TE OGH 2021/7/28 9Ob30/21h

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Veröffentlicht am 28.07.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Haberl und Huber GmbH & Co KG in Vöcklabruck, gegen die beklagte Partei G*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Franz Müller, Rechtsanwalt in Kirchberg am Wagram, wegen 135.000 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Jänner 2021, GZ 4 R 118/20g-22, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 5. Juni 2020, GZ 3 Cg 37/19g-15, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts, nach dem das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 135.000 EUR samt Zinsen in Höhe von 9,2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 135.000 EUR seit 26. 3. 2019 zu zahlen, dem Grunde nach zu Recht besteht und das Zinsenmehrbegehren für den Zeitraum 26. 1. 2019 bis 25. 3. 2019 abgewiesen wird, wiederhergestellt wird.

Die Kostenentscheidung ist dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Generalunternehmerleistungen bei dem auf einem Teil des Geländes eines ehemaligen Rohtabak-Lagers gelegenen Bauvorhaben „Wohnhausanlage H*****“. Der übrige Teil des Geländes verblieb bei der ***** GmbH (idF: GmbH), die ihrerseits die Klägerin mit Werkleistungen beauftragte, wobei viele der von der Klägerin erbrachten Leistungen aufgrund ihrer Situierung auch Bauteile des jeweils anderen Auftraggebers betrafen. Zwischen den Streitteilen war eine fixe und pauschale Auftragssumme von 4.850.000 EUR exkl USt, sohin 5.820.000 EUR brutto vereinbart. Darüber hinaus erteilte die Beklagte der Klägerin jedenfalls vier Zusatzaufträge. Im Zeitpunkt der Legung der Schlussrechnung haftete aus dem Hauptauftrag und diesen vier Zusatzaufträgen unter Berücksichtigung zuvor geleisteter Teilzahlungen ein restlicher Werklohn von 365.467,02 EUR aus, von dem die Beklagte 150.000 EUR zurückbehielt und den davon ausgehend noch ausständigen Betrag an die Klägerin zahlte.

[2]            Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung von 135.000 EUR sA und brachte dazu vor, sämtliche in Auftrag gegebene Arbeiten mängelfrei erbracht und das Gesamtwerk übergeben zu haben. In ihrer Schlussrechnung habe sie über den Hauptauftrag und die erwähnten vier Zusatzaufträge hinaus auch weitere 13, ebenfalls mängelfrei erbrachte Zusatzaufträge um eine Gesamtsumme von 976.752,28 EUR netto abgerechnet. Von der GmbH habe sie einen Betrag von 100.000 EUR erhalten, der verbleibende Umfang dieser Zusatzarbeiten entfalle auf die Beklagte und sei daher in die Schlussrechnung aufgenommen worden. Abzüglich geleisteter Teilzahlungen habe ihr die Beklagte daher noch 1.638.628,56 EUR (brutto) zu zahlen gehabt. Diese habe jedoch die Schlussrechnung mit dem unberechtigten Hinweis auf noch ausständige Verbesserungsarbeiten retourniert. Daraufhin habe die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 21. 12. 2018 aufgefordert, zur vereinbarten und ihr auch gemäß § 1170b ABGB zustehenden Werklohnsicherung bis zum 3. 1. 2019 eine Bankgarantie über 1.164.000 EUR zu legen. Die geforderte Sicherstellung sei nicht erbracht worden, weshalb sie den Rücktritt vom Werkvertrag mit Wirksamkeit vom 26. 1. 2019 erklärt habe.

[3]            Die Beklagte habe nach Rechnungsprüfung nur einen Schlussrechnungsbetrag von 365.467,02 EUR anerkannt und in der Folge trotz zweier Nachfristen nur zwei Teilbeträge geleistet, sodass am 25. 1. 2019 selbst auf den von der Beklagten anerkannten Werklohn weiterhin 150.000 EUR aushafteten, die sie – vermindert um eine Eigenersparnis von 15.000 EUR, demnach nur im Ausmaß von 135.000 EUR – geltend mache. Mängelbehebungsarbeiten seien jedenfalls Anfang Februar 2019 abgeschlossen gewesen.

[4]            Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, die 13 Zusatzaufträge habe nicht sie, sondern die GmbH erteilt. Im Übrigen wären zum Zeitpunkt der Schlussrechnungslegung Mängel vorhanden gewesen, die nach wie vor – auch nach dem unberechtigten Rücktritt der Klägerin – nicht behoben seien. Die Klägerin habe ihr jedoch die Behebung dieser Mängel zugesagt. Eine Insolvenzgefahr oder die Gefahr einer Zahlungsverweigerung habe nie bestanden, zumal zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Leistung der Sicherstellung bereits über 90 % des berechtigten Werklohns bezahlt gewesen wären. Da der Klägerin kein Werklohn aus den erwähnten Zusatzarbeiten zustehe, habe die Sicherstellung nicht unter Einbeziehung dieser Werklohnteile bemessen werden dürfen. Deshalb und wegen der bereits geleisteten Teilzahlungen sei das Sicherstellungsverlangen weit überhöht gewesen. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine unbefristete, an keine Bedingungen geknüpfte Bankgarantie auf erstes Anfordern gehabt, zumal dem Besteller nach § 1170b ABGB ein Wahlrecht zustehe, in welcher Form die Sicherstellung gewährt werde. Da die Klägerin zu erkennen gegeben habe, keine andere als die begehrte Sicherstellung zu akzeptieren, sei ihr Rücktritt unwirksam. Dies sei schon deshalb der Fall, weil die gesetzten Nachfristen unangemessen gewesen seien. Die Klägerin habe noch im Februar 2019 erklärt, dass das Vertragsverhältnis erst mit Abschluss der Arbeiten beendet sei und aufgrund des erst dann wirksam werdenden Rücktritts von ihr keine Leistungen mehr erbracht würden. Die Mängelbehebungsarbeiten seien nach wie vor nicht abgeschlossen, weshalb der – überdies auch rechtsmissbräuchliche – Rücktritt der Klägerin nicht wirksam sei. Die Beklagte sei daher weiterhin berechtigt, den Werklohn zur Absicherung der Mängelbehebung einzubehalten. Sollte der Rücktritt der Klägerin dennoch wirksam sein, beziehe er sich nicht auf den gesamten Werkvertrag, sondern sei als eine nicht auf den Abschlusszeitpunkt zurückwirkende Kündigung anzusehen. Auch deshalb sei sie zur Einbehaltung zumindest des Haftrücklasses berechtigt.

