werde, dass der Beschwerdeführer bereits zwei Mal aus der Schubhaft aufgrund einer Haftunfähigkeit entlassen worden sei. Nach der Überstellung aus der Schweiz sei vor Erlassung der Schubhaft die Haftfähigkeit durch die öffentlich-rechtliche Ärztebereitschaft am 17.11.2021 geprüft worden. Aus dem vorliegenden polizeiamtsärztlichen Gutachten gehe ganz klar hervor, dass der Beschwerdeführer haftfähig sei. Zudem habe der BF im Polizeianhaltezentrum jederzeit die Möglichkeit, eine ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Die Verhängung der Schubhaft sei daher gerechtfertigt gewesen. Ein gelinderes Mittel komme schon deshalb nicht in Frage, da sich der BF bereits mehrfach den Verfahren in Österreich entzogen habe. Der Beschwerdeführer sei bis dato für die Behörde nicht greifbar gewesen und nach jeder Schubhaftentlassung untergetaucht. Bereits im Jahre 2019 habe sich der BF einem gelinderen Mittel durch Untertauchen entzogen. Zudem nutze der BF jede Möglichkeit zur Flucht, reiste in andere EU-Länder reiste und musste anschließend wieder nach Österreich rücküberstellt werden. Sofern sich der BF nicht in Schubhaft oder Strafhaft befunden habe sei er zu keiner Zeit für die Behörde greifbar gewesen. Am 13.08.2021, einen Tag nach der Schubhaftverhängung, sei der BF aufgrund einer Haftunfähigkeit in ein Krankenhaus verbracht worden und habe diesen Umstand genutzt, um ein weiteres Mal unterzutauchen und in die Schweiz zu reisen. Der BF sei nicht vertrauenswürdig und nutze jede Chance, die sich ihm ergibt, sich den Behörden zu entziehen.

45. Auf Anforderung des BVwG vom 02.12.2021 übermittelte das BFA am 03.12.2021 ein amtsärztliches Gutachten vom gleichen Tage, demzufolge der BF einen guten physischen und psychischen Gesundheitszustand aufweise. Bei ihm sei eine insulinpflichtige Zuckerkrankheit bekannt, er komme drei Mal täglich in die Sanitätsstelle, dort werden die Blutzuckerwerte gemessen und durch den BF selbst Insulin unter Aufsicht injiziert. Aktuelle sei er subjektiv beschwerdefrei. Der BF sei nach wie vor haft- und verhandlungsfähig.

46. Am 06.12.2021 wurde vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF und seiner Vertreterin unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Das BFA war der Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Unter anderem gab der BF dabei an, dass er physisch und psychisch in der Lage sei, der Verhandlung zu folgen. Er klage über Krankheiten und zwar leide er an Zucker und psychischer Krankheit. Allgemeiner Schwäche im Körper. Er nehme regelmäßig Medikamente. Für den Zucker nehme er welche, auch Tabletten für die psychische Krankheit und auch Tabletten für die Kopfschmerzen. „Ansulin Langos für Zucker und Tablette Cibrecksa für die psychische Krankheit und Dafalgan für Kopfschmerzen.“ Medizinische Befunde konnten von ihm nicht vorgelegt werden.

Er habe als Spitznamen „Alragawi“ und habe in der Schweiz und in Dänemark den Namen „Adnan“ verwendet. In Marokko hätte er einen Reisepass gehabt, der auf der Reise verlorengegangen sei. Um ein neues Reisedokument habe er sich nicht bemüht, denn wenn er sich einen Reisepass ausstellen lassen würde, bedeute das ja, dass er nach Marokko zurückkehren könne. Das wolle er nicht, wegen seiner Gesundheit. Nach telefonisch in der Verhandlungspause eingeholter Auskunft aus der Sanitätsstelle im PAZ erhält der BF derzeit neben Insulin folgende Arzneimittel: Olanzapin 20 mg (abends) und Haldol 30 Tropfen (morgens).

Auf seine Vorstrafen, er erinnerte sich an „Drohung der Polizei, Drogen und Diebstahl“, angesprochen meinte er, dass das nicht so schwere Straftaten seien, er habe vielleicht etwas aus Not weggenommen. Er hoffe, dass er das in der Zukunft nicht erneut begehe. Im Zusammenhang damit auf seinen Glauben (sunnitischer Moslem) angesprochen meinte er, dass er selten zur Moschee gehe aber Religion sei für ihn Moral. Das heiße, er lüge nicht, er enttäusche die anderen nicht. Das sei wichtig.

