TE OGH 2020/6/24 7Ob53/20z

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Veröffentlicht am 24.06.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** K*****, vertreten durch List Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen Unterlassung und Beseitigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2020, GZ 4 R 152/19h-10, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 17. Juli 2019, GZ 69 Cg 11/19h-6, teilweise abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

I. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin bestätigt, dass es einschließlich des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt als Teilurteil lautet:

„1. Die beklagte Partei ist gegenüber der klagenden Partei schuldig, in Zukunft die Errichtung, den Betrieb und die Instandhaltung der 110-kV-Hochspannungsfreileitung von W***** nach S***** über den Grundstücken ***** und ***** insoweit zu unterlassen, als auch nur ein Leitungsseil die Höhe von 8,60 m über dem Bodenniveau unterschreitet.

2. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, binnen 90 Tagen die genannte Hochspannungsfreileitung über den zu Punkt 1. beschriebenen Grundstücken zu beseitigen, soweit sie sich unter 8,60 m über diesen Grundstücken befindet, wird abgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

II. Im Übrigen, sohin im Umfang des Klagebegehrens auf Unterlassung der Errichtung, des Betriebs und der Instandhaltung der 110-kV-Hochspannungsfreileitung von W***** nach S***** über den Grundstücken ***** und ***** und auf Beseitigung, soweit sie sich in einer Höhe von mehr als 13,20 m über dem Bodenniveau befindet, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist grundbücherlicher Alleineigentümer der Grundstücke ***** und *****. Die Grundstücke werden mit einer in den 1950er-Jahren errichteten und von der Beklagten betriebenen 110-kV-Hochspannungsfreileitung für die Südbahnstrecke in einem Bereich „aktuell“ von 8,60 m und 23,88 m über dem Bodenniveau überspannt.

Die Beklagte erwirkte (als Klägerin) im Verfahren 5 Cg 21/16v des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien ein rechtskräftiges Feststellungsurteil über das Bestehen der (ersessenen) Dienstbarkeit der Errichtung, des Betriebs und der Instandhaltung der 110-kV-Hochspannungsfreileitung in einer Höhe von 8,60 m bis 13,20 m über dem Bodenniveau der genannten Grundstücke des Klägers (dort Beklagten) samt Einwilligung zur Einverleibung dieser Dienstbarkeit. Die (ursprünglich im Klagebegehren nicht enthaltenen) Höhenangaben fanden Eingang in das Urteil des Vorprozesses, weil der dort Beklagte (hier Kläger) die diesbezügliche Unbestimmtheit des Klagebegehrens eingewendet hatte.

Das unterste Seil hing in der Vergangenheit temperaturbedingt durch, sodass die Höhe von 8,60 m unterschritten wurde. Im Jänner 2019 führte die Beklagte insoweit Anpassungsarbeiten durch, sodass sich das unterste Seil an seinem tiefsten Punkt nunmehr auf einer Höhe von zumindest 8,62 Meter über dem Bodenniveau befindet. Durch äußere Einflüsse wie Temperatur, Schnee, Eis, sind die über den Grundstücken des Klägers verlaufenden Leitungen Schwankungen bezüglich ihrer Höhenlage unterworfen. Bei höheren Temperaturen kommt es zu einem Durchhängen der Leitungen, weshalb diese dann tiefer verlaufen als bei niedrigeren Außentemperaturen.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Errichtung, Betreibung und Instandhaltung der 110-kV-Hochspannungsfreileitung über seinen Grundstücken, soweit sie sich nicht in einer Höhe zwischen 8,60 m und 13,20 m über dem Bodenniveau befindet und ihre Beseitigung außerhalb des genannten Bereichs. Die im Verfahren 5 Cg 21/16v des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien festgestellte Dienstbarkeit werde signifikant unter- und überschritten.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Leitungsdienstbarkeit zu ihren Gunsten bestehe aufgrund der (zumindest konkludenten) Zustimmung durch die Voreigentümer, jedenfalls aber infolge Ersitzung auch außerhalb des im Verfahren 5 Cg 21/16v des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien festgeschriebenen Höhenkorridors, zumal die Leitungen seit ihrer Errichtung Mitte der 1950er-Jahre unverändert bestünden. Das höchste Seil verlaufe seither in einer Höhe zwischen 19,44 m und 23,88 m. Die Höhenangaben im Vorprozess beruhten auf einem Missverständnis. Nähme man eine Dienstbarkeit zugunsten der Beklagten nur in den im Urteil des Vorprozesses genannten Grenzen zwischen 8,6 m und 13,20 m an, wäre die Klage rechtsmissbräuchlich. Sie diene nur der Schädigung der Beklagten, zumal der Kläger den Bereich oberhalb von 13,20 m nicht nützen könne.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es erachtete sich nach § 411 Abs 1 ZPO an die rechtskräftige Vorentscheidung insoweit gebunden, als diese die Leitungsdienstbarkeit zu Gunsten der Beklagten nur in einem Höhenkorridor von 8,60 m bis 13,20 m über dem Bodenniveau der Grundstücke des Klägers festgestellt habe. Bei einer Leitungsführung außerhalb dieser Bandbreite sei das Eigentumsrecht des Klägers verletzt. Hinsichtlich des höchsten Punktes der Leitung auf 23,88 m über dem Niveau der klägerischen Grundstücke liege ein Dauerzustand vor; bezüglich der untersten Leitung sei unter Berücksichtigung der Schwankungen aufgrund von äußeren Einflüssen eine weitere Rechtsverletzung wahrscheinlich und die Wiederholungsgefahr zu bejahen. Das Klagebegehren sei nicht schikanös. Auch wenn eine bauliche Nutzung des Luftraums über 13,20 m nicht möglich sei, komme dennoch eine andere Form der Nutzung – beispielsweise durch Flugdrohnen – in Betracht, sodass von einer rein zur Schädigung der Beklagten vorgenommenen Rechtsausübung nicht gesprochen werden könne.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil teilweise dahin ab, dass es die Beklagte verpflichtete, in Zukunft die Errichtung, den Betrieb und die Instandhaltung der genannten Hochspannungsfreileitung über den Grundstücken des Klägers insoweit zu unterlassen, als auch nur ein Leitungsseil die Höhe von 8,60 m über dem Bodenniveau unterschreite. Das Mehrbegehren auf Unterlassung der Errichtung, des Betriebs und der Instandhaltung der genannten Hochspannungsfreileitung über den genannten Grundstücken, soweit sie sich in einer Höhe von mehr als 13,20 m über dem Bodenniveau befinde sowie auf Beseitigung der Hochspannungsfreileitung, soweit sie sich nicht auf einer Höhe zwischen 8,60 m bis 13,20 m über den genannten Grundstücken befinde, wies es ab.

