TE OGH 2021/8/5 5Ob111/21s

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Veröffentlicht am 05.08.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei C***** KG, *****, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei H***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Frank, Rechtsanwalt in Wien, wegen Herausgabe (11.000 EUR), Zahlung (6.235 EUR sA) und Feststellung (1.500 EUR) im führenden Verfahren und 35.000 EUR sA im verbundenen Verfahren, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht im verbundenen Verfahren vom 11. März 2021, GZ 50 R 159/20v-38, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Im Übrigen werden die Akten dem Erstgericht zur Vorlage des Antrags gemäß § 508 ZPO im führenden Verfahren an das Berufungsgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1]       Die beklagte Partei im führenden Verfahren und widerklagende Partei im verbundenen Verfahren (in der Folge: Beklagte) war bis zur Kündigung durch die klagende Partei im führenden Verfahren und widerbeklagte Partei im verbundenen Verfahren (in der Folge: Klägerin) mit der Buchhaltung, der Lohnverrechnung sowie Steuerberatungsleistungen beauftragt.

[2]            Die Klägerin begehrte zuletzt die Herausgabe der in ihrem Auftrag erstellten Arbeitsergebnisse des Jahres 2018 und listet diese im Detail auf, in eventu diese Urkunden ihr oder einem von ihr namhaft zu machenden Dritten elektronisch zur Verfügung zu stellen, die Zahlung von 6.235 EUR an Schadenersatz, weil es wegen der fehlenden Unterlagen zu einer Schätzung und daraus resultierend zu einer Umsatzsteuernachzahlung für die Jahre 2015 bis 2017 gekommen sei, und die Feststellung der Haftung der Beklagten für Schäden aus der bis 9. 10. 2019 erfolgten Zurückbehaltung der in ihrem Auftrag erstellten Arbeitsergebnisse für die Jahre 2014 bis 2017. Dem hielt die Beklagte im Wesentlichen entgegen, dass sie wegen offener Honorarforderungen zur Zurückbehaltung der Unterlagen berechtigt gewesen sei.

[3]            Mit ihrer Widerklage begehrte die Beklagte die Zahlung von 35.000 EUR an restlichem Honorar für ihre Leistungen. Die Klägerin bestritt diese Forderung unter Verweis auf die mit der Beklagten getroffene Pauschalvereinbarung.

[4]       Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Herausgabe der von der Klägerin geforderten Arbeitsergebnisse für das Jahr 2018 sowie zur Zahlung von 6.235 EUR und stellte die Haftung der Beklagten für alle Schäden im Zusammenhang mit der Zurückbehaltung der im Auftrag der Klägerin für das Jahr 2018 erstellten Arbeitsergebnisse fest. Das Zahlungsbegehren der Widerklage wies es ab. Die zwischen den Streitteilen vereinbarte pauschale Abgeltung der Leistungen der Beklagten habe nicht nur deren Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Lohnverrechnung und Buchhaltung, sondern den gesamten Leistungsumfang erfasst. Die Klägerin habe alle Pauschalzahlungen geleistet, sodass das Zahlungsbegehren der Widerklage nicht berechtigt sei. Auf ein Zurückbehaltungsrecht könne sich die Beklagte schon aus diesem Grund nicht berufen.

[5]            Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands im führenden Verfahren insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt. Die ordentliche Revision ließ es in beiden Verfahren nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.

[6]       1.1 Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsver-fahrens liegt vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge inhaltlich gar nicht auseinandersetzt (RIS-Justiz RS0042993; RS0043371). Das setzt aber voraus, dass überhaupt eine gesetzmäßige Beweisrüge erhoben wurde, was die bestimmte Angabe erfordert, welche Beweise der Erstrichter unrichtig gewürdigt hat, aus welchen Erwägungen sich dies ergibt und welche Tatsachenfeststellungen bei richtiger Beweiswürdigung zu treffen gewesen wären (RS0041835). Der Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung wird nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn die erstgerichtliche Beweiswürdigung pauschal als unrichtig bezeichnet wird, oder wenn einzelnen Feststellungen lediglich Gegenbehauptungen entgegengesetzt werden (RS0041830).

[7]       1.2 Zwar ist bei der Auslegung des Berufungsvorbringens, ob die Beweisrüge gesetzmäßig ausgeführt wurde, kein allzu kleinlicher Maßstab anzulegen (6 Ob 274/04v). Ob eine Beweisrüge den gesetzlichen Anforderungen entspricht, kann aber nur anhand des konkreten (Berufungs-)Vorbringens beantwortet werden und ist damit eine Frage des Einzelfalls, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage begründet (vgl RS0042828). Die vom Berufungsgericht seiner Erledigung der Beweisrüge zugrunde gelegte Auffassung, die Klägerin habe ihre Tatsachenrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, bildet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[8]       1.3 In ihrer Berufung hat die Beklagte zwar Feststellungen genannt, die sie bekämpft. Dabei handelt es sich um Feststellungen des Erstgerichts zu Gesprächen, aus denen es den (rechtlichen) Schluss zog, dass die Leistungen der Beklagten mit einer – später auf 2.000 EUR erhöhten – monatlichen Pauschale von 1.600 EUR abgegolten sein sollten. Dazu strebte die Beklagte unter Nennung ihr günstig erscheinender Beweisergebnisse eine Ersatzfeststellung an, nach der nicht festgestellt werden kann, dass „eine Honorarvereinbarung umfassend sämtliche Leistungen der beklagten Partei mit einem Pauschale getroffen wurde“.