Er habe vier Brüder und eine Schwester sowie Vater und Mutter in seiner Heimat. In Österreich habe er keine Verwandten. Weiters sei er ledig, keine Kinder, habe eine Freundin und einen Freund, sei aber nicht homosexuell, der Freund helfe ihm nur bei der Insulineinnahme.

Von Beruf sei er Automechaniker, dem sei er in Marokko nachgegangen. Auf die Frage, ob er der Armee, einer Miliz oder bewaffneten Gruppe angehört habe oder eine Kampfausbildung erhalten habe, meinte er, dass er zu den Ultras eines Fußballvereins namens Alragalbeibawi gehöre. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er Armut und schlechte Gesundheitsdienstleistungen. Er sei in Österreich gemeldet gewesen, in der Kapuzinergasse in Innsbruck. Derzeit habe er keinen gesicherten Wohnsitz in Österreich. Er wolle aus der Schubhaft entlassen werden, damit er ein normales Leben in Österreich führen könne. Fluchtgefahr bestehe bei ihm nicht, da es ihm die Zeit nicht ermögliche, sich so viel zu bewegen, wohin solle er flüchten, er wolle hier in Österreich bleiben. Auf die auf Deutsch gestellte Frage, wie er sich einen normalen Tag in Österreich vorstelle, konnte er zunächst keine Antwort geben, er blickte fragend zum Dolmetsch und antwortete dann mit: „Nicht“.

Der RI brachte den Anwesenden noch die neu eingelangten Aktenbestandteile zur Kenntnis. Der BF ersuchte das Gericht, die Anordnung der Freilassung zu treffen; seine Vertreterin hatte keine weiteren Fragen, gab keine Stellungnahme ab, sondern verwies auf die Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Aufgrund der Aktenlage und dem Ergebnis der vor dem BVwG durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird der oben dargelegte Verfahrensgang zur Feststellung erhoben.

1.2. Der volljährige BF ist Staatsangehöriger des Königreiches Marokko, nicht österreichischer Staatsbürger oder Unionsbürger und verfügt über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich oder in einem anderen Mitgliedsstaat der EU.

Gegen den BF besteht eine aufrechte Rückkehrentscheidung und ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot.

Die Muttersprache des BF ist Arabisch, er spricht nur sehr schlecht Deutsch. Seine Familienangehörigen leben in Marokko.

Es existieren keine Anhaltspunkte, die auf eine Integration des BF in Österreich hinweisen.

Der BF leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Es gibt keinen Nachweis dafür, dass der BF einer der COVID-19-Risikogruppen angehören würde.

Der BF verfügt über keine gültigen Reisedokumente. Er wurde von marokkanischen Botschaft als marokkanischer Staatsbürger identifiziert und die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für seine Person zugesichert.

1.3. Die Anordnung der Schubhaft ist allein dem bisher gesetzten Verhalten des BF zuzurechnen, nämlich:
- Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet und mehrfach illegal in andere Staaten der EU und die Schweiz ein.

- Der BF ging in Österreich nie einer legalen Beschäftigung nach, sondern beging zahlreiche Straftaten und finanzierte seinen Lebensunterhalt „mit Drogen und Diebstählen“.

- Der BF missachtete er die Bestimmungen des österreichischen Meldegesetzes und hielt sich in Österreich zumeist im Verborgenen auf.

- Abgesehen von Meldungen in Haftanstalten war der BF lediglich ca. ½ Jahr in Innsbruck als obdachlos gemeldet, hatte sonst nie einen Wohnsitz in Österreich. Er hat auch gegenwärtig keine gesicherte Wohnmöglichkeit in Österreich.

- Der BF hat die Behörden mehrerer Länder, auch Österreichs, über seine wahre Identität getäuscht, indem er einen anderen Namen, Geburtsort, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit verwendete.