[5]            Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren, abgesehen von einem Teil des Zinsenbegehrens (Zeitraum 26. 1. bis 25. 3. 2019), dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es stellte auszugsweise und zusammengefasst fest:

[6]            Die Schlussrechnung enthielt auch Forderungen für 13 Zusatzaufträge in Höhe von 976.752,28 EUR netto, die die Klägerin vorsichtshalber deshalb mitaufnahm, weil sie unsicher war, ob sie der Sphäre der Beklagten oder der GmbH zuzurechnen waren und weil sie befürchtete, von dieser nicht entlohnt zu werden, aufgrund der vertraglichen Regelungen über die Schlussrechnung aber auch keine Möglichkeit zu einer nachträglichen Verrechnung dieser Leistungen an die Beklagte zu haben. Die Beklagte retournierte die Schlussrechnung unter Hinweis darauf, dass ihr die Zusatzaufträge nicht zuzurechnen und noch Mängel zu beheben seien. Da das Retournieren der Schlussrechnung den Geschäftsführer der Klägerin insofern irritierte, als ein derartiges Vorgehen für ihn in der Branche normalerweise die Nichtübernahme des Werks bedeutet, sandte er am 21. 12. 2018 ein Schreiben an die Beklagte:

„Wir wurden mit Auftragsschreiben vom 07.12.2016 im Zusammenhang mit dem im Betreff näher bezeichneten Bauvorhaben beauftragt, Generalunternehmerleistungen zu erbringen. Es wurde eine fixe pauschale Auftragssumme in Höhe von EUR 4.850.000,00 netto zzgl. 20 % USt EUR 970.000,00, gesamt somit EUR 5.820.000,00 vereinbart. Position 00.0231 AZ der als Vertragsgrundlage vereinbarten Allgemeinen (rechtlichen/technischen) Bestimmungen Ihres Unternehmens nimmt Bezug auf § 1170b ABGB, wonach unserem Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung das Recht zusteht, eine Sicherstellung in Höhe eines Fünftels des vereinbarten Entgelts in Form einer Bankgarantie zu verlangen, wobei die Kosten hierfür bis zu einer Höhe von 2 % von uns zu tragen sind. Wir fordern Sie daher an dieser Stelle höflich auf, die vereinbarte Werklohnsicherung in Höhe von EUR 1.164.000,00 in Form einer Bankgarantie zu legen und uns eine unbefristete Bankgarantie, die an keinerlei Bedingungen geknüpft sein darf, über den vorgenannten Betrag bis spätestens 03.01.2019 im Original vorzulegen. …“

[7]       Für die Höhe der konkret verlangten Sicherstellung entschied sich der Geschäftsführer der Klägerin einerseits deshalb, weil er der Meinung war, dass die Forderung in Höhe von 1/5 der Auftragssumme nach den vertraglichen Bestimmungen jedenfalls zulässig ist; andererseits auch, um mit der Sicherstellung noch ausstehende Zahlungen aus den Positionen 6. bis 18. der Schlussrechnung (strittige Zusatzaufträge) abdecken zu können, sollten diese letztlich doch der Sphäre der Beklagten zurechenbar sein und keine Zahlung durch die GmbH erfolgen. Die Forderung der Sicherstellung erfolgte jedenfalls nicht in dem Wissen, dass sie der Klägerin in dieser Höhe nicht zustand.

[8]       Die (richtig:) Beklagte leistete deshalb keine Sicherstellung, weil eine solche aus ihrer Sicht aufgrund der bisher bereits geleisteten Teilzahlungen unberechtigt war. Auch sonst nahm die Beklagte mit der Klägerin keinen Kontakt auf, um nachzufragen, weshalb die Sicherstellung in der konkreten Höhe verlangt wird, weil man ohnehin vor hatte, den ausständigen Betrag auf die 4.975.989 EUR noch zu zahlen.

[9]       Da in der Schlussrechnungserklärung der Beklagten vom 8. 1. 2019 wiederum nur der Restbetrag auf die Auftragssumme betreffend den Hauptauftrag und die unstrittigen Zusatzaufträge, nicht dagegen die strittigen Zusatzaufträge thematisiert wurden, fühlte sich der Geschäftsführer der Klägerin darin bestärkt, weiterhin die Sicherstellung im bisherigen Umfang zu verlangen. Er setzte eine Nachfrist bis 25. 1. 2019 und erklärte in der weiteren Korrespondenz der Streitteile, dass „der mit Schreiben vom 18.1.2019 erklärte Rücktritt vom Vertrag mit Abschluss der derzeit durchgeführten Mangelbehebungsarbeiten wirksam wird“. Wann die entsprechenden Arbeiten von den Subunternehmern der Klägerin abgeschlossen wurden, konnte nicht festgestellt werden. Von der Beklagten wurde bis zuletzt keinerlei Sicherstellung geleistet.

