TE OGH 2020/4/23 9Ob7/20z

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Veröffentlicht am 23.04.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei P***** B*****, vertreten durch Mag. Günther Kieberger, Rechtsanwalt in Neulengbach, gegen die beklagte Partei B***** M*****, vertreten durch Dr. Maria In der Maur-Koenne, Rechtsanwältin in Wien, wegen 50.190 EUR, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 9.568,72 EUR) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 32.550,38 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 27. November 2019, GZ 23 R 459/19a-116, mit dem den Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom 6. September 2019, GZ 9 C 19/14m-110, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Partei werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.206,60 EUR (darin 201,10 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision mit der Begründung zugelassen, dass es zur Frage, welche Kriterien bei der Annahme einer teilweisen Unterhaltsverwirkung bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind, nur vereinzelt Rechtsprechung gebe. Die Revisionswerber schließen sich dieser Zulassungsbegründung an. Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts sind die Revisionen der Parteien aber mangels einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Bereits im Aufhebungsbeschluss des ersten Rechtsgangs dieses Verfahrens wegen Ehegattenunterhalt bei aufrechter Ehe hat der Senat zur Frage der Unterhaltsverwirkung nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ausführlich Stellung genommen (9 Ob 50/18w Pkt 1. bis 4.2.). Der Rechtsprechung und Lehre, wonach auch bei einem auf § 94 Abs 2 ABGB gestützten Unterhaltsanspruch die Bejahung der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung nicht nur zur gänzlichen Versagung des Unterhaltsanspruchs führen kann, sondern auch eine Minderung dieses Unterhaltsanspruchs möglich ist, wurde gefolgt. Diese Beurteilung bedarf einer umfassenden Interessenabwägung, in welche – ohne dass ein „theoretisches Unterhaltsverfahren nach § 68a EheG“ erforderlich wäre – neben den zur Bejahung des Rechtsmissbrauchs führenden Eheverfehlungen jedenfalls auch das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehepartners, die Dauer und die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Wohl vorhandener Kinder sowie der Bedarf des Unterhalts ansprechenden Ehegatten einzubeziehen sind. Dabei sind das objektive Gewicht der ehewidrigen Verhaltensweisen sowie das Maß der subjektiven Verantwortlichkeit des betreffenden Ehegatten in Betracht zu ziehen (9 Ob 50/18w Pkt 2.1.).

Die Frage, ob das Unterhaltsbegehren nach diesen von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien rechtsmissbräuchlich ist und ob der Rechtsmissbrauch den Verlust oder die Minderung des Unterhaltsanspruchs zur Folge hat bzw in welchem Ausmaß der Anspruch allenfalls zu mindern ist, kann letztlich nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden (RS0047080; RS0121740 [T2]). Die hier angefochtene Entscheidung bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zur Beurteilung eines rechtsmissbräuchlichen Unterhaltsbegehrens iSd § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB. Dass die Vorinstanzen im konkreten Fall bei der Ausmittlung der vorgenommenen (geringen) Unterhaltsminderung ihren vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hätten, wird in den Revisionen der Parteien nicht aufgezeigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision der Klägerin:

Richtig ist, dass eine erst nach Zerrüttung vom unterhaltsberechtigten Ehegatten aufgenommene Beziehung dann als keine derart krasse Eheverfehlung gesehen wurde, die seinen Unterhaltsanspruch verwirkte, wenn angesichts des vorausgehenden Verhaltens des unterhaltspflichtigen Ehegatten die Aufrechterhaltung seiner Unterhaltspflicht weder als grob unbillig noch als rechtsmissbräuchlich erscheint (RS0107416). Wenn die Vorinstanzen aber die Aufnahme einer ehewidrigen Beziehung der Klägerin, die zur endgültigen Zerrüttung der Ehe beigetragen und schließlich zu einer neuen gefestigten Beziehung geführt hat, der ein im Dezember 2017 geborenes gemeinsames Kind entstammt, als ein relevantes Verhalten der Klägerin gewertet haben, durch das sie sich der Unterstützung des Beklagten (teilweise) unwürdig gemacht hat (vgl RS0057410 [T2]), so liegt das im Rahmen der einschlägigen Rechtsprechung und liegt im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Ermessens (vgl 9 Ob 9/12g; 2 Ob 58/13p Pkt 1.2.; RS0014288 [T2]). Der Fall, dass nur ein Eheteil schuldhaft die Ehe zerrüttet hat und daher eine erst nach Zerrüttung vom anderen Teil aufgenommene sexuelle Beziehung nicht als derart krasse Eheverfehlung angesehen wurde, die den Unterhaltsanspruch als rechtsmissbräuchlich verwirkte (RS0107416), liegt hier nicht vor. Schon im Scheidungsurteil vom 22. 12. 2017 wurde ein ehewidriges Verhalten der Klägerin zum Freund und späteren Vater ihres im Dezember 2017 geborenen Kindes festgestellt, als schwere Eheverfehlung angesehen und der Klägerin als Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe angerechnet. Der in der Revision der Klägerin begehrte Unterhaltszuspruch ohne die von den Vorinstanzen vorgenommene Unterhaltskürzung ist daher nicht gerechtfertigt.

Zur Revision des Beklagten:

Bei der im Anlassfall vorzunehmenden Interessenabwägung nimmt die Revision des Beklagten nur Bezug auf das Fehlverhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der Aufnahme ihrer ehewidrigen Beziehung, lässt aber eigenes Fehlverhalten und den infolge der Betreuung der gemeinsamen Kinder erforderlichen Unterhaltsbedarf der Klägerin (vgl RS0009609) außer Acht. Die Bestimmungen des § 94 Abs 2 erster und zweiter Satz ABGB haben das Ziel, dem den Haushalt führenden Ehegatten, der, von geringfügigen Nebenerwerbstätigkeiten abgesehen, seinen Unterhalt nicht durch die Erträgnisse einer eigenen Berufstätigkeit sichern kann, einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Ehegatten auch nach Auflösung der häuslichen Gemeinschaft
– ausgenommen den Fall des Rechtsmissbrauchs – zu gewähren (RS0009742; RS0009749). Die von der Klägerin von 30. 7. 2015 bis 29. 2. 2016 tatsächlich erzielten Einkünfte aus einer Teilzeitbeschäftigung haben die Vorinstanzen ohnehin im Rahmen der Unterhaltsbemessung als Eigeneinkommen der Klägerin für die Monate August 2015 bis Februar 2016 berücksichtigt. Eine höhere als von den Vorinstanzen im konkreten Einzelfall vorzunehmende Unterhaltskürzung ist daher nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der ERV-Zuschlag für eine Folgeeingabe beträgt gemäß § 23a RATG jedoch nur 2,10 EUR. Beide Parteien haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der Revision des Gegners hingewiesen (RS0035979). Aufgrund des höheren Revisionsinteresses des Beklagten ergibt sich nach Saldierung der im Spruch ausgewiesene Kostenersatzanspruch der Klägerin.

Textnummer

E128275

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00007.20Z.0423.000

Im RIS seit

12.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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