Gegenstand des Vorprozesses sei die von der Beklagten angestrebte Feststellung einer vom Kläger als Eigentümer der dienenden Grundstücke zu duldenden Dienstbarkeit einer Hochspannungsfreileitung gewesen, deren Höhenkorridor von 8,60 m bis 13,20 m sie selbst in ihr Urteilsbegehren eingeführt habe. Diese Entscheidung entfalte im Hinblick auf Bestehen und Umfang der Leitungsdienstbarkeit Bindungswirkung.

Das unterste Leitungsseil befinde sich aktuell an seinem tiefsten Punkt auf einer Höhe von 8,62 m über dem Bodenniveau. Da es bei höheren Temperaturen zu einem Durchhängen der Leitungen kommen könne, sei die Wiederholungsgefahr im Zusammenhang mit dem Unterlassungsbegehren zu bejahen. Allerdings finde sich keine Rechtsgrundlage für das diesbezügliche „vorsorgliche“ Beseitigungsbegehren des Klägers, weil ein Unterschreiten des Mindestabstands des untersten Seiles zum Boden gerade nicht (mehr) feststehe.

Die Leitungsdienstbarkeit zugunsten der Beklagten sei auf eine Höhe von maximal 13,20 m – vom Bodenniveau der klägerischen Grundstücke berechnet – beschränkt. Die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB eröffne dem Kläger das Vorgehen gegen den unberechtigten Eingriff in sein Eigentumsrecht oberhalb dieses Bereichs. Dieses Recht des Grundstückseigentümers werde nur durch das Verbot – einer hier gegebenen – schikanösen Rechtsausübung beschränkt. Im vorliegenden Fall würden krasse Interessengegensätze für das Überwiegen von unlauteren Motiven auf Seiten des Klägers sprechen. Die von der Beklagten verfolgten (öffentlichen) Interessen des Betriebs der Südbahnstrecke, der immense und zweifellos kostenintensive Aufwand für einen (wenn überhaupt technisch möglichen) Umbau der Hochspannungsfreileitung auf den vom Vorprozess umfassten Höhenkorridor oder (bei Unmöglichkeit) die wohl mindestens ebenso kostspielige Verlegung der Leitung über andere Grundstücke, stünden keine bekannt gegebenen Interessen des Klägers gegenüber.

Gegen den klagsabweisenden Teil dieses Urteils wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch teilweise im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Zu I.

1.1 Das Klagebegehren – gestützt auf § 523 ABGB – kann auf die Festellung des Nichtbestehens der Servitut, die Wiederherstellung des früheren Zustands, die Unterlassung künftiger Störungen und Schadenersatz gerichtet sein (vgl RS0012040 [T12]; RS0112687).

1.2 Dem Begehren des Klägers auf Beseitigung der Hochspannungsleitung, soweit die Höhe von 8,60 m über dem Grundstück des Klägers unterschritten wird, steht bereits die Feststellung entgegen, dass eine derartige Beeinträchtigung der Servitut nicht vorliegt. Eine vorbeugende Beseitigungsklage kommt nicht in Betracht. Das Urteil des Berufungsgerichts ist in diesem Umfang zu bestätigen.

Zu II.