[10]           In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, das Einfordern einer Sicherstellung erst nach Bestreitung einiger Schlussrechnungspositionen sei nicht rechtsmissbräuchlich. Gleiches gelte für das Einfordern einer überhöhten Sicherstellung. Auch die Vorgabe eines bestimmten Sicherungsmittels habe nicht die Unwirksamkeit des Sicherungsbegehrens zur Folge. Vielmehr komme es zur Reduktion auf den berechtigten Inhalt an. Selbst unter Außerachtlassung der strittigen 13 Zusatzaufträge hafte jedenfalls ein restlicher Werklohnanteil aus dem Hauptauftrag und den unstrittigen Nachträgen aus. Da die Beklagte nicht einmal die nach dem unstrittig offenen Werklohnrest resultierende Sicherstellung erbracht habe, sei die Klägerin jedenfalls zum Rücktritt berechtigt gewesen. Dieser sei frühestens am 26. 3. 2019 wirksam gewesen, weil die Klägerin mit Schreiben vom gleichen Tag zum Ausdruck gebracht habe, dass sie mangels Erbringung der Sicherstellung jedenfalls zurücktrete. Diesen Rücktritt habe sie nicht nur mit dem Schreiben vom 11. 4. 2019, sondern auch durch die Klagsführung bekräftigt. Ausgehend vom Vorliegen eines wirksamen Rücktritts habe die Klägerin keine Verbesserung mehr zu leisten, sondern allenfalls eine Kürzung des Werklohns nach § 1168 Abs 1 ABGB hinzunehmen.

[11]     Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten Folge, hob das Zwischenurteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Die aus dessen Kooperationspflicht abgeleitete Verpflichtung des Werkbestellers, bei objektiv unbegründeten in das Sicherstellungsverlangen eingestellten Forderungen aus „Nachträgen“ Sicherheit zumindest in der Höhe des Werklohns zu leisten, der unter Abzug des Nachtrags noch offen ist, habe dort seine Grenze, wo der Unternehmer die verminderte Sicherheit ablehne und auf Absicherung auch des unberechtigten Teils bestehe. Infolge der Rechtsprechung des BGH sei zu prüfen, ob der Schuldner die Erklärung als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen müsse und der Gläubiger auch zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit sei. Dies könne jedoch bei einer unverhältnismäßig hohen Zuvielforderung zu verneinen sein. Deren Wirksamkeit werde im Regelfall bejaht, wenn anzunehmen sei, dass der Schuldner auch bei einer auf den wirklichen Rückstand beschränkten Mahnung nicht geleistet hätte. Dass die Klägerin zur Annahme einer geringeren Sicherstellung bereit gewesen wäre, werde hier schon deshalb zu verneinen sein, weil die unter Einbeziehung der strittigen 13 Zusatzaufträge geforderte Sicherstellung jenen Betrag um ein Vielfaches übersteige, der sich ohne diese Einbeziehung errechne. Darüber hinaus stehe fest, dass sich, gerade weil die Beklagte in ihrer Schlussrechnungserklärung vom 8. 1. 2019 die strittigen 13 Zusatzaufträge nicht thematisiert habe, der Geschäftsführer der Klägerin zur Einforderung der Sicherstellung im bisherigen Umfang bestärkt gefühlt habe. Darüber hinaus sei im Hinblick auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs des Sicherstellungsverlangens zu berücksichtigen, dass die Beklagte – bei Außerachtlassung der strittigen 13 Zusatzaufträge – vom knapp 6 Mio EUR umfassenden Werklohn und einem (zuvor) unstrittig aushaftenden Werklohnrest von 365.467,02 EUR zwar keine Sicherstellung geleistet, bis auf 150.000 EUR jedoch den gesamten Werklohn bezahlt habe. Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Bonität der Beklagten seien nicht vorgelegen. Vielmehr sei die Klägerin mit einem Mängelbeseitigungsverlangen der Beklagten konfroniert gewesen, dem sie nur halbherzig entsprochen habe, indem sie die Abarbeitung dieser Menge zunächst auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und in der Folge jedenfalls nur bereits bei früheren Begehungen aufgetretene Mängel durch ihre Subunternehmer beheben lassen habe, nicht jedoch nach dem Vorbringen der Beklagten neu hervorgekommene. Bestünde der auf die strittigen Zusatzleistungen entfallende Werklohnanteil nicht, würde das verbleibende Sicherstellungsinteresse der Klägerin völlig in den Hintergrund treten. Der Klägerin gelänge es, sich bequem ihrer werkvertraglichen Verpflichtungen zu entledigen. Im Ergebnis würde dies einer missbräuchlichen Inanspruchnahme einer Sicherstellung nach § 1170b ABGB gleichkommen. Die Wirksamkeit des Rücktritts der Klägerin hänge daher von der Berechtigung der Werklohnforderung der Klägerin für die strittigen Zusatzleistungen ab, wofür Feststellungen des Erstgerichts fehlten.

[12]     Der Rekurs sei zulässig, weil die Beurteilung des Sicherstellungsverlangens vor dem Hintergrund der sich entwickelten Praxis in der Baubranche, eine Sicherstellung nach § 1170b ABGB nicht zum Schutz vor Insolvenzrisiken zu stellen, sondern diese Bestimmung als Schlupfloch aus dem Vertrag bei gleichzeitiger Einforderung eines eingeschränkten Werklohns gleichsam als „Reißleine“ zu missbrauchen, von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sei.

[13]     In ihrem dagegen gerichteten Rekurs beantragt die Klägerin die Abänderung des Aufhebungsbeschlusses im Sinn einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischenurteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14]     Die Beklagte beantragt, den Rekurs zurückzuweisen,

in eventu, ihm nicht Folge zu geben, jedoch auszusprechen, dass die Vertragsaufhebungserklärung der Klägerin unabhängig davon, ob die Beklagte weitere 13 Zusatzaufträge erteilt habe, nicht berechtigt gewesen sei; in eventu die Vertragsaufhebungserklärung der Klägerin nicht berechtigt gewesen sei, wenn die Beklagte keine weiteren Zusatzaufträge erteilt gehabt habe,

in eventu (zusammengefasst), dass für den Fall der Rechtswirksamkeit der Aufhebungserklärung diese die Ansprüche der Beklagten auf Gewährleistung und Schadenersatz, in eventu auf Preisminderung und Schadenersatz (jeweils auch für Mangelschäden und Mangelfolgeschäden) unberührt gelassen habe.