- Der BF ist nicht vertrauenswürdig, er hat bereits mehrere zum Teil erfolgreiche Fluchtversuche unternommen, sogar aus einer Justizvollzugsanstalt. Er entzog sich mehrfach den Verfahren aus Österreich, wobei er eine hohe Mobilität unter Beweis stellte, indem er illegal in andere EU-Länder und die Schweiz reiste und nach erfolgtem Aufgriff insgesamt sechs (!) Mal wieder nach Österreich rücküberstellt werden musste.

- Der BF ist nicht rückkehrwillig, sondern will unbedingt im Gebiet der EU oder der Schweiz bleiben.

- Der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet gefährdet die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

- Der BF machte widersprüchliche Angaben zu seinem Gesundheitszustand und nutze die Entlassung oder Verbringung in Krankenanstalten bereits mehrfach zur Flucht.

- Der BF weist zum Entscheidungszeitpunkt drei strafgerichtliche Verurteilungen wegen Diebstählen, Drogendelikten, Sachbeschädigung, Urkundenfälschung sowie auch Widerstands gegen die Staatsgewalt auf. Er befand sich zuletzt bis 05.11.2021 in Strafhaft.

- Der BF ist nicht kooperationswillig. Der BF versuchte sich mehrfach durch Untertauchen schon seinem Asylverfahren zu entziehen. Der BF ist weiterhin nicht ausreisewillig.

1.4. Es bestand zum Zeitpunkt der Schubhaftanhaltung erhebliche Fluchtgefahr seitens des BF und es besteht diese Fluchtgefahr zum Entscheidungszeitpunkt noch immer.

1.5. Der BF ist de facto mittellos.

1.6. Der BF hatte bis dato keinen Wohnsitz in Österreich und es steht ihm auch für den Fall seiner Haftentlassung kein gesicherter Wohnsitz zur Verfügung.

1.7. Die aufgrund der aktuellen Covid-19 Pandemie ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung schränken die Verhängung der Schubhaft nicht ein.

1.9. Die Abschiebung des BF erscheint trotz der momentanen COVID-19 bedingten allgemeinen Einschränkungen als zeitnah möglich. Die Einreise nach Marokko auf dem Luftweg ist lediglich voraussichtlich bis 14.12.2021 aufgrund von gesundheitsbedingten Maßnahmen der Marokkanischen Regierung nicht möglich. Marokko ist ein sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten fremden- und asylrechtlichen Verwaltungsakten des Bundesamtes zu der Zl. XXXX , sowie den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes und Auszügen aus GVS, IZR, ZMR, der Anhaltedatei und aus den Ausführungen in der gegenständlichen Beschwerde vom 30.11.2021 sowie den Ausführungen des BF, seines Vertreters und der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung am 06.12.2021.

2.1. An der marokkanischen Staatsangehörigkeit des BF bestanden seit dessen Identifizierung durch Interpol nie Zweifel. Die Einschätzung seiner Sprachkenntnisse beruhen auf seinen diesbezüglichen Angaben bzw. in der vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung.

2.2. Die Feststellung zu den rechtskräftigen Entscheidungen im bisherigen fremdenrechtlichen Verfahren insbesondere dem Vorliegen einer aufrechten Rückkehrentscheidung ergeben sich aus den Verfahrensakten und hg. Gerichtsakten. Die Angaben zu seiner Delinquenz ergeben sich aus einer aktuellen Strafregisterabfrage.

2.3. Eine legale Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers im Bundesgebiet wurde bis dato nicht einmal ansatzweise behauptet und es kam auch sonst im Verfahren diesbezüglich nichts hervor, im Gegenteil dazu hat er sogar selber bei seiner Einvernahme am 30.07.2021 vor dem BFA angegeben, dass er sein Leben mit Drogen und Diebstählen finanziere.

2.4 Das Fehlen der Vertrauenswürdigkeit und Kooperationsbereitschaft (und auch der fehlenden Ausreisewilligkeit) des BF ergeben sich insbesondere aus seinem aktenkundigen mehrfachen Untertauchen, sowohl während seines laufenden Asylverfahrens als auch um danach im Verfahren zur Außerlandesbringung der Anwendung gelinderer Mittel zu entgehen. Er hat auch Krankenausaufenthalte zur Flucht bzw. zum Untertauchen benutzt und ist sogar aus einer Justizvollzugsanstalt ausgebrochen. Er hat in weiter Folge nicht mit den Behörden kooperiert, sondern hat auch in der Schweiz zunächst erfolgreich versucht, seine Überstellung nach Österreich zu verhindern.

