TE OGH 2020/3/31 3Ob6/20h

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Veröffentlicht am 31.03.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Roch und Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Hellmut Prankl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen (zuletzt) 57.574 EUR sA und Feststellung über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. November 2019, GZ 2 R 142/19b-43, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ein Schadenersatz- und Feststellungsbegehren des Klägers, der am 17. März 2017 ein vom beklagten Verein veranstaltetes Fußballspiel mit einer Eintrittskarte besuchte, die ihn auch zum Zutritt in den VIP-Bereich berechtigte. Beim Verlassen dieses Bereichs stolperte der Kläger über eine Stahlwange, stürzte und verletzte sich.

Das Berufungsgericht nahm eine Verschuldensteilung von  1 : 1 vor.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Berufungsurteil von beiden Parteien erhobenen außerordentlichen Revisionen zeigen keine erheblichen Rechtsfragen auf. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Dem vom Kläger behaupteten Mangel des Berufungsverfahrens fehlt es an der erforderlichen Wesentlichkeit: Unabhängig von der Frage, ob er den VIP-Bereich schon davor einmal verlassen hatte, musste er den Unfallbereich bereits beim Erreichen des VIP-Bereichs passiert und ihn schon deshalb wahrgenommen haben.

2.1. Die Genehmigung oder Überwachung einer Anlage durch die zuständige Behörde beziehungsweise die Erfüllung ihrer Auflagen bedeutet nicht notwendig, dass der Inhaber einer Anlage keine weiteren Vorkehrungen zur Vermeidung oder Verringerung von Gefahren zu treffen hat (5 Ob 273/03p; 3 Ob 151/18d; RIS-Justiz RS0118600; RS0023511). Die Verkehrssicherungspflicht kann durch allenfalls bestehende öffentlich-rechtliche Sondervorschriften immer nur ergänzt, aber nicht ersetzt werden (RS0023419). Damit sind nur die Mindestanforderungen an die vom Verantwortlichen zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen umrissen. Die Pflicht des Veranstalters, eigenverantwortlich zu prüfen, welche Vorkehrungen zu treffen sind, damit niemand zu Schaden kommt, bleiben unberührt (6 Ob 106/07t = RS0023511 [T7]; 1 Ob 520/93 = RS0023419 [T1]). Das Vorliegen einer entsprechenden baubehördlichen Genehmigung kann daher den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er aufgrund eigener Kenntnis um den Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder wissen muss, aber ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (RS0023419; RS0023437; RS0038574). Als Verschulden ist dem Verkehrssicherungspflichtigen schon zuzurechnen, wenn er Anzeichen einer drohenden Gefahr ignoriert (5 Ob 273/03p = RS0023419 [T5]). Besteht nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle, hat der Inhaber der Anlage die zur Gefahrenabwehr notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen auch dann zu treffen, wenn er durch die baurechtlichen Vorschriften nicht dazu verhalten wäre (6 Ob 132/03k = RS0023437 [T3]).

2.2. Der Beklagte tritt der Ansicht der Vorinstanzen, die aufstehende Stahlwange der Rampe stelle eine Stolpergefahr und damit eine auch dem Veranstalter von professionellen Fußballspielen (ua wegen der auf der Tribüne regelmäßigen Menschenansammlungen und der Tatsache, dass der Unfallbereich auch Fluchtweg sei) voraussehbare Gefahrenquelle dar, zutreffend nicht entgegen; denn ein stolpern kann – wie der Unfall des Klägers zeigt – auch mit einem (Ab-)Sturz auf die anschließende, nach unten führende Treppe verbunden sein.

Ebensowenig bestreitet der Beklagte die von den Vorinstanzen angenommene Zumutbarkeit der Anbringung einer Absturzsicherung.

2.3. Der Argumentation des Beklagten, nach näher genannten technischen Vorschriften und der behördlichen Bewilligung habe der eine an der Treppe (gegenüber der Rampe) angebrachte Handlauf ausgereicht, kommt somit keine rechtliche Relevanz zu. Nach der eingangs dargestellten Judikatur bestand nämlich unabhängig davon angesichts der offenkundigen Gefahrenquelle eine Verkehrssicherungspflicht des Beklagten. Abgesehen davon würde das Zutreffen seiner Ansicht, ein Handlauf sei ausreichend gewesen, nichts daran ändern, dass es dennoch an einer Absturzsicherung zwischen Rampe und Treppe fehlte.

2.4. Die Bejahung der Haftung des Beklagten durch die Vorinstanzen ist daher nicht zu beanstanden.

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung bildet das Ausmaß eines Mitverschuldens wegen seiner Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0087606). Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist daher im Allgemeinen – von einer erheblichen Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage (RS0087606 [T2]; RS0044262 [T42, T53]). Das gilt auch für die Frage, ob den Geschädigten überhaupt ein Mitverschulden an dem von ihm geltend gemachten Schaden trifft (RS0044088 [T30]). Bei Schadenersatzpflichten wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt ein Mitverschulden nur dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine solche Verletzung bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen (RS0023704). Von einem Fußgänger ist nicht nur zu verlangen, beim Gehen vor die Füße zu schauen und der eingeschlagenen Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden (RS0023787 [T3]), sondern auch, einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle möglichst auszuweichen (RS0027447 [T14]).

3.2. Nach den Feststellungen stolperte der Kläger über die erkennbare Erhöhung der Stahlwange, weil er seinen Blick beim Gehen nicht nach vorne, sondern nach rechts auf das Fußballfeld und davor befindliche Personen richtete. Somit ist die vom Kläger zitierte Entscheidung 4 Ob 191/11h nicht einschlägig, weil bei dem diesen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt – soweit der Zurückweisungsbegründung zu entnehmen ist – der Klägerin kein Fehlverhalten vorzuwerfen war. Im vorliegenden Fall war jedoch für den Kläger die ungesicherte Gefahrenquelle erkennbar, er übersah sie allerdings, weil er der von ihm eingeschlagenen Wegstrecke gar keine Aufmerksamkeit zuwendete. Dieses Fehlverhalten kann nicht unberücksichtigt bleiben, weshalb auch die Annahme eines Mitverschuldens des Klägers nicht zu beanstanden ist.

3.3. Auch die vom Beklagten zitierte Entscheidung 7 Ob 237/12x ist nicht einschlägig. Denn in diesem Fall stand dem Fehlen eines zweiten Handlaufs bei einer Stiege das Ausrutschen der verletzten Klägerin ohne äußeren Anlass, daher aufgrund von in ihr selbst gelegenen Ursachen, gegenüber. Hier trifft den Beklagten aber nicht nur der Vorwurf, eine ausreichende Absicherung unterlassen, sondern auch die Gefahr zu stolpern verursacht zu haben. Sein Mitverschulden erweist sich daher keineswegs als vernachlässigbar.

3.4. Somit steht der Verletzung der offenkundigen Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten eine auffallende Sorglosigkeit des Klägers gegenüber, weshalb die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 1 : 1 unter den konkreten Umständen jedenfalls innerhalb des dem Berufungsgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums liegt und keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf.

Textnummer

E128215

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00006.20H.0331.000

Im RIS seit

27.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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