[15]     Der – hier die „inhaltliche Richtigkeit“ des Zwischenurteils betreffende und auf einen Zulassungsausspruch gestützte – Rekurs der Klägerin unterliegt keinem absoluten Rechtsmittelausschluss (vgl RS0125396; RS0043880; Musger in Fasching/KonecnyIV/1 § 519 ZPO Rz 78). Er ist auch zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[16]            1. Gemäß § 1170b Abs 1 ABGB kann der Unternehmer eines Bauwerks, einer Außenanlage zu einem Bauwerk oder eines Teils hievon vom Besteller ab Vertragsabschluss für das noch ausstehende Entgelt eine Sicherstellung bis zur Höhe eines Fünftels des vereinbarten Entgelts, bei Verträgen, die innerhalb von drei Monaten zu erfüllen sind, aber bis zur Höhe von zwei Fünfteln des vereinbarten Entgelts, verlangen. Dieses Recht kann nicht abbedungen werden. Als Sicherstellung können Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Bankgarantien oder Versicherungen dienen. Die Kosten der Sicherstellung hat der Sicherungsnehmer zu tragen, soweit sie pro Jahr zwei von Hundert der Sicherungssumme nicht übersteigen. Die Kostentragungspflicht entfällt, wenn die Sicherheit nur mehr wegen Einwendungen des Bestellers gegen den Entgeltanspruch aufrechterhalten werden muss und die Einwendungen sich als unbegründet erweisen.

[17]     Gemäß Abs 2 leg cit sind Sicherstellungen nach Abs 1 binnen angemessener, vom Unternehmer festzusetzender Frist zu leisten. Kommt der Besteller dem Verlangen des Unternehmers auf Leistung einer Sicherstellung nicht, nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig nach, so kann der Unternehmer seine Leistung verweigern und unter Setzung einer angemessenen Nachfrist die Vertragsaufhebung erklären (§ 1168 Abs 2).

[18]           2. Die Bestimmung des § 1170b ABGB wurde mit dem Handelsrechts-Änderungsgesetz,  BBl I 2005/120, in das ABGB eingefügt und soll den Insolvenzrisiken im Bau- und Baunebengewerbe entgegenwirken (ErlRV 1058 BlgNR 22. GP 72). Sie sieht eine gesetzliche, vertraglich nicht abdingbare Sicherstellungspflicht (genauer gesagt eine Sicherstellungsobliegenheit: 4 Ob 209/18s) des Werkbestellers unabhängig von der Unsicherheitseinrede des § 1052 zweiter Satz ABGB vor, also unabhängig von einer Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse und der Kenntnis davon. Kommt der Werkbesteller dem Sicherstellungsverlangen des Werkunternehmers nicht, nicht rechtzeitig oder unzureichend nach, so kann dieser die Erbringung seiner Leistung verweigern und unter Setzung einer angemessenen Nachfrist die Vertragsaufhebung erklären. Für diesen Fall wird klargestellt, dass der Entgeltanspruch des Unternehmers wie in den Fällen des § 1168 Abs 2 ABGB zu behandeln ist (s ErlRV aaO 72 f; 1 Ob 107/16s; 3 Ob 134/20g; 6 Ob 113/20s ua).

[19]            3.1. Nach der Rechtsprechung wird die Obliegenheit des Werkbestellers, auf Verlangen des Unternehmers eine Sicherstellung zu geben, mit dem Vertragsabschluss begründet, ohne dass der Unternehmer bereits eine Vorleistung erbracht haben müsste. Sie besteht bis zur vollständigen Bezahlung des Entgelts (1 Ob 107/16s; RS0132039; s auch M. Bydlinski in KBB6 § 1170b ABGB Rz 5).

[20]            3.2. Das Recht, Sicherstellung zu begehren, steht dem Werkunternehmer auch bei mangelhafter Bauleistung zu (1 Ob 107/16s, 6 Ob 65/18d, 6 Ob 113/20s mwN). Diese soll vom Werkbesteller nicht unter Berufung auf die Mangelhaftigkeit verweigert werden können, sodass der Werkunternehmer gemäß Abs 2 leg cit die Vertragsaufhebung auch bei mangelhafter Leistungserbringung erklären können soll (1 Ob 107/16s mwN).

[21]            3.3. Die Sicherheit ist nach dem klaren Wortlaut des § 1170b Abs 1 letzter Satz ABGB bei Einwendungen des Bestellers gegen den Entgeltanspruch – darunter ist vor allem ein Leistungsverweigerungsrecht zu verstehen, das auf gewährleistungsrechtlichen Ansprüchen auf Mängelbehebung beruht – selbst dann aufrecht zu erhalten, wenn die Einwendungen sich als unbegründet erweisen. Auch die ErläutRV (1058 BlgNR 22. GP 72) führen aus, dass die Pflicht zum Ersatz weiterer Kosten erst enden solle, wenn die Sicherstellung nur noch wegen nicht gerechtfertigter Einwendungen gegen den Entgeltanspruch aufrecht erhalten werden müsse (RS0133336 = 6 Ob 113/20s).

[22]            3.4. Die vom Werkunternehmer gemäß § 1170b Abs 2 ABGB erklärte Auflösung des Vertrags beseitigt den Erfüllungsanspruch des Bestellers, sodass sich dieser auf eine Pflicht zur mängelfreien Herstellung des Werks durch den Unternehmer nicht mehr berufen kann. Dem Unternehmer gebührt zufolge des Verweises auf § 1168 Abs 2 ABGB ein entsprechend der Regelung des § 1168 Abs 1 leg cit verminderter Entgeltanspruch, dem der Besteller mangelnde Fälligkeit, weil das Werk mangelhaft erbracht wurde oder unvollendet blieb, nicht entgegenhalten kann. Für die Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags verbleibt nach berechtigter Auflösung des Vertrags nach § 1170b ABGB kein Raum (RS0131056).