2.5. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beruhen auf den im fremdenrechtlichen Verfahren und in der im jetzigen Verfahren durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG entstandenen Eindruck, den – zum Teil widersprüchlichen - eigenen Angaben des BF, dem fast tagesaktuellen amtsärztlichen Gutachten und des Fehlens anderslautender medizinischer Befunde. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass alle bekannten Befunde und Gutachten, auch jene, auf die sich der BF in seinem Beschwerdevorbringen bezieht, sowohl bei den Justizbehörden als auch bei der belangten Behörde aktenkundig sind und die Amtsärzte dazu Zugang hatten bzw. haben. Neben Insulinpräparaten erhält der BF derzeit in Schubhaft auch noch antipsychotisch wirkende Präparate (Olanzapin und Haldol).

Vor allem ist zu bemerken, dass der Befund einer Fachärztin für Lungenkrankheiten vom 24.06.2021 keine fortgeschrittene funktionelle oder strukturelle chronische Lungenkrankheit, welche eine dauerhafte, tägliche, duale Medikation benötigen würde, ergab, da nach tuberkulostatischer Therapie bis 31.05.2021 der BF derzeit ergussfrei in der Lunge sei, stauungsfrei, kleine streifige Verdichtung an den rechten unteren Hiluspol angrenzend, die Therapie also abgeschlossen ist und sie lediglich eine Kontrolle in ca. drei bis sechs Monaten empfahl.

Weiters sind dem mit 16.04.2021 datierten Austrittsberichts der Spitals Thurgau, demzufolge der BF nach Insulinintoxikation bei - lediglich vermutetem Suizidversuch - im Zusammenhang mit einem Fluchtversuch aus dem Kantonsspital St. Gallen in Behandlung war, keine Hinweise auf akute Eigen- oder Fremdgefährdung zu entnehmen. Auch sonst ist dieses Dokument, auf das sich zentral die Behauptung des BF zu seiner angeblichen Haftunfähigkeit oder besonderen Belastung stützt, abgesehen von - durchaus verständlichen - situationsbezogenen Ängsten relativ unspektaulär: der BF sei wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen. Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis soweit unauffällig. Kein Wahn, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen. Keine Phobien oder Zwänge. Im Affekt angepasst, Stimmung ausgeglichen, die affektive Schwingungsfähigkeit ist erhalten. Psychomotorisch ruhig. Keine Suizidgedanken und –pläne. Keine Hinweise auf akute Eigen- oder Fremdgefährdung. Somit besteht seitens des erkennenden Richters kein Grund, an der Richtigkeit und Schlüssigkeit der vorliegenden amtsärztlichen Befunden, einer davon sogar fast tagesaktuell, die keine schweren Erkrankungen des BF darlegen, sondern eindeutig die Haft- und Verhandlungsfähigkeit des BF belegen, Zweifel zu hegen und es sind daher keine zusätzliche Gutachten in Auftrag zu geben.

Die Feststellung, dass der BF keiner der COVID-19-Risikogruppen angehört, ergibt sich einerseits aus dem Nichtvorliegen einer akuten behandlungsbedürftigen TBC, da die diesbezügliche Therapie mit Ende Mai 2021 aus medizinischer Sicht beendet wurde, er ausgeheilt ist. Andererseits ergibt sich aus dem Umstand, dass der BF hinsichtlich seines Diabetes Mellitus Typ 1 gut eingestellt ist, nämlich regelmäßig unter Aufsicht nach vorheriger Blutzuckermessung seine Insulindosen erhält, dass der HBA1c keinesfalls regelmäßig den Wert von >7,5 erreichen kann. Der zweimalig aktenkundige Insulinabusus des BF, mit Hilfe dessen er seine Verbringung in Krankenanstalten erreicht hatte, hatte hingegen das Gegenteil, nämlich einen viel zu niedrigen Blutzuckerwert zur Folge, sodass der BF mittels Glukoselösung stationär behandelt werden musste. Jedenfalls hätte im gegenteiligen Fall dieser Umstand in den amtsärztlichen Gutachten Erwähnung gefunden.