1. Die Beklagte macht in ihrer Revisionsbeantwortung geltend, die Vorinstanzen hätten zu Unrecht eine negative Bindungswirkung an das Urteil des Vorprozesses angenommen und daher kein Beweisverfahren zur Frage des Bestehens der Dienstbarkeit für den Bereich oberhalb von 13,20 m durchgeführt.

1.1 Die Bindungswirkung einer Entscheidung ist ebenso wie die Einmaligkeitswirkung ein Aspekt der materiellen Rechtskraft (RS0102102 [T9]). Eine Bindungswirkung der Vorentscheidung ist nur dann anzunehmen, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch der rechtserzeugende Sachverhalt (verbunden mit notwendig gleicher rechtlicher Qualifikation) gegeben sind, aber anstelle der Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht. Präjudizialität ist gegeben, wenn der in einem Vorverfahren als Hauptfrage entschiedene Anspruch eine Vorfrage im zweiten Prozess bildet (vgl RS0041251; RS0127052 [T1]; RS0041567 [T8]; RS0039843 [T21]).

1.2 Wird nur ein Teil der Forderung eingeklagt, so tritt die Rechtskraftwirkung des Urteils nur bezüglich des eingeklagten Teils ein; in Ansehung des weiteren Rechtsanspruchs kann das Urteil keine Rechtskraft erzeugen (3 Ob 315/05b mwN; RS0039155). Das Gleiche gilt auch für den Fall der sogenannten verdeckten Teileinklagung, also dann, wenn die erste Klage nicht ausdrücklich als Teilklage bezeichnet wurde (vgl RS0041449). Die Bindungswirkung ist demnach nur auf den abschließend entschiedenen Anspruchsteil beschränkt (vgl 3 Ob 315/05b; 8 ObA 19/11v; RS0127052). Eine solche abschließende Regelung müsste sich aus den Entscheidungsgründen selbst ergeben, etwa aus der Abweisung eines Mehrbegehrens oder aus der urteilsmäßigen Feststellung des Nichtbestehens einer weiteren Forderung (vgl 3 Ob 315/05b).

1.3 Worüber im Vorprozess als Hauptfrage entschieden wurde, ist jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchgemäßen Entscheidung an (RS0127052 [T5]). Die Rechtskraftwirkung eines Urteils erstreckt sich grundsätzlich nur auf den Spruch. Nur soweit es für die Individualisierung des Anspruchs und dessen Tragweite erforderlich ist, sind auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RS0041357; RS0043259). Ist der Wortlaut des Spruchs völlig klar, bedarf es keiner Bedachtnahme auf die Entscheidungsgründe (vgl RS0000300 [T3, T6, T15]).

1.4 Aus dem klaren Wortlaut des Spruchs des Urteils im Vorprozess folgt, dass hinsichtlich des Ausmaßes der ersessenen Dienstbarkeit lediglich über den Bereich von 8,60 m bis 13,20 m über Bodenniveau abgesprochen wurde. Damit wurde im Vorprozess abschließend der Erwerb der Dienstbarkeit qualitativ durch Ersitzung und quantitativ für einen Bereich zwischen 8,60 m und 13,20 m über dem Bodenniveau der Grundstücke beurteilt und festgestellt. Nicht Gegenstand des Verfahrens war hingegen die Ersitzung einer quantitativ darüber hinausgehenden Dienstbarkeit.

1.5 Bei der von der Beklagten im Vorprozess angestrebten Feststellung einer vom (hier) Kläger als Eigentümer der dienenden Grundstücke zu duldenden Dienstbarkeit einer Hochspannungsfreileitung im Bereich zwischen 8,60 m und 13,20 m – berechnet vom Bodenniveau der klägerischen Grundstücke – handelte es sich demnach um eine verdeckte Teileinklagung. Das darüber ergangene Urteil entfaltet damit nur Bindungswirkung hinsichtlich des entschiedenen Anspruchsteils. Diese Bindungswirkung steht daher der hier dem Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren entgegengehaltene Ersitzung einer Dienstbarkeit auch oberhalb von 13,20 m Bodenniveau nicht entgegen.

1.6 Da die Vorinstanzen im Hinblick auf die von ihnen angenommene Bindungswirkung die Durchführung eines Beweisverfahrens zu den hier aufgestellten Behauptungen der Beklagten unterließen, waren ihre Urteile insoweit aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

2. Erst wenn die Ersitzung der Dienstbarkeit in einem Bereich oberhalb von 13,20 m nicht erweislich sein sollte, stellt sich die Frage der eingewandten rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung durch den Kläger. Behauptungs- und beweispflichtig für das rechtsmissbräuchliche Vorgehen ist stets derjenige, der den Rechtsmissbrauch behauptet (vgl RS0026205). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bislang die vom Berufungsgericht zur Bejahung der rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung herangezogenen Interessen im erstgerichtlichen Verfahren von der Beklagten so nicht vorgebracht wurden und auch auf keiner Tatsachengrundlage beruhen. Das Vorbringen der Beklagten erweist sich als erörterungsbedürftig.

3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

 

Textnummer

E128896

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00053.20Z.0624.000

Im RIS seit

26.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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