Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichtes Dr. Fabian und Mag. Fisher in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Anke Reisch, Rechtsanwältin in Baden, wider die beklagte Partei B*****, vertreten durch Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 5.000,-- s.A., Unterlassung (Streitwert EUR 11.000,--) und Widerruf (Streitwert EUR 11.000,--; gesamt EUR 27.000,--), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 12.1.2021, 31 Cg 83/20k-4, den
Spruch
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.438,56 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (hierin EUR 239,76 USt) binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung
Mit ihrer am 18.12.2020 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin - gestützt auf § 1330 ABGB - die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung näher dargestellter kreditschädigender Äußerungen, ferner den - ebenfalls vorformulierten - Widerruf dieser Äußerungen und die Zahlung von EUR 5.000,-- s.A. aus dem Titel des Schadenersatzes. Dazu brachte sie vor, der Beklagte sei Gesellschafter und Geschäftsführer der I***** GmbH (im folgenden kurz „I*****“), die in der IT-Branche tätig sei, sie selbst sei bis Ende August 2020 in diesem Unternehmen als IT-Mitarbeiterin angestellt gewesen. Die K***** AG mit Sitz in der Schweiz („K*****“) sei ein Kunde des Beklagten, habe jedoch im August 2019 angekündigt, den Betreuungsvertrag zum Ende des Geschäftsjahres 2020 aufzulösen, weil sie auf eine zentrale IT-Lösung umgestiegen sei und die Dienste der I***** nicht mehr benötige. Die Mutter der Klägerin betreibe unter der Firma S***** GmbH („S*****“) ebenfalls ein IT-Unternehmen und habe im August 2020 von K***** den Auftrag für IT-Dienstleistungen erhalten, wofür ein Account einzurichten gewesen sei. Der Beklagte habe am 28.8.2020 ein E-Mail an leitende Mitarbeiter von K***** gerichtet, in dem er die Klägerin und eine weitere Person als korrupt bezeichnet und ihnen verbrecherische Handlungen unterstellt habe, dies mit der Behauptung, sie hätten über I*****-Zugänge auf eigene Rechnung Dienstleistungen erbracht. Ferner habe er in dem Schreiben K***** aufgefordert, den Account der Klägerin (sowie zwei weitere Accounts) zu sperren, was von K***** zunächst auch veranlasst worden sei. Die Mutter der Klägerin habe deshalb an der Ausführung des Auftrags für K***** vorerst nicht weiterarbeiten können. Sie habe zwar umgehend eine Richtigstellung bei K***** erreichen können und hätten die betreffenden Mitarbeiter auch gleich zur Kenntnis genommen, dass das Schreiben des Beklagten falsche Informationen enthalte, doch habe es aufgrund interner Sicherheits- und Bürokratieläufe eine Woche gedauert, bis der Zugriff auf den Account ihrer Mitter wiederhergestellt gewesen sei. Die Klägerin habe ihre Mutter danach unterstützen müssen, um die verlorene Zeit wettzumachen, was eine Entschädigung von zumindest EUR 5.000,-- rechtfertige. Darüber hinaus habe die Klägerin selbst Aussicht gehabt, von K***** Aufträge zu erhalten, die ihr durch das Schreiben des Beklagten entgangen seien.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, die Klägerin und ihr Lebensgefährte G***** seien bis Ende August 2020 Angestellte der I***** gewesen, die Gesellschaft der Mutter der Klägerin sei Subunternehmerin gewesen. Er habe zu den drei handelnden Akteuren Vertrauen gehabt und hätten alle drei Zugang zu den Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der I***** gehabt. Die Klägerin und ihre Mittäter hätten die I***** in einer strafrechtlich relevanten Art und Weise massiv zum eigenen Nutzen geschädigt und einen sechsstelligen Euro-Schaden zu ihren Lasten verursacht. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte hätten wesentliche Geschäftsgeheimnisse vom Server der I***** auf die Dropbox kopiert und seien damit in der Lage gewesen, auf alle unternehmensrelevanten sensiblen Daten und Projekte sowie die Software und deren Entwicklungen zuzugreifen und zu ihrem Nutzen zu verwerten. Sowohl die Klägerin als auch ihr Lebensgefährte hätten während ihrer Arbeitszeit für die I***** bzw. während eines Krankenstandes erbrachte Leistungen als Fremdleistungen der S***** verrechnet und erwirkt, dass die Rechnungen der S***** zur Zahlung freigegeben worden seien, obwohl ihnen bewusst gewesen sei, dass der Verrechnung keine Fremdleistungen, sondern Betrug zugrundegelegen sei. Sie hätten damit zweimal kassiert, einmal aufgrund des von der I***** weiterbezogenen Gehalts und ein zweites Mal aufgrund des von S***** bezahlten Entgelts. Das Kopieren der Software von I***** auf einen externen Server, auf den der Beklagte keinen Zugriff habe, habe den Sinn gehabt, dass K***** auf Betreiben der Klägerin und ihrer Mittäter Weiterentwicklungen bei ihnen beauftragt habe. Dies habe zur Folge, dass I***** von K***** keine Aufträge mehr erhalte, sondern stattdessen die Klägerin und ihre Mittäter. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte hätten neben bestehenden Treuepflichten gegen die in ihren Dienstverträgen vereinbarte Konkurrenzklausel verstoßen, die den beiden das Tätigwerden für andere Unternehmen während des aufrechten Dienstverhältnisses verboten habe. Die im inkriminierten E-Mail aufgestellten Behauptungen seien erweislich wahr, weshalb die Klägerin keinen Anspruch auf Unterlassung und Widerruf habe. Der Klägerin stehe auch keine Entschädigung gegenüber dem Beklagten zu, sondern sei vielmehr I***** durch das Vorgehen der Klägerin und ihrer Mittäter erheblich geschädigt worden. Dieser Schaden sei zwischenzeitig beim Handelsgericht Wien bereits klageweise geltend gemacht worden.