2.6. Die Angaben zur fehlenden Ausreisewilligkeit ergeben sich zusätzlich aus dem vom BF klar ausgesprochenen Wunsch, in Österreich bleiben zu wollen und keinen Reisepass beantragen zu wollen.

2.7. Die Angaben zum Fehlen einer gesicherten Wohnmöglichkeit ergeben sich aus dem bisherigen Fehlen der behördlichen Meldung des BF in Österreich (abgesehen in Haftanstalten), dem Fehlen von Familienangehörigen in Österreich und auch keines sonstigen relevanten sozialen Umfelds des BF.

2.8. Das Vorliegen einer Covid-19 Pandemie und die dazu ergangenen Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung sind notorisch. Die Pandemie wurde von der WHO am 11.03.2020 ausgerufen. Innerstaatliche Einschränkungen welche die Vollziehung der Schubhaft in Österreich einschränken, sind durch die aktuell geltenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht gegeben.

2.9. Die Ausführungen zu den Reisemöglichkeiten bzw. –beschränkungen ergeben sich aus den aktuellen im Internet für jedermann abrufbaren Informationen des BMEIA (https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/) und einem Bericht der „Tagesschau“, eines Nachrichtensenders des diesbezüglich durchaus unbedenklichen deutschen öffentlichrechtlichen Rundfunks (https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-coronavirus-sonntag-315.html#Marokko-setzt-Luftverkehr-wegen-Omikron-Variante-aus )

2.10. Die übrigen Fakten ergeben sich aus der diesbezüglich ebenfalls unbedenklichen Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Der mit „Festnahmeauftrag“ betitelte § 24 Abs. 3 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet (auszugsweise):

„Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,

1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt;

2. wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 8 und 70 Abs. 1 FPG) nicht nachgekommen ist;

3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder

4. …“

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

4. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Dazu die Materialien des Gesetzgebers:

Zu Abs. 2a:

Nach geltender Rechtslage ist eine Anordnung der Schubhaft zwecks Sicherstellung einer Außerlandesbringung bzw. zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung zulässig, sofern dies wegen Fluchtgefahr notwendig ist, außerdem die Haft verhältnismäßig ist und sich der Haftzweck mit einem gelinderen Mittel nicht wirksam verwirklichen lässt.

Eine "Fluchtgefahr" gemäß § 76 Abs. 3 sowie eine Fluchtgefahr im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. Nr. L 180 vom 29.06.2013 S. 31 (im Folgenden: "Dublin-Verordnung"), liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder die Abschiebung wesentlich erschweren wird. In § 76 Abs. 3 Z 1 bis 9 werden in einer auf der Judikatur des VwGH basierenden demonstrativen Aufzählung jene Kriterien aufgezählt, die bei der Prüfung des Vorliegens von Fluchtgefahr zu berücksichtigen sind. Auch wenn die Verhängung von Schubhaft gemäß höchstgerichtlicher Judikatur nicht der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten oder ihrer Sanktionierung dient, sondern der Erfüllung eines administrativen Sicherungszweckes (vgl. VwGH 30.08.2007, 2006/21/0107; 22.11.2007, 2006/21/0189; 17.03.2009, 2007/21/0542; 20.10.2011, 2008/21/0191; 22.12.2009, 2009/21/0185 uvw. sowie VfGH 08.03.1994, G 112/93 = VfSlg. 13715), erhöht ein allfälliges strafrechtliches Fehlverhalten des Fremden in der Vergangenheit das öffentliche Interesse an der Überwachung der Ausreise (vgl. § 46 Abs. 1 Z 1) bzw. der baldigen Durchsetzung der Abschiebung und ist daher mittelbar auch für die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Schubhaft von Bedeutung. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH (VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542; 23.09.2010, 2009/21/0280; 22.12.2009, 2009/21/0185).