[23]            3.5. Maßgebend ist stets (sowohl für die prozentuelle Berechnung als auch für die Beschränkung durch das noch ausstehende Entgelt) das vereinbarte Gesamtentgelt. Die höhenmäßige Begrenzung der Sicherstellung durch das „noch ausstehende Entgelt“ führt nur dann zu einer Reduktion der absoluten Höchstgrenze (20 % bzw 40 %), wenn diese den insgesamt noch ausständigen Vergütungsanspruch übersteigt. Bei Verrechnung in Abschnitten ist die Sicherstellung nicht nur für das für den jeweils begonnenen Bauabschnitt vereinbarte und ausstehende Entgelt zu leisten, sondern für das noch ausstehende Gesamtentgelt (RS0131658).

[24]            4.1. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Klägerin auch nach Erbringung ihrer Arbeiten und unabhängig von allenfalls bestehenden Mängeln grundsätzlich berechtigt war, Sicherstellung – nach Maßgabe der AGB der Beklagten in Form einer Bankgarantie – in Höhe eines Fünftels des vereinbarten Entgelts (1.164.000 EUR = 20 % des vereinbarten Pauschalentgelts von 5.820.000 EUR brutto), maximal jedoch in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu verlangen.

[25]            4.2. Die Beklagte bringt dazu vor, dass nur für tatsächlich vereinbarte Entgelte eine Sicherstellung verlangt werden könne, nicht aber für nicht einmal vereinbarte Entgelte, womit für die strittigen Zusatzaufträge im behaupteten Gegenwert von 976.752,28 EUR kein Sicherstellungsanspruch nach § 1170b ABGB bestehe.

[26]            4.3. Dass zu den strittigen Zusatzaufträgen keine Details ihres Abschlusses, insbesondere auch keine Entgelt„vereinbarung“ feststeht, ist hier allerdings unschädlich, weil die Klägerin die maximal zulässige Höhe des Sicherstellungsverlangens nach dem Hauptauftrag errechnete und auch zu einem Hauptvertrag nachträglich erbrachte Zusatzleistungen ein Sicherstellungsverlangen rechtfertigen können (arg: Besicherung des „noch ausstehenden Entgelts“; vgl Schopper in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 § 1170b Rz 47, 49). Ungewissheiten über den grundsätzlichen Bestand der Zusatzleistungen machen hier die Berechnung des Entgeltfünftels nach Maßgabe des Hauptauftrags noch nicht unrichtig, sondern könnten dann, wenn die Zusatzleistungen nicht auf eine zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung zurückzuführen sind, nur dazu führen, dass die errechnete Höhe der Sicherstellung mit einem geringeren noch ausstehenden Werklohn (nämlich jenem aus den unstrittigen Aufträgen) zu deckeln wäre und das Sicherstellungsbegehren diesfalls überhöht sein könnte (s dazu sogleich). Auf die Unwägbarkeiten der Zusatzaufträge kommt es hier aber gar nicht an.

[27]            5.1. Wie bereits das Erstgericht ausführte, ergibt sich auch unter Außerachtlassung der strittigen 13 Zusatzaufträge ein im Zeitpunkt der Einforderung der Sicherstellung unberichtigt aushaftender Werklohnanteil von 365.467,02 EUR, der die Klägerin daher zur Einforderung einer Sicherstellung berechtigte. Dass der eingeforderte Betrag im Hinblick auf diesen Werklohnanteil überhöht war, führt nicht zur Unbeachtlichkeit des Begehrens, sondern hat nur dessen Reduktion auf den noch zulässigen Inhalt zur Folge (4 Ob 209/18s Pkt 2.4.; Hörker/Klete?ka in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1170b Rz 32 mwN; Schopper, Praktische und dogmatische Hürden beim Recht auf Sicherstellung nach § 1170b ABGB, ZVB 2020/59, 314 [319]).

[28]            5.2. Das Berufungsgericht verweist in diesem Zusammenhang einschränkend auf die zu § 648a BGB (nunmehr: § 650 f BGB) ergangene Rechtsprechung des BGH (Urteil v 9. 11. 2000, VII ZR 82/99 mwN), wonach bei Anmahnung einer zu hohen Zahlung zu prüfen sei, ob der Schuldner die Erklärung als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen müsse und der Gläubiger auch zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit sei, was bei einer unverhältnismäßig hohen Zuvielforderung zu verneinen sein könne. Die Wirksamkeit einer zu hohen Zuvielforderung werde im Regelfall dann bejaht, wenn anzunehmen sei, dass der Schuldner auch bei einer auf den wirklichen Rückstand beschränkten Mahnung nicht geleistet hätte. Diese – zum Schuldnerverzug anerkannten – Grundsätze seien auf den Fall der Einforderung einer zu hohen Sicherheit zu übertragen. Der zur Kooperation verpflichtete Besteller könne den Rechtsfolgen des § 648a Abs 1 und 5 BGB nicht ohne weiteres dadurch entgehen, dass er auf eine Zuvielforderung überhaupt nicht reagiere. Sei der Unternehmer bereit, die geringere Sicherheit zu akzeptieren, so müsse der Besteller diese Sicherheit jedenfalls dann leisten, wenn deren Höhe für ihn feststellbar sei. Der Besteller müsse eine solche Sicherheit anbieten.

[29]            5.3. In der Literatur wird die Rechtsprechung (4 Ob 209/18s), wonach ein überhöhtes Sicherungsbegehren auf den zulässigen Inhalt zu reduzieren ist, für jene Fälle als richtig erachtet, in denen der Besteller die Höhe der Sicherstellung selbst ohne weiteres erkennen kann. Das Sicherungsbegehren soll aber dann unbeachtlich sein, wenn es deutlich überhöht ist und der Werkbesteller einen angemessenen Betrag nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermitteln kann (Hörker/Klete?ka aaO Rz 32 mwN; Klete?ka, Die Sicherstellung bei Bauverträgen nach § 1170b ABGB, JBl 2020, 413, 419; Schopper aaO 314 [320] unter Hinweis auf die nach österreichischem Recht geringere Schutzbedürftigkeit des Sicherungsgebers [arg: Deckelung des Sicherstellungsbegehrens mit 20 %]).