Nach Einlangen der Klagebeantwortung sprach das Erstgericht mit dem nun angefochtenen Beschluss aus, das Verfahren sei in der Senatsbesetzung nach § 11 Abs 1 ASGG zu führen. Zur Begründung führte es aus, Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 Z 1 ASGG seien bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder mit dessen Anbahnung. Nach § 11 Abs 1 ASGG hätten sich die Senate der Landesgerichte in Arbeitsrechtssachen aus einem Richter und zwei fachkundigen Laienrichter zusammenzusetzen, die unrichtige Besetzung stelle einen Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO dar.
Die Klägerin habe ihren Anspruch zunächst auf § 1330 ABGB gegründet, weil der Beklagte sie in einem E-Mail als korrupt bezeichnet und ihr ein verbrecherisches Verhalten unterstellt habe. In der Klageerzählung weise die Klägerin darauf hin, dass sie bis Ende August 2020 IT-Mitarbeiterin der I***** gewesen sei und der Beklagte als deren Geschäftsführer die inkriminierten Äußerungen getätigt habe. Aus der Klagebeantwortung ergebe sich eindeutig, dass das inkriminierte E-Mail im direkten Zusammenhang mit der Angestelltentätigkeit der Klägerin stehe, in Rede stünden etwa Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, der Einfluss der Kurzarbeit auf die Tätigkeit der Klägerin, eine Konkurrenzklausel und Ähnliches. Aufgrund des wechselseitigen Vorbringens sei der Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis offenkundig, wobei es in dieser Konstellation in Anbetracht der zu RIS-Justiz RS0014455 zitierten Judikatur nicht darauf ankomme, dass die Klägerin den Geschäftsführer der GmbH als natürliche, handelnde Person in Anspruch nehme.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung, auszusprechen, dass das Verfahren nicht in der Senatsbesetzung nach § 11 Abs 1 ASGG zu führen sei; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Der Beklagte meint, es liege keine Arbeitsrechtssache gemäß 50 Abs 1 Z 1 ASGG vor. Er sei nicht Arbeitgeber der Klägerin und sei dies auch in der Vergangenheit nicht gewesen. Mit dem ehemaligen Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der I***** habe er persönlich nichts zu tun. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche stünden zudem in keinem Zusammenhang mit diesem Arbeitsverhältnis, sondern stütze sie diese auf § 1330 ABGB. Dass die Klägerin vormals Mitarbeiterin der I***** gewesen sei, spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle. Der vom Erstgericht angenommene Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis liege nicht vor.
Dazu war Folgendes zu erwägen:
1. In welcher Gerichtsbesetzung - nach den §§ 11, 12 ASGG oder nach § 7a JN - eine Rechtssache zu behandeln ist (ob es sich also um eine Arbeits- bzw. Sozialrechtssache oder um eine „allgemeine“ Zivilsache handelt), richtet sich grundsätzlich nach dem Inhalt des Begehrens und des Vorbringens in der Klage (RIS-Justiz RS0085549; 4 Ob 223/99v = SZ 72/142 uva). Dies gilt uneingeschränkt nur dann, wenn die anspruchsbegründenden und die besetzungsbegründenden Tatsachen zusammenfallen; andernfalls ist auch auf die Behauptungen des Beklagten Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0085549 [T2]; 4 Ob 223/99v).
2. In der Klage muss keine bestimmte Gerichtsbesetzung verlangt werden. Die Frage, in welcher Gerichtsbesetzung das angerufene Gericht tätig zu werden hat, hat dieses von sich aus zu prüfen (Wolf in Köck/Sonntag, ASGG § 37 Rz 10; RIS-Justiz RS0120142; 9 Ob 40/05f ua). Wenn das erkennende Gericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen nicht gemäß den §§ 11, 11b oder § 12 Abs 1 oder Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG vorschriftsmäßig besetzt ist, begründet dies - sofern keine Heilung nach § 37 Abs 1 ASGG eingetreten ist - eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO (Wolf, aaO Rz 2 und 5).
3. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob ein bestimmter Gerichtshof in einer Rechtssache als Arbeitsgericht oder in anderer Funktion zu entscheiden hat (ausgenommen in dem hier nicht vorliegenden Verhältnis zwischen Arbeits- und Sozialgericht Wien und Handelsgericht Wien bzw. Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien) nicht eine Frage der sachlichen Zuständigkeit, sondern eine solche der Gerichtsbesetzung des jeweiligen Spruchkörpers. Eine Entscheidung darüber unterliegt daher nicht dem Rechtsmittelausschluss nach § 45 JN, sondern ist nach § 40a JN selbstständig anfechtbar (RIS-Justiz RS0046274, RS0085574; 4 Ob 223/99v ua; Neumayr in ZellKomm³ § 37 ASGG Rz 9).
Damit ist für den Beklagten hier aber nichts gewonnen, weil sich die Rechtsansicht des Erstgerichtes entgegen den Rekursausführungen als zutreffend erweist:
4. Arbeitsrechtssachen nach 50 Abs 1 Z 1 ASGG sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder mit dessen Anbahnung. Der Begriff „Arbeitsrechtssachen“ in 50 Abs 1 ASGG ist nach der Rechtsprechung weit auszulegen. Ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder dessen Anbahnung kann mittelbar oder unmittelbar, in rechtlicher oder in tatsächlicher Hinsicht bestehen. Das Arbeitsverhältnis darf aber nicht bloß zufälliger Anlass für die Rechtsstreitigkeit sein (Neumayr in ZellKomm3, § 50 ASGG Rz 10 mwN; Köck in Köck/Sonntag, ASGG § 50 Rz 27). Ein hinreichender Zusammenhang fehlt in der Regel, wenn der geltend gemachte Anspruch zwischen den Parteien genauso bestehen könnte, wenn das Arbeitsverhältnis weggedacht wird (RIS-Justiz RS0089409). Neben den (ausdrücklich erwähnten) Streitigkeiten aus der Anbahnung sind in den Begriff der Arbeitsrechtssachen auch Streitigkeiten aus den Nachwirkungen eines Arbeitsverhältnisses einbezogen, wie beispielsweise Unterlassungsansprüche aus einer Konkurrenzklausel (9 ObA 166/01d; Köck, aaO Rz 28). Ganz allgemein können Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus unerlaubten Handlungen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen, Arbeitsrechtssachen iSd § 50 Abs 1 Z 1 ASGG bilden (Neumayr, aaO Rz 10).
5. Ein solcher sachlicher Zusammenhang liegt nach dem wechselseitigen Parteienvorbringen hier zweifellos vor. Übereinstimmend wurde vorgebracht, dass die Klägerin bis Ende August 2020 Angestellte der I***** war. Die inkriminierten Äußerungen im E-Mail vom 28.8.2020 hatten ihre Grundlage darin, dass der Beklagte der Klägerin einen Verstoß gegen ihre im Arbeitsverhältnis begründeten Treuepflichten sowie die vertraglich vereinbarte Konkurrenzklausel, die widerrechtliche Nutzung und Verwertung der von der I***** entwickelten Software sowie die rechtswidrige Umleitung von Aufträgen von K***** an sie und ihre Mittäter vorwirft.
6. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin nicht die I***** als ihre (ehemalige) Arbeitgeberin, sondern den Beklagten persönlich in Anspruch nimmt. Nach dem offenen Firmenbuch ist der Beklagte Alleingesellschafter und -geschäftsführer der I***** und liegt damit eine wirtschaftliche Identität zwischen ihm und der Gesellschaft vor.
Würde es sich bei ihm um einen angestellten Geschäftsführer handeln, so wäre er ungeachtet seiner gesellschaftsrechtlichen Beteiligung als Arbeitnehmer iSd § 51 ASGG zu qualifizieren (RIS-Justiz RS0086024) und wäre in diesem Fall die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit nach § 50 Abs 1 Z 3 ASGG gegeben. Es läge ein Wertungswiderspruch vor, würde es sich im Falle eines angestellten Geschäftsführers um eine Arbeitsrechtssache handeln, derselbe Sachverhalt aber bei einem Alleingeschäftsführer und -gesellschafter in die Zuständigkeit der allgemeinen Zivilgerichte fallen.
Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses und war dem unberechtigten Rekurs daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 2 ASGG, 41 und 50 ZPO. Es liegt ein Zwischenstreit vor, in dem die Klägerin vollständig obsiegt hat.
Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig (Neumayr in Höllwerth/Ziehensack [Hrsg] ZPO Taschenkommentar § 528 Rz 16).
Textnummer
EW0001081European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0009:2021:01600R00011.21M.0204.000Im RIS seit
12.02.2021Zuletzt aktualisiert am
15.02.2021