[9]       1.4 Bei der Erforschung des Parteiwillens – wofür das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen ist (RS0017915 [T29; T44]) – handelt es sich um eine gemischte Frage (Quaestio mixta; 1 Ob 46/20a), bei der zwischen der Sammlung von Indizien für den Parteiwillen als Tatsachenfeststellung und deren rechtlicher Bewertung zu unterscheiden ist (RS0017797 [T11]; vgl auch RS0017830). In dem die Beklagte als Ersatzfeststellungen lediglich unspezifiziert eine Negativfeststellung zum gesamten Thema Pauschalvergütungsvereinbarung forderte, zielte sie auf eine bloße Rechtsfolgenbehauptung und nicht auf Tatfragen ab. Ist nämlich der Inhalt einer Vereinbarung strittig, kommt es nicht in Betracht die „Absicht der Parteien“ als Ergebnis der Auslegung nach § 914 ABGB in Gestalt einer „Feststellung“ festzuhalten, weil es sich dabei in Wahrheit um die rechtliche Beurteilung (primär) der wechselseitigen Äußerungen der Streiteile (sowie sonstiger für die Auslegung maßgeblicher Umstände) handelt (1 Ob 46/20a). Es ist daher im Einzelfall nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Auseinandersetzung mit der Beweisrüge der Beklagten zu diesem Thema ablehnte. Im Übrigen strebte die Beklagte entweder Feststellungen an, die das Erstgericht ohnedies zugrunde legte, oder zielte auf eine Ergänzung des von diesem festgestellten Sachverhalts ab, womit aber ein sekundärer Verfahrensmangel geltend gemacht wird, der der Rechtsrüge zuzuordnen ist (vgl RS0114379).

[10]           2.1 Grundsätzlich hat das Berufungsgericht die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen zu prüfen (RS0043352). Das setzt aber eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Rechtsrüge voraus (RS0043352 [T1; T2]). Die gesetzmäßige Ausführung des Rechtsmittelgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erfordert, dass dargelegt wird, aus welchen Gründen die rechtliche Qualifikation des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts unrichtig erscheint (vgl RS0043312 [T1]).

[11]     2.2 Unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung hat die Beklagte lediglich releviert, dass das Erstgericht ausgehend von seinen „missverständlichen und widersprüchlichen“ Feststellungen zum rechtlichen Schluss gelangen hätte müssen, dass angemessenes Entgelt im Sinn ihres Klagebegehrens geschuldet werde, ohne sich mit den Argumenten des Erstgerichts auseinanderzusetzen, das ausführlich darlegte, aus welchen Gründen, die festgestellten Äußerungen zum (rechtlichen) Schluss führten, dass eine Pauschalabgeltung der Parteienabsicht entsprach. Eine Rechtsrüge ist aber auch dann nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie sich darauf beschränkt, allgemein die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen rechtlichen Beurteilung zu behaupten, ohne dies zu konkretisieren (RS0041719 [T4]). Damit begründet es im Einzelfall keine aufzugreifende Fehlbeurteilung und damit auch keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Berufungsgericht, wenn dieses ein Eingehen auf die Rechtsrüge mangels gesetzmäßiger Ausführung ablehnte. Da die für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, vermögen die davon nach den Vorstellungen der Beklagten abweichenden Feststellungen auch keine rechtlichen

Feststellungsmängel zu begründen.

[12]     2.3 Hat das Berufungsgericht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung vertretbar als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtet und deshalb die sachliche Behandlung der Rechtsrüge in der Berufung verweigert, kann sie – einschließlich der Geltendmachung angeblicher sekundärer Verfahrensmängel – in der Revision nicht nachgetragen werden (RS0043480 [T5]).

[13]           3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zu II.

[14]     Der Gegenstand, über den das

Berufungsgericht im führenden Verfahren entschieden hat, übersteigt 30.000 EUR nicht. Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel rechtzeitig beim Erstgericht eingebracht und in dessen Ausführung gemäß § 508 ZPO auch beantragt, dass das

Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision abändere. Damit ist aber das Rechtsmittel der Beklagten gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem 

Berufungsgericht vorzulegen (RS0109620). Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten.

Textnummer

E132741

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00111.21S.0805.000

Im RIS seit

30.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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