[30]            5.4. Der erkennende Senat teilt diese Wertung. Sie bedeutet hier: Die von der Klägerin geforderte Sicherstellung in Höhe von 1.164.000 EUR war unter Außerachtlassung der Zusatzaufträge klar überhöht, weil der offene Werklohn aus dem Hauptauftrag im Zeitpunkt des Sicherstellungsbegehrens 365.467,02 EUR betrug. Allerdings liegt kein Fall vor, in dem die Beklagte die 'richtige' Höhe nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand ermitteln hätte können. Die offenen Schlussrechnungsforderungen waren leicht den Haupt- und unstrittigen Nebenaufträgen einerseits (Positionen 1. bis 5. der Schlussrechnung) und den strittigen Zusatzaufträgen andererseits (Positionen 6. bis 18.) zuordenbar. Für die Beklagte war damit auch leicht feststellbar, in welcher Höhe die ihr unstrittig zurechenbaren Forderungen offen waren. Dennoch bot sie dafür keinerlei Sicherstellung an. Nicht zu übersehen ist, dass die Beklagte zwar einen Teil dieses offenen Betrags zahlte. Dennoch verblieb damit eine Restforderung von 150.000 EUR, für die sie nicht die Absicht hatte, eine Sicherstellung zu leisten oder mit der Klägerin dafür Kontakt aufzunehmen. Die Höhe dieses unbesichert verbliebenen Betrags ist auch nicht so unbedeutend, dass schon von vornherein ein entsprechend reduziertes Sicherstellungsinteresse der Klägerin zu verneinen wäre. Die Korrespondenz der Streitteile gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Klägerin nicht auch zur Akzeptanz einer geringeren Sicherstellungsleistung bereit gewesen wäre. Andere bezughabende Anhaltspunkte liegen nicht vor. Damit liegen aber insgesamt keine ausreichenden Umstände vor, die die Beklagte ohne Verletzung ihrer Sicherstellungsobliegenheit davon entbunden hätten, eine angemessene Sicherheit anzubieten. Ein Abweichen vom Grundsatz der Rechtsprechung, dass ein überhöhtes Sicherstellungsbegehren nicht dessen Unbeachtlichkeit, sondern dessen Reduktion auf den noch zulässigen Inhalt zur Folge hätte, ist im vorliegenden Fall sohin nicht geboten.

[31]           6.1. Die Beklagte erachtet das Sicherstellungsverlangen weiter deshalb als unberechtigt und unwirksam, weil die Klägerin entgegen § 1170b Abs 1 dritter Satz ABGB eine unbefristete und an keinerlei Bedingungen geknüpfte Bankgarantie gefordert habe, wodurch die Beklagte in der Auswahl der Sicherheit nicht mehr frei gewesen sei.

[32]           Unstrittig kommt die Auswahl der Sicherheit dem Sicherungsgeber zu. Die Art der Sicherheit kann aber auch vereinbart werden (Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB ABGB § 1170b Rz 20; Hörker/Klete?ka in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON 1.03 § 1170b Rz 24 mwN). Das war hier nach den AGB der Beklagten eine Bankgarantie.

[33]            6.2. Von der Art des Sicherungsmittels zu unterscheiden ist, ob und inwieweit ein zulässiges Sicherungsmittel mangels Vereinbarung modifiziert werden darf. Zur in der Literatur umstrittenen Frage, ob eine als Sicherstellung angebotene Bankgarantie eine Effektivklausel enthalten kann, wurde in 3 Ob 134/20g (mwN) ausgeführt, eine Sicherstellung erfüllt den Zweck des

§ 1170b ABGB nicht, wenn der Werkbesteller es faktisch in der Hand hat, dem Werkunternehmer den (rechtmäßigen) Zugriff darauf zu verwehren. Dies ist immer dann der Fall, wenn der aus der Garantie Begünstigte diese nur mit Zustimmung des Garantieauftraggebers abrufen kann. Die Beifügung einer Effektivklausel durch den Sicherungsgeber ist danach nicht schon als solche unzulässig, jedoch dann, wenn die Inanspruchnahme der Garantie durch den Werkunternehmer durch ein für ihren Abruf aufgestelltes Erfordernis ungebührlich erschwert oder gar unmöglich gemacht wird (s RS0133403). Nach Maßgabe dieser Wertung müssen vom Sicherungsgeber auch andere vertragliche Anpassungen vorgenommen werden können.

[34]            6.3. Verlangt nun der Werkunternehmer – wie hier die Klägerin – eine uneingeschränkte Bankgarantie, während der Werkbesteller sie an in diesem Sinn zulässige Bedingungen oder Befristungen knüpfen möchte, so ist nicht anders als bei einem überhöhten Sicherstellungsverlangen vorzugehen. Wie dargelegt, führt dieses grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit des Verlangens, sondern erlaubt dem Werkbesteller eine Reduktion auf den gewünschten (zulässigen) Inhalt. Da von der Beklagten aber keinerlei Angebot unterbreitet wurde und auch in diesem Zusammenhang keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Klägerin nicht auch eine an eine Befristung, Bedingung oder ähnlich gebundene Bankgarantie akzeptiert hätte, ist dieses Argument der Beklagten nicht geeignet, die Unwirksamkeit des Sicherstellungsbegehrens der Klägerin zu begründen.

[35]            7. Die Beklagte hat auch den Einwand des Rechtsmissbrauchs erhoben, dessen Berechtigung das Berufungsgericht vom Bestand der Werklohnforderungen aus den strittigen Zusatzaufträgen abhängig gemacht hat und der Anlass für den Zulassungsausspruch war.