Auf eine etwaige Straffälligkeit des Fremden wird nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich abgestellt. Es ist daher angezeigt, nunmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des VwGH explizit zu normieren, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung neben anderen Faktoren auch das bisherige strafrechtliche Fehlverhalten des Fremden zu berücksichtigen ist, insbesondere, ob sich aufgrund der Schwere der Straftaten das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößert. Klarzustellen ist, dass der vorgeschlagene Abs. 2a ein strafrechtliches Fehlverhalten des Fremden nicht zu einer notwendigen Voraussetzung für die Anordnung der Schubhaft macht. Vielmehr ergibt sich aus dem Wort "auch" und der Bezugnahme auf ein "allfälliges" strafrechtliches Fehlverhalten, dass bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur einem strafrechtlichen Fehlverhalten, sondern auch anderen Faktoren Bedeutung zukommen kann. Ebenso wenig ist aus Abs. 2a ein Umkehrschluss des Inhalts zu ziehen, dass über einen Fremden, dem keine strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen zur Last liegen, anstelle der Schubhaft nur mehr ein gelinderes Mittel angeordnet werden dürfte.

Zu Abs. 1:

Dieser Absatz entspricht weitestgehend dem bisherigen Abs. 1 und Abs. 1a. Die Definition der Schubhaft bleibt unverändert. Unter "Fremde" im Sinne dieser Bestimmung sind sowohl illegal als auch rechtmäßig aufhältige Fremde sowie Asylwerber zu verstehen. Bei rechtmäßig aufhältigen Fremden müssen jedoch naturgemäß stärkere Hinweise für eine Fluchtgefahr vorliegen als bei unrechtmäßig aufhältigen Fremden (Verhältnismäßigkeit). Gegen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte kann Schubhaft aufgrund von § 1 Abs. 2 FPG nicht verhängt werden.

Zu Abs. 2:

Dieser Absatz soll bestimmen, unter welchen grundlegenden Voraussetzungen Schubhaft zulässig ist. Eine Schubhaft ist demgemäß zur Sicherung eines Verfahrens zulässig und sofern zudem Fluchtgefahr bzw. Sicherungsbedarf besteht. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird nun dezidiert in die Bestimmung aufgenommen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (ua. B 362/06 vom 24. Juni 2006; B 1330/06 sowie B 1331/06 vom 15. Juni 2007) ist die Behörde verpflichtet, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist. Betreffend das Kriterium der Verhältnismäßigkeit gilt, dass die Behörde verpflichtet ist, auf eine möglichst kurze Dauer der Schubhaft hinzuwirken. Diesbezüglich erörterte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Mai 2011, 2008/21/0527, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig" (VwGH vom 19. Mai 2011, 2008/21/0527). Die Bestimmung ist in zwei Ziffern gegliedert, um die Schubhaftfälle außerhalb des Anwendungsbereiches der Dublin-Verordnung (Z 1) von den Dublin-Fällen (Z 2) zu unterscheiden. Für letztere gelten die Voraussetzungen der Dublin-Verordnung unmittelbar, weshalb sich in diesen Fällen die Vorraussetzung der Verhältnismäßigkeit und der erheblichen Fluchtgefahr direkt aus dem Unionsrecht ergibt (siehe Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung). Weiters siehe Erläuterungen zu Abs. 3 Z 6.

Zu Abs. 3:

In diesem Absatz werden die Tatbestände, welche bei der Feststellung der Fluchtgefahr insbesondere zu berücksichtigen sind, näher determiniert. Es handelt sich bei der Schubhaftverhängung bzw. der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, nach wie vor um eine Abwägungsentscheidung, in die die in den Ziffern des Abs. 3 genannten Kriterien einfließen. Trotz der umfassenden Neuformulierung des § 76 FPG ist damit keine grundlegende rechtliche Änderung intendiert. Die genannten Kriterien zum Vorliegen von Fluchtgefahr spiegeln die herrschende Rechtsprechung insbesondere des Verwaltungsgerichtshofes zur Schubhaft wider. Es handelt sich daher lediglich um die Festschreibung der gängigen Judikatur. Insbesondere wurde durch die Formulierug des Absatz 3 der neuesten VwGH-Rechtsprechung vom 19. Februar 2015 (GZ Ro 2014/21/0075) Rechnung getragen. Grundsätzlich ist eine Inhaftnahme zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung zulässig, sofern eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich gelindere Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Fluchtgefahr wird in Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung mit dem Vorliegen von Gründen im Einzelfall definiert, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und annehmen lassen, dass sich der Betreffende dem laufenden Überstellungsverfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Der VwGH hielt dazu fest, dass die Bestimmungen des bisherigen § 76 Abs. 2 keine - gesetzlich festgelegten - objektiven Kriterien für die Annahme von erheblicher Fluchtgefahr iSd Dublin-Verordnung enthielten. Die Dublin-Verordnung verlange gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der in der Verordnung für die Schubhaftverhängung normierten Voraussetzung des Vorliegens von Fluchtgefahr. Diese Kriterien fanden nunmehr durch die deklarative Aufzählung der Tatbestände Eingang in Absatz 3 und lassen allesamt annehmen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Bei Dublin-Fällen ist insbesondere auch Z 6 zu beachten. Die Definition der Fluchtgefahr gilt für sämtliche Schubhaftfälle, also auch für jene im Rahmen der Dublin - Verordnung (Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung).