[36]            7.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass Rechtsmissbrauch nicht nur dann vorliegt, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0026265) oder das unlautere Motiv einer Handlung die lauteren Motive eindeutig überwiegt (RS0025230 [T7, T10]; RS0026271 [T20, T23, T24]). Die Inanspruchnahme eines gesetzlichen Rechtsbehelfs zur Vermeidung von Insolvenzrisiken und Zahlungsverzug ist nicht als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren (4 Ob 209/18s Pkt 3.). Im Zusammenhang mit der Ausübung einer Bankgarantie entspricht es weiter der Rechtsprechung, dass einem Werkunternehmer, der sich aus vertretbaren Gründen für berechtigt hält, sein Recht geltend zu machen, für gewöhnlich kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden kann (vgl RS0017997 [T2]).

[37]            7.2. Wesentlich für die Beurteilung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist grundsätzlich der Wissensstand oder die Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Rechts (RS0017042; RS0018006 [T4]; zur Bankgarantie 9 Ob 28/19m Pkt 4.3.), wofür hier der Zeitpunkt, in dem die Klägerin ihr Sicherstellungsrecht geltend gemacht hat, und weiter der Zeitpunkt, in dem sie wegen des erfolglosen Sicherstellungsbegehrens das Rücktrittsrecht ausübte, beachtlich ist.

[38]            7.3. Hier ist davon auszugehen, dass selbst unter Außerachtlassung der strittigen Zusatzaufträge jedenfalls ein restlicher Werklohnteil aus dem Hauptauftrag und den vier unstrittigen Nachträgen unberichtigt aushaftete, womit der Klägerin grundsätzlich ein Recht auf Sicherstellung zukam. Vom Erstgericht wurde festgestellt, dass sich der Geschäftsführer der Klägerin für die Höhe der konkret verlangten Sicherstellung einerseits deshalb entschied, weil er der Meinung war, dass die Forderung in Höhe von 1/5 der Auftragssumme nach den vertraglichen Bestimmungen jedenfalls zulässig ist; andererseits auch um mit der Sicherstellung noch ausstehende Zahlungen aus den strittigen Zusatzaufträgen der Schlussrechnung abdecken zu können, sollten diese letztlich doch der Sphäre der Beklagten zurechenbar sein und keine Zahlung durch die GmbH erfolgen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts erfolgte die Forderung der Sicherstellung jedenfalls nicht in dem Wissen, dass sie der Klägerin in dieser Höhe nicht zustand. Diese Umstände sprechen daher noch nicht für eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Sicherstellungsrechts.

[39]            7.4. Das Berufungsgericht erwog aber, dass die Beklagte – bei Außerachtlassung der strittigen 13 Zusatzaufträge – vom knapp 6 Mio EUR umfassenden Werklohn (inkl der unstrittigen vier Nachträge) bis auf 150.000 EUR den gesamten Werklohn am 25. 1. 2019 gezahlt hatte und der Klägerin keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Bonität der Beklagten vorgelegen hätten, sondern sie sich vielmehr mit einem Mängelbeseitigungsbegehren der Beklagten konfrontiert gesehen habe, dem sie nur halbherzig nachgekommen sei. Bei Nichtzurechtbestehen der strittigen Zusatzleistungen sei das Sicherstellungsinteresse der Klägerin als nur untergeordnet anzusehen. Diesen Wertungen ist nicht ungeteilt zu folgen.

[40]            7.5. Im Hinblick auf das Argument der Gefährdung der Bonität der Beklagten ist festzuhalten, dass die Einführung der Bauhandwerkversicherung nach § 1170b ABGB damit begründet wurde, den Insolvenzrisiken im Bau- und Baunebengewerbe entgegenzuwirken (ErlRV 1058 BlgNR 22. GP 72 f; oben Pkt 1.). Das spezifische Risiko des Bauunternehmers ergibt sich vor allem aus der festen Verbindung des Bauwerks mit der Liegenschaft, wodurch er keine Möglichkeit hat, sich durch einen Eigentumsvorbehalt – der ohnehin nur hinsichtlich des Baumaterials möglich wäre – vor dem Verlust seiner Leistung zu schützen (vgl Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB – ABGB, § 1170b ABGB Rz 2; Schopper, ZVB 2020, 314, 315 mwN). In der Literatur wird daraus abgeleitet, dass die Verminderung der Insolvenzrisiken als ratio legis das entscheidende Kriterium bei der Beurteilung der Zulässigkeitsgrenze der Rechtsausübung sei (Klete?ka aaO JBl 2020, 422; ähnlich Vonkilch/Scharmer, Zum Verhältnis von Rücktrittserklärungen gemäß § 918 ABGB und § 1170b ABGB, Zak 2018/344, 347).

[41]     Richtig weist aber Schopper aaO darauf hin, dass es dabei um ein generell-abstrakt bestehendes Insolvenzrisiko bei Bauwerkverträgen geht. Ob beim konkreten Werkbesteller generell oder im Zeitpunkt, in dem der Werkunternehmer die Sicherstellung verlangt, eine Insolvenzgefahr besteht oder eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse eingetreten ist, ist für § 1170b ABGB irrelevant (ähnlich Ring/Schifko, Kann das Verlangen einer Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB rechtsmissbräuchlich sein? bauaktuell 2019, 49: „typisierender Ansatz“). Dem liegt auch eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, sieht doch § 1170b ABGB nach den ErlRV (1058 BlgNR 22. GP 72) die Sicherstellungspflicht des Werkbestellers „unabhängig von der Unsicherheitseinrede des § 1052 zweiter Satz ABGB vor, also unabhängig von einer Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse und der Kenntnis davon“. Auch im Gesetzestext hat eine Beschränkung des Sicherstellungsbegehrens nach Maßgabe der konkreten Bonitätssituation keinen Niederschlag gefunden. Die mit der Vorleistungspflicht des Unternehmers verbundenen Risiken gehen auch über ein Insolvenzrisiko hinaus (3 Ob 134/20g mwN: Schutz vor Zahlungsunwilligkeit; s auch Schauer aaO Rz 10: Schutz vor Erpressungsversuchen des Bestellers, der sonst die Möglichkeit hätte, sich unter Berufung auf
– vielleicht nur angeblich vorhandene – Mängel sein Entgelt zurückzubehalten, um einen Preisnachlass durchzusetzen). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Werkunternehmer die Sicherstellung bereits ab Vertragsabschluss und sohin zu einem Zeitpunkt verlangen kann, in dem er in der Regel nicht von der fehlenden Bonität des Werkbestellers ausgeht. Da die konkrete Bonitätssituation danach nicht vom Normzweck erfasst ist, kann ihr nicht die vom Berufungsgericht beigemessene Bedeutung zukommen.