Z 1:

Der Begriff Rückkehr stammt aus der Rückführungsrichtlinie (Art. 3 Z 3) und umfasst sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Rückführung. Diese Ziffer ist sowohl durch Art. 15 der Rückführungsrichtlinie als auch Art. 8 Neufassung der Aufnahmerichtlinie gedeckt. Zudem gibt es hierzu bereits gefestigte höchstgerichtliche Judikatur. So hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die bereits manifestierte wiederholte Weigerung bei der Abschiebung mitzuwirken sowie deren erfolgreiche Vereitelung ausreichend Sicherungsbedarf begründet (VwGH vom 11. Juni 2013, 2012/21/0114 und vom 30. August 2011, 2008/21/0588). In einem frühen Stadium des Asylverfahrens bedarf es besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung, können unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen (VwGH vom 23. September 2010, 2007/21/0432).

Z 2:

Diese Bestimmung findet sich im Wesentlichen bereits im bisherigen § 76 Abs. 2 Z 3 und ist auch je nach betroffenem Personenkreis sowohl in Art. 8 lit. d Neufassung der Aufnahmerichtlinie sowie in Art. 15 Rückführungsrichtlinie vorgesehen.

Z 3:

Die Notwendigkeit der Schubhaft kann sich daraus ergeben, dass sich der Fremde vor der Einreise in das Bundesgebiet in einem anderen Staat dem behördlichen Zugriff entzogen und hierüber nach seiner Einreise zusätzlich falsche Angaben gemacht hat (VwGH vom 28. Juni 2007, 2006/21/0051). Zur Prüfung des Sicherungserfordernisses ist auf alle Umstände des konkreten Falles Bedacht zu nehmen, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen. Dabei kommt insbesondere dem bisherigen Verhalten des Fremden Bedeutung zu. Die konkrete Situation des Asylwerbers muss geprüft werden, auch wenn er als Fremder vorher in einem sicheren Drittland einen Asylantrag gestellt hat (vgl. VwGH vom 30. August 2007, 2006/21/0027).

Z 4:

Wenn der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, kann Schubhaft verhängt werden. Erforderlich ist jedoch eine bereits tatsächlich erfolgte (und nicht nur für die Zukunft in Aussicht gestellte) Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 (VwGH vom 17. November 2011, 2010/21/0514).

Z 5:

Liegt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, so kann ab diesem Zeitpunkt die Schubhaft daher jedenfalls (auch) der Sicherung der Abschiebung dienen. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt aber nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist (VwGH vom 28. August 2012, 2010/21/0517). In späteren Stadien des Asylverfahrens - insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung - können schon weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung die Annahme eines Sicherungsbedarfs rechtfertigen (VwGH 20. Oktober 2011, 2008/21/0191). Z 6: Auch bei Fällen mit Dublin-Bezug ist darauf zu achten, dass die Schubhaftverhängung keine Standardmaßnahme gegen Asylwerber sein darf (VwGH vom 28. Februar 2008, 2007/21/0391). Siehe auch Erläuterungen zu Z 3.

Z 6:

berücksichtigt insbesondere die bisherige Judikatur des VwGH, wonach für die Schubhaftverhängung "besondere Gesichtspunkte vorliegen [müssen], die erkennen ließen, es handle sich um eine von den typischen "Dublin-Fällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Fremden geschlossen werden könne" (Zl Zl 2014/21/0075 sowie Zl 2013/21/0170 mwN).

Z 7:

Unter diese Ziffer fallen unter anderem Fälle, in denen sich der Fremde

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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