[42]            7.6. In der Literatur wird schließlich auch davon gesprochen, dass das Sicherstellungsverlangen dem Unternehmer in der Praxis in vielen Fällen gleichsam als „Schlupfloch aus dem Vertrag bei gleichzeitiger Einforderung des eingeschränkten Werklohns“, als „Reißleine“ bzw dazu dient, ihn „von der uU lästigen Pflicht zur vollständigen Mängelbeseitigung“ zu befreien (s die Nw bei Klete?ka aaO 421) und gefragt, „wie häufig dieser Trick von einem Werkunternehmer angewendet werden kann“, ehe er den Werkbestellern bekannt ist (Wiesinger, Das trickreiche Vermeiden von Gewährleistungsarbeiten, bauaktuell 2017, 34). Dem wird entgegengehalten, dass es nicht per se rechtsmissbräuchlich sei, wenn Werkunternehmer das Sicherstellungsbegehren in der Hoffnung einsetzen, sich von ihren vertraglichen Leistungspflichten zu befreien, weil das Leistungsverweigerungsrecht und das Recht zur Aufhebung des Vertrags als Rechtsfolgen in § 1170b ABGB explizit vorgesehen seien und mangels Einklagbarkeit das einzige Druckmittel des Bestellers zur Durchsetzung seines Rechts auf Sicherstellung darstellten und das Ansinnen des Werkunternehmers durch fristgerechte Bestellung der Sicherheit ohnehin abgewehrt werden könne (Schopper aaO 315 f; idS auch Ring/Schifko aaO 52).

[43]     Diese Frage kann für den vorliegenden Fall jedoch dahinstehen, weil sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ergibt, dass die Klägerin die Sicherstellung begehrt oder den Rücktritt erklärt hatte, um sich ihrer Gewährleistungspflichten zu entledigen. Vielmehr steht fest, dass sie sich auch nach dem Verstreichen der letzten Nachfrist (25. 1. 2019) bereit erklärte, die gerügten Mängel zu verbessern und den Vertragsrücktritt erst „mit Abschluss der derzeit durchgeführten Mangelbehebungsarbeiten wirksam“ werden zu lassen. Sie wollte damit ihren Rücktritt vom Werkvertrag erst mit Abschluss der Arbeiten ihrer Subunternehmer, mit denen die bereits anlässlich früherer Begehungen festgestellten Mängel behoben werden sollten, ausgeübt wissen. Wenngleich sie damit jedenfalls nicht ihren Rücktritt von der tatsächlichen Mängelbehebung abhängig machen wollte (Ersturteil S 15), geht daraus insgesamt nicht hervor, dass die Klägerin hier einen verpönten „Trick“ anwenden gewollt hätte.

[44]            8. Damit bleibt für die Frage der rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung im Vordergrund, dass das Sicherstellungsbegehren einen weit überhöhten Inhalt aufwies. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die Aufnahme der Forderungen aus den strittigen Zusatzaufträgen in die Schlussrechnung gerade nicht im Wissen der Klägerin, dass ihr diese Forderungen gegenüber der Beklagten nicht zustünden, sondern in Unsicherheit über die Zurechnung der Zusatzleistungen an die Klägerin oder die GmbH erfolgte. Auf das Angebot der Klägerin auf Neuausstellung der Schlussrechnung ohne Zusatzaufträge, wenn sie auf den Einwand eines allenfalls geltenden und/oder vereinbarten Nachforderungsausschlusses hinsichtlich der Zusatzaufträge verzichte, reagierte die Beklagte nicht (Ersturteil S 11). Nach wie vor ist auch nicht geklärt, dass die Zusatzaufträge nicht der Beklagten zuzurechnen sind. Bedenkt man, dass die Beklagte dem Rücktritt leicht vorbeugen hätte können, wenn sie auch nur in Bezug auf den ihrer Ansicht nach offenen Werklohn eine Sicherheit angeboten hätte, deren Kosten (bis 2 %) ohnedies von der Klägerin zu tragen gewesen wären, so liegt in Gesamtschau kein krasses Missverhältnis zwischen den eigenen Interessen der Klägerin und den beeinträchtigten Interessen der Beklagten, aber auch kein unlauteres Motiv der Klägerin vor, das ihre lauteren Motive eindeutig überwiegen würde.

[45]     Eine missbräuchliche Rechtsausübung kann damit verneint werden, ohne dass es im Verhältnis zur Beklagten auf die Berechtigung der Forderungen aus den Zusatzaufträgen ankäme.

[46]            9. Zu den Ausführungen der Beklagten betreffend die Rechtsfolgen des Rücktritts auf Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche und ihren Eventualbegehren ist auf die unter Pkt 3. dargelegte Rechtsprechung zu verweisen.

[47]            10. Da sich der Rekurs der Klägerin damit berechtigt erweist, ist diesem Folge zu geben und in der Sache selbst das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[48]     Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt gründet auf jenem des Erstgerichts.

Textnummer

E132607

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00030.21H.0728.000

Im RIS seit

10.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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